Großeinsatz und mehrere Verhaftungen bei Cannabis-Betrugsfall

Es war im Juli 2022, als tausende Anleger plötzlich nicht mehr an ihr Geld kamen. Sie hatten in ein Berliner Unternehmen mit dem Namen JuicyFields investiert. Das hatte zwei Jahre lang mit hohen Renditen für ein Investment in Cannabis gelockt. Doch im Juli brannten die Kriminellen mit dem Geld durch und tauchten unter.

Nach den neuesten Schätzungen der europäischen Polizeibehörde Europol hat das Berliner Startup bei Anlegern 645 Millionen Euro eingesammelt. Knapp 200.000 Menschen sollen JuicyFields ihr Geld anvertraut haben.

Weitere Verhaftungen könnten folgen

Ein Jahr und neun Monate später hatte die Polizei nun anscheinend ausreichend Beweise: In einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Namen "Action Day"haben Behörden aus mehr als 30 Ländern Ende vergangene Woche gleichzeitig fast 40 Wohnungen und Büros durchsucht. 400 Beamte waren in elf Ländern im Einsatz und verhafteten insgesamt neun Personen - darunter auch den mutmaßlichen Strippenzieher in der Dominkanischen Republik.

Am Stockholmer Flughafen Arlanda wurden wenige Tage später eine Frau und ihr Freund festgenommen. Sie sollen laut einem Medienbericht nach Spanien überführt werden. Weitere Verhaftungen könnten folgen. So sagte ein Pressesprecher der spanischen Polizei im Gespräch mit der DW, dass weitere acht Haftbefehle vorliegen, die noch nicht vollstreckt seien. "Die Aktion ist ein Signal, dass wir in Europa auch bei komplexen Fällen die Kriminellen bekommen können", so der Sprecher weiter. 

Die Leitung der Ermittlung lag bei Behörden in Frankreich, Spanien und Deutschland. "Das war auf jeden Fall eine der größeren Nummern", sagte die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Berlin, Karen Häußer, zur DW. "Das erfordert auch sehr viele Personen, die daran beteiligt sind. Sehr viele spezialisierte Kräfte. Das war insgesamt schon ein enormer Kräfteaufwand, das zu ermitteln", so Häußer. 

Verhaftungen bestätigen DW-Recherchen

Auf internationalen Cannabismessen trat JuicyFields lange Zeit pompös auf: Mit Lamborghinis, Helikoptern, eindrucksvollen Partys und großen Messeständen versuchte das Unternehmen, das Vertrauen von Anlegern zu gewinnen.

Der DW kam das System JuicyFields bereits Mitte 2021 verdächtig vor. Seitdem recherchierte sie zu dem Fall. Sie befragte Manager zum Geschäftsmodell und begleitete euphorische Anleger, als die Betrugsmasche noch nicht aufgeflogen war. Nachdem die Kriminellen sich Mitte 2022 mit dem Geld der Anleger aus dem Staub machten, begab sich die DW auf die Spurensuche nach den Drahtziehern. Aus den Recherchen entstand der achtteilige Podcast Cannabis Cowboys, zu hören auf Englisch und Deutsch.

Action Day: Wer wurde verhaftet?

Die internationalen Verhaftungen bestätigen nun die DW-Nachforschungen. Weder die deutschen Behörden noch Europol wollen sich zur Identität der Verhafteten äußern. Doch durch eigene Recherchen und Insiderinformationen sind der DW die Namen bekannt. Dabei handelt es sich um diejenigen Personen, die schon im Rahmen der Podcast-Reihe beleuchtet wurden - bis hin zum mutmaßlichen Boss der Bande.

Wer steckt hinter JuicyFields?

In der Dominikanischen Republik wurde nun ein Mann mit russischem Pass festgenommen. Laut lokalen Medien handelt es sich dabei um Sergei Berezin, der auch unter dem Decknamen Paul Bergholts auftrat. Europol bezeichnet den Mann als den "möglichen Hauptorganisator des Betrugssystems".

Laut einem Whistleblower, den die DW Anfang 2023 in Finnland traf, hat sich Sergei Berezin alias Paul Berholts die Betrugsmasche bis ins letzte Detail ausgedacht. Demnach soll Paul Berholts ein Computernerd sein, der selbst gerne Cannabis raucht und mit seinem engsten Kreis vom russischen St. Petersburg aus agierte.

Lamborghinis vor Messe in Barcelona
Lamborghinis mit Firmenlogo sollten Anleger vom Erfolg von JuicyFields überzeugennull DW

Nach dem Ende von JuicyFields sollen er und sein enger Kreis mit Yachten in der Karibik gesegelt sein. "Sie haben dort Häuser und Land gekauft und in Unternehmen investiert", so der Whistleblower. Der nun verhaftete mutmaßliche Drahtzieher soll nun von der Dominikanischen Republik nach Spanien ausgeliefert werden.

Bei ihrem Großeinsatz konnte die Polizei Bargeld, Konten, Kryptowährungen und Immobilien im Wert von insgesamt neun Millionen Euro beschlagnahmen. Sollte die Summe im Laufe der weiteren Ermittlungen nicht anwachsen, werden Anleger wohl kaum einen Großteil ihre Einlagen wiedersehen.

Was war JuicyFields?

JuicyFields bot Investoren sogenanntes E-Growing an. Dabei konnte man am Anbau und Verkauf von medizinischem Cannabis profitieren. Anleger konnten auf dem Computer verfolgen, wie ihre Pflanzen wuchsen, getrocknet und verkauft wurden. JuicyFields versprach dabei absurd hohe Renditen von bis zu 100 Prozent im Jahr. Wie üblich bei einem Schneeballsystem, wurden diese anfangs auch ausbezahlt, um möglichst viele neue Anleger zu gewinnen. Denn bei einem Schneeballsystem werden alte Anleger mit den Einzahlungen von neuen Anlegern bedient.

Screenshot Juicy Fields
Die günstigste Pflanze Juicy Flash gab es für 50 Euro. Alle 108 Tage wurden Anleger und Anlegerinnen an der Ernte beteiligt. Hat man das mehrmals wiederholt, konnte man 1000 Prozent Gewinn im Jahr machen. null Screenshot Juicy Fields

Die Einstiegshürde war dabei sehr niedrig. Schon ab 50 Euro konnten Anleger eine virtuelle Cannabis-Pflanze kaufen. Zwei Jahre funktionierte die Masche - JuicyFields eröffnete währenddessen Büros und Niederlassungen in Amsterdam und der Schweiz und verkündete etliche Partnerschaften und Beteiligungen.

Die Spur führt nach Russland

Bei ihren Recherchen hat die DW auch frühzeitig darauf hingewiesen, dass die Drahtzieher des Betrugssystems in Russland sitzen. Das bestätigt auch Karen Häußer von der Staatsanwaltschaft Berlin: "Momentan wird weiter davon ausgegangen, dass die Unternehmensstruktur von Russland aus gesteuert wurde."

Den Verhafteten muss nun der Prozess gemacht werden. In Deutschland muss das innerhalb von sechs Monaten stattfinden; in Spanien bis zu zwei Jahre nach Verhaftung. Verlängerungen sind möglich. Die Behörden müssen nun alle Daten auswerten, die ihnen zur Verfügung stehen. Womöglich setzen sie auch darauf, dass einige der Verhafteten mit der Polizei kooperieren.

Hier finden Sie achtteilige Podcast-Serie Cannabis Cowboys finden sie hier auf Deutschund hier auf Englisch. Und überall da wo es Podcasts gibt. 

Cannabis Cowboys - die JuicyFields-Saga

"Cannabis Cowboys - die JuicyFields-Saga" erzählt die Geschichte eines Betrugs, bei dem tausende Anleger weltweit um hunderte von Millionen Euro betrogen wurden.

Medizinisches Cannabis ist in Deutschland und vielen anderen Ländern bereits legal. Es wird auf ärztliches Rezept über Apotheken vertrieben. Das Berliner Start-Up JuicyFields hat jahrelang viele Millionen Euro eingesammelt, angeblich, um damit weltweit medizinisches Cannabis anzubauen.

Den Gewinn aus dem Verkauf an Apotheken versprach das Unternehmen mit seinen Anlegern zu teilen - und lockte mit Renditen von mehr als 100 Prozent im Jahr. Für viele war das ein verlockendes Angebot.

"Juicy Fields war mein erstes Investment", erzählt Martin, einer der frühen Anleger. "Das kam auch daher, weil es mit Cannabis zu tun hatte - und Cannabis eine Pflanze war, die mich auch schon früher in der Jugend sehr interessiert hatte, wenn ich das mal so sagen darf."

Geld verdoppeln mit Cannabis

Dass Anleger ihr Geld laut JuicyFields innerhalb eines Jahres verdoppeln konnte, fand Martin "mega-krass". Weil das Unternehmen aber pünktlich zahlte und regelmäßig satte Gewinne ausschüttete, investierte der Familienvater rund 60.000 Euro in der Plattform und machte als Influencer sogar noch Werbung für das Unternehmen.

Im Sommer 2022 fiel das Kartenhaus dann plötzlich in sich zusammen, die DW hatte schon damals darüber berichtet. Anleger kamen von einem Tag auf den anderen nicht mehr an ihr Geld. Die Täter sind bis heute abgetaucht.

Screenshot Website JuicyFields - Maskierte Männer
Wer steckt hinter JuicyFields? Screenshot eines Videos, in dem Männer ankündigen, die Cannabis-Plattform wiederzubelebennull JuicyFields

Wie dieser Betrug eingefädelt wurde, wer dahintersteckte und wie es gelang, so viele Menschen in kurzer Zeit dazu zu bringen, JuicyFields ihre Ersparnisse anzuvertrauen, das ist das Thema von Cannabis Cowboys. Nach der Erstveröffentlichung auf Englisch und einem Preview im DW-Wirtschaftspodcast sind nun die vorerst acht Folgen der deutschen Fassungabrufbar. Weitere werden folgen, sollten sich neue Erkenntnisse ergeben.

Eben noch vor dem DW-Mikro, dann untergetaucht

Wir, Nicolas Martin und Andreas Becker, die beiden Autoren des Podcasts, hatten unsere Recherchen begonnen, als es noch rund lief bei JuicyFields. Deshalb konnten wir auch mit Menschen sprechen, die sich später nicht mehr öffentlich äußern wollten oder ganz untertauchten - Manager des Unternehmens etwa oder Influencer. Und je mehr wir uns in diese Geschichte hineingruben, desto seltsamer wurden Charaktere und Handlung.

Inzwischen ermittelt die Polizei in vielen Ländern, die Arbeit der Ermittler wird europaweit koordiniert. Einige Behörden beziffern den Schaden durch JuicyFields auf mindestens 400 Millionen Euro, andere Schätzungen gehen in die Milliarden. Von den Tätern musste sich bisher niemand vor Gericht verantworten. Dass sie die Entwicklungen aber aufmerksam verfolgen und sich zwischenzeitlich sogar selbst zu Wort melden - auch das kann man im Podcast hören.

"Cannabis Cowboys - Die JuicyFields-Saga" - ab dem 14.9.2023 bei der DW, in der ARD-Audiothek und überall dort, wo es Podcasts gibt.

Cannabis in Deutschland: Was ist jetzt erlaubt, was nicht?

Für die Befürworter ist es das lang ersehnte Ende der Kriminalisierung, für die Gegner steigt die Gefahr, dass sich Jugendliche ab jetzt noch mehr als bislang auch härteren Drogen zuwenden: Nach dem Bundestag Ende Februar beschloss im März auch der Bundesrat, die Länderkammer, die teilweise Freigabe des Cannabis-Konsums in Deutschland - mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP. Im Bundestag stimmten auch die Abgeordneten der Linken zu. Die konservative Opposition von CDU und CSU stimmte mit Nein.

Konkret heißt das: Seit dem 1. April 2024 ist es volljährigen Menschen in Deutschland erlaubt, 25 Gramm Cannabis bei sich zu tragen. Diese Menge dürfte für etwa 50 bis 100 Joints ausreichen. In den eigenen vier Wänden können die Haschisch-Freunde ab sofort drei Cannabispflanzen anbauen und bis zu 50 Gramm getrockneten Cannabis lagern.

Kiffen ist jetzt legal in Deutschland

Grundgedanke: Kiffen erlauben, um die Kriminalität zu stoppen

Schon lange fordern Konsumenten, aber auch viele Politiker und Gesundheitsexperten, den Gebrauch von Cannabis in kleinen Mengen zu erlauben und so den Dealern das Handwerk zu legen. Im Koalitionsvertrag von 2021 hatten sich die drei Regierungsparteien im Grundsatz darauf geeinigt und schrieben in ihre Liste mit den Plänen für die Regierung: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein."

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht lächeln vor einem vor einem Plakat, dass auf die künftige Freigabe von Cannabis hinweist
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellte sein Gesetz zur vorsichtigen Legalisierung schon Im August 2023 vor null Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Private Clubs statt öffentlicher Geschäfte

Von solchen lizenzierten Geschäften ist jetzt allerdings im Gesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht mehr die Rede. Vorerst jedenfalls nicht. Zunächst will die Regierung den privaten Konsum erlauben und regeln, auch, um Polizei und Justiz zu entlasten. Vom 1. Juli an sollen zudem private Clubs von bis zu 500 Mitgliedern die Hanfpflanzen gemeinschaftlich anbauen und die Ernte an ihre Mitglieder verteilen dürfen.

Kommerzielle Shops wie etwa in einigen Bundesstaaten der USA soll es erst einmal nicht geben - auch wenn das am Anfang der Überlegungen der Regierung durchaus angedacht war. Wenn denn die Konsumenten ihr Cannabis künftig straffrei zu sich nehmen wollen, dann geht das nicht in der Nähe von Schulen, Kitas, Spielplätzen und öffentlichen Sportstätten. Und zwischen 7 und 20 Uhr auch nicht in Fußgängerzonen. Die Möglichkeit, Cannabis in speziellen Geschäften abzugeben und dort auch den Konsum zu erlauben, ist erst einmal vertagt worden.

 Eine Frau raucht Cannabis in Toronto, im Hintergrund ist die kanadische Flagge zu sehen
Was hier in Toronto in Kanada geht, ist bald auch in Deutschland erlaubt: Cannabis-Rauchennull Chris Young/empics/picture alliance

Legalisiert wird auch woanders

Deutschland steht in Europa nicht allein mit einer Politik, die den Konsum von Cannabis lockern will. In Portugal, Spanien, der Schweiz, Tschechien oder Belgien, vor allem aber in den Niederlanden gibt es längst Regelungen, die den Besitz und den Gebrauch von kleinen Mengen nicht mehr unter Strafe stellen. Legal ist der Besitz aber etwa in den Niederlanden deshalb nicht, der Gebrauch ist nur in den berühmten Coffeeshops gestattet, und wer die betreten will, muss sich als volljährig ausweisen können.

Auf einer Demonstration in Berlin fordern Konsumenten im Sommer 2023 die Freigabe von Cannabis
Auf einer Demonstration in Berlin fordern Konsumenten im Sommer 2023 die Freigabe von Cannabis - dieses Ziel ist erreichtnull TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Zwei unversöhnliche Ansichten zu Cannabis

Schon immer war die Diskussion um eine mögliche Freigabe von zwei unvereinbaren Positionen geprägt: Mediziner und andere Gesundheitsexperten warnten davor, Cannabis zu verharmlosen. So sagte jetzt etwa die Neurologin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, die künftige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN): "Das Alter ist der entscheidende Punkt bei dieser Diskussion.  Ich befürchte, dass wir mit dem geplanten Gesetz den Teufel mit dem Beelzebub austreiben."  Noch bis zum 25.Lebensjahr entwickele sich das Gehirn junger Menschen stetig weiter, Cannabis könne schwere Schäden, vor allem psychischer Natur hervorrufen. Und andere Kritiker warnen vor der eher harmlosen Cannabis-Droge als Einstieg in härtere Substanzen.

Cannabis - Kiffen ist nicht ungefährlich

Die Befürworter wie etwa der Bundestagsabgeordnete Janosch Dahmen von den Grünen, selbst Arzt, halten dagegen. Er sagt der DW: "Steigende Cannabis-Konsum-Zahlen zeigen, dass die Verbotspolitik der vergangenen Jahre nicht dazu führt, dass weniger Menschen Cannabis konsumieren – im Gegenteil, der Konsum gerade junger Menschen nimmt weiter zu."

Und weiter: "Ziel des Cannabis-Gesetzes ist es deshalb, den Cannabis-Konsum und den Zugang für informierte Erwachsene sicherer zu machen, indem die Weitergabe verunreinigter Substanzen bei Cannabis unterbunden und der Schwarzmarkt eingedämmt wird."

Tatsächlich ist der Konsum vor allem bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren zuletzt gestiegen. Nach aktuellen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hatte 2021 die Hälfte der jungen Menschen bereits Cannabis-Konsumerfahrung. So hoch war der Wert zuletzt vor über 50 Jahren. Trotz des Verbots.

Eine Amnestie für Kiffer schafft Probleme bei der Justiz

Justiz-Experten warnen vor einer weiteren Regelung rund um die Cannabis-Freigabe. Die Regierung will nämlich auch eine Amnestie für bisher strafbare Fälle einführen, die künftig erlaubt sind. Das rief jetzt den Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn auf den Plan. Er sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland": "Die Justiz rechnet bundesweit mit bis zu 100.000 Akten, die nochmals zu überprüfen sind." Kaum zu schaffen, meint Rebehn. Die Amnestie war auch bis zuletzt ein wichtiges Argument für CDU und CSU, gegen das Gesetz zu stimmen. 

Das Thema Cannabis bleibt also ein heißes Thema in Deutschland, auch nach dem ersten Schritt zum freien Konsum.

Legalisierung von Cannabis verspricht hohe Gewinne

Dieser Text erschien erstmals am 23.02.2024 und wurde nach der Freigabe im Bundesrat am 22.03.2024 aktualisiert und erneut am 01.04.2024.

Die Gewinner der Cannabis-Legalisierung in Deutschland

Noch will Dirk Rehahn die Sektkorken nicht knallen lassen. "So richtig traue ich mich noch nicht", sagt der Unternehmer. Grund zum Feiern hat er allerdings: Die Zugriffe auf seine beiden Internetseiten haben sich seit dem 23. Februar vervielfacht.

An diesem Tag hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung "zum kontrollierten Umgang mit Cannabis" verabschiedet. Jeder Erwachsene soll demnach drei Graspflanzen zu Hause anbauen, 50 Gramm Cannabis dort lagern und bis zu 25 Gramm mit sich herumtragen dürfen. Seit dem 22. März ist das Gesetz auch durch den Bundesrat. Damit wird Cannabis in Deutschland ab dem 1. April zum größten Teil legal. Jetzt ist klar: So wie das Gesetz umgesetzt wird, gehört Dirk Rehahn zu den Gewinnern der Teil-Legalisierung. 

Dirk Rehahn | Geschäftsführer von Dirks Growshop und Drehandel
Growshop-Betreiber Dirk Rehahn könnte von der Legalisierung profitierennull Dirk Rehan

Rehahn vertreibt alles rund um den Anbau von Gras. Man könnte es auch mit Gewächshaustechnik und Gärtnerbedarf beschreiben. Sein Bestseller sind sogenannte fertige Grow-Sets - kühlschrankgroße Zelte mit Lampen, Belüftungssysteme und Messtechnik. Das günstigste kostet etwas über 500 Euro, das teuerste liegt bei fast 1500 Euro - doch alle sind derzeit vergriffen. "Die Leute verlieren die Berührungsängste, Cannabis selbst anzubauen", sagt Rehahn im DW-Gespräch.

Alles rund um den Anbau von Cannabis boomt

Er selbst saß bereits zwei Jahre im Gefängnis wegen Beihilfe zum Anbau von Cannabis. Danach hat er 2011 den Großhandel aufgezogen. Seitdem spricht er in Beratungsgesprächen vor allem von Chilis, Tomaten und Brokkoli. Jetzt freut er sich darauf, "ganz normal beraten zu dürfen", sagt Rehahn. Mit vier festen Mitarbeitern haben seine beiden Shops "Drehandel" und "Dirks Growshop" im vergangenen Jahr einen Umsatz von zwei Millionen Euro gemacht. In diesem Jahr geht er von drei bis vier Millionen aus.

Deutschland Berlin | Bundesgesundheitsminister Lauterbach | Cannabis-Gesetz
Das neue Cannabis-Gesetz hat der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) maßgeblich vorangetriebennull Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Auch bei anderen Zulieferern aus der sogenannten Grow-Branche ist die Stimmung sehr gut: Ob beim österreichischen Verkäufer von Hanfsamen, Seeds 24 oder beim Hamburger Händler Growmark - alle warnen vor längeren Lieferzeiten. Beim Onlineshop Grow Guru heißt es: "Im Moment werden alle Shops und Lieferanten von Kunden überrannt."

Das große Geschäft mit den Genuss-Kiffern bleibt aus

Doch nicht alle in der Branche haben Grund zu Feiern. Wer auf eine umfassende Legalisierung gesetzt hat, geht leer aus. So soll es keine Fachgeschäfte geben, in denen Cannabis verkauft wird. Importeure, Vertriebler, Shopbetreiber - sie alle müssen sich nach neuen Geschäftsmodellen umschauen. Canabis zum Spaß wird laut Gesetz entweder zu Hause gezüchtet oder in sogenannten "nichtgewerblichen Anbauvereinigungen" - auch Cannabis Social Clubs genannt - konsumiert.

"Unser Geschäftsmodell war zum Glück nie auf die Legalisierung ausgelegt", sagt Cantourage-Geschäftsführer Philip Schetter. Das Unternehmen ist auf den Import und die Verarbeitung von medizinischem Cannabis spezialisiert. In London betreibt es eine auf Cannabis spezialisierte Klinik. Nach eigenen Aussagen arbeiten 50 Mitarbeiter in Deutschland und 25 in Großbritannien für die Berliner Firma.

Philip Schetter | Geschäftsführer von Cantourage
Philip Schetter sieht großes Potenzial im medizinischen Markt mit Cannabisnull Cantourage

Ende 2022 ist Cantourage an die Börse gegangen. Seitdem hat sich der Aktienkurs mehr als halbiert. Cantourage hat ähnliche Probleme wie viele andere in der Branche: Es fehlt der ganz große Wurf. "Im Gegensatz zu anderen Unternehmen der Branche wachsen wir aber stark und verbrennen immerhin kein Geld", sagt Schetter. Der Umsatz lag nach eigenen Angaben in den ersten neun Monaten 2023 bei 17 Millionen Euro. 

Durch den Verzicht auf teure eigene Produktionsanlagen seien die laufenden Kosten überschaubar, meint Schetter im DW-Gespräch und fügt selbstbewusst hinzu: "Wir sind gewappnet für alles, was kommt." Am meisten Potenzial sieht er in der Reklassifizierung von Cannabis. 

Medizinisches Cannabis: Vom Stiefkind zum Gewinntreiber

Durch die Gesetzesänderung wird Cannabis als Medizin auch nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft. Die Verschreibung wird dadurch deutlich leichter. "Firmen, die heute schon im Geschäft mit medizinischem Cannabis sind, werden überproportional davon profitieren", sagt Finn Hänsel, Gründer und Geschäftsführer der Sanity Group. "Wir hatten uns insgesamt mehr erhofft, im pharmazeutischen Markt steckt aber noch viel Potenzial", so Hänsel im DW-Gespräch.

Legalisierung von Cannabis verspricht hohe Gewinne

Derzeit gibt es etwas weniger als 200.000 Cannabis-Patienten in Deutschland. Dieser Markt könnte weiter wachsen. Der Gesamtumsatz der Branche liegt bei 200 Millionen Euro, den sich etliche Unternehmen untereinander aufteilen.

Ohne langen Atem geht in der Branchen nichts

Doch ein Türchen zum Geschäft mit Freizeitcannabis bleibt für die Unternehmen weiter geöffnet. So will der Staat mittelfristig auch "kommerzielle Lieferketten" in ausgewählten Kreisen und Städten zulassen. Sogenannte Modellprojekte könnten in Berlin, Köln oder anderswo dann doch zusätzliche Millionen durch Fachgeschäfte in die Kassen spülen. Im Sommer sollen Einzelheiten über die Modellprojekte bekannt werden. Wer im Markt weiter mitmischen möchte, der benötigt einen langen Atem.

Für den Online-Händler Dirk Rehahn ist das erstmal nicht der Fall. Für ihn gilt, was schon bei den den Goldsuchern gegolten hat: Wer die Schaufeln und Siebe verkauft, der hat beste Aussichten auf gute Gewinne. Doch ganz so festlegen möchte er sich selbst nicht. Die Cannabisbranche sei sehr dynamisch. Andere Geschäftsmodelle könnten mittelfristig vielleicht erfolgreicher sein. "Die kleinen Pionier-Bioläden in den Innenstädten sind auch fast alle von großen Ketten verdrängt worden. Ähnlich könnte es auch mit uns passieren."

Der Artikel ist erstmals am 7.3.2024 erschienen und wurde am 22.3.2024 nach der Entscheidung des Bundesrates aktualisiert. 

Habeck: "Wirtschaft hat Zukunft der Ukraine fest im Blick"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kam am Morgen mit dem Zug in der ukrainischen Hauptstadt Kiew an, wie ein Sprecher seines Ministeriums bestätigte. Geplant sind demnach Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj, Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko sowie Energieminister Herman Haluschtschenko.

Im Zentrum der Reise stehen die jüngsten Angriffe Russlands auf die ukrainische Energie-Infrastruktur, konkrete Nothilfe, die Stärkung der ukrainischen Wirtschaft und die Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland. Der Wirtschaftsminister will bei seinem Besuch auch die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine ("Ukraine Recovery Conference") vorbereiten, welche die Bundesregierung gemeinsam mit der ukrainischen Regierung am 11. und 12. Juni 2024 in Berlin ausrichten wird.

Unterstützung in schweren Zeiten

Habeck sagte bei seiner Ankunft, der Besuch falle in eine Zeit, in der die Ukraine in ihrem Kampf um Freiheit jede Unterstützung brauche. Der Vizekanzler fügte hinzu: "Ja, die Ukraine kämpft für ihre eigene Selbstbestimmung, für ihre territoriale Integrität gegen Putins Aggression, aber sie kämpft eben auch für die Werte, die Europa eint und ausmacht."

Wirtschaftsminister Habeck spricht am Bahnhof von Kiew in mehrere Mikrofone
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck versichert der Ukraine die fortwährende Unterstützung Deutschlandsnull Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Die Ukraine befindet sich in einer zusehends schwierigen Lage: Die Führung in Kiew appelliert seit Monaten immer wieder an die Verbündeten, mehr Munition und mehr Mittel für die Luftabwehr zur Verfügung zu stellen. Derweil verbuchte die russische Armee in den vergangenen Wochen im Osten der Ukraine eine Reihe von Geländegewinnen.

Privatwirtschaftliches Engagement

Habeck wird bei seiner Reise von einer Wirtschaftsdelegation begleitet. Dies zeige, "dass auch die deutsche Wirtschaft die Zukunft der Ukraine in Europa fest im Blick hat", erklärte Habeck. "Zur umfänglichen Unterstützung der Ukraine gehören auch die Unterstützung einer widerstandsfähigen Energieversorgung und des Wiederaufbaus."

Häuserruine in der ukrainischen Stadt Saporischschja nach russischen Raketenangriffen
Häuserruine in der ukrainischen Stadt Saporischschja nach russischen Raketenangriffen (Archivbild)null REUTERS

Damit dieser gelinge, seien "privatwirtschaftliche Investitionen zentral", betonte der Minister. Die Ukraine biete als künftiges EU-Mitglied mit einer "sehr gut ausgebildeten Bevölkerung" Chancen für deutsche und internationale Unternehmen.

Unterstützung für Unternehmen vom Bund

Das Bundeskabinett hatte in der vergangenen Woche einen 15-Punkte-Plan zum wirtschaftlichen Wiederaufbau der Ukraine beschlossen. Im Zentrum des Maßnahmenpakets stehen finanzielle Zuschüsse und Zinsverbilligungen für kleine und mittlere Unternehmen in der Ukraine sowie Investitionsgarantien für deutsche Unternehmen.

Es ist Habecks zweiter Besuch in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022. Im Anschluss reist der Vizekanzler weiter in die Republik Moldau, wo er Ministerpräsident Dorin Recean treffen wird. "Moskaus Aggression wirkt sich mit voller Wucht auch auf die Nachbarn der Ukraine aus. Deutschland unterstützt die Republik Moldau als verlässlicher Partner dabei, russischen Destabilisierungsversuchen zu begegnen, und begleitet das Land auf seinem Weg in die EU", betonte Habeck.

mak/kle (dpa, afp, rtr)

USA wollen höhere Strafzölle für chinesische Stahlimporte

Die qualitativ hochwertigen US-Stahl- und Aluminiumprodukte müssten derzeit mit künstlich vom chinesischen Staat verbilligten Produkten konkurrieren, teilte das Weiße Haus in Washington mit. Amerikanische Arbeitnehmer seien wegen des Imports chinesischer Produkte unfairer Konkurrenz ausgesetzt. Durch eine mögliche Verdreifachung der Strafzölle solle die US-Stahl- und Schiffbauindustrie vor "unfairen Praktiken" geschützt werden. Zudem würden die Produkte aus China bei deutlich höherem Kohlendioxidausstoß produziert. Der aktuelle Durchschnitt der Zölle liegt bei 7,5 Prozent - dieser Satz stammt noch aus der Präsidentschaft des vorherigen Staatspräsidenten, des Republikaners Donald Trump.

