Impfung gegen Kokainsucht – funktioniert das?

Der Kokainkonsum ist auf einem Rekordhoch: Nach Berechnungen der Vereinten Nationen konsumierten im Jahr 2021 ungefähr 22 Millionen Menschen den Stoff, der aus Cocablättern des Cocastrauchs gewonnen wird. Das sind mehr Menschen als im US-Bundesstaat New York leben. In Europa ist Kokain die zweithäufigste illegale Droge nach Cannabis. Auch in Deutschland gibt es einen hohen Kokain-Konsum, wie Abwasseranalysen zeigen.

Die Droge macht stark abhängig und schädigt lebenswichtige Organe. Der Konsum bringt den Kreislauf an seine Grenzen - vergleichbar mit einem Marathon. Ein Entzug wiederum geht mit großer körperlicher und mentaler Belastung einher. In Brasilien entwickeln Forschende jetzt eine Impfung, die bei der Therapie unterstützen soll.

Wie wirkt Koks?

Die meisten Konsumenten ziehen Kokain oder Koks als Pulver durch die Nase. Alternativ wird es mit einer Pfeife als Crack geraucht. Die Substanz gelangt über das Blut ins Gehirn. Dort regt die Droge den Körper dazu an, verschiedene Botenstoffe auszuschütten - darunter Dopamin. Das alles beherrschende Gefühl: intensive Euphorie. 

Der Körper ist hyperaktiv und gereizt. Das Herz pumpt bereits auf voller Leistung, während sich die Arterien verengen. Der Blutdruck steigt ebenso wie die Körpertemperatur. Bedürfnisse wie Hunger und Durst werden unwichtig. Im schlimmsten Fall kann der Trip zu Krämpfen führen oder im Koma enden - bis hin zum Atem- und Herzstillstand. 

Der Rausch dauert zwischen fünf und dreißig Minuten. "Es fühlt sich an, als seien alle Ampeln auf Grün gestellt", beschreibt Hanspeter Eckert den Rausch. Er ist Therapeut bei einem Berliner Verein für Drogentherapie. 

Das Gehirn prägt sich ein: Das war intensiv und großartig, das will ich wieder erleben! Der Körper speichert den Konsum als "überlebenswichtig", so Eckert. Das Verlangen nach mehr Kokain dominiert die Gedanken. Die inneren Stimmen, die vor den Folgen warnen, werden leiser. Gesundheit, soziale Kontakte und Beruf werden vernachlässigt. Eine Sucht entwickelt sich.

Impfung gegen Kokainsucht als Lösung?

Die Anti-Kokain-Impfung kann bei der Behandlung der Sucht helfen. Nach der Impfung bilden sich Antikörper im Blut. Diese Antikörper binden gezielt an das Kokain. Der Stoff ist damit zu groß, um die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. So kann das Gehirn nicht stimuliert werden. Der Rausch bleibt aus. 

Die Hirnreaktionen, die normalerweise das Verlangen nach der Droge auslösen, werden unterbunden. Dadurch nimmt der Patient die Droge anders wahr, sagt Frederico Garcia von der brasilianischen Universität UFMG, in einem Interview mit DW Brasil. Sein Forschungsteam hat Versuche mit dem Impfstoff an Ratten durchgeführt.

Garcia glaubt, dass die Ergebnisse aus den Tierversuchen auf den Menschen übertragbar sein könnten. Es wäre der erste Anti-Kokain-Impfstoff weltweit, der zur Therapie eingesetzt würde. Weitere Forschungsteams in den USA arbeiten ebenfalls an Impfstoffen. Derzeit stehen klinische Studien am Menschen noch aus, und es ist daher ungewiss, wann und ob es eine Impfung für Kokainsüchtige tatsächlich geben wird.

Kann die Impfung vor Sucht schützen? 

Therapeut Eckert begrüßt die Impfstoff-Forschung grundsätzlich: Bleibt der Rausch aus, darf der Kopf zur Ruhe kommen. Der Körper kann sich von der permanenten Reizung befreien. Der Mensch kann positive Erfahrungen machen und merkt: Das gute Gefühl liegt an mir selbst und nicht an der Droge.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Skeptisch ist Eckert dennoch, denn eine Therapie sei harte Arbeit. Er braucht für die Behandlung mindestens ein Jahr. Süchtige lernen, ihren Körper und ihre Psyche zu verstehen. Sie sprechen über ihre Gefühle und Probleme - und müssen schwierige Entscheidungen treffen. Von welchen Freunden sollte ich mich fernhalten? Wie ertrage ich die körperlichen Schmerzen? Durch diesen Prozess erarbeiten sie sich mehr Kontrolle über ihr Leben.

Zur Vorsorge oder für Gelegenheits-Konsumierende ist die Impfung nicht gedacht. Eckert warnt, dass bei Geimpften die Gefahr einer Überdosierung bestehe. Denn aufgrund der Impfung "kickt" der Rausch nicht. Die Person greift eventuell nach einer höheren Dosis, die den Kreislauf überlasten kann - Herz- und Atemstillstand können die Folge sein.

Marica Ferri von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) hat weitere Bedenken: "Die Substanz selbst ist kein isoliertes Problem." Nur weil nicht mehr gekokst werde, seien nicht automatisch alle Probleme gelöst. Körperliche Schäden müssten heilen, ebenso wie die mentale Gesundheit. In einer Therapie werde auch an der Psyche gearbeitet und am sozialen Umfeld. "Das braucht Zeit", sagt Ferri. 