Eine entsprechende Erklärung von US-Präsident Joe Biden wurde während seiner Wahlkampftour durch den Bundesstaat Pennsylvania veröffentlicht, der ein traditionelles Zentrum der amerikanischen Stahlbranche ist. Pittsburgh im Westen des Staates hat den Spitznamen Steel City. "Sie konkurrieren nicht, sie betrügen", sagte der Präsident unter Beifall am Sitz einer Gewerkschaft mit Blick auf China. "Sie betrügen und wir haben den Schaden hier in Amerika gesehen." Biden will bei der Präsidentenwahl im November für eine zweite Amtszeit antreten und wird dabei voraussichtlich von seinem Amtsvorgänger Donald Trump herausgefordert. 

Die chinesischen Stahlunternehmen müssten sich keine Sorgen um ihren Gewinn machen, "weil die chinesische Regierung sie so stark subventioniert". Biden fügte hinzu: "Sie sind fremdenfeindlich. Sie haben echte Probleme." Er sei nicht auf einen Konflikt mit China aus, sondern auf Wettbewerb - "aber fairen Wettbewerb".

Handelsbeauftragte prüft Vorwürfe

Mit seiner Forderung nach höheren Zöllen wandte sich Biden an die zuständige US-Handelsbeauftragte Katherine Tai. Diese will als Reaktion auf eine Petition von fünf US-Gewerkschaften die chinesischen Handelspraktiken im Schiffbau-, Schifffahrts- und Logistiksektor untersuchen lassen. Die Vorwürfe gegen China spiegelten wider, was bereits in anderen Sektoren bekannt sei - nämlich dass Peking "eine breite Palette nicht marktorientierter Richtlinien und Praktiken" anwende, "um den fairen Wettbewerb zu untergraben".

Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai
Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai null Susan Walsh/REUTERS

Biden hatte im März die offizielle Unterstützung der Stahlarbeitergewerkschaft USW für sein Streben nach einer zweiten Amtszeit erhalten. Er hatte sich im März auch gegen die geplante Übernahme des Stahlproduzenten US Steel mit Sitz in Pittsburgh durch den japanischen Konzern Nippon Steel ausgesprochen.

China kritisiert Biden

Im Zollstreit zwischen den USA und China übte die chinesische Führung scharfe Kritik am US-Präsidenten nach dessen Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit. "Ich würde ihn gern fragen, ob er von China oder den USA spricht", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Peking. Er antwortete auf eine Frage nach Äußerungen von Joe Biden im Zuge der geplanten Erhöhung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus China. Biden hatte unter anderem gesagt, Chinas Bevölkerung bestehe aus mehr Rentnern als Arbeitern, sie "importieren nichts" und sie seien "fremdenfeindlich".

Der chinesische Sprecher wies zudem darauf hin, dass sein Land die USA seinerseits immer wieder aufgefordert habe, "die Grundregeln des fairen Wettbewerbs zu respektieren, sich an die Regeln der Welthandelsorganisation zu halten und ihre protektionistischen Maßnahmen gegenüber China einzustellen". Die Volksrepublik werde alle nötigen Mittel ergreifen, um ihre legitimen Rechte zu schützen, fuhr er fort.

kle/gri (afp, dpa)

Kann sich der Iran einen Krieg wirtschaftlich leisten?

Während die USA und die EU über neue Sanktionen gegen Teheran nachdenken, trumpft der Iran mit einer Erfolgsmeldung auf: Das Land hat mehr Öl als je zuvor in den letzten sechs Jahren exportiert. Und das trotz neuer US-Sanktionen, die 2018 der damalige Präsident Donald Trump in Kraft gesetzt hatte.

Irans Ölminister Javad Owji verkündete im März, dass die Ölexporte 2023 "mehr als 35 Milliarden Dollar" in die iranischen Kassen gespült hätten. Die "Feinde des Iran" wollten zwar seine Öl-Exporte stoppen, "aber heute können wir Öl überall hin exportieren, wo wir wollen, und das mit minimalen Rabatten", zitiert die Financial Times den Ölminister.

Die eingenommenen Dollar-Milliarden sind für das Land enorm wichtig, um innenpolitisch für sozialen Frieden zu sorgen. Denn ein großer Teil der Bevölkerung leidet unter den Folgen der internationalen Sanktionen: Sie haben zu einem Verfall der Landeswährung Rial geführt und die Inflation kräftig in die Höhe getrieben.

Die Inflation ist mit zuletzt rund 40 Prozent ohnehin hoch und jede Verschärfung der geopolitischen Spannungen drückt zusätzlich auf den Wert des Rial, erklärt Djavad Salehi-Isfahani, Wirtschafts-Professor an der US-Hochschule Virginia Tech, im Interview mit der DW.

Iran | Steigende Lebensmittelpreise
Die Menschen im Iran leiden seit Jahren unter starker Inflation und hohen Lebensmittelpreisen null Atta Kenare/AFP/Getty Images

Der Dollar habe in den letzten Wochen, als man mit einer Verschärfung des Konflikts mit Israel rechnete, um rund 15 Prozent an Wert gegenüber der iranischen Landeswährung zugelegt. Das habe dazu geführt, dass der Rial in den vergangenen Monaten ein Viertel seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren hat, rechnet Isfahani vor. "Diese Abwertung des Wechselkurses schlägt sich sehr schnell in höheren Preisen nieder, weil der Iran viele Waren importiert." Außerdem hätten viele Waren, die man im Land selbst produziert, auch eine Importkomponente. "Ich denke daher, dass sich das Land aktuell auf eine höhere Inflation einstellen muss."

Lebensstandard auf dem Niveau von 2005

Weil sich der Iran nicht selbst mit Nahrungsmitteln versorgen kann, treiben der Wertverfall der Währung und die starke Inflation die ohnehin schon hohen Preise für Lebensmittel noch weiter oben. "Das wird sich stark auf das Wohlergehen der Armen auswirken, weil Nahrungsmittel etwa die Hälfte ihrer Ausgaben ausmachen", sagt der Experte für die Wirtschaft des Nahen Ostens.

Auch für die Mittelschicht habe sich die wirtschaftliche Lage in den letzten beiden Jahrzehnten spürbar verschlechtert. "Der Lebensstandard ist wegen der Sanktionen wieder auf dem Stand von vor 20 Jahren", so Isfahani. Die Wirtschaftsleistung liege dagegen "etwa auf demselben Niveau oder vielleicht ein paar Prozent höher". Trotzdem würde auch sie sehr empfindlich auf weitere Rückgänge reagieren.

Iran | Proteste gegen die wirtschaftspolitik der Regierung
Proteste gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung im Frühjahr 2022null Privat

Nach den Zahlen des Datendienstleisters Statista hat im Jahr 2022 die Landwirtschaft geschätzte 12,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Iran beigetragen: Die Industrie steuerte rund 40 Prozent und der Dienstleistungssektor etwa 47 Prozent bei.

Wirtschaftliche Situation steht und fällt mit Ölexporten

Dabei ist das Land extrem abhängig vom Rohöl-Export. Seit mehr als 90 Prozent des Öls nach China verschifft werden, laufen auch die Sanktionen des Westens immer mehr ins Leere. Umso mehr sorgen sich die Machthaber in Teheran, dass der Ölsektor als wichtigste Devisenquelle Ziel eines militärischen Vergeltungsschlags Israels werden könnte.

"Ich bin mir sicher, dass sie sehr besorgt sind, weil ein Krieg, der die Infrastruktur für den Ölexport beschädigt, einen schweren Schlag für die Wirtschaft bedeuten würde", bringt es Isfahani auf den Punkt. Nach dem Schock der 2018 durch Trump verhängten Sanktionen habe der Iran mittlerweile wieder 80 Prozent seiner damaligen Exportmenge erreicht. Die meisten Experten führten das auf die Aufweichung der Sanktionen zurück, seit Joe Biden an der Macht ist, so Isfahani.

"Die iranische Wirtschaft ist in der Tat zum Teil durch die Zunahme der Ölexporte gewachsen. Nicht der gesamte Anstieg des BIP, der sich auf etwa fünf Prozent pro Jahr beläuft, was im Vergleich zu dem, was in der Region insgesamt nach der Covid-Pandemie passiert, nicht schlecht ist", erklärt Isfahani.

Allerdings habe sich das nicht in einem höheren Lebensstandard für die Bevölkerung niedergeschlagen, betont der Iran-Experte. Denn viele finanzielle Ressourcen seien in den Ausbau des Militärs und anderer Maßnahmen des Regimes geflossen.

Iran Bandar Abbas | Islamische Revolutionsgarde erhält neue Schnellboote und Schiffe
Die Islamischen Revolutionsgarden erhalten im Januar 2024 neue Ausrüstung in der Hafenstadt Bandar Abbasnull Sephanews/ZUMA Press/picture alliance

Korruption und Intransparenz

Viel Geld versickert ohnehin in den intransparenten Strukturen der schiitischen Machthaber in Teheran. Im Index von Transparency International, der die wahrgenommene Korruption misst, steht Iran auf Platz 149 von 180 Ländern. Deutschland rangiert dort auf Platz neun, die USA auf dem 24. Rang.

Besonders undurchsichtig ist die Rolle der Revolutionsgarden (eine Parallelarmee) und religiösen Stiftungen, die zentrale Teile der Wirtschaft kontrollieren. Sie zahlen keine Steuern, müssen keine Bilanzen vorlegen und sind vor allem dem politischen und religiösen Oberhaupt der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Chamenei, unterstellt.

Für den Nahost-Experten Martin Beck von der University of Southern Denmark (SDU) ist die Wirtschaft des Iran geprägt durch "eine Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre, die eine mit hoher Korruption verbundene staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik befördert".

Niedrige Wirtschaftsleistung pro Kopf

Aber obwohl sich die Einnahmen aus dem Ölexport in den vergangenen Jahren zunehmend stabilisiert haben, ist der Iran alles andere als ein ökonomisches Schwergewicht. Obwohl seine Bevölkerung mit rund 88 Millionen fast zehnmal so groß ist wie die seines Erzfeindes Israel (neun Millionen), war seine Wirtschaftsleistung 2022 mit 413 Milliarden US-Dollar deutlich niedriger als die des jüdischen Staates mit 525 Milliarden US-Dollar.

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2022 im Iran mit geschätzten rund 4043 US-Dollar weit abgeschlagen hinter Israel (54.336 US-Dollar) und dem regionalen Rivalen Saudi-Arabien mit rund 34.441 US-Dollar.

Arme Leute im Iran
2022 lebten 26 Millionen Menschen im Iran unter der Armutsgrenze (Angaben des Ministry of Cooperatives, Labour, and Social Welfare in Teheran) null ISNA

Wie sich die Wirtschaft des Landes weiter entwickelt, hängt vor allem davon ab, ob neue westliche Sanktionen die iranischen Ölexporte spürbar drosseln können.

Ölexporte sind entscheidend

Teheran ist es gelungen, in den ersten drei Monaten des Jahres durchschnittlich 1,56 Millionen Barrel (ein Barrel sind rund 159 Liter) Rohöl pro Tag zu verkaufen - und zwar fast alles nach China. Das war nach Informationen des Datenanbieters Vortexa der höchste Wert seit dem dritten Quartal 2018.

"Die Iraner beherrschen die Kunst, Sanktionen zu umgehen", wird Fernando Ferreira von der Rapidan Energy Group in den USA in der Financial Times zitiert. "Wenn die Biden-Regierung wirklich etwas bewirken will, muss sie den Fokus auf China verlagern."

Die USA sind zwar mittlerweile viel unabhängiger von Öl-Exporten aus dem Nahen Osten. Trotzdem würden höhere Ölpreise durch eine Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran auch die Weltmarkt-Preise - und damit die Inflation weiter in die Höhe treiben. Für US-Präsident Joe Biden wäre das in einem Wahljahr mehr als ungünstig und eine Steilvorlage für seinen Herausforderer Donald Trump.

Doch ganz gleich, ob es zu einer Verschärfung der Sanktionen kommt oder nicht. Wäre die iranische Wirtschaft aktuell bereit für eine mögliche militärische Eskalation mit Israel?

Die Antwort von Djavad Salehi-Isfahani ist deutlich: "Insgesamt ist sie nicht bereit für einen längeren militärischen Konflikt. Deshalb haben sie (die Machthaber in Teheran, Anm. d. Red.) sehr darauf geachtet, sich nicht zu sehr in den Gaza-Krieg einzumischen. Und der Angriff auf Israel war eher symbolisch als einer, der Schaden anrichten wollte."

"Iran will Konflikt mit Israel nicht eskalieren lassen"

 

Was bedeutet der Angriff des Irans auf Israel für die Weltwirtschaft?

Nachdem Israel den iranischen Angriff mit  Hunderten Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen ohne größere Schäden abwehren konnte, herrscht erst einmal Erleichterung an den internationalen Finanzmärkten: Die Ölpreise sinken leicht und die Futures auf den US-Index S&P 500 haben ins Plus gedreht. Trotzdem ist "seit Freitag die Geopolitik wieder die größte Sorge für die Märkte" geworden, schreiben die Analysten der Deutschen Bank in einer Mitteilung an ihre Kunden.

Immer, wenn sich die geopolitische Lage im Nahen Osten verschärft, lässt sich das weltweit an den Ölpreisen ablesen: Denn die Preise für das Nordseeöl Brent oder sein US-Pendant WTI (West Texas Intermediate) sind wie die Fieberkurve der Weltwirtschaft.

Allerdings hatten die Sorgen vor einer Eskalation im Nahen Osten die Preise für Rohöl schon vor dem iranischen Angriff auf Israel um rund zehn Prozent nach oben getrieben. Laut Rohstoff-Experte Jorge León von Rystad Energy, einem Energieberatungsunternehmen in Oslo, war dieser Anstieg "fast ausschließlich auf den anhaltenden Konflikt zurückzuführen".

Explosionen über Tel Aviv in der Nacht des iranischen Angriffs am 14. April 2024
Explosionen über Tel Aviv in der Nacht des iranischen Angriffs am 14. April 2024null Mostafa Alkharouf /picture alliance/Anadolu

Ölpreise treiben Inflation

"Als allgemeine Faustregel gilt, dass ein Anstieg der Ölpreise um zehn Prozent die Gesamtinflation in den Industrieländern um 0,1 bis 0,2 Prozent erhöht. Dementsprechend wird der Anstieg des Ölpreises im vergangenen Monat die Gesamtinflation in diesen Volkswirtschaften um etwa 0,1 Prozent erhöhen", rechnet Neil Shearing vor, Chefvolkswirt bei Capital Economics.

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Notenbanken durch den erhöhten Inflationsdruck ihre geplanten Zinssenkungen auf Eis legen?

Es sei unwahrscheinlich, dass dies einen wesentlichen Einfluss auf die geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken haben wird, glaubt Shearing. Dazu müssten die Ölpreise stärker und nachhaltiger steigen. Entscheidend seien die Auswirkungen auf die Kerninflation, der Anstieg der Verbraucherpreise ohne die Berücksichtigung von Nahrungsmitteln und Energie. Denn erst wenn die Erzeuger ihre höheren Energiekosten an die Verbraucher weitergeben, könnten die Notenbanken bei den für 2024 angekündigten Zinssenkungen auf die Bremse treten, glaubt Shearing.

Zuletzt war vor allem in den USA die Inflation wieder in den Fokus gerückt. Im März 2024 waren die US-Verbraucherpreise um rund 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat angestiegen. Neil Shearing von Capital Economics sieht deshalb erst für den Herbst genug Spielraum für die US-Notenbank Federal Reserve für eine Zinssenkung in den USA: "Wir rechnen mit dem ersten Schritt im September. Und unter der Annahme, dass die Energiepreise in den nächsten Monaten nicht in die Höhe schnellen, gehen wir davon aus, dass sowohl die EZB als auch die BoE (Bank of England) im Juni eine Zinssenkung vornehmen werden."

Steigerung der Öl-Förderung in Sicht?

Eine weitere große Unbekannte ist die künftige Förderpolitik der so genannten OPEC+. Darunter versteht man die traditionellen Förderländer des Nahen Ostens, Afrikas und Venezuela, die mit den Nicht-OPEC-Staaten wie Russland, Kasachstan, Mexiko und Oman kooperieren. Rohstoff-Experten diskutierten zuletzt verstärkt darüber, ob etwa die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Fördermenge demnächst ausweiten könnten, um einer Abkühlung der Weltkonjunktur durch zu teures Öl entgegenzuwirken.

Aktuell haben die Förderländer ihre freiwilligen Produktionskürzungen bis Ende Juni verlängert. Erst auf der Ministertagung der OPEC am 2. Juni könnten diese Kürzungen rückgängig gemacht werden, erklärt Jorge León. "Sollte die geopolitische Lage in der Region jedoch weiter eskalieren, könnte die Gruppe in den kommenden Wochen ein außerordentliches Treffen abhalten", so der Ölmarkt-Experte.

Mit fast sechs Millionen Barrel pro Tag (1 Barrel sind rund 159 Liter) an freien Kapazitäten könnte die OPEC die Produktion leicht erhöhen, um den Preisdruck nach oben zu begrenzen, falls der Konflikt eskaliert. Die Wahrscheinlichkeit dafür sei hoch, unterstreicht Jorge León. 

"Anhaltend höhere Ölpreise würden die Inflation im Westen wieder anheizen und die Zentralbanken dazu veranlassen, alle Bemühungen um eine geldpolitische Normalisierung zu verschieben, was zu einem schwächeren globalen Wirtschaftswachstum führen würde", so der Rystad Energy-Analyst.

Ein Hubschrauber fliegt über einem Containerschiff mit Verbindung zu Israel in der Straße von Hormus
Dieses Standbild aus einem Video soll laut Nachrichtenagentur Associated Press die Übernahme eines Containerschiffs in der Straße von Hormus durch iranische Kräfte zeigennull Mideast Defense Official Handout/AP/dpa/picture alliance

Entscheidend für die weitere Richtung der Ölpreise ist auch die Situation in der Straße von Hormus, wo seit Monaten Angriffe der mit Teheran verbündeten Huthi-Miliz auf die internationale Schifffahrt die Frachtpreise in die Höhe getrieben hat. Nach der Beschlagnahmung eines "mit Israel verbundenen Schiffes", wie es die Machthaber in Teheran formulieren, am Samstag durch den Iran, rückt die Meerenge, durch die rund ein Fünftel des weltweit gehandelten Öls transportiert wird, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Warten auf Reaktion Israels

Jetzt warten die Märkte auf die Reaktion Israels. Es gibt widersprüchliche Signale, wie das israelische Kriegskabinett auf die Attacke Teherans reagieren könnte. Die USA versuchen, mäßigend auf die Regierung in Jerusalem einzuwirken. Aber kaum jemand glaubt, dass es gar keine Reaktion Israels geben wird.

"Wer erwartet, dass Israel auf Irans beispiellose Attacke nicht reagiert, leidet entweder unter Wahnvorstellungen oder hat keine Ahnung davon, wie die Dinge im Nahen Osten funktionieren -  oder beides", schrieb Avi Mayer, der frühere Chefredakteur der Jerusalem Post, auf X. "Darauf nicht zu reagieren würde man als Feigheit sehen und das würde nur noch zu mehr und schwerwiegenderen Angriffen einladen. Israel wird darauf antworten", so Mayer.

Bleibt abzuwarten, wie stark diese Reaktion ausfällt. "Im schlimmsten Fall könnte ein energischer Vergeltungsschlag Israels eine Eskalationsspirale auslösen, die möglicherweise zu einem beispiellosen regionalen Konflikt führt", befürchtet Jorge León.

Unter diesen Umständen "würden die geopolitischen Prämien deutlich steigen" und eine neue Runde von US-Sanktionen gegen den Iran könnte die Weltwirtschaft stärker belasten, als es zurzeit absehbar ist.

Sanierungsfall Deutschland - wer soll's bezahlen?

Der Chemiekonzern BASF gehört zu den industriellen Schwergewichten Deutschlands. Weltweit aktiv, mit rund 230 Produktionsstandorten und knapp 112.000 Mitarbeitern. Ein Drittel davon sind am deutschen Stammsitz in Ludwigshafen tätig, eine Autostunde südlich von Frankfurt am Main. "Es ist der größte Chemiestandort der Welt", sagt Vorstandschef Martin Brudermüller.

Es ist aber auch ein Standort in Schieflage. "2023 haben wir überall auf der Welt Geld verdient, aber in Ludwigshafen haben wir 1,5 Milliarden Euro Verlust gemacht", berichtete der BASF-Chef Mitte März auf einer Veranstaltung der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin. Vor allem die gestiegenen Energiekosten machen dem Konzern zu schaffen und die Vorgaben für mehr Klimaschutz.

Deutschland | Martin Brudermüller, BASF- Vorstand, steht bei der Jahrespressekonferenz zur Berichterstattung für das Gesamtjahr 2023 vor Journalisten. Zwei Mikrofone und mehrere Kameras sind auf ihn gerichtet. Im Hintergrund ist eine blaue Wand mit dem Logo von BASF zu sehen
BASF-Vorstand Martin Brudermüller zweifelt am Standort Deutschlandnull BASF SE

Stromtransport teurer als die Erzeugung 

Die Produktion soll elektrifiziert werden, der Strombedarf werde um das Drei- bis Vierfache steigen. Doch wo soll die Energie herkommen? "Wir müssen unsere hocheffizienten Gaskraftwerke in Ludwigshafen abschalten", klagt Brudermüller, der Alternativen finden muss. "Wenn ich gezwungen bin, baue ich auch Windkraftwerke in der Nordsee."

Eine Beteiligung an einem Windpark vor der niederländischen Küste gibt es bereits. Allerdings haben die deutschen Stromnetzbetreiber ihre Preise für die Nutzung der Stromleitungen zuletzt im Januar 2024 verdoppelt. Jetzt kostet es mehr, den Strom nach Ludwigshafen zu leiten, als ihn in der Nordsee zu produzieren.

Die Kosten der Energiewende

Die Stromnetzbetreiber brauchen das Geld für den Ausbau der Energieinfrastruktur. Bislang sind rund 14.000 Kilometer neue Hochspannungsleitungen geplant, tausende weiterer Kilometer werden absehbar dazukommen. Geplante Zuschüsse der Bundesregierung in Milliardenhöhe fallen weg, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Haushaltsführung des Bundes teilweise für verfassungswidrig erklärt hat.

Bau der Stromtrasse NordLink zwischen Norwegen und Deutschland. Das Foto zeigt die Verlegung von Kabeln. Bauarbeiter stehen in Gräben, in denen Leitungen zu sehen sind
Tausende Kilometer Stromkabel werden unterirdisch verlegt. Das ist zwar teurer als überirdische Leitungen, aber es gab zu viele Proteste gegen sichtbare Stromtrassennull Carsten Rehder/dpa/picture alliance

Der Bund muss jetzt sparen, Verbraucher und Unternehmen sollen stärker zur Kasse gebeten werden. Nicht nur der BASF-Chef sieht das skeptisch. Zusammen mit den Vorständen der Deutschen Telekom und des Energieriesen E.on hat Brudermüller ein Schreiben aufgesetzt, in dem die drei Top-Manager Alarm schlagen und fordern, dass die Transformationskosten für die Energiewende anders finanziert werden müssen. Zumal die Netzentgelte absehbar noch weiter steigen würden.

Infrastruktur als Überlebensfrage

Doch nicht nur die Energieinfrastruktur lässt die Vorstände klagen. Auch die übrige Infrastruktur in Deutschland sei "vielfach unzureichend" und werde zum "Wachstumshemmnis". Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit habe über Jahrzehnte auf einer sehr gut ausgebauten und verlässlich operierenden Infrastruktur insbesondere in den Bereichen Energie, Transport und Telekommunikation beruht. Dieser Wettbewerbsfaktor drohe seit Jahren, sich ins Gegenteil zu verkehren.

"Infrastruktur ist eine Überlebensfrage", formuliert Brudermüller und verweist auf kaputte Straßen und Autobahnen, marode Brücken und Wasserwege, eine unpünktliche und unzuverlässige Deutsche Bahn, fehlende Stromtrassen, schleppenden Glasfaserausbau und eine unzureichende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. "Wenn das nicht wird, dann werden keine Firmen mehr nach Deutschland kommen."

Straßen, Brücken, Schienen - alles marode

Eine Kritik, die in der Bundesregierung durchaus gehört wird. Volker Wissing (FDP), Minister für Digitales und Verkehr, sieht erheblichen Sanierungsbedarf in Deutschland. An erster Stelle stehen für ihn die Verkehrswege, allen voran die Bahn, Autobahnen und Fernstraßen. Allein 4500 Autobahnbrücken sind so marode, dass sie zum Teil nur noch gesprengt und neu gebaut werden können.

Auch in Deutschland marode Brücken

Bei der Deutschen Bahn sind auf 40 Streckenabschnitten mit einer Gesamtlänge von gut 4000 Kilometern Gleise und Oberleitungen so verschlissen, dass ein kompletter Neubau nötig ist. Der Zuschuss der Bundesregierung beläuft sich bis 2027 auf rund 27 Milliarden Euro. Schon jetzt ist absehbar, dass das nicht reichen wird.

Streit über die Schuldenbremse

Bund, Länder und Kommunen haben bei weitem nicht die Mittel, um den Sanierungs- und Modernisierungsstau zu stemmen. Zumal die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse vorschreibt, dass der Staat nur so viel Geld ausgeben darf, wie er einnimmt.

Eine Vorschrift, die bei den laufenden Haushaltsverhandlungen für 2025 für erheblichen Streit in der Bundesregierung sorgt. SPD und Grüne würden die Schuldenbremse am liebsten erneut aussetzen, wie es in den Notsituationen während der Corona-Pandemie und wegen des Kriegs in der Ukraine in den letzten Jahren der Fall war. Die FDP hält dagegen und pocht darauf, dass ab 2025 alle Ministerien sparen müssen. Auch ohne größere Ausgaben für Infrastruktur klafft im Haushalt absehbar eine Lücke von 25 bis 30 Milliarden Euro.

Private Geldgeber finden

FDP-Minister Wissing steht zur Schuldenbremse. Wenn notwendige Investitionen nicht im Haushalt abgebildet werden könnten, müsse man eben andere Wege gehen. Deutschlands Gesellschaft sei sehr vermögend. "Wir müssen privates Kapital mobilisieren", fordert Wissing. Dafür will er einen milliardenschweren Infrastrukturfonds auflegen, in dem Finanzmittel für mehrere Jahre gesammelt und gebündelt werden könnten.

Berlin | Bundesverkehrsminister Volker Wissing enthüllt einen ICE-Zug der 4. Generation bei der Übergabe an die Bahn
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP, Mitte) bei der Übergabe eines neuen ICE-Zugs an die Bahn. Wenn die Gleise marode sind, kommen aber selbst moderne Züge nur selten pünktlich ans Zielnull Sebastian Gollnow/dpa/(picture alliance

Während Wissing das Geld in erster Linie für die Verkehrsinfrastruktur vorsieht, kann sich FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner noch mehr vorstellen. In einem ARD-Interview verwies er darauf, dass beispielsweise Versicherungen riesige Summen ihrer Kunden verwalten. "Dieses Geld zu mobilisieren zum Beispiel in den Ausbau der Stromnetze, in den Ausbau der Wasserstoffnetze, das ist alle Mühe wert."

Doch wie soll ein solcher Fonds funktionieren? Private Anleger werden ihr Geld sicherlich nur dann langfristig zur Verfügung stellen, wenn sie mit entsprechenden Renditen rechnen können. Wird auf Autobahnen eine Maut für alle erhoben werden müssen, muss man Gebühren bezahlen, um eine Brücke zu überqueren? Aus dem Verkehrsministerium gibt es auf solche technischen Fragen noch keine Antworten.

Schuldenfinanzierte Infrastruktur? Es gibt Befürworter

Bei SPD und Grünen würde man viel lieber die Schuldenbremse so reformieren, dass Investitionen in die Infrastruktur auch über Kredite finanziert werden könnten. Unterstützung dafür kommt von einer ganzen Reihe von Wirtschaftswissenschaftlern. Selbst in der Wirtschaft, wo eigentlich eine strikte Haushaltsdisziplin befürwortet wird, wachsen die Sympathien für eine flexiblere Auslegung der Schuldenbremse.

Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, schlägt vor, neben dem Bundeshaushalt einen 500 Milliarden Euro schweren Sonderfonds für Infrastruktur und Transformation einzurichten. Vorbild soll der Sonderfonds für die Bundeswehr sein, für den der Staat 100 Milliarden Euro Kredite aufnahm und der mit Zweidrittelmehrheit ins Grundgesetz kam. Da er dort verankert wurde, hat er genauso Verfassungsrang wie die Schuldenbremse.

Cybersecurity-Regeln fordern Autobauer heraus

Im Kino rettet Meisterspion James Bond mit seinen bestens ausgestatteten Autos gleich die ganze Welt. In der Wirklichkeit können echte Spione unsere Autos als Werkzeuge benutzen. Dem wird nun ein Riegel vorgeschoben.

Denn die elektronische Ausstattung der Autos dient nicht nur der Bequemlichkeit ihrer Fahrer und soll zur Sicherheit im Straßenverkehr beitragen. Sie ermöglicht ebenso, dass Autos und ihre Benutzer immer besser beobachtet werden können.

Das haben die Vereinten Nationen und die Europäische Union erkannt und darauf reagiert: Mit den UN-Regeln R155 und R156, die die Cybersecurity und die damit verbundenen Software-Updates betreffen, werden höhere Anforderungen auch an Autofirmen und ihre Zulieferer gestellt. Diese UN-Maßgaben werden ab dem 7. Juli dieses Jahres auch in der EU umgesetzt.

Ladestecker in einem VW ID.3
E-Mobilität ist ja eine ziemlich saubere Sache - aber sauber und einfach auch für Hacker und Spione ...null Torsten Sukrow/SULUPRESS.DE/picture alliance

Spione mit vier Rädern

Die Relevanz von Cybersecurity im Verkehr erklärte der Wirtschaftsforscher Moritz Schularick dem Handelsblatt am 23. März damit, dass "Fragen der nationalen Sicherheit" berührt seien: "Es geht um sensible Daten, die abgesaugt werden können - auch bei den E-Autos. Diese sind mit ihren vielen Sensoren und Kameras aus Sicht von Geheimdiensten nichts anderes als Spionage-Maschinen auf vier Rädern."

Bei einer Veranstaltung der Helmut Schmidt Foundation und der DW in Berlin hatte er bereits im Dezember 2023 gesagt: "Diese Autos, die durch die Straßen von Berlin fahren, filmen alles, was um sie herum passiert und geben es an ihre Unternehmen weiter - auch an ihre Muttergesellschaften in China". Und Schularick stellte die rhetorische Frage: "Wollen wir das? Wollen wir Augen und Ohren einer ausländischen Regierung millionenfach auf unseren Straßen?"

Die Spione sind schon da

Das zeigt auch die Studie Automotive Cyber Security, die vom Center of Automotive Management (CAM) in Kooperation mit dem Unternehmen Cisco Systems im März 2024 verfasst wurde. Mit der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung von Autos, Produktion und Logistik steige das Risiko für Cyberangriffe auf die Automobilindustrie.

"Die Cybergefahrenlage für die Automobilbranche ist kontinuierlich angestiegen. Mit der Verbreitung von Software-definierten Fahrzeugen, der Elektromobilität, dem autonomen Fahren und der vernetzten Lieferkette erhöhen sich die Cyberrisiken weiter", fasst Studienleiter Stefan Bratzel, Direktor des CAM, zusammen.

Die Studie zeigt an Beispielen, wie gefährdet die Industrie schon jetzt ist. So musste der weltgrößte Autobauer Toyota vor zwei Jahren seine Produktion unterbrechen, weil ein Zulieferer von "von einem mutmaßlichen Cyberangriff" betroffen war. Im Sommer 2022 wurde der Zulieferer Continental zum Ziel von Cyberkriminellen: Angreifer hatten trotz etablierter Sicherheitsvorkehrungen Daten aus IT-Systemen entwendet. Im März 2023 sei auch Tesla angegriffen worden. Hacker wählten sich in ein Fahrzeug ein und konnten diverse Funktionen ausführen. Sie konnten etwa die Hupe betätigen, den Kofferraum öffnen, das Abblendlicht einschalten und das Infotainment-System manipulieren.

Roter Porsche Macan auf sonst leerer Straße vor Küstenpanorama
Der Porsche Macan geht jetzt nur noch als "Verbrenner" in den Exportnull DW

Das Aus für Up & Bulli?

Auch wegen der neuen Regeln nehmen nun einige Hersteller Modelle aus dem Programm. Bei Volkswagen ist das der Kleinwagen Up und der Transporter T6.1, bei Porsche sind es die Modelle Macan, Boxster und Cayman, die als "Verbrenner" nur noch in den Export gehen, wie die Deutsche Presseagentur (dpa) meldet. Auch Audi, Renault und Smart würden ältere Modelle nach dem Stichtag nicht mehr bauen.

Der Agentur gegenüber begründete VW-Markenchef Thomas Schäfer die Maßnahmen mit dem hohen Aufwand, der für die neuen Regeln erforderlich sei: "Wir müssten da sonst noch einmal eine komplett neue Elektronik-Architektur integrieren. Das wäre schlichtweg zu teuer."

Wiebke Fastenrath von der Unternehmenskommunikation Volkswagen Nutzfahrzeuge bestätigt das der DW gegenüber: "Um die gesetzlichen Regelungen für die Elektronik-Architektur des T6.1 umzusetzen, hätte es sehr hoher Investitionen in eine auslaufende Plattform bedurft. Aufgrund der geringen Restlaufzeit des Modells wurden diese Investitionen nicht mehr getätigt, zumal die Nachfolgemodelle bereits auf dem Markt sind."

Portrait von Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM)
Für CAM-Direktor Stefan Bratzel ist "Cybersecurity ein Hygienefaktor" in der Autoindustrienull CAM

"Ein unerlässlicher Hygienefaktor"

Bestens vorbereitet scheint der schwäbische Konkurrent Mercedes-Benz zu sein. Unternehmenssprecherin Juliane Weckenmann teilte der DW mit, dass die "Regularien keine Auswirkungen auf das Portfolio von Mercedes-Benz" hätten: "Alle unsere Architekturen erfüllen die Anforderungen und sind oder werden rechtzeitig nach UN R155/ R156 zertifiziert."

Auch bei Volkswagen sieht man sich gerüstet: "Zum neuen Modelljahr 2025", teilte uns Wiebke Fastenrath mit, "werden unsere Modelle entsprechend überarbeitet". Das hält Stefan Bratzel auch für bitter nötig, denn "eine professionelle Cybersecurity-Strategie von Unternehmen gewinnt als unerlässlicher Hygienefaktor in der Automobilindustrie stark an Bedeutung".

"Für Automotive-Unternehmen wird das Thema Cybersecurity entscheidend", ergänzt Christian Korff, Mitglied der Geschäftsleitung von Cisco Deutschland und Auftraggeber der CAM-Studie. "Die Automobilindustrie ist ein Eckpfeiler unserer Wirtschaft. Wir dürfen uns hier keine Anfälligkeiten im Cyberbereich erlauben. Nur wer auf allen ebenen sichere Fahrzeuge und Services bereitstellt, behält das Vertrauen der Kunden."

Chip-Krieg: USA und EU fürchten Chinas Dominanz bei älteren Chips

Sie sind nicht zu vergleichen mit den hochmodernen Super-Chips, die Plattformen für künstliche Intelligenz (KI) antreiben. Dafür sind sie überall im Einsatz: ältere, ausgereifte Halbleiter, die in Waschmaschinen, Autos, Fernsehern oder medizinischen Geräten verbaut werden.

In der Branche werden sie Legacy Chips genannt, was man mit "älteren Chips" übersetzen könnte. Dass China hier eine große Marktmacht hat, bereitet Strategen in den USA und der EU zunehmend Kopfzerbrechen.

China investiert stark

Mit Exportverboten hat Washington chinesischen Unternehmen bereits den Zugang zu den modernsten Chips westlicher Bauart erschwert- in der Hoffnung, Pekings Aufstieg zu einer technologische Supermacht zu bremsen. Nun richtet sich die Aufmerksamkeit auf die älteren Chips, von denen fast jeder dritte derzeit in China produziert wird.

Peking will seine Investitionen in die Herstellung älterer Chips stark erhöhen. Im September 2023 hat die die chinesische Regierung einen staatlich geförderten Investitionsfonds in Höhe von umgerechnet 40 Milliarden US-Dollar (37 Milliarden Euro) angekündigt, um die heimische Halbleiterproduktion zu stärken. Seitdem werden in den USA und in der EU Rufe laut, die heimische Halbleiterindustrie besser vor der chinesischen Übermacht zu schützen.

USA und EU prüfen Chinas Chip-Dominanz

Im Dezember ordnete die Regierung von US-Präsident Joe Biden eine Überprüfung der gesamten Halbleiter-Lieferkette an, um Chinas Dominanz bei älteren Chips zu bewerten. Eine Sitzung des EU-US-Handels- und Technologierats Anfang April im belgischen Leuven könnte eine ähnliche Überprüfung durch die EU-Kommission nach sich ziehen, die Exekutive der Europäischen Union.

In einer Erklärung des Rates nach der Sitzung hieß es, beide Seiten könnten "gemeinsame oder kooperative Maßnahmen entwickeln", um etwas gegen die "verzerrenden Auswirkungen" auf die globalen Lieferketten zu unternehmen, die sich bei Legacy Chips abzeichnen.

Überkapazitäten und Chip-Dumping

Sollte China den Markt mit herkömmlichen, von Peking subventionierten Chips überschwemmen, könnten westliche Chiphersteller schnell vom Markt verdrängt werden, warnen Brancheninsider. Sie verweisen auf ein ähnliches Dumping billiger chinesischer Solarpaneele, mit dem sich China aus EU-Sicht einen unfairen Vorteil verschafft hat.

Neues Bosch-Chipwerk in Dresden
Bosch hat in Dresden eine Chipfabrik gebaut, um Chips für die Automobilindustrie zu produzierennull Oliver Killig/dpa/picture alliance

"Wenn Unternehmen wie Lam Research und Applied Materials dauerhaft die Hälfte ihres Marktes verlieren, müssten sie sich verkleinern", sagt Penn über die beiden großen US-Hersteller von Legacy Chips. "Im Moment gehen sie noch davon aus, dass sich die Größe ihres Marktes verdoppelt."

In den nächsten drei Jahren wird Chinas Kapazität für Standard-Halbleiter dank staatlicher Subventionen so wachsen, dass das Land 39 Prozent der weltweiten Nachfrage bedienen kann, so Daten von Trendforce, einer auf den Sektor spezialisierten Analysefirma mit Sitz in Taiwan.

"Geopolitik wird immer mehr über Halbleiter ausgetragen"

Laut einer separaten Prognose von Gavekal Dragonomics, einem Finanzdienstleister mit Sitz in Hongkong, wird China in diesem Jahr mehr Kapazitäten für die Chipherstellung aufbauen als der Rest der Welt zusammen - eine Million Chips pro Monat mehr als im letzten Jahr.

Auch Indien will ein Stück vom Kuchen abhaben, was die Überkapazitäten in der Chipproduktion noch verstärken könnte. Der indische Mischkonzern Tata Group allein investiert umgerechnet elf Milliarden Dollar in den Bau einer eigenen Chip-Fabrik in Dholera im Bundesstaat Gujarat.

Die taiwanesischen Chiphersteller, die derzeit fast die Hälfte der weltweiten Chipproduktion abdecken, verlagern unterdessen ihren Schwerpunkt und wollen sich, wie auch die USA, Südkorea und Japan, stärker auf moderne Hochleistungschips konzentrieren. TrendForce erwartet, dass der Marktanteil Taiwans bei Legacy Chips aufgrund des Investitionsschubs in China insgesamt zurückgehen wird.

Abhängigkeiten und Sicherheitsrisiken

Abhängigkeit ist ein weiteres Problem. Wenn westliche Hersteller von Legacy Chips ihre Produktion herunterfahren müssen, weil sie nicht mit der chinesischen Konkurrenz mithalten können, würde sich die Abhängigkeit der USA und der EU von China erhöhen.

China könnte seine dominante Stellung dann ausnutzen, so ein Szenario, um es dem Westen schwerer zu machen, an Legacy Chips zu kommen. Die werden nicht nur für Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte benötigt, sondern auch für Autos und militärische Geräte.

China | Halbleiter aus Taiwan
Ein Wafer bildet die Grundplatte für eine Vielzahl integrierter Schaltkreise, auch Chips genanntnull AFP/Getty Images

Die Auswirkungen könnten schlimmer sein als die Chip-Knappheit während der Corona-Pandemie, wegen der viele Autohersteller ihre Produktion herunterfahren mussten. Schon damals war die Knappheit von Legacy Chips das Problem, nicht ein Mangel an modernen Hochleistungships.

"Für die Verbraucher sind ältere Technologien wichtiger als moderne Chips für KI", sagte Joanne Chiao, Analystin bei TrendForce in Taiwan zur DW. KI-Chips sorgten zwar für Schlagzeilen, machten aber derzeit weniger als ein Prozent des weltweiten Halbleiterverbrauchs aus.

Sanktionen und Subventionen

Branchenexperten scheinen sich darüber einig zu sein, dass Washington und Brüssel handeln müssen. "Der Druck ist groß, hier etwas zu tun", sagt Malcom Penn, CEO der britischen Chip-Beratungsfirma Future Horizons. Doch er bezweifelt, dass Sanktionen wie Importbeschränkungen für Chips aus China sinnvoll sind. "Das wäre die falsche Lösung", so Penn zur DW. "Sanktionen werden Chinas Dominanz nur verzögern, sie werden sie nicht aufhalten."

Sanktionen können immer umgangen werden, sagt Penn. Außerdem wären die westlichen Länder nicht in der Lage sein, ihre Chipproduktion schnell genug hochzufahren, um einen etwaigen Mangel an Chips aus China auszugleichen. Mindestens drei Jahre würde das dauern, "wahrscheinlich sogar noch länger - selbst wenn es keine Verzögerungen beim Bau der Fabriken gäbe und man die Leute mit den nötigen Fähigkeiten fände, sie zu betreiben", sagt Penn.

Einige Brancheninsider halten Ausfuhrkontrollen bei Werkzeugen für die Chipproduktion für effektiver als Sanktionen gegen Chips aus China. Um ihre Abhängigkeit von China zu verringern, könnten Washington und Brüssel auch auf das so genannte Friendshoring setzen, d. h. auf die Fertigung und Beschaffung bei geopolitischen Verbündeten wie Indien.

Möglich wären auch Subventionen, um heimische Hersteller zu ermutigen, trotz eines drohenden Preisverfalls weiterhin die älteren Legacy Chips zu produzieren. Durch die Verabschiedung zweier neuerer Chip-Gesetze haben die EU und die USA dem Halbleitersektor in den nächsten zehn Jahren bereits Subventionen in Höhe von rund 86 Milliarden Dollar zugesagt.

 

Dieser Bericht wurde aus dem Englischen adaptiert.

Taiwan, die Chip-Supermacht

Görlach Global: Janet Yellen, China und die Globalisierung

Der Besuch der US-amerikanischen Finanzministerin Janet Yellen in der Volksrepublik China hat vor allem eines offengelegt: Die Ära der wirtschaftlichen Globalisierung ist zu Ende. Die Politikerin forderte ihre chinesischen Gesprächspartner nachdrücklich auf, den Weltmarkt nicht weiter mit ihren Produkten zu überschwemmen.

China flutet die Welt mit konkurrenzlos günstigen Batterien, Solarpanels und Elektroautos. Machthaber Xi Jinping will damit die lahmende Wirtschaft seines Landes wieder ankurbeln. Das bedeutet eine wirtschaftspolitische Kehrtwende, denn eigentlich sollte der chinesische Markt eine so große eigene Kaufkraft entwickeln, dass China nicht mehr vom Rest der Welt abhängig wäre. 

Doch daraus wurde nichts. Die Pandemie und die in der Folge verhängten verheerenden Einschränkungen, mit denen Xi und seine Nomenklatura die Bevölkerung gängelten, haben die Bevölkerung in China nachhaltig verunsichert. Dazu kommt das Platzen der Immobilienblase. Die Menschen glauben nicht mehr an das Wohlstandsversprechen der Kommunistischen Partei. Das Geld, das ihnen geblieben ist, halten sie zusammen - Konsum als vaterländische Pflicht kommt den Wenigsten derzeit in den Sinn. Xi Jinping wiederum hält finanzielle Anreize, Steuererleichterungen oder Geldgeschenke für gebeutelte Haushalte für Teufelszeug. Stattdessen möchte er den Erfolg wiederholen, den China vor einem Vierteljahrhundert hatte: Das Reich der Mitte soll einmal mehr zur Werkbank der Welt werden. 

USA und Europa müssen ihre Märkte schützen

Doch hier ziehen die USA nicht mit, denn damit haben sie schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Zu Beginn des Jahrhunderts unterstützte Washington die Aufnahme der Volksrepublik in die Welthandelsorganisation. Dafür willigten die Vereinigten Staaten in einen Deal ein: Billige Produkte aus China kosten zwar heimische Arbeitsplätze - aber gleichzeitig erquicken sich die US-amerikanischen Konsumenten an den preiswerten Erzeugnissen aus der Volksrepublik. Doch bei ihrem Besuch stellte Finanzministerin Yellen jetzt klar: Noch einmal werden die USA den Verlust von Arbeitsplätzen nicht hinnehmen. Damals gingen geschätzt zwei Millionen Jobs verloren.

Alexander Görlach | Autor DW-Kolumne | Görlach Global
DW-Kolumnist Alexander Görlachnull privat

Washington wirft Peking zu Recht vor, durch günstige Grundstücksvergabe und Staatskredite den Wettbewerb zu verzerren. Gleichzeitig haben die USA und die Europäische Union selbst Programme aufgelegt, die massiv in grüne Technologie und Künstliche Intelligenz investieren. Um diese Investitionen zu schützen, werden Europa und Amerika nicht umhinkommen, China mit neuen Zöllen für ihre stark verbilligten Produkte zu drohen. Davon möchte Janet Yellen zwar im Moment nicht sprechen. Aber in diese Richtung wird gedacht - und das ist meilenweit entfernt vom Optimismus des Globalisierungszeitalters, dass die unsichtbare Hand des Marktes alle Interessen auf wundersame Weise ausgleichen werde.

WTO entscheidet über Chinas Subventionen

Die Volksrepublik hat mittlerweile Produktionskapazitäten aufgebaut, die es an Know-how und Effizienz mit der globalen Konkurrenz aufnehmen können. China ist zu einem echten Wettbewerber und einer Herausforderung herangewachsen, dem sich beispielsweise das Auto- und Maschinenbauerland Deutschland stellen muss. Aber: Die Kommunistische Partei lässt nicht mehr nach marktwirtschaftlichen, sondern nach staatskapitalistischen Regeln produzieren: Staatliche Banken vergeben Kredite an (teils)staatliche Unternehmen. Die Hälfte der produzierten Waren wird auf den globalen Markt gestoßen. Hier liegt der Unterschied zu den Subventionen und Investitionen, die US-Präsident Joe Biden im Inflation Reduction Act für die USA festgeschrieben hat. Sie dienen der Konsolidierung der US-amerikanischen Wirtschaft und haben das Ziel, vor allem die USA selbst zu bedienen. Eine Schwemme des Weltmarktes mit US-amerikanischen Produkten ist dabei nicht vorgesehen. 

Deutscher Solarindustrie steht das Wasser bis zum Hals

Sowohl die USA und die Europäische Union als auch Brasilien und Mexiko wollen bei der Welthandelsorganisation WTO Beschwerde gegen Chinas Subventionspraktiken einlegen. Allerdings hat die EU auch die Sorge geäußert, dass die Subventionen in den USA Arbeitsplätze in Europa kosten werden. Das ist den entsprechenden Stellen in Peking nicht entgangen - sie haben daher ihrerseits Beschwerde gegen Washington eingelegt. 

Janet Yellen wurde Medienberichten zufolge in China freundlich empfangen. Die Beteiligten haben vereinbart, im Gespräch zu bleiben. Zumindest wollen die Biden-Administration und die Xi-Führung für den Moment die Situation nicht eskalieren. Gelöst haben sie die kniffligen Fragen jedoch nicht, denn ihre Geschäftsgrundlage stimmt nicht mehr überein: die Weltanschauung einer globalisierten Wirtschaft, deren Regeln die WTO kontrolliert und sanktioniert. Sie wird nicht mehr mitgetragen von einer Politik, die an vielen Ecken der Welt zunehmend nationalistisch und isolationistisch agiert.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.

Hinweis: In der ursprünglichen Fassung war von der WHO statt der WTO die Rede. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen. 

Elektro-Lkw kommen nicht ins Rollen

Der Umstieg auf mit Elektromotoren betriebene Lastkraftwagen ist ins Stottern geraten, bevor er überhaupt ins Rollen gekommen ist. Und damit ist auch das gesteckte Ziel der Bundesregierung, bei den Nutzfahrzeugen bis 2030 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um über 40 Prozent zu reduzieren, in weite Ferne gerückt.

Nach Angaben des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) rollen täglich 800.000 Lkw über 7,5 Tonnen durch die Bundesrepublik. Davon wurden Ende vergangenen Jahres, so der Verband, lediglich 475 Fahrzeuge elektrisch betrieben. Das entspricht einem Anteil an der Tagesflotte von nicht einmal einem Prozent. Der Großteil der Brummi-Flotte tankt weiterhin Diesel. Dabei bieten Hersteller mittlerweile Elektro-Nutzfahrzeuge mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern an. Was fehlt, monieren Hersteller und Spediteure, sei vor allem eine fehlende Lade-Infrastruktur.

Und wenn es noch eines Beweises für den schleppenden Markthochlauf bedurft hätte, dann liefern ihn die an diesem Dienstag (9.4.2024) veröffentlichten Auslieferungszahlen des Marktführers Daimler Truck für das erste Quartal: Da legten batterieelektrische Fahrzeuge zwar um 183 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zu. In Zahlen sind das aber gerade mal 813 der insgesamt ausgelieferten knapp 109.000 Fahrzeuge. 

Hohe Anschaffungskosten und fehlende Infrastruktur

Ein Leitsatz seiner Branche, so Daimler Truck-Vorstandschef Martin Daum zuvor in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), laute: "Ein Lkw wird nicht aus Spaß gefahren. Es geht darum, Güter effizient von einem Ort zum anderen Ort zu transportieren." Und das, so die Schlussfolgerung, müsse sich rechnen. "Daher dürfen Elektro-Lkw in der Gesamtrechnung nicht teurer sein als Diesel-Lkw."

Martin Daum, Vorstandsvorsitzender der Daimler Truck AG, applaudiert während des Börsengangs des Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck, nachdem der erste Preis von 28,00 Euro angezeigt wird
Martin Daum, Vorstandsvorsitzender der Daimler Truck AG, beim Börsengang des Nutzfahrzeughersteller am 10. Dezember 2021null Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Noch kosten Elektro-Lkw mit über 300.000 Euro in der Anschaffung deutlich mehr als ein Diesel-Lkw, den es ab 100.000 Euro gibt. Seit es aus Sparzwängen im Bundeshaushalt keine Förderung bei den Mehrkosten mehr gibt, halten sich Spediteure bei der Umstellung ihres Fuhrparks auf Elektro-Brummis deutlich zurück.  

"Bei dreifach höheren Kosten für einen E-Lkw im Vergleich zu einem Diesel-Lkw und einer durchschnittlichen Marge von 0,1 bis drei Prozent kann sich kein Mittelständler die Umstellung auf klimafreundliche Antriebe leisten", resümiert BGL-Vorstandssprecher Engelhardt. An der Preisfront könnte sich aber absehbar etwas tun, denn auch hier - wie schon im Pkw-Bereich - holen chinesische Hersteller wie BYD auf.

Chinas Autohersteller BYD bereit zur Eroberung Europas

Für Karin Radström, Vorstandsmitglied der Daimler-Truck Holding AG, steht zudem außer Frage, dass es für die Antriebswende "eine flächendeckende Lade- und Tank-Infrastruktur für batterie- und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge braucht." Oder wie es BGL-Vorstandssprecher Engelhardt formuliert: "Was nutzt es dem Transportunternehmer, wenn er E-Lkw kaufen, aber nicht laden kann."

In einer gemeinsamen Erklärung fordern BGL, der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) sowie die Hersteller Daimler Truck und MAN die Einrichtung von mindestens 10.000 öffentlich zugängliche Ladepunkten für E-Lkw, einschließlich 4000 sogenannter Mega-Charger. Dabei handelt es sich um Ladestationen, an denen Lkw-Batterien binnen 45 Minuten aufgeladen werden können. Denn gerade in der Speditionsbranche lautet das Motto "Zeit ist Geld". Derzeit werden Elektro-Lastwagen vor allem auf den Betriebshöfen der Speditionen über Nacht geladen. Dieses sogenannte Depot-Laden dauert bis zu acht Stunden.

Karin Radström Daimler Truck AG
Karin Radström, aus Schweden stammende Managerin, ist Chefin der Marke Mercedes Benz Trucksnull Uli Deck/dpa/picture alliance

Kommunale Stromnetze sind überfordert

Das Depot-Laden ist übrigens derzeit in den lokalen Stromnetzen allerdings auch nicht ohne weiteres möglich. Erst recht nicht der Betrieb von Schnellladesäulen (Mega-Charger), wie der Bochumer Spediteur Christian Graf erfahren musste.  Rund 100 Schwerlastwagen, also 40-Tonner, umfasst der Fuhrpark von Graf. Gut ein Viertel der Brummis, die durch ganz Europa rollen, fährt aus Klimaschutzgründen mit LNG-Gas. Außerdem neuerdings auch mit Bio-Erdgas, das aus Gülle hergestellt wird. Das heißt, die Lkw stoßen kein CO2 mehr aus.

Elektro-Truck von Tesla
Auch der Elektro-Pionier Tesla hat einen elektrischen Truck in der Pipelinenull Tesla

"Dadurch", so Christian Graf, "kann ich jetzt sicherstellen, dass die Fahrzeuge klimaneutral fahren." Unter dem Strich werden so jedes Jahr rund 4000 Tonnen CO2 eingespart. Damit schont Graf zwar die Umwelt, wird bei der Maut aber wieder zur Kasse gebeten, da nur noch elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Lkw davon befreit sind. Doch selbst wenn der Preis für E-Lkw deutlich sinken würde, bei der Spedition Graf könnte man sie nicht aufladen.

Denn das gibt das Stromnetz der Stadtwerke Bochum nicht her. Über die Installation von fünf Schnelladesäulen hatte Christian Graf nachgedacht, für die jeweils eine Kapazität von einem Megawatt erforderlich gewesen wäre. Insgesamt fünf Megawatt konnten die Stadtwerke aber nicht zusagen, da dies das Stromnetz überfordern würde. Zum Vergleich: einen ganzen Stadtteil versorgen die Stadtwerke mit sieben Megawatt. Und selbst wenn die Versorgung mit fünf Megawatt möglich gewesen wäre, hätte der Speditionschef noch etwa drei Millionen Euro investieren müssen. Und zwar in ein großes Grundstück, auf dem eigens für die Schnellladesäulen ein Umspannwerk hätte errichtet werden müssen. 

Ladestecker an einer Elektro-Ladesäule, im Hintergrund sind elektrisch angetriebene Mercedes-Benz eActros zu sehen.
Großer Stecker, große Ladung: Aber gibt das Stromnetz das her? null Marijan Murat/dpa/picture alliance

Nur grüner Strom macht Sinn

Angesichts derartiger Rahmenbedingungen verwundert es nicht, dass es bei der Verkehrswende alles andere als rund läuft. Ganz abgesehen vom dafür erforderlichen Strom. Mit Blick auf den Klimaschutz gibt Martin Daum von Daimler Truck zu bedenken: "Nur wenn ein Lkw mit regenerativer Energie betrieben wird, hilft die Elektrifizierung weiter." Und BGL-Chef Engelhardt ergänzt, "E-Lkw sind auch nur dann fürs Klima gut, wenn sie mit grüner Energie geladen werden".

Es kommt also auf den Strommix an. Allein für den Straßenverkehr, rechnet Dirk Engelhardt vor, seien dafür theoretisch 18.800 Windkraftanlagen notwendig. "Bei einem derzeitigen Bestand von rund 28.000 Windkraftanlagen eine Riesenherausforderung." Dem Klima, resümiert der BGL-Vorstandssprecher, sei partout nicht geholfen, wenn die E-Lkw ihren Strom aus Braunkohle oder importierten Atomstrom bezögen. Ganz abgesehen von dem enormen Mehrgewicht der Batterien, das bewegt werden muss und zusätzlich Energie kostet.

Neues Gesetz: Frankreich will Fast Fashion eingrenzen

Dass in Frankreichs Nationalversammlung Einigkeit herrscht, ist dieser Tage eher selten. Die Regierung hat im Parlament keine absolute Mehrheit und stößt häufig auf heftigen Widerstand der Opposition. Aber hinter dem "Gesetz zur Begrenzung der Umweltbelastung der Textilindustrie" standen alle Fraktionen.

Umweltminister Christophe Béchu sprach von einem "großen Schritt nach vorne", der Frankreich "zum ersten Land der Welt macht, das die Exzesse der Fast Fashion durch ein Gesetz begrenzt". Dessen endgültige Version steht noch nicht fest. Ab Mitte April berät der Senat darüber. In Kraft treten könnten die neuen Regeln in den nächsten Monaten. Doch schon jetzt freuen sich Modeexperten und Umweltaktivisten über das Gesetz. Auch wenn nicht jeder die geplante Vorgehensweise begrüßt.

Die neuen Regeln sollen Mode-Unternehmen betreffen, die täglich eine gewisse Mindestanzahl an Produkten auf den Markt bringen. Diesen Schwellenwert will man später per Verordnung definieren. Gemeint sind damit vor allem Fast-Fashion-Riesen wie der Produzent Shein und die Online-Verkaufsplattform Temu, beide in China ansässig. Solche Firmen sollen künftig gut sichtbar auf ihren Seiten auf die Umweltbelastung der Mode hinweisen und dazu anhalten, Artikel zu recyceln - sonst müssen sie Strafen von bis zu 15.000 Euro zahlen.

Shein App auf einem Mobiltelefon
Treibt Fast Fashion auf die Spitze: Der chinesische Online-Händler Sheinnull Jakub Porzycki/NurPhoto/picture alliance

Mithilfe eines neuen Ökopunktesystems sollen schlecht bewertete Unternehmen künftig zunächst eine Abgabe von bis zu fünf Euro und 2030 bis zu zehn Euro pro Artikel zahlen. Ab 2025 soll außerdem Werbung für Fast-Fashion-Unternehmen oder deren Produkte verboten sein. Andernfalls drohen den Firmen Strafen von bis zu 100.000 Euro.

"Wir haben einen Kulturkampf gewonnen"

Für Julia Faure ist der Gesetzesentwurf "eine super Neuigkeit". Sie ist Modeschöpferin und Co-Präsidentin der Bewegung En Mode Climat, zu der rund 600 Firmen gehören, die nachhaltig Mode produzieren. "Wir haben einen Kulturkampf gewonnen", sagt sie gegenüber der DW. "Fast Fashion ist eine Katastrophe in ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht und macht wie eine Dampfwalze alles außer dem Luxussektor platt."

So sei es ein klares Signal, wenn lokal produzierte Mode aus Wolle eine gute Ökobewertung und weit weg produzierte Mode aus synthetischen Stoffen eine schlechte Bewertung bekomme. "Trotzdem müssen wir aufpassen, dass die Regierung den Schwellenwert, durch den sie die Fast-Fashion-Unternehmen definiert, nicht zu hoch ansetzt", warnt sie.

Filiale der spanischen Fast Fashion-Kette Zara, hier in Warschau (Polen)
Filiale der spanischen Fast Fashion-Kette Zara, hier in Warschau (Polen) null Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Philippe Moati, Wirtschaftsprofessor an der Universität Paris Cité und Gründer des Pariser Marktforschungsinstituts ObSoCo, macht sich indes Sorgen, dieser Schwellenwert könne zu niedrig ausfallen und somit auch französische Unternehmen betreffen. Auch sonst ist der Experte eher skeptisch, was das Gesetz angeht. "Dadurch stigmatisiert man die Käufer dieser Mode, die laut einer Studie, die wir gerade durchführen, aus der Arbeiterklasse kommen und ein relativ niedriges Einkommen haben", erklärt er im DW-Interview. "Sich etwas leisten zu können gibt ihnen das Gefühl, zur Gesellschaft zu gehören." Moati schätzt, dass "Ultra-Fast Fashion", wie er sie nennt, etwa drei Prozent des Modemarktes in Frankreich ausmacht - genaue Zahlen gibt es nicht.

"Es ist die Zuspitzung des Trends der Fast Fashion, den Marken wie Zara oder H&M in den 1990er Jahren eingeführt haben. Anstatt zweimal im Jahr bieten sie seitdem jede Woche neue Kollektionen an, was viele anderen Unternehmen übernommen haben", erklärt er. "Die Ultra-Fast-Fashion-Firma Shein bringt inzwischen täglich rund 7200 Artikel auf den Markt."

Der Experte meint, die Regierung müsse das eingrenzen - allerdings indem sie bereits existierenden Regelungen durchsetze. Dazu gehöre eine gesetzliche zweijährige Garantie auf Kleidung, das Verbot, unter Selbstkosten zu verkaufen, und die Verpflichtung, einen realistischen Referenzpreis bei Rabatten anzusetzen. "Zudem sollten wir Importzölle nicht mehr wie bisher ab einem Wert von 150 Euro, sondern auf alle Kleidungseinfuhren erheben", sagt der Ökonom und fügt hinzu, dass Ultra-Fast-Fashion auch gute Seiten habe. "Diese Unternehmen produzieren sehr kleine Serien - und haben so kaum nicht verkauften Bestand."

Auf Anfragen der DW haben weder Shein, noch Temu, Zara oder H&M geantwortet.

Logo der schwedischen Modekette H&M
Logo der schwedischen Modekette H&M, hier in Riga (Lettland) null Ints Kalnins/REUTERS

Frankreich Vorreiter für Europa?

Gildas Minvielle, Direktor der Wirtschafts-Beobachtungsstelle der Pariser Modeschule Institut Français de la Mode, glaubt, dass sich zeigen wird, ob die Methode der Regierung die richtige ist. "Dies ist gesetzliches Neuland - man muss schauen, was funktioniert", sagt er zu DW. "In jedem Fall sollte man Konsumenten auf die verheerenden Umweltauswirkungen der Fast Fashion aufmerksam machen."

So sei es bezeichnend, dass fast alle Parlamentarier hinter dem Text stünden. "Die neuen Regeln sind eine Reaktion auf die tiefe Krise, in der der Prêt-à-Porter-Sektor seit 2022 steckt. Zahlreiche Marken haben Konkurs angemeldet. Fast Fashion hat die Krise noch verstärkt und die Konkurrenz weiter verschärft", meint Minvielle. "Frankreich, das Land der Mode, hat ein wegweisendes Gesetz herausgebracht. Allerdings sollte man die neuen Regelungen auf Europa ausweiten - schließlich ist auch der Markt ein europäischer."

Eine der wenigen zumindest leicht abweichenden Stimmen im Parlament ist Antoine Vermorel-Marques, Abgeordneter für das mittelfranzösische Département Loire der konservativen Republikaner. "In meinem Heimatbezirk haben Textilfirmen in den 1980er Jahren rund 10.000 Leute beschäftigt. Dann haben viele Unternehmen ihre Produktion nach Asien verlagert, so dass inzwischen nur noch 2000 Menschen in dem Sektor arbeiten", sagt er zu DW.

Blick in eine Halle mit Textilproduktion in Bangladesch
In riesigen Fabriken wie hier in Bangladesch wird die billige Mode hergestelltnull Joy Saha/ZUMA Press Wire/picture alliance

"Diese Unternehmen hatten gerade wieder angefangen, Leute einzustellen, weil es eine Tendenz zu lokal produzierter Ware gibt. Dann kam die Fast Fashion und setzte die Industrie erneut unter Kosten-Druck - da müssen wir gegensteuern." Allerdings sei ein Werbeverbot nicht der richtige Weg. "Es behindert den Markt anstatt ihn zu regulieren - wir sollten uns auf ein Ökopunktesystem beschränken, durch das man negative Externalitäten wie Umweltverschmutzung durch Produkte in den Preis integrieren kann", findet Vermorel-Marques.

Nötig, um Pariser Klimaabkommen zu respektieren

Doch für Pierre Condamine, Sprecher der Vereinigung Stop Fash Fashion, zu der mehrere Nichtregierungsorganisationen gehören, die sich für Umweltschutz einsetzen, gehen die Regeln nicht weit genug. "Man sollte schon im Gesetz den Schwellenwert für Fast Fashion so definieren, dass er auch französische Marken wie den Sporthändler Decathlon umfasst", fordert er gegenüber der DW.

"Und Unternehmen sollten bei einer negativen Ökobewertung eine Mindestabgabe pro Produkt zahlen, was bisher nicht der Fall wäre. Außerdem sollten Fast-Fashion-Unternehmen ihre Verkaufszahlen in Frankreich veröffentlichen müssen - so wissen wir endlich, womit wir es zu tun haben. Das wird uns auch dabei helfen, das Pariser Klimaabkommen zu respektieren. Schließlich dürfte dafür jeder Bürger nur fünf Kleidungsstücke pro Jahr kaufen - und nicht 50, wie das gerade der Fall ist."

Warum braucht Deutschland eine neue Hafenstrategie?

Beispiel Hamburg: Deutschlands größter Hafen war ein lebendiger Teil der Stadt, er war das "Tor zur Welt". Jeder konnte ihn besichtigen, den Arbeitern zusehen, die Schiffe bewundern und von fernen Ufern träumen. Das hat sich grundlegend geändert. Inzwischen sind ganze Areale abgesperrt, stehen Besucher vor Zäunen oder verschlossenen Toren.

Spätestens seit dem September 2001, als die Terroranschläge in den USA Tausende Todesopfer forderten und die gesamte westliche Welt erschütterten, gelten die Häfen als sicherheitsrelevante Orte, über die Terroristen einfallen könnten. Auch der Umschlag von Rauschgift, die illegale Ein- und Ausfuhr von Waffen oder auch von Menschen fordern nicht mehr nur Zollbeamte, sondern alle Sicherheitsapparate eines Staates heraus.

Darauf wurde international mit der Einführung des ISPS-Codes (International Ship and Port Facility Security Code) reagiert, der 2002 unter Leitung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO verhandelt wurde und in Europa 2004 in Kraft trat. In Deutschland hat jetzt das Bundeskabinett am 20. März 2024 eine Nationale Hafenstrategie auf den Weg gebracht, um das noch bis 2025 gültige Nationale Hafenkonzept zu ersetzen. Laut Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sei "ein Kursbuch mit knapp 140 konkreten Maßnahmen, die Lösungswege für die drängendsten Herausforderungen der Häfen aufzeigen" erstellt worden.

Entscheidend für den Wirtschaftsstandort

Häfen, so das zuständige Bundesministerium für Digitales und Verkehr auf seiner Website, seien "nachhaltige Knotenpunkte der Energiewende" und wichtige "Ausbildungs- und Beschäftigungsorte", von denen mehr als fünf Millionen Arbeitsplätze abhingen. Ihre Wettbewerbsfähigkeit müsse gewährleistet, ihre "digitalen, automatisierten und innovativen" Fähigkeiten gestärkt und sie mit "bedarfsgerechter Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur" ausgestattet werden. Dementsprechend sollen fünf Arbeitsgruppen "Leitlinien ausarbeiten und mit konkreten Maßnahmen füllen".

Kräne und das Dock 11 im Hamburger Hafen liegt im Nebel
In Deutschlands "Tor zur Welt" wird auch bei Nacht und Nebel gearbeitetnull Georg Wendt/dpa/picture alliance

Duisport, der Betreiber des Binnenhafens in Duisburg (Nordrhein-Westfalen), begrüßt es sehr, "dass die Bundesregierung die Nationale Hafenstrategie aufgestellt hat." Die oben zitierten Handlungsfelder träfen "im Kern die aktuellen Herausforderungen. Hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit, nicht nur des Hafenstandorts Deutschland, behindern wir uns immer wieder selbst und verhindern Wachstum durch zu hohe bürokratische Hürden."

Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS), ein Wirtschafts- und Arbeitgeberverband, begrüßt die Initiative ebenfalls ausdrücklich. Sein Hauptgeschäftsführer, Daniel Hosseus, sagte der DW: "Wir teilen die darin enthaltenen Einschätzungen zur Bedeutung der Häfen. Die geplanten Maßnahmen finden wir weitgehend sinnvoll; viele davon entsprechen Vorschlägen, die wir eingebracht haben."

Leitzentrale für ferngesteuerte Binnenschiffe auf dem Rhein in Duisburg
Kritische Infrastruktur: Leitzentrale für ferngesteuerte Binnenschiffe auf dem Rhein in Duisburgnull Christoph Reichwein/dpa/picture alliance

Bedeutung der Binnenhäfen

Der DW gegenüber zeigt sich die Duisburger Hafen AG erfreut, dass die Bedeutung der Häfen auch im Landesinneren gewürdigt werden. Die Strategie enthalte "viele Forderungen, die seit Jahren von den See- und Binnenhäfen gestellt werden." Dazu zähle nämlich auch die "besondere Bedeutung der Binnenhäfen für die Versorgung der Industrie."

Der Hafen Duisburg gilt als größter Binnenhafen Europas. Seine Bedeutung für das Ruhrgebiet und der dort noch immer ansässigen Stahlindustrie und für die Chemiestandorte entlang des Rheines, etwa für die Konzerne Bayer und BASF, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Außerdem liegt die Stadt am westlichen Ende von Chinas Neuer Seidenstraße, einem Verbund von Straßen- und Schienenverkehrswegen, der Westeuropa mit Innerasien und China verbindet. Der Hafen bildet den Übergang vom landgebunden Verkehr auf die Wasserwege Deutschlands und über den Rhein bis in die Nordsee.

Mannheim: Ein Kran verlädt Container im Handelshafen des Rhein-Neckar-Hafens
Häfen auch weit entfernt vom Meer: Containerverladung im Rhein-Neckar-Hafen in Mannheimnull Uwe Anspach/dpa/picture-alliance

Sicherheitslage im Blick

Gerade im Hinblick auf die Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft ist der Faktor "Sicherheit" ein zentraler Punkt einer nationalen Hafenstrategie. Doch gerade dabei halten sich die Hafenbetreiber auffallend zurück. "Der Schutz kritischer Infrastrukturen betrifft eine Vielzahl von Gefahrenlagen, die von militärischen Angriffen über kriminelle und terroristische Machenschaften bis hin zu Naturkatastrophen reichen", so etwa Daniel Hosseus.

Aber, fügt er beruhigend hinzu: "Die Unternehmen selbst machen schon aus Eigeninteresse sehr viel." Konkret möchte er da aber nicht werden und mahnt: "In jedem Fall sollten wir vermeiden, mit viel Bürokratie Scheinsicherheit zu kreieren."

Ähnlich äußert sich das Duisport-Management: "Unabhängig von gesetzlichen Vorgaben sind wir ständig damit befasst, unsere Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern und anzupassen. Dies läuft beispielsweise durch den Einsatz eines Hafensicherheitsteams - aber natürlich werden viele Maßnahmen im Hintergrund umgesetzt." Es gäbe bereits "eine Vielzahl an Regularien." Eine Erhöhung der Sicherheitsstandards sei auf jeden Fall erforderlich, "jedoch muss stets berücksichtigt werden, dass diese für die Unternehmen umsetzbar und wirtschaftlich leistbar sind."

Zug verlässt den chinesischen Bahnhof Chongqing mit Ziel Binnenhafen Duisburg-Ruhrort
Dieser Zug verlässt gerade den chinesischen Bahnhof Chongqing mit Ziel Binnenhafen Duisburg-Ruhrortnull Tang Yi/Xinhua News Agency/picture alliance

Doch woher soll das Geld kommen?

Schon bevor die Hafenstrategie überhaupt fertig geschrieben ist, zeigt sich für den ZDS bereits, woran es der neuen Strategie mangeln wird: am Geld. Daniel Hosseus nennt ein Beispiel: "Der Bund gibt derzeit nur 38 Millionen in den Erhalt und Ausbau von Häfen - nur 38 Millionen! Für die Fertigstellung eines unfertigen Hochhauses in Hamburg werden aktuell 500 bis 600 Millionen Euro veranschlagt!" Daher fordert er unmissverständlich, "dass sich der Bund stärker engagiert."

Das beklagt auch der Hafen in Duisburg. Hinter den Absichten stünde "keine finanziell verbindliche Beteiligung des Bundes". Dazu brauche es auch "klare und verbindliche Regelwerke. Der Abbau bürokratischer Hemmnisse bedeutet Planungssicherheit und somit eine Stärkung des Standorts Deutschland und dies ist ja das Ziel der Nationalen Hafenstrategie."

Faktencheck: Versteht Trump mehr von Wirtschaft als Biden?

Nach Umfragen des Meinungsforschungsinstitutes YouGov traut eine Mehrheit der US-Bevölkerung Ex-Präsident Donald Trump im Bereich Wirtschaft mehr zu als Amtsinhaber Joe Biden.

Nur 26 Prozent der im Februar dieses Jahres befragten Wähler halten Biden für einen fähigen Wirtschaftspolitiker. Trump hingegen erreicht Zustimmungswerte von 47 Prozent.

Doch stimmen diese Umfrageergebnisse mit den wirtschaftlichen Eckdaten der Vereinigten Staaten überein?  

Boomende Wirtschaft?

Behauptung: "Biden zerstört Recht und Gesetz, die Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Unter Trump ging es unserer Wirtschaft gut, wir brauchen vier weitere Jahre mit ihm", schreibt US-Senator Tim Scott am 28. März auf X. Auch andere User sehnen sich nach der "boomenden Wirtschaft unter Trump". 

DW Faktencheck: Irreführend.

Die ersten drei Jahre unter Donald Trump verliefen zwar mit Wachstumsraten von über zwei Prozent (siehe Grafik) wirtschaftlich erfolgversprechend. Ein langanhaltender "Boom" lässt sich allerdings nicht belegen. 

Dieser ist laut wissenschaftlicher Definition geprägt von "einer ausgeprägten Zunahme der wirtschaftlichen Aktivität, die sich in hohen Wachstumszahlen, einer deutlich über dem Normalwert liegenden Kapazitätsauslastung, einer spürbaren Beschäftigungszunahme und einer Börsenhausse niederschlägt". 

Trump startete seine erste Amtszeit am 20. Januar 2017 mit einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent. Im Corona-Jahr 2020 brach die Wirtschaft um 2,2 Prozent ein, erholte sich aber im letzten Quartal wieder und schnellte dann auf 5,8 Prozent empor.

Unter Biden befindet sich die Wirtschaft nicht "im freien Fall", wie von US-Senator Scott behauptet, sondern pendelte sich bei einem Wachstum von rund zwei Prozent ein (siehe Grafik). Für 2024 wird ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent prognostiziert.

Der Vergleich zeigt, dass die USA weder unter Trump noch unter Biden einen Wirtschaftsboom erlebt haben, sondern vielmehr mit den wirtschaftlichen Folgen schwerer Krisen wie Corona und Ukrainekrieg zu kämpfen hatten.

Steigende Staatsverschuldung 

Behauptung: "In den vergangenen vier Jahren haben leichtfertige Ausgaben dazu geführt, dass die Staatsverschuldung auf 34 Billionen Dollar gestiegen ist". Dieser Vorwurf wird von der Trump-nahen Vereinigung "Americans for Prosperity"erhoben, die im Netz einen "Faktencheck" zu Bidens Wirtschaftspolitik anbietet.

DW Faktencheck: Irreführend.

Richtig ist, dass die Staatsverschuldung in den USA im vierten Quartal 2023 nach offiziellen Angaben auf einen historischen Höchstwert von 34 Billionen Dollar gestiegen ist. Dies entspricht 124 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts (GDP).

Richtig ist aber auch, dass die Staatsverschuldung während der Amtszeit von Trump prozentual stärker angestiegen ist als unter Biden. So kletterten die Außenstände zwischen 2017 und 2021 von 19,84 Billionen US-Dollar auf 28,13 Billionen US-Dollar. Dies entspricht einem Anstieg von 41,62 Prozent.

Unter Biden wuchsen die Schulden von 28,13 Billionen US-Dollar auf 34 Billionen US-Dollar im Dezember 2023. Dies entspricht einem Wachstum von 20,86 Prozent.

Drohende Staatspleite in den USA abgewendet

Im Gegensatz zu "Americans for Prosperity", die Biden im Wahlkampf "leichtfertige Ausgaben" vorwirft, macht das US-Finanzministerium für die Entwicklung vor allem zwei Faktoren verantwortlich: Zusätzliche Ausgaben aufgrund der Corona-Pandemie und des Ukrainekrieges, sowie gleichzeitig geringere Steuereinnahmen. 

Der Rückgang der Steuereinnahmen geht unter anderem auf die 2018 von Trump eingeführte Steuerreform zurück - eine Tatsache, die von seinen Anhängern gerne verschwiegen wird. 

Trumps Steuerreform senkte 2018 Unternehmenssteuern von durchschnittlich 35 auf 21 Prozent. Auch die Einkommenssteuersätze wurden verringert. Die gestiegenen staatlichen Ausgaben wurden über Schulden finanziert. Für die steigende Staatsverschuldung ist also auch Trump mitverantwortlich. 

Biden und die Inflation

Behauptung: "Joe Biden hat in den USA eine Inflation auf Rekordniveau ausgelöst, und sie geht nicht mehr weg". Diese Kritik äußerte Glenn Allen Youngkin, Gouverneur des US-Bundesstaates Virginia, am 21. März 2024 in einem Interview mit dem US-Sender Fox News.

DW-Faktencheck: Falsch.

Die Aussage blendet wichtige statistische Daten aus. Denn sie erwähnt nicht, dass die Inflationsrate in den USA seit einem Jahr kontinuierlich sinkt (siehe Grafik).

Nach Angaben des Weißen Hauses lag der Wert 2023 bei 3,4 Prozent. Im Februar sank der Wert im Vergleich zum Vorjahresmonat noch einmal auf 3,2 Prozent. 2022, nach der russischen Invasion in der Ukraine, betrug die Rate noch acht Prozent.

Beim Amtsantritt Trumps lag die Inflation bei 2,1 Prozent und sank 2020 auf 1,2 Prozent. Während der Corona-Pandemie stieg sie 2021 auf 4,6 Prozent an.

Fazit: Ursache für die steigende Inflation sind in Wahrheit Corona und die russische Invasion in der Ukraine, die für eine Explosion der Energiepreise sorgte, und nicht Bidens Wirtschaftspolitik. 

USA: Inflation hilft Trump und schwächt Biden

Hoch am Aktienmarkt

Behauptung: "Die Aktienmärkte performen herausragend, weil sie mit meinem Sieg rechnen". Diese Behauptung stellte Trump am 29. Januar 2024 angesichts des Hochs auf amerikanischen Aktienmärkten im Netzwerk "Truth Social" auf.

DW-Faktencheck: Falsch.

"Meine Umfragen gegen Biden sind so gut", schrieb er dort, "dass Investoren darauf setzen, dass ich gewinne, und das sorgt für Aufschwung."

In der Tat: Zwischen April 2023 und April 2024 legte der S&P 500 Aktienindex um 27 Prozent zu. Der Index ist neben Dow Jones und Nasdaq das dritte große US-amerikanische Börsenbarometer. Er umfasst die 500 größten börsennotierten Unternehmen der USA.

Der Boom am US-Aktienmarkt hat allerdings weniger mit Trumps Umfragewerten, sondern vielmehr mit der Zinspolitik der US-Notenbank (FED) zu tun.

Die Erholung am US-Aktienmarkt setzte Ende 2023 ein, als FED-Chef Jerome Powellandeutete, "die Phase der historisch hohen Zinsraten könne angesichts der schneller als erwartet sinkenden Inflation bald der Vergangenheit angehören". 

Angesichts der guten Entwicklung der US-Wirtschaft und "in der Hoffnung, dass wenn sich die Wirtschaft im Großen und Ganzen so entwickelt wie erwartet", so Powell am 4. April, könne eine Zinssenkung im Laufe des Jahres angemessen sein.

Auch andere Faktoren tragen laut Analystenzum Hoch auf den Aktienmärkten bei, zum Beispiel der "Optimismus in Bezug auf künstliche Intelligenz". Der Post von Trump zeugt eher von Selbstüberschätzung statt von Wirtschaftskompetenz.

China tritt bei Weizenimporten auf die Bremse

Am 8. März waren es 240.000 Tonnen, am 15. März sogar 264.000 Tonnen Weizen, die eigentlich aus den USA nach China geliefert werden sollten. Doch die Kontrakte für den US-Winterweizen wurden von chinesischer Seite storniert, so dass US-Exporteure entweder auf 504.000 Tonnen Weizen sitzen bleiben oder einen anderen Käufer würden suchen müssen. Australische Weizenlieferungen waren im März ebenfalls betroffen. Chinesische Weizenimporteure stornierten rund eine Million Tonnen australischer Weizenlieferungen oder verschoben sie in das zweite Quartal.

Die Höhe der abbestellten Mengen drückte die Futures an der Warenterminbörse in Chicago für künftige Weizenlieferungen zeitweise auf den niedrigsten Wert seit August 2020. Die Tatsache, dass mehr als eine halbe Million Tonnen US-Weizen storniert wurde, sorgte bei den Getreidehändlern dort für reichlich Gesprächsstoff. Denn nach den Daten des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA), die bis ins Jahr 1999 zurückreichen, war es die bisher größte stornierte Menge.

Händler an der Börse Chicago Mercantile Exchange
Wichtigster Handelsplatz für Futures und andere Termingeschäfte: die Börse Chicago Mercantile Exchangenull Scott Olson/Getty Images/AFP

"Diese Stornierungen zeigen, dass China Weizen von anderen Ländern billiger beziehen kann", kommentierte Ben Buckner, leitender Getreideanalyst bei AgResource, einem Brancheninformationsdienst mit Sitz in Chicago, gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg den überraschenden Schachzug Pekings.

Höhere Lagerbestände und besseres Wetter

Jedenfalls scheinen die Zeiten, als die Preise für Getreide und andere landwirtschaftliche Güter immer höher stiegen, erst einmal vorbei zu sein. Nach Zahlen das US-Landwirtschaftsministeriums vom 28. März nahmen die Lagerbestände für Mais zuletzt um 13 Prozent und für Soja um neun Prozent zu. Den höchsten Anstieg bei den Lagerbeständen gab es aber mit 16 Prozent beim Weizen.

Neben den höheren Lagerbeständen sorgt auch eine Entspannung bei den wetterbedingten Rahmenbedingungen für niedrigere Preise, erklärt Thorsten Tiedemann, Vorstand der Getreide AG in Hamburg, im Gespräch mit der DW. "Wir hatten in den allermeisten Regionen eine mehr als ausreichende Wasserversorgung und damit gute Voraussetzungen für gute Ernten." Das sei im letzten Jahr ganz anders gewesen, als es in einigen Regionen längere Trocken-Perioden und andere negative Faktoren wie Frost gab.

Russland bleibt ein "Big Player" 

Die Situation bei Getreide und Ölsaaten sei daher allgemein entspannter als noch vor einem Jahr. "Wir haben insgesamt eine ordentliche Maisernte. Das ist die green Commodity, die den Futtergetreidemarkt dominiert. Wir haben auch eine reichliche Versorgung bei den Sojabohnen, bei Sojaschrot, jetzt auch wieder perspektivisch", unterstreicht Tiedemann. "Vor allen Dingen, weil Argentinien und Brasilien in den nächsten Wochen eine ordentliche Ernte einfahren werden."

Auch Russland sei beim Weizen nach wie vor in der Lage, viele Millionen Tonnen zu exportieren. "Russland wird wahrscheinlich im kommenden Wirtschaftsjahr 2024/25 einen Marktanteil am globalen Export von circa 29 Prozent haben", so Tiedemann. Dass Russland in den letzten Jahren große Ernten eingefahren habe und das höchstwahrscheinlich auch in diesem Jahr der Fall sein werde, habe global zu einer Entspannung an den Weizenmärkten beigetragen, erklärt der Hamburger Getreide-Experte. "In Russland werden 93 Millionen Tonnen erwartet und das wird Russland wiederum erlauben, deutlich über 50 Millionen Tonnen Getreide zu exportieren."

Preisrekord vom Mai 2022 in weiter Ferne

Im Februar 2024, so die Angaben des Datenspezialisten Statista, lagen die weltweiten Getreidepreise um 22,4 Prozent niedriger als noch im Februar 2023. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine waren die internationalen Weizenpreise im Mai 2022 auf ein neues Allzeithoch von über 522 US-Dollar geklettert. Seit dem Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990 durch die Welternährungsorganisation FAO war noch nie mehr für eine Tonne Weizen bezahlt worden.

Getreideernte in der Region Rostov (Russland)
Weizenernte in der russischen Region Rostov: Russland kommt auf einen Weltmarktanteil von 29 Prozentnull Sergey Pivovarov/SNA/IMAGO

Damals hatte es Befürchtungen gegeben, dass die Ausfuhren der beiden wichtigen Weizen-Exporteure Russland und Ukraine durch den Krieg stark zurückgehen und es zu Versorgungsengpässen kommen könnte.

Dabei ist die Ukraine als Weizen-Exporteur bei weitem nicht so wichtig wie Exportweltmeister Russland. Im Jahr 2022/23 exportierte die russische Föderation rund 47,5 Millionen Tonnen Weizen, gefolgt von der EU mit mehr als 35 Millionen Tonnen, Australien (32,2), Kanada (25,5) und den USA mit damals mehr als 20,25 Millionen Tonnen. Erst danach folgte im ersten Kriegsjahr die Ukraine mit rund 17,1 Millionen Tonnen Weizen.

Auswirkungen auf die USA

Die Auswirkungen für die US-Landwirtschaft halten sich bisher in Grenzen. Schon seit längerem spielt Weizen dort nicht mehr eine so dominante Rolle wie früher. "Die Zahl der Weizenfarmen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark zurückgegangen, weil viele US-Landwirte auf profitablere Produkte wie Sojabohnen und Mais umsteigen. Die Zahl der Weizenfarmen in den USA ist laut Volkszählungsdaten seit 2002 um mehr als 40 Prozent zurückgegangen", rechnet Nathan Owens in einer Analyse für das Fachmagazin "Agriculture Dive" vor.

Falls die Mehrheit der US-Farmer für Donald Trump stimmt, sei das aber zu kurz gedacht, meint Michael McDougall. "Die Landwirte scheinen ein kurzes Gedächtnis zu haben", sagte der Managing Director bei Paragon Global Markets gegenüber Bloomberg. "Er hat einen Handelskrieg mit China losgetreten, der den US-Bauern eine Zeit lang geschadet hat, weil China weniger US-Agrargüter importierte. Dann musste Trump die US-Farmer entschädigen."

Damals ließ Trump rund 28 Milliarden Dollar für die US-Landwirte springen, um die Folgen seines Handelsstreits mit China abzumildern. Das trug dazu bei, dass das Nettoeinkommen der US-Landwirte im Jahr 2020 auf ein Siebenjahreshoch kletterte.

Trotzdem dürfte auch vielen US-Farmern klar sein, dass auch zweistellige Milliardenhilfen nicht ausreichen würden, wenn Trump bei einer Wiederwahl seine Pläne umsetzt. Im August hatte er angekündigt, als wiedergewählter Präsident einen Zoll von 10 Prozent auf alle in die USA eingeführten Waren zu verhängen. Die möglichen Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder und der Schaden für amerikanische Exporte ließe sich dann aber wohl kaum noch kompensieren.

Weizenernte im Bundesstaat Rajasthan (Indien)
Indien - hier die Ernte von Weizen im Bundesstaat Rajasthan - ist die weltweite Nummer Drei der Weizenproduzentennull abaca/picture alliance

Wettereinflüsse als zentraler Faktor

Entscheidend sind die weiteren Wetterbedingungen für die künftige Ernte. Wie einschneidend Wettereinflüsse sein können, zeigt das Beispiel Argentiniens, dessen Weizenexporte von 17,65 Millionen Tonnen im Jahr 2021/22 auf nur noch 4,68 Millionen Tonnen 2022/23 einbrachen. Der Grund: Übermäßige Trockenheit und eine späte Frostperiode. Während Argentinien traditionell vor allem in andere lateinamerikanische Länder exportiert, gehen in guten Erntejahren Millionen Tonnen Weizen nach Asien. Künftig sollen die Exporte besonders nach China hochgeschraubt werden, berichtet die Fachzeitschrift "Miller Magazine".

China nimmt auf dem internationalen Weizenmarkt eine einzigartige Position ein. Das Reich der Mitte ist gleichzeitig weltweit größter Weizenproduzent und seit 2022/23 größter Importeur. Dabei ist China trotz seiner beträchtlichen einheimischen Produktion von rund 137 Millionen Tonnen weiterhin auf erhebliche Mengen an internationalen Weizenlieferungen angewiesen. Das gilt sowohl für den Lebensmittel- als auch für den Futtermittelverbrauch. Seit 2020/21 importiert China im Durchschnitt rund zehn Millionen Tonnen.

"Die heimische Produktion hatte im laufenden Wirtschaftsjahr mit Problemen zu kämpfen, die auf übermäßige Nässe zurückzuführen sind, was zu einer geringeren Produktion und einem höheren Anteil an Weizen in Futtermittelqualität führte", schreibt das "Miller Magazine". Während vor allem Australien, Kanada, Frankreich, die USA und Kasachstan die wichtigsten Quellen für Chinas Weizenimporte waren, habe sich China in den letzten Jahren aber aktiv um eine Diversifizierung seiner Lieferanten bemüht.

Russland spielt dabei als größter Weizen-Exporteur der Welt für Peking eine immer wichtigere Rolle. Hinzu kommen verstärkt Weizen-Handelspartner wie Argentinien.

Feld mit reifen Winterweizen und Mähdrescher im Sonnenlicht im Bundesland Niedersachsen.
In Deutschland werden rund 21 Millionen Tonnen Weizen pro Jahr geerntet. Hier auf einem Feld im Bundesland Niedersachsen null Martin Wagner/IMAGO

China auf dem Weg zu einer größeren Weizenernte

Die Rohstoff-Experten berufen sich dabei auf Berichte der chinesischen Wetterbehörde von Anfang März. Danach hätten Schneefälle in den wichtigsten Winterweizenanbaugebieten des Landes zwischen Januar und Februar die Bodenfeuchtigkeit erhöht. Die meisten Pflanzen hätten die Winterruhe sicher überstanden. Dazu seien in Teilen der Weizenanbau-Regionen Jianghuai und Jiangnan nur geringe Frostschäden zu erwarten, berichtet S&P Global Commodity Insights. Das Wachstumsstadium der Ernte sei weitgehend gleich oder besser als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 2023 war ein beträchtlicher Teil der Weizenernte durch unvorhergesehene sintflutartige Regenfälle beschädigt worden und nur noch als Futterweizen zu gebrauchen.

"Insgesamt muss man aber schon ein bisschen vorsichtiger sein, wenn man sich die Weizenbilanz fürs kommende Jahr anschaut", warnt Thorsten Tiedemann vor zu viel Optimismus. Die Lage hätte sich zwar durch die guten Lagerbestände aus der letzten Ernte und die laufenden Exporte aus der Ukraine deutlich entspannt.

"Ich gehe davon aus, dass wir 2024/25 gegenüber den Vorjahren in den Exportursprungsländern einen Bestandsabbau haben werden. Grund dafür sind teilweise kleinere Ernteerwartungen und ein wieder etwas anziehender Verbrauch durch die niedrigeren Preise."

Man könne davon ausgehen, so der Hamburger Getreide-Experte, dass sich die Preise auch "wieder explosiv nach oben" entwickeln könnten, wenn es irgendwo zu Ernteausfällen oder Schlechtwetter-Nachrichten kommt."

Als Beispiel nennt Tiedemann eine schlechte Ernte in der Europäischen Union. "Beispielsweise, wenn es in Frankreich einen trockenen Mai oder Juni geben würde. Ich glaube, dann könnte der Markt auch wieder extrem nervös reagieren, weil wir dann bei schon durchschnittlichen Ertragserwartungen perspektivisch auf geringere Weizenbestände zufahren. Jetzt ist die Situation noch auskömmlich, aber das muss nicht so bleiben."

"De-Risking" im China-Geschäft: Abschied von der Globalisierung?

Mulfingen ist eine kleine Gemeinde im fränkisch geprägten Nordosten von Baden-Württemberg. Die Gegend wird von Kennern oft “Tal der Lüfter” genannt: Denn hier haben sich besonders viele Ventilatorhersteller niedergelassen. Während in Mulfingen nur weniger als 4000 Einwohner leben, betreiben die hier und in den Nachbargemeinden ansässigen Unternehmen weltweite Geschäfte. 

EBM-Papst ist eines davon: "Als globales Unternehmen sind wir weltweit aufgestellt, haben über 30 Vertriebsniederlassungen in den wichtigsten Ländern der Welt,” erzählt Thomas Nürnberger, Vertriebschef der Firma im Gespräch mit DW.  

Etwa zwei Drittel der insgesamt 15.000 Mitarbeitenden sind am Standort China beschäftigt. Wie viele andere mittelständische Firmen in Deutschland ist auch EBM-Papst auf China ausgerichtet - seit fast 30 Jahren. Es ist mittlerweile nicht nur der bedeutendste Absatzmarkt, sondern auch der wichtigste Produktionsstandort für die gesamten Lieferketten. "Wir kommen noch aus einer Zeit der Globalisierung, als wir weltweite Lieferketten etablierten. Momentan beziehen wir am chinesischen Standort etwa 30 Prozent des Materials aus Europa. Hier in Deutschland kommen ungefähr 20 bis 30 Prozent aus nicht-europäischen Ländern wie China.” 

Genau dieses Hin-und-Herschicken der Bauteile müsse sich ändern, sagt Vertriebschef Thomas Nürnberger, der auch für den Standort China zuständig ist: "Seit einigen Jahren versuchen wir, die Lieferketten zu entflechten. Grundsätzlich wollen wir in China für China fertigen. Wir wollen dort in den nächsten zwei Jahren eine Lokalisierungsrate von 95 Prozent erreichen.” 

Weltweite Lieferketten als Risikofaktor

„Lokal für Lokal" heißt die neue Strategie des Ventilatorherstellers. Überall soll lokal beliefert, gefertigt und verkauft werden, um die Risiken der bisherigen weltweiten Lieferketten zu reduzieren. "Wir haben durch die Zeitenwende gelernt, dass weltweite Lieferketten und sonstige wirtschaftliche Abhängigkeiten letztlich nicht unbedingt stabilisierend wirken können", meint auch Jürgen Matthes, China-Experte im Institut für Wirtschaft in Köln im DW-Interview und warnt: "Diese könnten zur Erpressbarkeit führen”. Das gelte für Unternehmen und auch für die Politik. 

Abkoppeln von China? - Lieber nicht ganz

Aus diesem Grund plädiert die Bundesregierung in ihrer China-Strategie, die im letzten Sommer veröffentlicht wurde, für "De-Risking”- also die Reduzierung des Risikos. Unternehmen müssten sich demnach zwar nicht von ihren lukrativen China-Geschäften abkoppeln, aber mögliche Risiken genau in den Blick nehmen. Auch EBM-Papst hat Planungen für verschiedene Risiko-Szenarien entwickelt, erzählt Thomas Nürnberger: "Unsere Produktionslinien können beispielsweise innerhalb von zwei bis drei Monaten von China nach Indien verlagert werden, auch wenn wir aktuell nicht damit rechnen.” 

Noch immer mehr China-Geschäfte 

Dieser radikale Notfallplan würde wohl nur bei extremen Fällen wie dem Ausbruch eines Krieges zwischen kommunistischen China und der demokratisch regierten Insel Taiwan aktiviert werden. Momentan denke die Firma nicht über eine Reduzierung oder gar die Schließung der China-Geschäfte nach, betont der China-Chef von EBM-Papst. Im Gegenteil: Gerade Ende März eröffnete die Firma in Shanghai ihre neue Asien-Zentrale. Die China-Geschäfte sollen damit autarker werden. Risiken würden sich damit reduzieren. 

Klaus Geißdörfer, CEO von EBM-Papst, erklärt gegenüber der DW das strategische Ziel: "Mit Blick auf die neue Zentrale in Shanghai haben wir auf jeden Fall unsere Organisation in China so vorbereitet, dass wir jederzeit das chinesische Unternehmen von uns und von der restlichen Welt abtrennen können - innerhalb sehr kurzer Zeit. Darauf sind wir schon vorbereitet.” 

Auch getrennte Lieferketten lösen das Problem nicht vollständig

Tatsächlich wollen viele deutsche Unternehmen in diese Richtung gehen, bestätigt der auf China spezialisierte Ökonom Jürgen Matthes. "Wir sehen, das China-Geschäft für sich scheint bei vielen Unternehmen schon viel stärker auf eigene Füße gestellt zu werden. Das ist offenbar möglich.”  

Mit solchen Plänen werden deutsche Unternehmen längst noch nicht risikofrei. Wie die Firmenchefs von EBM-Papst erklären, kann die Abkoppelung höchstens bis auf 95 Prozent erhöht werden. Diese fünf Prozent "Restrisiken” dürfe man allerdings nicht unterschätzen, warnt Jürgen Matthes. "Möglicherweise ist es an manchen Stellen schwierig, anderweitig Ersatz zu finden.” Die entscheidende Frage sei, was passieren könnte, sollte der Kriegsfall eintreten. "Vorher müsste man als Unternehmer entweder viele Produkte aus China als Vorleistung hier nach Deutschland importieren, oder europäische Lieferanten schon in der Hinterhand halten, damit man kurzfristig Ersatz findet.” 

Jürgen Matthes bezweifelt jedoch, dass das mit europäischen Ersatzlieferern überhaupt möglich ist. Denn viele Unternehmen beklagen in Umfragen, "dass es bei einer ganzen Reihe von Produkten, die sie aus China beziehen, sehr schwierig ist, Ersatz zu finden.” 

Auf die Frage, wie es in Mulfinger Fabrik der EBM-Papst aussehen würde, falls plötzlich ein Krieg um Taiwan ausbräche, hat auch der Unternehmenschef Klaus Geißdörfer noch keine Antwort: "Das kann ich heute noch nicht sagen.” 

Chinas Militärmanöver vor Taiwan | Vorbereitungen Taiwans
Gefahr eines militärischen Konflikts zwischen Peking und Taipeh: ein taiwanesischer Soldat überwacht das Meer null Taiwan's Ministry of National Defense/AFP

 Trotz "De-Risking" bleibt die Abhängigkeit 

Der Bundestagsabgeordnete und China-Experte der Unionsfraktion, Nicolas Zippelius, sieht ein noch größeres Problem bei De-Risking-Plänen deutscher Unternehmen im China-Geschäft: "Wenn nun mehr in China investiert wird, könnte die Abhängigkeit nur teilweise minimiert werden. Darin sehe ich ein Problem. Ich sehe aber, dass manche Unternehmen ihren Standort nach China verlagern und dort noch größere Investitionen durchführen, weil es lukrativer ist als hier in Deutschland oder in der EU.”  

Laut einer Umfrage der deutschen Auslandshandelskammer in China (AHK) im Januar plant etwa die Hälfte ihrer Mitgliedsunternehmen, in den nächsten zwei Jahren ihre Investitionen in China zu erhöhen. In einem Interview mit der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua sagte AHK-Chef Maximilian Butek, viele deutsche Geschäftsleute seien sogar der Ansicht, dass "das größte Risiko darin besteht, nicht in China zu sein und dadurch die globale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren". 

Im DW-Interview merkt der CDU-Politiker Nicolas Zippelius an, dass "es beim Thema De-Risking um mehr als nur die reine Unternehmenssicht geht.” Es müsse dringend der "Standort Deutschland oder Europa wieder attraktiver gemacht werden, damit Unternehmen endlich mehr hier bei uns investieren.” 

Firmenchef: Abschied von der Globalisierung

Das sehen die Firmenchefs von EBM-Papst ähnlich. Die ursprüngliche Idee der Globalisierung sei gewesen, dass man globale Netzwerke aufbaute, um Orte zu verbinden, wo die besten Kostenfaktoren zu finden sind. "Von dem Bild verabschieden wir uns mehr und mehr,” betont Klaus Geißdörfer gegenüber der DW. Er hofft, dass sich die "Lokal für Lokal”-Strategie langfristig auszahlen könnte. 

Für den Standort Mulfingen bedeutet das: Künftig kommen weniger Bauteile aus China und die Produkte werden mehr auf europäische Kunden ausgerichtet. 

 

Öl, Kupfer und Gold immer teurer: Was ist da los?

Das 159-Liter Fass sorgt mal wieder für Aufsehen. Gemeint ist das Barrel Öl, das auf dem Weltmarkt für Rohöl gemeinhin als Maßeinheit dient. Lag der Preis für ein Barrel Rohöl der Nordseesorte Brent zum Jahresbeginn noch bei etwas über 70 US-Dollar, kratzt er mittlerweile an der 90 Dollar-Marke - ein Plus von über 20 Prozent. Den Preisanstieg spüren auch Millionen von Autofahrerinnen und Autofahrern an der Tankstelle. Benzin verteuerte sich seit Jahresbeginn um rund 10 Cent pro Liter - Tendenz steigend.

Aktuell komme einiges zusammen, erklärt Carsten Frisch, Rohstoffanalyst bei der Commerzbank: "Der Preisanstieg bei Rohöl wird durch eine Mischung aus Konjunkturoptimismus, einem knapperen Ölangebot und den anhaltenden Spannungen im Mittleren Osten getrieben."

Zwei Kriege treiben Ölpreis

Insbesondere die Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten haben dazu beigetragen, dass die Ölpreise gestiegen sind. Zuletzt wurden beispielsweise bei einem mutmaßlich israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in Syrien sieben Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden getötet. Vorfälle wie diese zeigen auf, wie schnell es zu einer Eskalation des Konflikts in der Region kommen könnte - und schüren damit Sorgen über die Ölversorgung. Das verunsichert die Marktteilnehmer. "Dazu kam es zuletzt vermehrt zu ukrainischen Drohnenangriffen auf Ölraffinerien in Russland", ergänzt Carsten Fritsch.

Brennende Anlagen in einer russischen Öl-Raffinerie in Ryazan nach einem ukrainischen Drohnenangriff
Brennende Anlagen in einer russischen Öl-Raffinerie in Ryazan nach einem ukrainischen Drohnenangriffnull Video Obtained By Reuters/via REUTERS

Linda Yu von der DZ-Bank sieht ebenfalls die geopolitischen Spannungen als einen der Haupttreiber für die Preisentwicklung beim Rohöl: "Zudem sollten sich die aktuell nach wie vor gedämpfte Nachfrage und die schwächelnde Konjunktur in China und Europa erholen", so die Rohstoffanalystin im Gespräch mit der DW. Die Aussicht auf einen weltweiten konjunkturellen Aufschwung und eine damit verbundene steigende Nachfrage nach Öl treibt also den Preis für das schwarze Gold nach oben.

Kupfer und Gold glänzen

Generell haben Rohstoffpreise, darunter auch Kupfer und Gold, in jüngster Zeit auf breiter Front zugelegt. So stieg der Preis für die Feinunze Gold zuletzt beispielsweise auf über 2300 US-Dollar - ein absoluter Höchststand. Laut Carsten Fritsch von der Commerzbank kann man aktuell gar von einer "Rohstoff-Rallye" sprechen. Die Gründe für den Preisanstieg - von Öl bis zum Gold - würden sich allesamt ähneln: "Zumeist sind es Anzeichen für eine anziehende Nachfrage - gepaart mit Nachrichten eines eingeschränkten Angebots."

Der Preis für das wichtige Industriemetall Kupfer wird im Moment auch durch Spekulationen rund um eine Zinssenkung der US-Notenbank getrieben. Das schwächt wiederum den US-Dollar - und das macht in Dollar gehandelte Rohstoffe wie eben Kupfer für Anleger in anderen Währungsräumen billiger, das erhöht die Nachfrage und somit den Preis. 

Kupferkonzern Aurubis AG in Hamburg
Kupfer ist ein wichtiger Rohstoff für die Industrie - hier beim Kupferkonzern Aurubis in Hamburgnull Bodo Marks/dpa/picture alliance

Beim Gold - in der Regel der sichere Hafen für Anleger in Krisensituationen - hingegen rätseln Anleger wie Marktbeobachter allerdings über die Gründe des Preisanstiegs. Mancher vermutet auch hier einen Zusammenhang mit der erhofften Zinssenkung. Allerdings verweist das World Gold Council auch auf das derzeit große Interesse von verschiedenen Notenbanken. Diese hätten zuletzt ihre Käufe von Gold "auf höchstem Niveau fortgesetzt". Erwähnt werden die Zentralbanken von China, aber auch Polen, Tschechien, Indien, Singapur und Libyen. Also auch hier: Höhere Nachfrage treibt den Preis.

OPEC: Keine Förderbeschränkungen geplant

Im Falle des Erdöls kommt ein besonderer angebotseinschränkender Faktor hinzu: Die OPEC. Die Organisation erdölexportierender Länder hat bereits vor einigen Monaten die Produktion eingeschränkt. Mitte dieser Woche verkündete sie, keine Änderungen an dieser Förderpolitik vorzunehmen. Auch das dürfte dazu beitragen, die globalen Märkte in den nächsten Monaten angespannt zu halten - und den Preis für Rohöl womöglich weiter in die Höhe zu treiben. Zudem hat der Irak nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg im März mehr Öl als vereinbart gefördert und auch die russischen Rohölexporte sind gestiegen. Linda Yu von der DZ-Bank rechnet auf Jahressicht mit einer weiter steigenden Tendenz beim Ölpreis von bis zu 95 US-Dollar je Barrel.

Logo der OPEC am Hauptquartier der Organisation in Wien
Die OPEC will an den derzeit geltenden Fördermengen vorerst nichts ändern. null Lisa Leutner/AP/picture alliance

Für Autofahrerinnen und Autofahrer sind diese Nachrichten rund um das 159-Liter Fass keine guten - zumindest nicht für diejenigen, die einen Verbrenner-PKW nutzen. Die Ölpreisentwicklung hat nämlich direkt spürbare Auswirkungen an der Tankstelle. Da die Preise für Benzin und Diesel eng mit den Rohölpreisen korrelieren, führen steigende Ölpreise zu höheren Kraftstoffpreisen. Verbraucher müssen somit tiefer in die Tasche greifen, wenn sie ihr Verbrenner-Auto auftanken wollen. Darauf verweist auch eine aktuelle Auswertung des Automobilclubs ADAC zur Entwicklung der Kraftstoffpreise im März. Demnach ist der Liter Super E10 drei Wochen in Folge im Preis gestiegen und lag im Monatsmittel bei 1,787 Euro.

Der Dieselpreis veränderte sich dagegen kaum. Dass Diesel von den Preissteigerungen weniger stark betroffen ist, dürfte dem ADAC zufolge am bevorstehenden Ende der Heizperiode liegen - dann sinkt nämlich die Nachfrage nach dem Diesel sehr ähnlichen Heizöl.

Wirtschaftswunder: Zieht Italien an Deutschland vorbei?

Mauro Congedo findet und renoviert mit seinem Bruder und seinem Vater seit 25 Jahren kleine architektonische Schätze im Salento - einer Halbinsel im äußersten Südosten Italiens - sozusagen am Absatz des italienischen Stiefels in der Region Apulien.

Die Wohnungen und Häuser, die Congedo in der recht abgelegenen Region restauriert, finden mittlerweile auch Käufer in Deutschland oder England. "Es läuft wieder gut", erzählt der 50-Jährige Architekt am Telefon.

Der Strand Torre Sant'Andrea in der Region Salento in Italien
Viel Küste bietet die Region Salento: Hier arbeitet der Architekt Mauro Congedonull Yuriy Brykaylo/Pond5 Images/Imago Images

Während der Corona-Pandemie kam das Geschäft fast komplett zum Erliegen. Doch was sich danach in Italien in seiner Branche abspielte, sei "crazy". Und die Zeit bleibt fast ein bisschen stehen, weil er das "a" so in die Länge zieht. Doch der Schein trügt: Congedo ist vom Wirtschaftsaufschwung in Italien nicht nur begeistert.

Vom Sorgenkind zum Wachstumsmotor

Während die Regierungen in Rom in den Jahren vor der Pandemie vor allem gewohnt waren, schlechte Wachstumsprognosen zu verkünden und Spitzenpositionen in Schuldenrankings zu erreichen, wird das Land derzeit zum Wachstumsmotor Europas. Im letzten Quartal wuchs die italienische Wirtschaft um 0,6 Prozent, während die deutsche im selben Zeitraum um 0,3 Prozent schrumpfte.

Und auch abseits der Momentaufnahme lassen sich die Zahlen der drittgrößten Volkswirtschaft Europas sehen. "Seit 2019 ist die italienische Volkswirtschaft um 3,8 Prozent gewachsen", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, im DW-Gespräch. Das sei "doppelt so viel wie die französische Wirtschaft und fünfmal mehr als die deutsche Wirtschaft."

In Deutschland hingegen sind die Aussichten trüb. So sagt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Wachstum von 0,3 Prozent voraus. Führende deutsche Experten gehen sogar nur noch von 0,1 Prozent Wachstum im laufenden Jahr aus. Italien hingegen soll laut OECD in diesem Jahr um 0,7 Prozent wachsen.

Auch die Börse profitiert von der Aufbruchsstimmung. So hat der italienische Leitindex FTSE MIB, indem die 40 größten Unternehmen gelistet sind, im vergangenen Jahr um rund 28 Prozent zugelegt - mehr als alle anderen europäischen Börsenindizes. Italien auf Wachstumskurs - eine Erfolgsstory.

Vertrauen in die Regierung Meloni wieder gestiegen

Dabei hatten Ökonomen zuerst sehr verhalten reagiert, als Giorgia Meloni im Herbst 2022 ins Amt kam. Die ultrarechte Regierungschefin mit ihrer Partei "Brüder Italiens" hatte im Wahlkampf einen nationalistischen Wirtschaftskurs "Made in Italy" angekündigt, gegen Migranten gehetzt und sich nicht eindeutig von Russland abgegrenzt. Die Wochenzeitschrift Stern bezeichnete sie nach ihrer Wahl als "gefährlichste Frau Europas". Aber wirtschaftspolitisch blieb Meloni bisher weitestgehend auf Kurs ihres Vorgängers Mario Draghi. Das zahlt sich für Italien aus - zumindest am Anleihemarkt. So ist der Zins, zu dem sich Italien Geld leiht, wieder auf dem Niveau vor Melonis Amtsantritt.

Bei einer Pressekonferenz Anfang des Jahres versuchte Meloni den Aufschwung für sich zu verbuchen. Vor allem die fehlende politische Stabilität in der Vergangen­heit habe die Wirtschaft gebremst, so Meloni, die derzeit in Italien fest im Sattel sitzt.

Kulturkampf um die italienische Familie

Doch wie viel des Wachstums ist Melonis Erfolg?

"Wenig", sagt Jörg Krämer von der Commerzbank. "Das starke Wachstum lässt sich gut erklären durch die lockere Fiskalpolitik Italiens." Soll heißen: Italiens Wachstum beruht vor allem auf neuen Schulden. Lag die Neuverschuldung des italienischen Staates vor Corona gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch bei 1,5 Prozent, schnellte sie in den letzten Jahren nach oben und betrug in der ersten Hälfte von 2023 bereits 8,3 Prozent.

Auch der Schuldenberg des Staates wächst: So ging die EU-Kommission im Januar davon aus, dass er in diesem Jahr die Marke von 140 Prozent des BIP übersteigen wird und 2025 weiter ansteigt. Zum Vergleich: in Deutschland liegt die sogenannte Schuldenquote bei 66 Prozent, in Frankreich bei knapp 100 Prozent.

Gigantisches Bauprogramm treibt Wirtschaft an

Seit Ende 2020 fördert der italienische Staat diverse Sanierungsmaßnahmen. Manche Maßnahmen mit 50 Prozent, andere mit noch mehr. Doch vor allem der sogenannte Superbonus 110 für energetische Sanierungen ist besonders beliebt: Wer also sein Haus oder seine Wohnung energetisch renoviert, der bekommt die gesamten Ausgaben plus zehn Prozent zurückerstattet - und zwar über eine reduzierte Steuerlast, die auch mehrere Jahre laufen kann. "Man kann sich vorstellen, dass die Bauinvestitionen in die Höhe geschossen sind", sagt Ökonom und Italienkenner Krämer. "Dieser Effekt erklärt zwei Drittel des starken Wachstums, das wir beobachten."

Wir gegen die: Populisten und die Wirtschaft

Der Architekt Mauro Congedo ist vom Superbonus wenig begeistert. Alles sei teurer geworden. Denn nicht nur die Inflation habe die Preise angeheizt, auch der Superbonus habe die Kosten für Materialien und Personal nach oben getrieben. "Wenn der Staat alles zahlt, dann ist den Leuten egal, wie hoch die Rechnung ist", sagt Congedo. Hinzu komme, dass niemand die Preise kontrolliere. Mehrmals hätten ihn Baufirmen aus Neapel, Bari oder der Provinzhauptstadt Lecce gebeten, seine Kosten nach oben anzupassen. "Die wollten, dass ich doppelt so viel veranschlage. Ich habe das nicht gemacht. Das fühlt sich wie Stehlen an", sagt Congedo.

Er findet einen Bonus für die energetische Erneuerung von Gebäuden generell gut. Die Eigentümer müssten sich aber an den Kosten beteiligen und nicht alles vom Staat bekommen. Von seiner Regierungschefin Giorgia Meloni hält Congedo wenig. Das einzig Gute an ihr sei, dass sie den Superbonus beendet habe.

Geldregen aus Brüssel

Tatsächlich hat die ultrarechte Regierungschefin den von der linken Fünf-Sterne-Bewegung eingeführten Superbonus eingedampft. 2023 auf 70 Prozent und in diesem Jahr auf 65 Prozent der Sanierungskosten.

Dennoch werden die Steuergutschriften aus dem Superbonus die nächsten Jahre die Staatseinnahmen deutlich reduzieren. Da kommt es der Regierung in Rom wohl sehr gelegen, dass vor allem aus Brüssel die Milliarden fließen. Wie kein anderer Mitgliedsstaat bekommt Italien Geld aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni unterhalten sich  beim Gehen in Granada beim informellen EU-Gipfel
Bei der italienischen Regierungschefin Meloni läuft es wirtschaftlich derzeit besser als beim deutschen Kanzler Olaf Scholznull Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Bis 2026 werden knapp 200 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und Darlehen an Italien ausbezahlt. "Spätestens bis zu diesem Zeitpunkt muss der italienische Staat sein sehr hohes Haushaltsdefizit runterbringen. Wenn er dann erst beginnt zu sparen, dann wird vermutlich auch dieses italienische Wachstumswunder enden, weil die Jahre nicht genutzt worden sind für strukturelle Reformen", sagt Jörg Krämer im DW-Gespräch.

Auch Mauro Congedo sorgt sich, das der Superbonus ihn noch lange begleiten wird. "Die Preise sind sehr hoch und wir haben viele Schulden gemacht." Die Arbeit wird ihm erstmal nicht ausgehen: Derzeit arbeitet er an acht Projekten gleichzeitig.

Rückenwind für deutsche Rüstungsindustrie?

Bundeskanzler Olaf Scholz liebt lange, verschachtelte Sätze. Das sind Sätze, bei denen man am Ende oft nicht mehr weiß, was er am Anfang gesagt hat. Als im Februar das größte deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall zum symbolischen ersten Spatenstich für den Bau einer neuen Munitionsfabrik geladen hatte, fand der Kanzler allerdings klare Worte.

Rüstungspolitik sei in Deutschland "viel zu lange" so betrieben worden, als gehe es dabei um den Kauf eines Autos, so Scholz. Das müsse man nur bestellen und dann würde es nach drei oder sechs Monaten da sein. "Aber so funktioniert Rüstungsproduktion eben nicht. Panzer, Haubitzen, Hubschrauber und Flugabwehrsysteme stehen nicht irgendwo im Regal." Rüstungsgüter darf nur der Staat in Auftrag geben. Folgerichtig muss der Kanzler nun feststellen: "Wenn über Jahre hinweg nichts bestellt wird, dann wird auch nichts produziert."

Landesverteidigung ist wieder ein Thema

Sätze, die das Dilemma umreißen, in dem die Bundesregierung steckt. Der Bedarf an Waffen und Munition ist gewaltig, nicht nur um die Ukraine militärisch weiter zu unterstützen. "Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Amerikaner immer für alles die Zeche zahlen beziehungsweise das Material zur Verfügung stellen", sagte der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck im März auf einer Tagung. "Das heißt, die Hochskalierung der militärischen Produktion, der Wehr- und Rüstungsindustrie, Szenarien auch Einsatzszenarien zur Landesverteidigung, die müssen jetzt alle wieder reaktiviert werden." Der Kanzler formuliert es schlichter: "Wir müssen mehr tun. Wir müssen die Produktion hochfahren."

Das Foto zeigt Bundeskanzler Olaf Scholz, Armin Papperger, Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall, Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin von Dänemark, und Boris Pistorius, Bundesminister für Verteidigung, bei der Besichtigung einer Produktionshalle des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Die Gruppe steht vor einer Maschinen, an der Munition produziert wird. Ein Arbeiter zeigt dem Kanzler eine Patrone.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l), Armin Papperger (M), Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall, Mette Frederiksen (2.v.r), Ministerpräsidentin von Dänemark, und Boris Pistorius (SPD, r), Bundesminister für Verteidigung, bei der Besichtigung einer Produktionshalle des Rüstungskonzerns Rheinmetallnull Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Nach Jahrzehnten der Abrüstung ist das nicht weniger als eine Kehrtwende um 180 Grad. Nach dem Fall der Mauer 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 schien Frieden für Deutschland der neue Status Quo. Die Bundeswehr wurde verkleinert, Ausgaben für Kriegsgerät zusammengestrichen. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung schrumpfte die wehrtechnische Industrie in Deutschland um bis zu 60 Prozent. Von rund 290.000 Arbeitsplätzen blieben knapp 100.000. 

Kein "Geschäft mit dem Tod" gewünscht

Es entsprach dem deutschen Zeitgeist, dass auch Politiker auf Abstand zur Rüstungsindustrie gingen. Er wolle kein "Geschäft mit dem Tod", sagte 2014 der damalige Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) interessierte sich nicht für das Rüstungsgeschäft. Große Konzerne wie Rheinmetall verlagerten ihr Geschäft zunehmend ins Ausland - auch, um die Exportbeschränkungen aus Deutschland zu umgehen. 

Noch Ende 2021, als SPD, Grüne und FDP die Regierung übernahmen, planten sie, deutsche Rüstungsgeschäfte weiter einzuschränken. Doch dann überfiel Russland im Februar 2022 die gesamte Ukraine. 

"Made in Germany" ist nicht mehr viel

Wie schwierig es ist, die politische Kehrtwende umzusetzen, zeigt sich schon bei der Aufrüstung der Bundeswehr. Zwar wurde ein Großteil des 100 Milliarden Euro schweren "Sondervermögens" in Rekordtempo vertraglich vergeben - das ist Geld, das der Bundestag angesichts des Ukrainekriegs kurzfristig zusätzlich zur Verfügung gestellt hat. Die Lieferung wird sich aber über Jahre hinziehen und das meiste Material wird nicht aus Deutschland kommen. Viele Aufträge sind in die USA vergeben worden. Die mehr als 120 Radpanzer, die der Bund bei Rheinmetall in Auftrag gegeben hat, produziert das Unternehmen in Australien. 

Bundeskanzler Scholz: "Bedrohung durch Russland ist real"

Die Oppositionsparteien CDU und CSU kritisieren, dass die Regierung viel zu wenig unternehme, um die Produktionskapazitäten in Deutschland wieder anzukurbeln. "Während Russland die Umstellung zur Kriegswirtschaft vollzogen hat, unternimmt die Bundesregierung bisher keine ausreichenden Schritte zur dringend notwendigen Stärkung der wehrtechnischen Industrie", heißt es in einem Antrag der Unionsfraktion, der Mitte März im Bundestag debattiert wurde. 

Ängsten und Sorgen Raum geben

Wenn der Kanzler - wie jüngst bei Rheinmetall - betont, "wie wichtig" es sei, "eine flexible, moderne und tüchtige Verteidigungsindustrie zu haben", hält die Opposition dagegen, dass die Regierung bis heute keine aktualisierte Strategie für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie habe. Die Planungen sind nach wie vor auf dem Stand von 2020. Im Sommer 2023 hatte die Regierung angekündigt, die Strategie zu überarbeiten.

Tatsächlich gebe es dabei noch Abstimmungsbedarf innerhalb der Koalition, räumt Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ein. Es sei wichtig, dass "Nachfragen, Sorgen und Ängste in Bezug auf die Rüstungsproduktion" ihren Raum bekämen. 

Rüstung kein Geschäft wie jedes andere

Was Habeck damit meint, wird deutlich, wenn man in den Bundestag hineinhört. In der Debatte über die Rüstungsindustrie sagte beispielsweise die grüne Bundestagsabgeordnete Merle Spellerberg, es sei zwar unbestritten, dass mit Blick auf die Ukraine die militärischen Produktionskapazitäten so schnell wie möglich hochgefahren werden müssten. "Aber - und das ist wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen - diese Kapazitäten müssen wir, sobald es die Sicherheitslage zulässt, auch wieder herunterfahren können." 

Rüstungsproduktion müsse im Einklang mit Werten und Interessen stehen. Und da gebe es noch viele offene Fragen, so die 27-Jährige. "Dürfen mit Waffen Gewinne erwirtschaftet werden, beziehungsweise, was genau soll mit diesen Gewinnen passieren? Wir brauchen eine Politik, die den Frieden und unsere Sicherheit priorisiert und nicht die Profite einzelner Rüstungsunternehmen."

Das Foto zeigt die verschwommenen Gesichter von mehreren Menschen. Sie halten nachgebildete Panzer aus schwarzer und weißer Pappe, die an Stöcken befestigt sind, in die Höhe. Auch die Schilder sind nur verschwommen zu erkennen. In der Mitte des Fotos  ist ein Banner mit einer blauen Friedenstaube zu sehen, das scharf ist.
Gegen Rüstungsexporte: Demonstration in Berlin 2014null Daniel Naupold/picture alliance/dpa

Unternehmen verlangen Sicherheiten

Der Rüstungsindustrie dürften bei solchen Reden sprichwörtlich die Haare zu Berge stehen. Doch die Unternehmen wissen, dass sie angesichts der Bedrohung aus Russland derzeit alle Trümpfe in der Hand halten - und durchaus auch Forderungen stellen können. 

Als sich kurz vor Ostern Vertreter der Rüstungsindustrie mit Regierungsvertretern aus dem Kanzleramt, dem Verteidigungs-, dem Außen-, dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium trafen, sei es darum gegangen, welche Sicherheiten die Industrie brauche, um die Produktion zu erhöhen, sagte Wirtschaftsminister Habeck nach dem mehr als zweistündigen Gespräch.

Es wird teuer

Im Klartext bedeutet das, dass die Rüstungsunternehmen langfristige Verträge mit festen Abnahmeversprechen haben wollen. Doch dafür müssten im Bundeshaushalt die entsprechenden Mittel bereitgestellt werden und genau da liegt das Problem. Das "Sondervermögen" Bundeswehr wird 2027 aufgebraucht sein, danach tut sich eine gewaltige Lücke auf, die Haushaltsexperten mit rund 50 Milliarden Euro pro Jahr beziffern.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), besichtigt eine Produktionshalle mit Panzerfahrzeugen des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Er steht und blickt nach oben. Um ihn herum ist olivfarbenes Metall zu sehen.
Wo soll das Geld für die Aufrüstung herkommen? Diese Frage kann auch Bundeskanzler Olaf Scholz noch nicht beantwortennull Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Wo soll das Geld herkommen? Der SPD-Kanzler wehrt sich dagegen, die Sozialausgaben zu kürzen. Wohl wissend, dass seine Partei einen Kahlschlag an dieser Stelle nicht mittragen würde und vielleicht auch viele Bürger ins Grübeln geraten, wenn für Rüstungsausgaben an anderer Stelle massiv gekürzt werden müsste. Ein Thema, das im Bundestagswahlkampf 2025 durchaus eine Rolle spielen dürfte.

Bürger wehren sich

Die vom Kanzler ausgerufene militärische Zeitenwende ist in den Köpfen vieler Deutscher ohnehin noch nicht so richtig angekommen. Das zeigt sich auch bei der Suche nach zusätzlichen Standorten für die Rüstungsproduktion. "Keine Munitionsfabrik in Troisdorf, wir beugen uns nicht dem Druck aus Berlin!" - mit diesem Slogan wehren sich Bürger und Lokalpolitiker in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt gegen Baupläne von Diehl Defence. Als Begründung wird auf die nötigen Abstandsflächen verwiesen, die aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben sind. Diese Flächen würden für den Bau von Wohnungen gebraucht. 

Troisdorf ist kein Einzelfall. Auch in Sachsen gab es Protest, als im Frühjahr 2023 bekannt wurde, dass Rheinmetall über den Bau einer Pulverfabrik nachdachte. Am Ende sollen die Pläne allerdings daran gescheitert sein, dass der Bund keine Anschubfinanzierung leisten wollte. Das jedenfalls warf ein CDU-Abgeordneter der Regierung im Bundestag vor.

Deutsche Post: Keine Flugzeuge mehr für Briefe

Nach mehr als 62 Jahren hat die Deutsche Post ihre Briefbeförderung per Flugzeug im Inland eingestellt. In der Nacht zu Donnerstag hob die letzte Maschine um kurz nach Mitternacht in Berlin ab und flog nach Stuttgart. Kurz zuvor waren in Hannover, München und Stuttgart andere Flieger gestartet. Insgesamt etwa 1,5 Millionen Briefsendungen mit einem Gewicht von 53 Tonnen waren an Bord der sechs Maschinen. Das entspricht circa drei Prozent der Briefmenge, die in Deutschland zuletzt täglich von der Post transportiert wurde.

Die Post verzichtet künftig auf die Brief-Transportflugzeuge, um Kosten zu senken und eine bessere Klimabilanz zu haben. Auf dem Landweg sinkt der CO2-Ausstoß pro Brief Firmenangaben zufolge um gut 80 Prozent.

"Wir beenden die Ära der Brief-Nachtflüge mit einem lachenden und einem weinenden Auge", sagte der zuständige Post-Manager Marc Hitschfeld. "Auf der einen Seite ist der Brieftransport per Flugzeug innerhalb Deutschlands in Zeiten des Klimawandels nicht mehr zu rechtfertigen, auch weil es bei Briefen nicht mehr diese Eilbedürftigkeit wie noch vor Jahrzehnten gibt." Insofern sei das Ende der deutschen Luftpost eine gute Nachricht für die Umwelt, sagt Hitschfeld. Andererseits sei eben auch ein Stück Postgeschichte zu Ende gegangen.

Ein Mitarbeiter kontrolliert und registriert Briefsäcke in einem Passagierflugzeug ohne Fluggäste
Postsäcke statt Passagiere: Im deutschen Inlandsluftverkehr wird es das jetzt nicht mehr gebennull Soeren Stache/dpa/picture alliance

Folge der Digitalisierung

Das sogenannte Nachtluftpostnetz war am 1. September 1961 offiziell in Betrieb genommen worden, nachdem der damalige Postminister Richard Stücklen einen Vertrag mit der Lufthansa unterzeichnet hatte. Das sollte die Briefbeförderung auf den Langdistanzen wesentlich beschleunigen. Mit den Jahren wurde der Lufttransport ausgebaut.

1996 waren 26 Flugzeuge unterwegs, die 45 Destinationen ansteuerten - damals diente Frankfurt noch als Drehkreuz. In fünf Nächten pro Woche wurden Briefe mit einem Gewicht von durchschnittlich jeweils 430 Tonnen befördert.

Danach sank die Nachfrage nach Briefen angesichts der Digitalisierung und veränderten Kommunikationsgewohnheiten der Menschen deutlich. Folglich wurde auch die Zahl der Flüge schrittweise reduziert. Die Lufthansa stieg 2008 aus dem Geschäft aus, zuletzt waren nur noch vier Flugzeuge von Tui fly und zwei von Eurowings unterwegs.

Donnerstag Nacht in Berlin/Brandenburg: Der letzte Brieftransport per Flugzeug nach Stuttgart hebt ab
Ein paar Tonnen Briefpost auf historischer Reise: Der letzte Brieftransport per Flugzeug in Deutschlandnull Soeren Stache/dpa/picture alliance

Die Novelle wirft ihren Schatten voraus

Es waren normale Passagierflugzeuge, die für den Brieftransport mit gelben Post-Kisten gefüllt wurden. Die Behälter kamen in den Bauch der Maschine, auf die Sitze sowie in den Handgepäck-Stauraum. Es wurden nur Briefsendungen geladen und keine Pakete. Noch ist die Post gesetzlich verpflichtet, 80 Prozent der eingeworfenen Briefe am nächsten Werktag beim Empfänger abzugeben.

Wegen dieses Zeitdrucks setzte sie auch nach der Jahrtausendwende weiterhin auf die Flugzeug-Beförderung, obwohl viele Menschen zur schnellen schriftlichen Kommunikation längst auf E-Mails, Handy-Nachrichten und Chats zurückgriffen statt auf Briefe.

Derzeit wird das veraltete Postgesetz umfassend reformiert. Die Novelle ist zwar noch nicht verabschiedet, es ist aber politischer Konsens, den Zeitdruck auf die Post abzuschwächen. Daher benötigt der Logistikbetrieb die Flüge nicht mehr und zieht schon jetzt einen Schlussstrich.

Geduld ist eine Tugend

Manche Empfänger dürften die Folgen des Nachtflug-Endes bemerken: Wer Briefe erwartet, die in weit entfernten Regionen Deutschlands aufgegeben wurden, könnte etwas mehr Geduld brauchen. Denn die durchschnittliche Beförderungszeit der Briefe wird sich durch das Ende der Transportflüge etwas verlängern - wie sehr, sagt die Post nicht.

Ganz ohne Flugzeuge kommt die Post aber auch künftig nicht aus in ihrem Briefgeschäft: Bei Schreiben ins Ausland setzt das Unternehmen weiterhin teilweise auf Luftpost. Diese geringen Mengen werden als Beiladung im Bauch von regulären Passagiermaschinen befördert.

Kakaopreis auf Rekordniveau - wer profitiert?

Der Kakaopreis geht seit Jahresbeginn durch die Decke und erreicht täglich neue Rekordwerte. Am Dienstag (26.3.2024) wurde sogar die Marke von 10.000 US-Dollar pro Tonne durchbrochen. Vor einem Jahr lag der Preis noch unter 3000 Dollar.

Der weltweite Kakaomarkt hat einige Besonderheiten, die nahelegen, dass die Kräfte des Marktes nicht zum Wohle aller Beteiligten funktionieren.

Die wichtigste: Die Kakaobäuerinnen und -bauern können von ihrer Arbeit nicht leben. Seit Jahrzehnten wird ihre Armut beklagt und über Unterernährung und Kinderarbeit berichtet. Ihre Lage wäre besser, hieß es immer, wenn nur der Kakaopreis höher wäre.

Eine weitere Besonderheit: Nur zwei Länder, Côte d'Ivoire und Ghana in Westafrika, produzieren fast zwei Drittel der weltweiten Kakaoernte. Trotz dieser Ausnahmeposition waren sie nicht in der Lage, höhere Preise durchzusetzen.

Warum steigt der Kakaopreis?

Grund für die aktuelle Preisexplosion sind massive Ernteeinbrüche. "Im Moment wird geschätzt, dass die Ernte in Côte d'Ivoire und Ghana um mindestens ein Drittel eingebrochen ist", sagt Friedel Hütz-Adams, Kakao-Experte beim Südwind-Institut in Bonn, das sich mit Welthandel und Entwicklungspolitik befasst. "Weil diese beiden Länder 60 Prozent der weltweiten Kakaoernte ausmachen, gibt es also ein erhebliches Defizit auf dem Markt."

Grund für die schlechte Ernte war das Klimaphänomen El Nino, dass durch lokale Faktoren aber noch verstärkt wurde, sagt Hütz-Adams. In den Tropen gibt es durch El Nino in unregelmäßigen Abständen je nach Region entweder zu viel und zu wenig Regen oder auch verschobene Regenphasen. All das schädigt die Ernten. In Côte d'Ivoire und Ghana sei das Phänomen durch die starke Abholzung lokaler Wälder noch verstärkt worden, so Hütz-Adams.

Weil viele Kakaobauern so arm sind, dass sie sich kaum Dünger und Pestizide leisten können, standen sie der Situation besonders hilflos gegenüber. "In Ghana hat es im vergangenen Jahr in vielen Region zuerst gar nicht geregnet und dann so lange, dass die Kakaobäume lange im Wasser standen und sich Krankheiten an den Früchten ausbreiten", so der Experte. "Das ist eine katastrophale Mischung."

Die Europäische Union (EU) ist der größte Absatzmarkt für Kakao, hier wird rund die Hälfte der weltweiten Produktion verzehrt, gefolgt von den USA. Hier sitzen auch die großen Konzerne, die aus den Bohnen Schokolade, Schokoriegel oder Kakaopulver machen und sie verkaufen. Und hier findet auch der Großteil der Wertschöpfung statt.

Von jedem Euro, den eine Tafel Schokolade kostet, gehen nur rund sieben Cent an die Kakaobauern, an Hersteller und Händler dagegen rund 80 Cent, so das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). 

Um dieses Milliardengeschäft besser planen zu können, kaufen die Schokoladenhersteller die Kakaobohnen schon lange, bevor sie geerntet sind. An der Börse nennen sich solche Geschäfte, die sich auf zukünftige Lieferungen beziehen, Futures. Auch die derzeitigen Rekordpreise gelten für Futures.

In Côte d'Ivoire und Ghana organisieren die nationalen Kakaobehörden den Verkauf der Ernte. Schon Monate vor Beginn der Erntesaison ab Oktober werden bis zu 80 Prozent der Produktion verkauft.

Bauer profitieren noch nicht

"Das Tragische ist, dass die Bauern in Côte d'Ivoire und Ghana in der laufenden Saison kaum profitieren, weil die Ernten verkauft waren, bevor die Preise hochgingen." Die meisten hätten im vergangenen Jahr zu einem Tonnenpreis von 1800 Dollar verkauft und litten zudem unter heftigen Ernteeinbrüchen.

Elfenbeinküste Kakao Bohnen Trocknung
Ein Bauer in Agboville in Côte d'Ivoire legt Kakaobohnen zum Trocknen ausnull Godong/picture alliance

Derzeit seien Händlern in den kleineren kakaoproduzierenden Ländern bemüht, so viel Kakao wie möglich aufzutreiben. Je nach Verkehrsanbindung und Qualität führe das schon jetzt zu steigenden Preisen.

Die Futures-Preise an den Börse zeigen, dass der Kakaopreis in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren hoch bleiben wird, sagt Hütz-Adams. Das sei auch für die Bauern in den großen Erzeugerländern eine gute Nachricht. "Der Börsenpreis ist selbst für Lieferungen zu Ende 2025 mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Wenn wir es schaffen, dass ein großer Teil dieses Geldes bei Bäuerinnen und Bauern ankommt, dann kann diese Preisexplosion eine Chance sein."

Schokolade wird teurer

Ob dann auch die seit mehr als 25 Jahren beklagten Probleme von Armut, Unterernährung und Kinderarbeit im Kakaosektor gelöst werden können, muss sich aber erst noch erweisen. Denn der derzeitige Preisanstieg lag am fehlenden Angebot, weniger an der steigenden Nachfrage - etwa durch erhöhten Schokoladenkonsum in Asien.

"Ja, China und Indien haben im Schokoladenkonsum zugelegt. Doch beide Länder zusammen importieren nur halb so viel Kakao wie Deutschland", sagt Hütz-Adams. "Ich höre seit 15 Jahren, dass Chinesen bald viel mehr Schokolade essen, aber bisher ist das nicht passiert."

Weitere Preissteigerungen für Schokolade in Europa sind dagegen nur eine Frage der Zeit. "Schon vor Weihnachten 2023 wurden in Deutschland die Schokoladenpreise angehoben mit der Begründung, der Rohstoffpreis sei gestiegen. Dabei wurden damals noch die Bohnen aus der Vorsaison verarbeitet oder solche, die sich Hersteller zu niedrigen Preisen gesichert hatten", so der Kakao-Experte von Südwind.

Baltimore: Gefährdet die eingestürzte Brücke den Welthandel?

In den frühen Morgenstunden des 26. März brachte das mit 5000 Containern beladene Schiff Dali eine Brücke in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland zum Einsturz. Die Dali sollte nach Colombo auslaufen, als das Unglück geschah. Die ersten Befürchtungen bestätigten sich: Bei dem Unfall kam ungefähr ein halbes Dutzend Menschen ums Leben.

Auch eine weitere Annahme bestätigte sich schnell: Der Hafen der US-Ostküstenmetropole ist gesperrt worden. Etwa 40 Schiffe, die zum Auslaufen bereit waren, können ihre Liegeplätze nicht verlassen. Vom Atlantik kommende Schiffe können die Monument City Baltimore bis auf Weiteres nicht anlaufen.

Eine andere Reaktion erfolgte ebenso prompt: Die Maersk-Aktien brachen in Kopenhagen um 2,6 Prozent ein. Ein Analyst des Online-Brokers Nordnet sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Auf lange Sicht ist dieses Ereignis kein wichtiger Impuls für den Aktienkurs - es sei denn, es kommt etwas Unerfreuliches dazu, wie Hinweise auf grobe Fahrlässigkeit als Hintergrund des Unfalls." Laut Online-Dienst Bloomberg reagiert auch Gregory Daco, Chefökonom bei der Unternehmensberatung EY, gelassen: "Ich denke, dass die makroökonomischen Effekte begrenzt bleiben werden."

Das Containerschiff "Dali" unter den Trümmern der Francis-Scott-Key-Brücke. Über das Schiff fliegt ein Rettungshubschrauber.
Als am Dienstag (26.03.2024) die Sonne aufging, zeigte sich dieses Bild der Zerstörungnull Julia Nikhinson/REUTERS

Wer soll das bezahlen?

Auf die wirtschaftlichen Folgen des Einsturzes wies US-Verkehrsminister Pete Buttigieg hin. Man werde sich nun auf Lieferkettenprobleme einstellen müssen, "von denen wir wissen, dass sie kommen werden", sagte er bei einer Pressekonferenz. Diese beträfen nicht nur die Stadt und ihre Umgebung, "sondern die gesamte US-Wirtschaft".

US-Präsident Joe Biden sagte, beim Hafen von Baltimore handele es sich um eine der wichtigsten maritimen Anlaufstellen der USA - insbesondere für den Import und Export von Autos und Kleinlastern. So würden dort 850.000 Fahrzeuge pro Jahr verschifft, davon hingen rund 15.000 Arbeitsplätze ab. Dazu kommt: Die jetzt zerstörte Francis Scott Key Bridge ist eine wichtige Verkehrsader an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Laut Biden überquerten sie vor dem Unfall rund 30.000 Fahrzeuge pro Tag.

Buttigieg bezeichnete die Brücke als "Kathedrale der amerikanischen Infrastruktur". Der Wiederaufbau werde lange dauern: "Es wird nicht schnell gehen, es wird nicht billig sein, aber wir werden gemeinsam wieder aufbauen." Der Präsident hat bereits finanzielle Unterstützung versprochen: "Ich beabsichtige, dass die Bundesregierung die gesamten Kosten für den Wiederaufbau dieser Brücke übernimmt", sagte Biden in Washington. Gerechnet wird mit Kosten zwischen 500 Millionen und 1,2 Milliarden US-Dollar und mindestens zwei Jahren Bauzeit.

Die Brücke vor dem Unglück: Eine "Kathedrale der amerikanischen Infrastruktur", so Minister Buttigieg
Die Brücke vor dem Unglück: Eine "Kathedrale der amerikanischen Infrastruktur", so Minister Buttigiegnull Patrick Semansky/AP/dpa/picture alliance

Corona reloaded?    

Europäische Autobauer, unter ihnen Mercedes, Volkswagen und BMW, unterhalten in der Baltimore-Region eine umfangreiche Infrastruktur zur Verschiffung von Fahrzeugen. Darauf zielt auch der Commerzbank-Handelsexperte Vincent Stamer ab, der am Mittwoch Reuters gegenüber sagte: "Der Handel mit Deutschland dürfte von Umleitungen betroffen sein, denn der Hafen von Baltimore hat sich auf das Löschen von Pkw spezialisiert." 

Ford und General Motors haben bereits reagiert und suchen nach Alternativen zum Hafen in Baltimore. Das bestätigt auch Ryan Peterson, Gründer und Chef von Flexport, einem digitalen Frachtdienstleister aus San Francisco: "Firmen haben bereits begonnen, ihre Kapazitäten von der Ost- an die Westküste zu verlegen." Baltimore geschlossen und mehr Verkehr an der Pazifikküste? Das werde zu "Staus und Verspätungen führen". Ein Déjà vu für Firmen und Verbrauchern, so Peterson bei Bloomberg.com: Alles schon dagewesen in der Corona-Krise. Der plötzliche Anstieg von Verkehr in einem Hafen um zehn bis 20 Prozent reiche aus, um alle möglichen Arten von Verzögerungen hervorzurufen.

Der Hafen von oben, im Hintergrund die Autos, die normalerweise in Baltimore umgeschlagen werden
Der Hafen von oben, im Hintergrund die Autos, die normalerweise in Baltimore umgeschlagen werdennull Alexey Lesik//Pond5 Images/IMAGO

Auch deutsche Häfen bedroht?

Die Frage, ob auch in Deutschland so etwas passieren könnte, stellte die DW Ulf Kaspera von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung in Hamburg, einer Einrichtung des Bundesverkehrsministeriums. Er sieht derzeit keine aktuelle Gefahr, fügte aber hinzu: "Welche Sicherheitsmaßnahmen im Detail ergriffen werden, hängt von den Hafenbetreibern ab." In Hamburg etwa sei es für weite Bereiche des Hafens Pflicht, große Schiffe schleppen und bugsieren zu lassen. Der Einsatz von Schleppern könne "solche Unfälle verhindern".

Auch Josef Hegger vom Institut für Massivbau der RWTH Aachen nahm gegenüber der Deutschen Presseagentur Stellung zur Havarie in den USA. Der Hochschullehrer ist Experte für Brückenbau. Man könne, so Hegger, durch die Kombination verschiedener konstruktiver Maßnahmen ein Höchstmaß an Sicherheit erreichen: "So muss der Pfeiler eine gewisse Resilienz haben, dass er nicht beim leichten Anprall schon einstürzt."

Die Hamburger Köhlbrandbrücke im Abendlicht
Die Hamburger Köhlbrandbrücke im Abendlicht - eine Ikone der deutschen Brückenbaukunstnull Carsten Leuzinger/imageBROKER/picture alliance

Lieber auf Grund als an den Pfeiler

Die Bundesanstalt für Wasserbau hat strikte Regeln aufgestellt, welchen Kräften bei einem Aufprall Brückenpfeiler widerstehen können müssen - abhängig von Schifffahrtsweg und Größe der dort fahrenden Schiffe. Zusätzlich gäbe es auch auf Wasserwegen "Leitplanken", die einen Aufprall verhindern sollen. "Bei den Rheinbrücken sind die großen Pfeiler und Pylone häufig am Rand des Flusses angeordnet, so dass die Flussöffnung komplett frei ist. Gibt es in der Mitte einen Pylon, dann ist er relativ massiv und keilförmig und würde ein Schiff, das dagegen fährt, sozusagen ablenken", so Hegger.

Auch bei den Brücken über den Nord-Ostsee-Kanal oder bei der spektakulären Hamburger Köhlbrandbrücke, die ein Schiff auf dem Weg zum Container-Terminal Altenwerder passieren muss, lägen die Pfeiler meistens am Rande oder außerhalb des Fahrwassers. Schiffe, so Josef Hegger liefen dort eher auf Grund, "bevor sie den Pfeiler mit voller Wucht treffen".

Die Autobahn GmbH des Bundes bestätigt diese Strategie. Die dpa zitierte einen Sprecher der GmbH mit den Worten: "Wir haben für alle Autobahnbrücken über Wasserwege ein sehr, sehr hohes Schutzniveau". Bereits seit Jahrzehnten werde darauf geachtet, dass die Pfeiler nicht in der Fahrrinne stehen und auch manövrierunfähige Schiffe im Ernstfall eher auf Grund laufen würden.

Bahn und GDL finden Tarifkompromiss bei der Arbeitszeit

Bei der Tarifeinigung mit den Lokführer ist die Deutsche Bahn der Gewerkschaft GDL mit einer neuen Arbeitszeitregelung entgegengekommen. Es gebe ein Wahlmodell für das Schichtpersonal, teilten beide Seiten am Dienstag mit. "Die Auseinandersetzung war hart, aber wir konnten uns nun auf einen intelligenten Kompromiss einigen", sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler. "Das kann durchaus richtungsweisend sein für die Bundesrepublik", sagte der Manager vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels zu dem System, das eine Absenkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden ermöglicht. GDL-Chef Claus Weselsky sagte, man habe eine Tarifeinigung erzielt, betonte aber: "Die Auseinandersetzung mit der DB AG ist noch lange nicht beendet."

Die GDL hatte in den vergangenen Monaten immer wieder mit massiven Streiks den Bahnverkehr lahmgelegt. Nach sechs Streiks in der aktuellen Verhandlungsrunde, einer gescheiterten Moderation und Streit vor Gericht gab es zuletzt wieder Gespräche. Beide Seiten sprachen von harten Verhandlungen und äußerten sich am Tag danach in getrennten Pressekonferenzen. "Allein das spricht Bände", sagte Weselsky.

Weselsky sieht "Erfolg fast auf ganzer Linie" 

Die Beschäftigten bekommen 420 Euro Lohnerhöhung in zwei Schritten: 210 Euro mehr pro Monat zum 1. August und nochmal 210 Euro zum 1. April 2025. Eine Inflationsausgleichsprämie über 2850 Euro soll in zwei Stufen ab März ausgezahlt werden. Bis Ende Februar 2026 gilt nun Friedenspflicht mit der GDL. Der Tarifvertrag läuft 26 Monate bis Ende 2025, danach folgt eine zweimonatige Verhandlungsphase, in der ebenfalls keine Streiks möglich sind.

Auf der Anzeige in einem Bahnhof wird über den GDL-Streik informiert.
Das ist erstmal vorbei: Nach der Einigung zwischen GDL und Bahn sind weitere Streiks abgewendetnull Bernd Wüstneck/dpa

Weselsky erklärte, die Gewerkschaft habe sich weitgehend durchgesetzt. Er warf der Bahn vor, Misserfolg in den Verhandlungen als Erfolg zu verkaufen. "Wir haben keinen Misserfolg, sondern Erfolg - fast auf der ganzen Linie." Der GDL-Chef räumte aber ein, dass sich die Gewerkschaft nicht damit durchgesetzt habe, auch Tarifverträge für Infrastruktur-Beschäftigte in der der Bahn - bei Netzbetrieb und -instandhaltung - abzuschließen. "Das ist die fatale Wirkung des Tarifeinheitsgesetzes." Dieses sieht vor, dass die Bahn als Arbeitgeber dies nur mit der jeweils größten Arbeitnehmervertretung tut. Dies ist in den meisten DB-Töchtern die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).

Kompromiss bei der Arbeitszeit: Mehr Arbeit - mehr Geld

Knackpunkt des Konflikts war die von der GDL geforderte Reduzierung der Wochenarbeitszeit für den Schichtdienst auf 35 Stunden bei gleichem Lohn. Hier gelang ein Kompromiss. "Kernelement ist ein innovatives Optionsmodell, mit dem Mitarbeitende im Schichtdienst künftig selbst über ihre Wochenarbeitszeit entscheiden", sagte DB-Vorstand Seiler. Der Korridor gehe bis 2029 von 35 bis 40 Stunden. "Dabei gilt das Leistungsprinzip: Wer mehr arbeitet, verdient entsprechend mehr", erklärte Seiler. Damit würden Bahnberufe attraktiver. "Wir haben von Anfang an betont, dass eine stumpfe Arbeitszeitverkürzung, die allen zwangsweise übergestülpt wird, absolut nicht zeitgemäß ist."

Für Mitarbeitende im Schichtdienst im GDL-Geltungsbereich sinkt die Referenzarbeitszeit 2026 demnach von 38 auf 37 Stunden und bis 2029 in drei weiteren Schritten auf 35 Stunden. Das Gehalt wird anteilig jeweils nicht verringert. Die tatsächliche Arbeitszeit wählen die Beschäftigten selbst: Alles zwischen 35 und 40 Stunden in der Woche ist dann möglich. "Wer sich für mehr Arbeit entscheidet, erhält pro Stunde 2,7 Prozent mehr Lohn", erläuterte die Bahn. So würden etwa Lokführer oder Zugbegleiterinnen in einer 40-Stunden-Woche rund 14 Prozent mehr verdienen als in einer 35-Stunden-Woche.

GDL-Chef Claus Weselsky (2. von links), rechts neben ihm Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn (bei einer Pressekonferenz nach einer Tarifrunde im Jahr 2021)
Die Kontrahenten: GDL-Chef Claus Weselsky (2. von links), rechts neben ihm Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn (bei einer Pressekonferenz nach einer Tarifrunde im Jahr 2021) null Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Lob von Ökonomen: "Der richtige Weg" 

Ökonomen lobten den Kompromiss. "Das wichtigste Ergebnis an dieser Einigung ist, dass die Arbeitszeit flexibel ist: die Beschäftigten können zwischen 35 und 40 Stunden arbeiten", sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der Nachrichtenagentur Reuters. "Das ist für den Umgang mit der Fachkräfteknappheit besser als eine zwangsweise Senkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden für alle", sagte Fuest.

Ähnlich schätzt das der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber ein. "Der richtige Weg: Beschäftigte können weniger arbeiten, ohne dass die berufliche Entwicklung leidet", sagte der Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB). Sie könnten aber auch mehr arbeiten, je nach eigenem Wunsch in der aktuellen Lebensphase. Die individuellen Modelle würden im Betrieb unter einen Hut gebracht. "Selbstbestimmung bei Länge und Planung der Arbeitszeit, und gemeinschaftlich abstimmen - das ist die Zukunft", betonte Weber. Er halte das Ergebnis für einen guten Kompromiss.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing begrüßte die Tarifeinigung. Wer über Ostern reisen wolle, könnte nun endlich unbeschwert planen. "Klar ist aber auch, dass die Art und Weise, wie hier vorgegangen wurde, keine Schule machen darf." Zwar sei die Tarifautonomie ein hohes Gut. "Nach den vergangenen Monaten ist es kein Wunder, dass die Frage laut wurde, ob das Streikrecht womöglich an die Gegebenheiten unserer Zeit angepasst werden muss." Der Vorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Detlef Neuß, bezeichnete die Tarifeinigung in der "Rheinischen Post" als "eine ausgesprochene Erleichterung für die Fahrgäste".

hb/nm (rtr)

Scholz pocht in China auf fairen Wettbewerb

"Das Einzige, was immer klar sein muss, ist, dass der Wettbewerb fair sein muss", sagte Olaf Scholz am Montag in Shanghai bei einer Diskussion mit Studenten der Tongji-Universität. "Also, dass es kein Dumping gibt, dass es keine Überproduktion gibt, dass man keine Urheberrechte beeinträchtigt." Es sei auch sehr wichtig, dass Unternehmen Produktionsstätten errichten dürften und dies nicht durch bürokratische Hürden erschwert werde. Er dränge deshalb in China immer auf Wettbewerbsgleichheit, also ein sogenanntes Level Playing Field.

Keine Angst vor ausländischer Konkurrenz 

"Wir möchten natürlich, dass unsere Unternehmen keine Beschränkungen haben. Aber umgekehrt verhalten wir uns genauso, wie wir es hier vorhaben", sagte Scholz mit Blick auf deutschen Widerstand gegen protektionistische Tendenzen in Europa. Man müsse vor ausländischer Konkurrenz keine Angst haben. Als japanische und koreanische Autos auf den deutschen Markt gekommen seien, habe man gesagt, dass diese den ganzen Markt erobern würden. "Quatsch! Es gibt jetzt japanische Autos in Deutschland und deutsche Autos in Japan", sagte er. "Und das Gleiche gilt für China und Deutschland."

Kanzler Scholz mit drei Studenten auf einer Bühne
Studenten an der Tongji-Universität hatten viele Fragen an den Bundeskanzler, er gab gerne Auskunftnull Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Hintergrund sind Antidumping-Untersuchungen der EU-Kommission gegen China etwa im Bereich von E-Autos. Scholz erwähnte diese nicht, verurteilte Dumping aber. Es sei falsch, etwas mit Verlust zu verkaufen, dies führe am Ende dazu, dass man Güter nicht auf die effizienteste Weise produziere. "Und deshalb muss es so ein bisschen eine Korrektur geben über Märkte, die dazu führt, dass man nur Sachen herstellt, die sich auch vernünftig rechnen", fügte der SPD-Politiker hinzu.

Scholz betonte zudem, dass der Schutz geistigen Eigentums eine "ganz, ganz wichtige Frage" sei. "Das ist ein großes Thema, auch übrigens eine große Sorge deutscher Unternehmen, die hier nicht mehr tätig sind." Zudem pochte er auf Rechtssicherheit.

Der Kanzler wollte im Laufe des Tages in Peking mit der chinesischen Führung auch über weitere Wirtschaftsthemen sprechen. Er wird von einer Wirtschaftsdelegation begleitet, zu der unter anderen auch die Vorstandschefs von BMW und Mercedes gehören.

Kanzler Olaf Scholz und drei weitere Personen stehen vor Forschungsgeräten
Hier informiert sich der Kanzler über ein Forschungsprojekt des Freistaats Sachsen und der Universität Chongqing zum Monitoring der Wasserqualitätnull Michael Kappeler/dpa/picture alliance

"An Regeln der Vereinten Nationen müssen wir uns halten"

Scholz mahnte China zugleich indirekt, seine Nachbarn nicht zu bedrohen. "Die Welt funktioniert, wenn wir ein paar Prinzipien alle gemeinsam haben", sagte er, ohne die Volksrepublik direkt zu nennen. "Eines dieser Prinzipien ist, dass man sich vor seinen Nachbarn nicht fürchten muss. Wenn unser Nachbar ein großer, starker, muskulöser Mensch ist, dann wollen wir immer sagen, guten Tag und sicher sein, dass er uns niemals was tut", sagte er in Anspielung etwa auf die Spannungen und Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer.

Das Gleiche gelte natürlich auch zwischen den Staaten, dass die kleinen Länder sich nicht vor den großen fürchten müssen "und dass man sich überhaupt nicht voreinander fürchten muss", fügte Scholz hinzu. Dafür legten die Vereinten Nationen (UN) wichtige Prinzipien fest. "Grenzen dürfen mit Gewalt nicht verschoben werden. Das ist der zentrale Punkt."

Kritik auch an Russland

Scholz kritisierte, dass sich Russland nicht an dieses Prinzip halte. Der Kanzler will sich bei der chinesischen Führung  dafür einsetzen, dass Peking die Unterstützung für Russland etwa durch die Lieferung von Dual-Use-Gütern, die für zivile und militärische Zwecke genutzt werden können, beendet und auch, dass die chinesische Führung in Moskau auf einen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine drängt.

Der Bundeskanzler ist drei volle Tage in China. Am Dienstag trifft er den chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Peking. Es ist die zweite Reise des Kanzlers nach China seit seiner Vereidigung im Dezember 2021. Der Antrittsbesuch im November 2022 war wegen der noch anhaltenden Corona-Pandemie auf einen Tag begrenzt.

haz/se (rtr, dpa, afp)

China - der mächtige Konkurrent

 

Elektro-Lkw kommen nicht ins Rollen

Der Umstieg auf mit Elektromotoren betriebene Lastkraftwagen ist ins Stottern geraten, bevor er überhaupt ins Rollen gekommen ist. Und damit ist auch das gesteckte Ziel der Bundesregierung, bei den Nutzfahrzeugen bis 2030 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um über 40 Prozent zu reduzieren, in weite Ferne gerückt.

Nach Angaben des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) rollen täglich 800.000 Lkw über 7,5 Tonnen durch die Bundesrepublik. Davon wurden Ende vergangenen Jahres, so der Verband, lediglich 475 Fahrzeuge elektrisch betrieben. Das entspricht einem Anteil an der Tagesflotte von nicht einmal einem Prozent. Der Großteil der Brummi-Flotte tankt weiterhin Diesel. Dabei bieten Hersteller mittlerweile Elektro-Nutzfahrzeuge mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern an. Was fehlt, monieren Hersteller und Spediteure, sei vor allem eine fehlende Lade-Infrastruktur.

Und wenn es noch eines Beweises für den schleppenden Markthochlauf bedurft hätte, dann liefern ihn die an diesem Dienstag (9.4.2024) veröffentlichten Auslieferungszahlen des Marktführers Daimler Truck für das erste Quartal: Da legten batterieelektrische Fahrzeuge zwar um 183 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zu. In Zahlen sind das aber gerade mal 813 der insgesamt ausgelieferten knapp 109.000 Fahrzeuge. 

Hohe Anschaffungskosten und fehlende Infrastruktur

Ein Leitsatz seiner Branche, so Daimler Truck-Vorstandschef Martin Daum zuvor in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), laute: "Ein Lkw wird nicht aus Spaß gefahren. Es geht darum, Güter effizient von einem Ort zum anderen Ort zu transportieren." Und das, so die Schlussfolgerung, müsse sich rechnen. "Daher dürfen Elektro-Lkw in der Gesamtrechnung nicht teurer sein als Diesel-Lkw."

Martin Daum, Vorstandsvorsitzender der Daimler Truck AG, applaudiert während des Börsengangs des Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck, nachdem der erste Preis von 28,00 Euro angezeigt wird
Martin Daum, Vorstandsvorsitzender der Daimler Truck AG, beim Börsengang des Nutzfahrzeughersteller am 10. Dezember 2021null Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Noch kosten Elektro-Lkw mit über 300.000 Euro in der Anschaffung deutlich mehr als ein Diesel-Lkw, den es ab 100.000 Euro gibt. Seit es aus Sparzwängen im Bundeshaushalt keine Förderung bei den Mehrkosten mehr gibt, halten sich Spediteure bei der Umstellung ihres Fuhrparks auf Elektro-Brummis deutlich zurück.  

"Bei dreifach höheren Kosten für einen E-Lkw im Vergleich zu einem Diesel-Lkw und einer durchschnittlichen Marge von 0,1 bis drei Prozent kann sich kein Mittelständler die Umstellung auf klimafreundliche Antriebe leisten", resümiert BGL-Vorstandssprecher Engelhardt. An der Preisfront könnte sich aber absehbar etwas tun, denn auch hier - wie schon im Pkw-Bereich - holen chinesische Hersteller wie BYD auf.

Chinas Autohersteller BYD bereit zur Eroberung Europas

Für Karin Radström, Vorstandsmitglied der Daimler-Truck Holding AG, steht zudem außer Frage, dass es für die Antriebswende "eine flächendeckende Lade- und Tank-Infrastruktur für batterie- und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge braucht." Oder wie es BGL-Vorstandssprecher Engelhardt formuliert: "Was nutzt es dem Transportunternehmer, wenn er E-Lkw kaufen, aber nicht laden kann."

In einer gemeinsamen Erklärung fordern BGL, der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) sowie die Hersteller Daimler Truck und MAN die Einrichtung von mindestens 10.000 öffentlich zugängliche Ladepunkten für E-Lkw, einschließlich 4000 sogenannter Mega-Charger. Dabei handelt es sich um Ladestationen, an denen Lkw-Batterien binnen 45 Minuten aufgeladen werden können. Denn gerade in der Speditionsbranche lautet das Motto "Zeit ist Geld". Derzeit werden Elektro-Lastwagen vor allem auf den Betriebshöfen der Speditionen über Nacht geladen. Dieses sogenannte Depot-Laden dauert bis zu acht Stunden.

Karin Radström Daimler Truck AG
Karin Radström, aus Schweden stammende Managerin, ist Chefin der Marke Mercedes Benz Trucksnull Uli Deck/dpa/picture alliance

Kommunale Stromnetze sind überfordert

Das Depot-Laden ist übrigens derzeit in den lokalen Stromnetzen allerdings auch nicht ohne weiteres möglich. Erst recht nicht der Betrieb von Schnellladesäulen (Mega-Charger), wie der Bochumer Spediteur Christian Graf erfahren musste.  Rund 100 Schwerlastwagen, also 40-Tonner, umfasst der Fuhrpark von Graf. Gut ein Viertel der Brummis, die durch ganz Europa rollen, fährt aus Klimaschutzgründen mit LNG-Gas. Außerdem neuerdings auch mit Bio-Erdgas, das aus Gülle hergestellt wird. Das heißt, die Lkw stoßen kein CO2 mehr aus.

Elektro-Truck von Tesla
Auch der Elektro-Pionier Tesla hat einen elektrischen Truck in der Pipelinenull Tesla

"Dadurch", so Christian Graf, "kann ich jetzt sicherstellen, dass die Fahrzeuge klimaneutral fahren." Unter dem Strich werden so jedes Jahr rund 4000 Tonnen CO2 eingespart. Damit schont Graf zwar die Umwelt, wird bei der Maut aber wieder zur Kasse gebeten, da nur noch elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Lkw davon befreit sind. Doch selbst wenn der Preis für E-Lkw deutlich sinken würde, bei der Spedition Graf könnte man sie nicht aufladen.

Denn das gibt das Stromnetz der Stadtwerke Bochum nicht her. Über die Installation von fünf Schnelladesäulen hatte Christian Graf nachgedacht, für die jeweils eine Kapazität von einem Megawatt erforderlich gewesen wäre. Insgesamt fünf Megawatt konnten die Stadtwerke aber nicht zusagen, da dies das Stromnetz überfordern würde. Zum Vergleich: einen ganzen Stadtteil versorgen die Stadtwerke mit sieben Megawatt. Und selbst wenn die Versorgung mit fünf Megawatt möglich gewesen wäre, hätte der Speditionschef noch etwa drei Millionen Euro investieren müssen. Und zwar in ein großes Grundstück, auf dem eigens für die Schnellladesäulen ein Umspannwerk hätte errichtet werden müssen. 

Ladestecker an einer Elektro-Ladesäule, im Hintergrund sind elektrisch angetriebene Mercedes-Benz eActros zu sehen.
Großer Stecker, große Ladung: Aber gibt das Stromnetz das her? null Marijan Murat/dpa/picture alliance

Nur grüner Strom macht Sinn

Angesichts derartiger Rahmenbedingungen verwundert es nicht, dass es bei der Verkehrswende alles andere als rund läuft. Ganz abgesehen vom dafür erforderlichen Strom. Mit Blick auf den Klimaschutz gibt Martin Daum von Daimler Truck zu bedenken: "Nur wenn ein Lkw mit regenerativer Energie betrieben wird, hilft die Elektrifizierung weiter." Und BGL-Chef Engelhardt ergänzt, "E-Lkw sind auch nur dann fürs Klima gut, wenn sie mit grüner Energie geladen werden".

Es kommt also auf den Strommix an. Allein für den Straßenverkehr, rechnet Dirk Engelhardt vor, seien dafür theoretisch 18.800 Windkraftanlagen notwendig. "Bei einem derzeitigen Bestand von rund 28.000 Windkraftanlagen eine Riesenherausforderung." Dem Klima, resümiert der BGL-Vorstandssprecher, sei partout nicht geholfen, wenn die E-Lkw ihren Strom aus Braunkohle oder importierten Atomstrom bezögen. Ganz abgesehen von dem enormen Mehrgewicht der Batterien, das bewegt werden muss und zusätzlich Energie kostet.

Nachhaltige Mobilität: Grüne Hoffnung in Afrika

An den zwölf Zapfsäulen am Rasthof herrscht reger Betrieb: Ständig kommen neue Autos vom Highway N3, der die südafrikanische Hafenstadt Durban mit der Metropolregion Johannesburg verbindet. Etwas abseits hinter den Zapfsäulen, unter einem grünen Sonnensegel, ist hingegen nichts los: Hier steht ein Ladeterminal für Elektroautos bereit.

Benzindurst, aber Elektro-Flaute - das ist ein Bild, das sich auch anderswo in Afrika fortsetzt. Dabei ist im teils wohlhabenden Südafrika die Abdeckung mit E-Ladesäulen noch vergleichsweise dicht, auch wenn dort Stromabschaltungen an der Tagesordnung sind. Von Dakar bis Daressalam, von Kairo bis Kapstadt ist Mobilität weiter vom Verbrennungsmotor abhängig - häufig unter der Motorhaube von alternden Gebrauchtwagen. Doch die Mobilität in Afrika verändert sich, wenn auch nicht unbedingt in Richtung klassischer Pkw mit Elektroantrieb.

Eine Ladesäule auf einem gepflasterten Parkplatz
Einsame Ladesäule am Rasthof - die Elektromobilität entwickelt sich in Afrika anders als im globalen Nordennull David Ehl/DW

Trend zu Motorrädern und Tuk-Tuks - und zwar gerne elektrisch

Genaue Zahlen, wie viele Autos in Afrika unterwegs sind, gibt es nicht - Schätzungen liegen zwischen 26 und 38 Millionen Pkw. Tendenz steigend: "Es gibt eine riesige Nachfrage nach Autos", sagt Godwin Ayetor, Dozent an der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) im ghanaischen Kumasi. "Aber im Vergleich zwischen Autos und Motorrädern verschiebt sich die Nachfrage von Vierrädern zu Zweirädern, die sich eine kleine Familie eher leisten kann. Und sie kommen besser durch Stau und Buckelpisten. Auch Wartungsaufwand und Treibstoffkosten sind niedriger", sagt Ayetor im Gespräch mit der DW. Eine ähnliche Entwicklung lasse sich auch bei Dreirädern beobachten - wegen ihres Motorengeräuschs auch besser bekannt als Tuk-Tuks.

Elektrisch mobil in Nairobi

Insbesondere bei den Motorrädern verstärkt sich derzeit ein Trend hin zu Elektroantrieb. Eines von ihnen fährt Thomas Omao, der als einer von zehntausenden gewerblichen Motorradfahrern in Nairobi unterwegs ist.

Thomas Omao sitzt auf seinem modernen Motorrad, im Hintergrund sind viele ältere Modelle abgestellt
Thomas Omao fährt in Nairobi ein elektrisches Motorrad von ARC Ride - und konnte dank besserer Verdienstmargen bereits ein zweites kaufennull David Ehl/DW

Mit seinem elektrischen Boda-Boda fährt er Essen für verschiedene Lieferdienste aus - und klingt hoch zufrieden: "Ein großer Vorteil ist, dass Elektro-Motorräder sehr angenehm zu fahren sind", sagt er der DW. Dazu sei es sehr kostengünstig: "Ein Freund von mir fährt ein Boda-Boda mit Benzin. Er gibt jeden Tag 1000 Shilling (derzeit umgerechnet 6,90 Euro) beim Tanken aus. Mich kostet der Strom 400 Shilling. Ich spare also gegenüber dem Kollegen 600 Shilling pro Tag." Von seinen Ersparnissen hat Omao im Januar ein zweites Motorrad gekauft und beschäftigt nun einen Angestellten.

Omao nutzt die Technologie des Start-ups ARC Ride. Das Motorrad hat er gekauft, für die Akkus nutzt er eine Leih-Flatrate. Für den Batteriewechsel, der kaum eine Minute dauert, sind knapp 80 Ladeschränke in der kenianischen Hauptstadt verteilt. "Am meisten machen sich die Leute Sorgen um die Reichweite", sagt Felix Saro-Wiwa, der bei ARC Ride für die strategische Entwicklung zuständig ist. "Deshalb haben wir so viele Ladeschränke aufgestellt. In der ganzen Stadt ist man niemals weiter als drei bis vier Kilometer vom nächsten Schrank weg." Ziel seien maximal zwei Kilometer - also eine ähnliche Dichte wie bei Tankstellen.

Felix Saro-Wiwa steht vor einem weißen Schrank mit nummerierten Türen; er hält einen Motorradhelm in der Hand
Felix Saro-Wiwa vor einem der Ladeschränke seines Arbeitgebers - statt Reichweitenangst geht der Batteriewechsel mit wenigen Handgriffen über die Bühnenull David Ehl/DW

In diesem Jahr will das junge Unternehmen in zwei weitere Städte der Region expandieren. Und es ist dabei nur eins von vielen Anbietern in ganz Afrika, die Wechselbatterien für Motorräder zum Leihen anbieten. Für Godwin Ayetor ist dieses Konzept zukunftsweisend: "Die Start-ups verkaufen elektrische Zweiräder ohne den Akku - und das reduziert den Kaufpreis für die Besitzer. Die mieten die Batterie dauerhaft. Bisher funktioniert das sehr gut."

Gebrauchtwagen drängen auf den Markt

Dennoch nehmen Elektro-Bodas in der riesigen Motorrad-Flotte afrikanischer Länder vorerst weiter eine Nische ein - für die Mobilität vieler Afrikanerinnen und Afrikaner sind Autos unverzichtbar.

In den Werken des Kontinents laufen Jahr für Jahr Hunderttausende neue Autos vom Band. Die sind allerdings zu großen Teilen für den Export bestimmt - so verschifft Großproduzent Südafrika zwei Drittel seiner Produktion nach Übersee.

Insgesamt spielen Neuwagen jedoch eine untergeordnete Rolle. Im Schnitt sind laut Schätzungen der UN-Umweltorganisation UNEP sechs von zehn in Afrika neu zugelassenen Fahrzeugen importierte Gebrauchtwagen. Mit starken Schwankungen: In Kenia liegt die Quote sogar bei 97 Prozent, Südafrika beispielsweise verbietet den Import von gebrauchten Autos.

Dabei haben viele afrikanische Regierungen Höchstalter festgesetzt, die Autos beim Import nicht überschreiten dürfen. In Kenia liegt die Grenze bei acht Jahren, so dass die meisten Wagen zum Zeitpunkt des Imports sieben Jahre alt sind. Das benachbarte Uganda hingegen zieht die Grenze erst bei 15 Jahren, Ruanda sogar gar keine. Das führt dazu, dass die Autos dort im Schnitt wesentlich älter sind - und laut einer UNEP-Studie im Schnitt ein Viertel mehr Benzin als in Kenia verbrauchen und folglich mehr CO2 ausstoßen.

Importverbote sind keine Lösung

In Ghana verschärfte die Regierung 2020 die Einfuhrbedingungen: Sie führte ein generelles Alterslimit von zehn Jahren ein; auch Unfallwagen dürfen nicht mehr importiert werden. Gleichzeitig befreite sie Neuwagen oder Autoteile für die heimische Produktion von Einfuhrzöllen. "Die Regierung glaubte, das würde den Preis von Neuwagen reduzieren, so dass Ghanaer sich neue statt gebrauchte Autos leisten könnten", sagt Ayetor.

Festival Boateng erforscht an der britischen Oxford University Gesetzgebung rund um Mobilität. Aus seiner Fallstudieüber Ghana schlussfolgert er: "Wenn man Importe von Gebrauchtwagen verbietet, haben die Menschen nicht plötzlich mehr Geld, um Neuwagen zu kaufen. Aber sie müssen mobil sein. Dadurch verschieben sich Angebot und Nachfrage auf den Schwarzmarkt", sagt Boateng im Gespräch mit der DW.

Nicht nur regionale Zwischenhändler waren perplex, als die äthiopische Regierung Ende Januar einen sofortigen Import-Stopp für Autos mit Verbrennungsmotor verkündete. Und das, obwohl Elektroautos derzeit noch verhältnismäßig teuer sind und ohnehin nur die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität hat. Mitte März ruderte die Regierung zurück, so dass wieder Verbrenner eingeführt werden können.

Elektrischer Druck aus dem Globalen Norden

Als eines der ersten afrikanischen Länder stellte Kenia 2020 einen Ausbauplan vor: Bis 2025 sollen mindestens fünf Prozent der importierten Fahrzeuge elektrisch angetrieben werden.

Kenias Präsident William Ruto ist gerade aus einem gelben Elektroauto gestiegen und wird von einem Mann im Anzug begrüßt
Kenias Präsident William Ruto (l.) gibt sich als Transformations-Vorreiter - als Gastgeber des Afrika-Klimagipfels im September fuhr er medienwirksam im Elektroauto aus kenianischer Produktion vornull Simon Maina/AFP

Über kurz oder lang dürfte sich das Gebraucht-Angebot auch in Afrika stärker auf E-Autos umstellen. Denn die Gebrauchtwagen für den afrikanischen Markt kommen hauptsächlich aus dem globalen Norden - und dort soll sich die Mobilität zugunsten des Klimas verändern: Die EU hat neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 verboten; dasselbe Datum gilt in Großbritannien und dem bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat Kalifornien. Gerade erst haben die USA strengere Schadstoffgrenzwerte verhängt, die ebenfalls die E-Mobilität ankurbeln dürften.

Rollt also die Verkehrswende durch die Hintertür auf Afrika zu? "Wir gehen nicht davon aus, dass Europa oder die USA alle Elektrifizierungs-Ziele direkt erreichen werden", sagt Godwin Ayetor, der auch dem Technischen Komitee für Fahrzeug-Standards in Ghana vorsitzt. "Aber ich glaube, wir müssen uns dafür wappnen. Und das Thema Gebrauchtwagen wird auch in Zukunft bleiben."

Zwischen Spritschluckern, Elektro-Motorrädern und radikaleren Ideen

Doch noch sind weite Teile Afrikas nicht auf E-Autos eingestellt: Mechanikern fehlt das nötige Spezialwissen, für Ersatzteile wie Batterien existieren schlicht keine Lieferketten, nicht einmal Afrika-weit einheitliche Standards für Ladestecker gibt es. Vielerorts mangelt es auch an Investitionen in Ladeinfrastruktur - als der Ölkonzern Shell im März große Pläne für ein mehr oder weniger weltweites Ladenetz präsentierte, tauchte Afrika darin nicht auf. Und so setzt der Kontinent vorerst weiter auf gebrauchte Verbrenner - oder eben die neuartigen Elektro-Motorräder und Tuk-Tuks mit Wechselbatterien.

E-Motorrad-Taxis schonen den Geldbeutel

Aus Sicht von Festival Boateng eröffnet der aufkeimende Wandel aber noch Möglichkeiten, andere Probleme mit zu lösen: "Wir haben sehr viele Verkehrsunfälle, Staus und andere Probleme. Der Umstieg auf elektrische Fahrzeuge ändert daran nichts. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das Investitionen in öffentlichen Personenverkehr berücksichtigt. Solche Investitionen könnten dabei helfen, die Notwendigkeit für Autos zu verringern."

So baut die senegalesische Hauptstadt Dakar gerade ein elektrisch betriebenes Busliniennetz auf. Die erste Phase läuft bereits, bis nächstes Jahr soll das Projekt auf rund 120 Busse anwachsen, die nachts geladen werden. Sie fahren dann teilweise auf eigenen Spuren - vorbei am Stau der Autos.

Decoding China: Wenn Quereinsteiger E-Autos bauen

Der Elektronikhersteller Xiaomi will am 28. März in China sein erstes E-Auto ausliefern. Der Quereinsteiger mit einem Jahresumsatz von knapp elf Milliarden Euro (Stand 2022) hat innerhalb von drei Jahren die Idee eines elektrischen Sportwagens in die Tat umgesetzt. Nun müssen sich die deutschen Autopremiumhersteller mit einem weiteren Konkurrenten aus Fernost auseinandersetzen.

SU7 heißt das neue Gefährt. SU steht dabei für Speed Ultra. Nur 2,78 Sekunden braucht das Auto, um von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 265 km/h. Die maximale Reichweite bei voller Batterieladung wird vom Hersteller mit 800 Kilometer angegeben. Der Grundpreis des SU7 beträgt umgerechnet 33.000 Euro. Der SU7 ist damit eben so teuer wie ein Tesla 3 - ein Drittel des Preises, der für einen grünen Porsche Taycan in China zu zahlen ist.

Konzernchef Lei Jun, laut Forbes mit zwölf Milliarden US-Dollar Privatvermögen auf Platz 159 unter den Reichsten der Welt, hat die Konkurrenten aus Palo Alto und Stuttgart im Visier. "Wir wollen keinen Kompromiss und keine Mittelmäßigkeit", sagt Lei. "Wir wollen ein Traumauto bauen, das Tesla und Porsche die Stirn bietet."

Peking, China 2023 | Xiaomi-Gründer Lei Jun präsentiert erstes Elektrofahrzeug SU7
Xiaomi-Gründer Lei Jun präsentiert das neue Elektrofahrzeug SU7null Florence Lo/REUTERS

Handyhersteller als Autobauer

Längst ist China der größte E-Auto-Hersteller der Welt. Die E-Mobilität wäre ohne Innovationen der dortigen Firmen unvorstellbar. Unter den Anbietern im Reich der Mitte befinden sich viele Quereinsteiger, deren ursprüngliche Geschäftsbereiche mit der Autoindustrie an sich nichts zu tun haben.

Xiaomi stellt überwiegend so genannte intelligente Haushaltsgeräte mit Webfunktionen her wie Türsensoren oder Reiskocher, die über Handy mitteilten, wann der Duftreis fertig ist. In Europa ist Xiaomi vor allem für seine Smartphones bekannt, so wie der andere Telekommunikationsausstatter Huawei, der schon seit 2021 seine E-SUVs unter dem Namen AITO in China auf den Markt bringt.

Dass Quereinsteiger mit diesem Geschäftsfeld liebäugeln, ist nicht auf China beschränkt. Bereits vor 14 Jahren hatte auch der kalifornische Konzern Apple die Idee, Autos zu produzieren. Ende Februar 2024 teilte der iPhone-Hersteller aus Cupertino aber mit, dass das Projekt "Apple Car" endgültig eingestellt worden sei. Der Konzern soll insgesamt zehn Milliarden US-Dollar investiert haben.

USA | Apple-Car-Projekt wird beendet
Apple baute einen Lexus um und testete damit das automatisierte Fahren. Das "Apple Car"-Projekt wurde Ende Februar 2024 eingestellt.null Andrej Sokolow/dpa/picture alliance

Komplett neues Konzept

China ist der größte und am schnellsten wachsende Automarkt der Welt. Die etablierten deutschen Autobauer verkauften 2023 weltweit ungefähr jedes dritte Auto in China. Aber ihre Marktposition wird durch inländische E-Auto-Hersteller jetzt herausgefordert.

Die Gründe liegen auf der Hand: "China führt die globale Lieferkette für Lithium-Ionen-Batterien an", sagt Bernd Diepenseifen, Partner der Beratungsgesellschaft KPMG. Gemessen an Batterieproduktion, Industrieinnovation und Absatz sei China auf der Skala der Wettbewerbsfähigkeit klar die Nummer eins. "Hier haben die asiatischen Anbieter zumindest aktuell eine dominante Position", so der Experte. Schlechte Karten also für Deutschland:  "Die Rohstoffproduktion ist sicherlich kein Feld, auf dem deutsche Zulieferer sinnvoll Chancen suchen, und auch nicht in der Batterieproduktion".

Welche hohen Ansprüche die Fahrzeughersteller aus China erfüllen möchten, wurde auf dem 91. Genfer Autosalon deutlich. Kein einziger Autobauer aus Deutschland war dort präsent, dafür aber jede Menge aus China. Sie zeigten mit ihren Showautos, was sie unter Konnektivität verstehen: integrierte Audio- und Video-Streamingdienste im Entertainmenttool, sowie eine Navigation, die per Countdown anzeigt, wann die nächste Ampel auf grün schaltet. Obendrauf werden für das Interior Massagesessel angeboten - serienmäßig.

Würden Deutsche chinesische E-Autos kaufen?

Spitzenposition in der Technologie

Die Branche in China sieht ein Auto nicht mehr nur als ein Fortbewegungsmittel, das die Fahrgäste über eine größere Entfernung zum Ziel transportiert. Ein Auto ist heute eben nicht mehr bloß ein Ottomotor plus Getriebe, die E-Mobilität nicht nur Karosserie mit Steckdose. China denkt weiter: Es geht um automatisiertes Fahren und Künstliche Intelligenz, um ein umweltfreundliches Verkehrskonzept und die technologische Führung in der industriellen Produktion. Deswegen bringen sich die Elektronik- und Telekommunikationsriesen auf dem umkämpften Markt in Position.

"Derzeit sind fahrende Autos 'mobile Rechenzentren'", sagt Xiaomi-Chef Lei. "Die Automobilindustrie der Zukunft wird fortgeschrittenen und vernetzten 'Smart Space' produzieren." Der andere Hersteller NIO bringt sein Konzept auf den Punkt: Ein NIO als Erweiterung des Wohnzimmers auf vier Rädern. Wan Gang, Ex-Forschungsminister Chinas, schwärmte schon auf der Automesse IAA 2023 in München davon, dass die E-Autos beim Be- und Entladen als Energiespeicher im Stromnetz genutzt werden könnten.

Automesse IAA · Eröffnung
Chinessischer Autobauer BYD auf der IAA 2023 in Münchennull Matthias Balk/dpa/picture alliance

Daten, Daten und Daten - 'Smart' ist die Zukunft

"Für die Produktion und das Fahrzeug der Zukunft ist 'Smart' der nächste große Schritt", sagt Jürgen Unser, der bis zum Januar 2024 China-Präsident von Audi war. "Smart Car, smart Produktion sowie smart Infrastruktur." Die Produktion werde demnächst von Daten und über Künstliche Intelligenz gesteuert. "Es ist sehr wichtig für unsere Gesellschaft, auch in Deutschland, dass wir beim Umgang mit den Daten und bei deren Verwendung deutlich offener werden müssen."

Die chinesischen Autofahrer sind im Vergleich zu anderen Ländern unempfindlich gegenüber dem Sammeln von privaten Daten. Mit den Daten ist dann die innovative Digitalindustrie in der Lage, Algorithmen für die Anwendung der Künstlichen Intelligenz zu entwickeln. Diese Technologien werden als Schlüssel zur Industrie von morgen angesehen.

"Demokratisiert" China die E-Mobilität?

"Die Künstliche Intelligenz wird zu unserem Fortschritt und Wohlstand beitragen", so Unser weiter. "Wir müssen schnell, offen und flexibel sein." Allerdings müssten die gesammelten Daten auch geregelt ausgetauscht werden.

So hatten die Bundesregierung und China im Jahr 2018 eine gemeinsame Absichtserklärung für automatisiertes und vernetztes Fahren unterzeichnet, die der DW vorliegt. Beide Länder wollen "diskriminierungsfreie multilaterale Normen und Anforderungen für Datenzugang und -speicherung, Datenübermittlung und IT-Sicherheit (Cybersecurity) im Bereich automatisiertes und vernetztes Fahren sowie der zugehörigen Infrastruktur" schaffen und entwickeln.

China I Cyberspace Administration
Chinas CAC will jeden Export "wichtiger Daten" prüfennull Thomas Peter/File Photo/REUTERS

Hohe Hürden beim Datentransfer

Die Realität sieht aber anders aus. Laut EU-Kommission beschweren sich viele EU-Unternehmen über Schwierigkeiten bei der Nutzung von Industriedaten ihrer Tochtergesellschaften in China. Ausländische Investoren müssen ihre Rechenzentren in China betreiben. Sie sind meistens eine Insellösung, abgekoppelt von der Datenbank oder dem Cloud-Service des Mutterhauses.

Chinas Daten- und Cybersicherheitsvorschriften seien für die europäische Industrie "ein Problem", ist aus Brüssel zu hören. Der Transfer von Daten aus China heraus bedarf nämlich einer staatlichen Genehmigung durch die Cyberaufsichtsbehörde CAC. Diese will jeden Export von "wichtigen Daten" prüfen.

Auch der Bundesregierung sind die hohen Hürden bekannt. Bundesdigitalminister Volker Wissing hatte bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen 2023 die Notwendigkeit eines freien Datentransfers unterstrichen. Derzeit verhandeln die EU und China über einheitliche Industrienormen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Interesse der grenzlosen Datenregulierung. Noch suchen sie eine gemeinsame Basis.

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.

 

Biden drückt bei E-Autos auf die Bremse

Offiziell gilt er noch, der ehrgeizige Fahrplan von US-Präsident Joe Biden zur Elektromobilität: Bis zum Jahr 2032 soll der Elektro-Anteil bei allen verkauften Autos und leichten Trucks auf 67 Prozent hochgeschraubt werden - von aktuell bescheidenen sieben bis acht Prozent. Denn nur so können die US-Hersteller die Abgas-Grenzwerte für ihre Flotten in den nächsten acht Jahren einhalten. Aber dazu wird es nicht kommen, berichtet die New York Times. Denn, um sich die Stimmen der Beschäftigten in der Automobilindustrie im wichtigen Bundesstaat Michigan bei den Präsidentschaftswahlen im November zu sichern, tritt Joe Biden mächtig aufs Bremspedal.

Nach einem halben Jahr zäher Verhandlungen mit der einflussreichen US-Autobauergewerkschaft UAW (United Auto Workers) haben sich die Entscheider im Weißen Haus rund um Bidens klimapolitischen Berater Ali Zaidi dazu durchgerungen, der Industrie mehr Zeit beim Abschied vom Verbrenner zu geben, so der Bericht der US-Zeitung.

Und prompt gab im Januar der mächtige UAW-Chef Shawn Fain die Unterstützung seiner Gewerkschaft für Biden bei den Präsidentschaftswahlen bekannt.

Im Gegenzug winken deutliche Erleichterungen bei der Wende zur Elektromobilität: Die US-Autobauer sollen mehr Zeit für die E-Mobilitätswende und weniger strenge Vorgaben bei den Abgas-Grenzwerten für ihre Flotten bekommen. Klar, dass das bei den Mitarbeitern von Ford, GM, Stellantis und Co. für großes Aufatmen sorgt.

Genau wie in anderen Ländern geht bei den Arbeiterinnen und Arbeitern der US-Autoindustrie die Angst vor einem Job-Kahlschlag um. Denn für den Bau eines E-Autos werden nicht nur weniger Teile und Komponenten, sondern auch weniger Frauen und Männer an den Fließbändern gebraucht.

USA Washington 2024 | Biden und UAW-Präsident Fain bei CAP-Konferenz
Rückenwind für Biden: UAW-Gewerkschaftsboss Shawn Fain stellt sich nach langen Verhandlungen am 24. Januar offiziell auf die Seite des Amtsinhabers null Leah Millis/REUTERS

Trump droht mit "Roll-back"

Das Thema ist zentral im US-Wahlkampf. Die großen Hersteller haben vor der Vernichtung von Arbeitsplätzen bei einer zu schnellen gesetzlichen Verpflichtung zu E-Autos gewarnt. Für Biden, der im November eine zweite Amtszeit anstrebt, ist das ein Dilemma. Denn der Bundesstaat Michigan ist als so genannter Swing State wichtig beim Kampf um das Weiße Haus. Zehntausende Mitglieder der Autogewerkschaft UAW können hier mitentscheiden, ob Biden wiedergewählt wird oder sein absehbarer Herausforderer Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt.

Trump macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung von E-Autos. Sie würden schlichtweg "nicht funktionieren", die US-Verbraucher wollten sie nicht kaufen und am Ende würde der Markt ohnehin mit E-Autos aus China überschwemmt werden. UAW-Gewerkschaftsboss Fain, der Bidens Wiederwahl unterstützt, geißelte Trump als "Trottel". Auf seiner Social Media-Plattform Truth Social nannte Trump Bidens Klimapolitik einen "Irrsinn", den er "an seinem ersten Tag" im Weißen Haus "auslöschen" würde.

Es geht um Wählerstimmen, es geht um zehntausende Jobs - und es geht um riesige Summen, die von der Autobranche aufgebracht werden müssen. Nach Berechnungen der Forscher des Center for Automotive Research haben die amerikanischen Autohersteller allein in den vergangenen drei Jahren 146 Milliarden US-Dollar (135 Milliarden Euro) in die Forschung und Entwicklung von Elektroautos investiert. Das sind Summen, die sogar für die profitablen US-Autokonzerne auf Dauer nur schwer zu stemmen sind. Wiederholt hatten die großen US-Hersteller General Motors, Ford und Stellantis (zu dem u.a. die Marken Chrysler, Dodge und Jeep gehören) davor gewarnt, sie könnten ihre Flotten nicht schnell genug rentabel umstellen.

Ford F-150 Lightning – der elektrische Pick-up

Warnung vor Überforderung

Auch der Branchenverband AAI (Alliance for Automotive Innovation) hatte die Biden-Regierung aufgefordert, beim Tempo für die Vorgaben beim Verkauf von Elektroautos den Fuß vom Gas zu nehmen. Noch seien E-Fahrzeuge für viele US-Verbraucher zu teuer und der Ausbau der Ladeinfrastruktur brauche mehr Zeit.  

AAI-Präsident John Bozzella, der für 42 Mitgliedsunternehmen spricht, die nach eigenen Angaben rund 97 Prozent aller in den USA verkauften E-Autos produzieren, fordert wie die Gewerkschaften längere Übergangsfristen. "Das Tempo ist wichtig", so Bozzella in einem Interview, aus dem die New York Times zitiert. "Geben Sie dem Markt und den Lieferketten die Chance, aufzuholen. Erhalten Sie den Kunden die Freiheit auszuwählen und lassen Sie mehr öffentliche Ladestationen ans Netz gehen."

Nach Informationen eines Sprechers der federführenden US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) werde die endgültige Regelung noch überarbeitet. Aber man setze auf eine Lösung, die "leicht erreichbar ist, eine Reduzierung der Luft- und Klimaverschmutzung sicherstellt und wirtschaftliche Vorteile für Familien bietet", berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

USA Wayne Streik UAW Ford
Einflussreich und schlagkräftig: die US-Autobauergewerkschaft UAWnull Bill Pugliano/Getty Images

Die Hersteller unterstützen demnach eine frühere Idee, den Anteil von E-Autos an Neuwagenverkäufen bis 2030 auf 50 Prozent zu erhöhen - deutlich weniger als die bisherige Zielmarke von 67 Prozent, die zwei Jahre später erreicht werden soll. Der Lobbyverband AAI warnte, es könne die US-Autobauer rund 14 Milliarden Dollar Geldstrafe kosten, wenn sie die CO2-Ziele nicht erreichten. Dem E-Auto-Pionier Tesla, der nur E-Autos baut, kann es dagegen nicht schnell genug gehen und fordert einen Marktanteil für E-Autos bis 2032 von 69 Prozent und bis 2035 von 100 Prozent. Unterstützung bekommt der Elon Musk-Konzern von US-Umweltgruppen.

Bei GM etwa entfallen derzeit nur drei Prozent der Gesamtverkäufe auf E-Autos, bei Ford sind es vier Prozent. Beim Hoffnungsträger, dem elektrischen Ford-Pickup F-150 Lightning sind die Zahlen besonders ernüchternd: Statt der erwarteten 150.000 wurden im vergangenen Jahr nur 24.000 Stück des Elektro-Pickups verkauft.

Das Problem für diese Marken ist ihre Abhängigkeit von den größten und am wenigsten effizienten Fahrzeugen, also großen Pickups und SUVs. Diese stehen für 46 Prozent der GM-Verkäufe und 59 Prozent bei Ford, so die Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Zahlen zeigen, wie stark die USA bei Elektrofahrzeugen China hinterher hinken, wo im Januar knapp 30 Prozent der verkauften Fahrzeuge Elektroautos oder Plug-in-Hybride waren.

China setzt auf E-Autos und synthetische Kraftstoffe

Trotzdem wird die chinesische Regierung den Verbrenner nicht mit einem Verbot - wie bislang in der EU für das Jahr 2035 geplant - zu Grabe tragen. Die Volksrepublik, seit dem vergangenem Jahr zum größten Auto-Exporteur der Welt aufgestiegen, denkt nicht daran, nur auf ein Pferd zu setzen.

In einer Anfang Dezember vorgelegten Strategie für die Automobilindustrie, die bis ins Jahr 2026 reicht, ist von einem Verbrenner-Verbot à la EU keine Rede. Im Gegenteil: Die Staats- und Parteiführung in Peking setzt auf eine mehrgleisige Strategie. "Die chinesische Regierung macht damit klar, dass sie ein Interesse an der Weiterentwicklung der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor hat", erklärt Jochen Siebert die Kernaussage des Papiers gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus. Der Wirtschaftsingenieur ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens JSC Automotive, das an seinen Standorten Stuttgart und Shanghai vor allem die Entwicklung der Autobranche in China beobachtet und analysiert.

Die Palette der Antriebsstoffe für moderne Verbrenner reiche dabei bei Chinas Wirtschaftsstrategen von Biosprit bis zu synthetischen Kraftstoffen, den so genannten E-Fuels. Die sollen künftig aus Wasserstoff und Kohlenstoff, der in der Industrie oder in Kohlekraftwerken anfällt, synthetisiert werden.

Möglicherweise liefern dann chinesische Autobauer günstige Verbrenner nach Europa, wenn sich herausstellen sollte, dass die ambitionierten Ziele der EU-Kommission für die Elektrifizierung der Mobilität nicht aufgehen. Und, falls die europäischen Autobauer und ihre Zulieferer, die allein auf E-Autos gesetzt haben, gar nicht mehr über das Know-how verfügen, moderne Verbrenner zu bauen. .

EU-Gipfel Dezember 2023: Diskussion über aktuelle Herausforderungen und politische Agenda | Alexander de Croo
Industrial Deal: zentrales Projekt von Belgiens Regierungschef Alexander de Croo während der belgischen EU-Rats-Präsidentschaft null European Union

Mittlerweile deutet sich aber bei einzelnen europäischen Auto-Konzernen ein Umdenken an. So ließ Mercedes am 22. Februar nach Vorlage seiner aktuellen Bilanzzahlen aufhorchen: Wegen der schlechten Verkaufszahlen von E-Autos kündigte Vorstands-Chef Ole Källenius an, nach dem bisher vom Konzern angekündigten Aus im Jahr 2030 auch danach noch Verbrenner zu verkaufen.

Bewegung in der EU

Auch in der EU ist Bewegung in die Debatte gekommen. Der belgische Regierungs-Chef Alexander De Croo will unter der seit Januar laufenden belgischen EU-Ratspräsidentschaft zusätzlich zum Green Deal von Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen einen Industrial Deal auf Weg bringen. Unterstützung erhält er dabei von mehr als 70 Unternehmens-Chefs aus der EU und einzelnen Gewerkschaften. Sie fordern in einer Erklärung vom 20. Februar einen solchen EU-Industriepakt. In ihrer "Antwerpener Erklärung" werden zehn dringende Maßnahmen zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und zum Erhalt guter Arbeitsplätze in Europa gefordert.

Möglicherweise wird dann auch noch einmal darüber nachgedacht, wie Europas und damit auch Deutschlands Autobranche ihre Technologieführerschaft in der Verbrenner-Technologie erhalten kann. Unterstützung erhält sie dabei von Manfred Weber, dem Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament, der das kategorische Verbrenner-Aus nach einem Wahlsieg bei den Europawahlen kippen will. Auch er räumt der Entwicklung sauberer Verbrenner mit Biosprit oder E-Fuels durchaus Chancen ein.

Scholz diskutiert mit Xi über gerechten Frieden für Ukraine

Zum Auftakt seines Treffens mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in Peking: "Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Aufrüstung Russlands haben ganz erhebliche negative Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa. Sie beeinträchtigen unsere Kerninteressen unmittelbar." Damit bezog er sich auf Vorwürfe westlicher Regierungen, dass China Russland zwar nicht mit Waffen, aber mit sogenannten Dual-Use-Gütern unterstützt. Diese können zivil genutzt werde, Russland soll sie aber für seinen Angriffskrieg verwenden. Vor diesem Hintergrund sagte der Kanzler, er wolle mit Xi Jinping darüber diskutieren, "wie wir mehr zu einem gerechten Frieden in der Ukraine beitragen können".

Scholz mahnte, dass der russische Angriff "mittelbar" die gesamte internationale Ordnung beschädige. Denn er verletze den Grundsatz der Charta der UN, dass Staatsgrenzen nicht verletzt werden dürften. Sowohl Xi als auch er hätten bereits deutlich gemacht, dass Russland mit dem Einsatz von Nuklearwaffen nicht einmal drohen dürfe. China ist wie Russland ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates.

Xi: China ist nicht in Ukraine-Krieg involviert

Im Gespräch mit Scholz betonte der chinesische Staats- und Regierungschef, dass sein Land nicht am Ukraine-Krieg beteiligt sei. China sei in dem Konflikt keine Partei. Stattdessen habe China "stets die Friedensgespräche auf seine eigene Weise gefördert", sagte Xi nach offiziellen Angaben. Eine internationale Friedenskonferenz "zu gegebener Zeit" unterstütze Peking, allerdings müssten Russland und die Ukraine diese akzeptieren. Die Teilnahme an einer in der Schweiz geplanten Konferenz hat Moskau bereits abgesagt. Die chinesische Antwort auf die Einladung dorthin steht noch aus. China gilt als enger Verbündeter Russlands.

Die deutsche und die chinesische Delegation sitzen sich im Staatsgästehaus gegenüber
Der Besuch des Kanzlers bei Xi gilt als Höhepunkt seiner dreitägigen China-Reise null Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Der chinesische Präsident sagte bei der Begrüßung des Kanzlers weiter, dass die Beziehungen zu Deutschland stetig weiterentwickelt würden, solange beide Seiten einander respektierten und "Gemeinsamkeiten" suchten, auch wenn es weiter Unterschiede gebe. Dies gilt als Formulierung, mit der sich China Einmischungen in innere Angelegenheiten und etwa Kritik an der Menschenrechtslage im Land verbittet.

Xi fügte hinzu: "Wir müssen die bilateralen Beziehungen aus einer langfristigen und strategischen Perspektive heraus betrachten und entwickeln." Er betonte positive Entwicklungen der bilateralen Beziehungen und deren internationale Bedeutung. "China und Deutschland sind die zweit- und drittgrößten Volkswirtschaften der Welt." Die Entwicklung der Beziehungen habe "wichtige Auswirkungen auf den asiatisch-europäischen Kontinent und sogar auf die ganze Welt".

Warnung vor Protektionismus

Bei dem Treffen der Politiker im Staatsgästehaus in Peking warnte Xi den Kanzler vor wirtschaftlichen Schutzmaßnahmen. Beide Länder hingen von der Industrie ab und unterstützten den freien Handel. "In diesem Sinne sollten beide Seiten sich vor der Zunahme des Protektionismus hüten", erklärte er weiter. Seit die Bundesregierung ihre China-Strategie 2023 vorgestellt hat, soll in kritischen Wirtschaftsbereichen die Abhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt reduziert und damit auch das Risiko für Deutschland gemindert werden.

China - der mächtige Konkurrent

Dem entgegnete Xi nun, dass die Kooperation zwischen Deutschland und China kein Risiko darstelle, sondern "eine Garantie für die Stabilität der Beziehungen" sei. Der Staatschef nannte beispielhaft traditionell in China stark vertretene Branchen wie den Maschinenbau und die Automobilindustrie. Im Fokus stand zuletzt der Vorwurf, China sorge mit staatlichen Investitionen dafür, dass chinesische Firmen zu viel produzierten und mit ihrer günstigen Ware andere Märkte schädigten. Beispiele sind E-Autos, gegen die eine Antisubventionsuntersuchung der EU läuft, oder die Solarindustrie. Peking sieht das jedoch anders: Chinas Exporte von Elektrofahrzeugen, Lithiumbatterien und Photovoltaikprodukten hätten etwa das weltweite Angebot bereichert und einen Beitrag zur globalen Reaktion auf den Klimawandel geleistet, sagte Xi.

Aktionsplan zum Recycling vereinbart

Deutschland und China wollen beim effizienteren Einsatz von Rohstoffen zusammen vorankommen. Beide Seiten beschlossen in Peking einen Aktionsplan, um die Kooperation bei Recycling und Ressourceneffizienz zu vertiefen. "Deutschland und China sind Schlüsselakteure des globalen Umweltschutzes", sagte Umweltministerin Steffi Lemke in Peking. Der vereinbarte strategische Dialog sei ein Meilenstein. Langlebigere Produkte und besseres Recycling würden helfen, Müll zu vermeiden, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken und die Natur zu schützen.

Der Aktionsplan sieht einmal pro Jahr hochrangige Treffen der Regierungen vor, die dem strategischen Dialog zur Kreislaufwirtschaft dienen sollen. Dabei liegt ein Hauptaugenmerk auf Materialien wie Plastik und Metallen sowie Produktgruppen wie etwa Verpackungen oder auch Batterien.

Scholz wird auf seiner dreitägigen Reise von einer Wirtschaftsdelegation begleitet. Vor Peking hatte er die Städte Chongqing und Shanghai besucht. In Shanghai hatte er auf gleiche Wettbewerbsbedingungen für deutschen Unternehmen gepocht. Zuletzt war Scholz im November 2022 in China gewesen, 2023 fanden bilaterale Regierungskonsultationen in Berlin statt. 

kle/gri (rtr, dpa, afp)

Irans Revolutionsgarden setzen Containerschiff fest

Irans Revolutionsgarden haben einheimischen Medien zufolge ein Handelsschiff nahe der Straße von Hormus beschlagnahmt. Der Containerfrachter "MCS Aries" sei in einem Hubschraubereinsatz von Spezialeinheiten der Revolutionsgarden festgesetzt worden und werde in Richtung Iran umgeleitet, meldet die staatliche Nachrichtenagentur IRNA.

Das Schiff habe eine Verbindung zu Israel, berichtet die Nachrichtenagentur Tasnim, die als Sprachrohr der Revolutionsgarden gilt. Auf einem von der Agentur verbreiteten Foto ist zu sehen, wie sich ein Kommandosoldat von einem Militärhubschrauber auf das Deck des Schiffes abseilt.

Zuvor hatte die zur britischen Marine gehörende Behörde UKMTO allgemein über den Fall berichtet und ihn im Golf von Oman verortet, etwa 50 Seemeilen nordöstlich der Hafenstadt Fudschaira in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Allerdings wurde die Identität des Schiffes durch UKMTO nicht bestätigt. In den Gewässern hatte Irans Marine in der Vergangenheit bereits Öltanker und Containerschiffe beschlagnahmt.

Nach Informationen des israelischen Armee-Senders fährt das Containerschiff unter der Flagge Portugals und hat vermutlich unter anderem israelische Eigner. Das 366 Meter lange Schiff soll sich auf der Fahrt von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Indien befunden haben. Der Schiffsortungsdienst Vessel Finder hatte am Freitag Nachmittag ein letztes Positionssignal der "MSC Aries" empfangen. Da war der Containerriese gerade vor Dubai unterwegs.

Israel: "Akt der Piraterie"

Israels Außenminister Israel Katz sprach in einer Reaktion von einem "Akt der Piraterie" durch den Iran, der internationales Recht verletze. Er forderte die Europäische Union und die "freie Welt" auf, neue Sanktionen gegen die Islamische Republik zu verhängen und die Revolutionsgarden als Terrororganisation einzustufen.

Die militärischen Spannungen in der Region sind so groß wie seit Jahren nicht mehr. Zuletzt hatte es einen mutmaßlich israelischen Luftangriff auf Irans Botschaftsgelände in Syriens Hauptstadt Damaskus gegeben. Dabei wurden Anfang des Monats 16 Menschen getötet. Unter ihnen waren zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden sowie fünf weitere Mitglieder der Elitetruppe.

Syrien, Damaskus | Zerstörtes Botschaftsgebäude des Iran in Damaskus (01.04.2024)
Zerstörtes Botschaftsgebäude des Iran in Damaskus (01.04.2024)null Omar Sanadiki/AP/dpa/picture alliance

Das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, hatte deshalb am Mittwoch Israel mit Vergeltung gedroht. Die Revolutionsgarden ihrerseits drohten damit, die Straße von Hormus zu schließen.

Beobachter sehen die verfeindeten Länder am Rande einer kriegerischen Eskalation. Die Straße von Hormus ist eine etwa 55 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran und Oman. Sie verbindet den Persischen Golf mit dem Golf von Oman. Hier verläuft eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten für den weltweiten Ölexport. Die USA werfen der iranischen Marine regelmäßig vor, den zivilen Schiffsverkehr in dem Meeresgebiet zu behindern.

Warnungen aus mehreren Staaten

Vor Bekanntwerden der Schiffsbeschlagnahmung hatte US-Präsident Joe Biden vor einem kurz bevorstehenden iranischen Angriffsversuch auf Israel gewarnt. Er gehe davon aus, "dass es eher früher als später sein wird", sagte Biden am Freitag in Washington.

Angesichts der befürchteten Eskalation in der Nahost-Region haben mehrere Länder Reisewarnungen für den Iran ausgesprochen, darunter Großbritannien, Frankreich, Österreich und auch Deutschland. Das Auswärtige Amt in Berlin forderte Deutsche auf, aus dem Iran auszureisen. Wie das Ministerium bestätigte, verlassen Familienangehörige deutscher Botschaftsmitarbeiter den Iran. Zuvor hatten die Zeitung "Bild am Sonntag" und die Nachrichtenagentur AFP darüber berichtet.

Seit Beginn des Israel-Hamas-Kriegs Anfang Oktober, mit dem die israelische Armee auf einen brutalen Angriff palästinensischer Terroristen aus dem Gazastreifen reagierte, haben Konflikte in der Region auch auf den Seerouten deutlich zugenommen. Insbesondere die mit dem Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen haben regelmäßig Tanker auf dem Weg nach Israel angegriffen. Große Reedereien meiden zunehmend die Route im Roten Meer, der kürzesten Verbindung auf dem Seeweg zwischen Asien und Europa.

AR/jj/hf (dpa, afp, rtr)

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