Sie strebt nach umfassenderen Lösungen. Als Expertin für öffentliche Gesundheit kämpft sie für mehr Therapieplätze. Die Impfung sei für einen kleinen Teil der Menschen geeignet, die bereits in Therapie sind, so Ferri.

Quellen:

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoactive substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023/new-psychoactive-substances_en

Safety and immunogenicity of the anti-cocaine vaccine UFMG-VAC-V4N2 in a non-human primate model. Published in the National Library of Medicine by Brian Sabato, Augusto PSA et al 2023: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36822966/ 

Global report on Cocaine 2023 – Local dynamics, global challenge: https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/cocaine/Global_cocaine_report_2023.pdf

Wie gefährlich sind welche Drogen wirklich?

Welche Drogen soll die Politik verbieten und was kann sie durch Kriminalisierung oder Drogenfreigabe erreichen? Diese Debatte führen Gesetzgeber in nahezu allen Staaten der Welt mit Leidenschaft. Vieles ist dabei kulturell beeinflusst. Hier ein Überblick über die wichtigsten Drogen, ihr Suchtpotenzial, ihre Giftigkeit  - und ob sie in der Gesellschaft akzeptiert oder geächtet werden.

Amphetamin und Crystal Meth

Das synthetisch hergestellte Amphetamin und sein Verwandter, das Methamphetamin - auch bekannt als Crystal Meth - gibt es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. In der Medizin wurden die euphorisierend aber nicht betäubend wirkenden Substanzen bis in die 1970er Jahre eingesetzt. Amphetamin diente als Antidepressivum, Appetitzügler und Asthmamittel. Soldaten setzten es als Aufputschmittel im Kampf ein. Noch heute findet Amphetamin zur Bekämpfung der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Anwendung. Niedrige Dosen schädigen menschliche Gehirnzellen nicht.

Die Droge ist in der Techno-Szene beliebt. Gefährlich: Das Amphetamin verhindert, dass Menschen zur Ruhe kommen. Schlaflosigkeit, Zittern, Herzrasen - bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall - können folgen.

Das Abhängigkeitspotenzial liegt im mittleren Bereich (1,67). Bei längerem Gebrauch oder Überdosierungen wirkt Amphetamin toxisch: Organschäden, Abbau der Muskulatur und Nierenversagen drohen. Da Amphetamin vorwiegend geschnupft wird, kann sich die Nasenscheidewand auflösen. Es kommt zu paranoiden Wahnvorstellungen, Depression, Psychosen bis hin zum Koma.

Crystal Meth ist gefährlicher als einfaches Amphetamin. Es führt viel schneller zur psychischen Abhängigkeit (Abhängigkeitspotenzial zwischen 2,39 und 3,0) und die Süchtigen brauchen immer höhere Dosen. Crystal Meth-Abhängige magern schneller und stärker ab, ihre Mund- und Nasenschleimhäute zersetzen sich, sie verlieren Zähne.

DEA Kampagne zeigt Veränderung von Crystal Meth Konsumenten
Aufklärungskampagnen der US-Behörden: So verändert Crystal Meth die Abhängigennull Tim Sloan/AFP/Getty Images

Schlafmittel

Der Wirkstoff Flunitrazepam, auch als Rohypnol bekannt, hat genau die entgegengesetzte Wirkung. Deshalb benutzen einige Abhängige es auch, um sich nach einem Amphetaminrausch wieder zu beruhigen. Es wird meistens als Schlafmittel verschrieben. In Kombination mit Alkohol oder schmerzlindernden Drogen wird daraus ein K.O.-Cocktail. Opfer, die solche Gemische eingenommen haben, können sich später an nichts mehr erinnern.

Unter Junkies ist der Wirkstoff als Ersatz für Heroin beliebt. Flunitrazepam führt schon nach etwa zweiwöchigem Gebrauch zu einer psychischen Abhängigkeit (Abhängigkeitspotenzial: 1,83). Die Droge wirkt nicht immer beruhigend: Sie kann auch Erregungszustände, Alpträume und Halluzinationen hervorrufen.

Fentanyl tötet immer mehr Amerikaner

Opium und Heroin

Heroin wird aus Morphin, dem Hauptbestandteil des Rohopiums - also aus Schlafmohn - gewonnen. Morphin ist als Schmerzmittel zugelassen. Der Wirkstoff darf nur gegen die stärksten Schmerzen eingesetzt werden, etwa in der Palliativmedizin oder auch zur akuten Schmerzlinderung bei einem Herzinfarkt.

Anders als Morphin wirkt Heroin (Abhängigkeitspotential 3,0) nicht nur betäubend, sondern auch euphorisierend. So stört es den natürlichen Schlaf.

Eine Überdosierung mit beiden Drogen kann zur Dämpfung der Atmung und zum Atemstillstand führen. Diese Gefahr ist besonders bei Abhängigen hoch, die Heroin in Kombination mit Alkohol oder Flunitrazepam verwenden.

Die Giftigkeit von Heroin als hochgefährliche Junkie-Droge, wurde möglicherweise lange überschätzt. Langzeitabhängige wurden in Bonn unter Aufsicht mit Heroin behandelt. Eine Kontrollgruppe erhielt den Ersatzwirkstoff Methadon (Abhängigkeitspotential: 2,08). Das Ergebnis: Die gesundheitliche und soziale Lage der Heroin-Patienten verbesserte sich im Vergleich zur Methadon-Gruppe. Danach wurde Heroin als Medikament in Deutschland zugelassen.

Infografik: Drogenabhängigkeit, physischer und sozialer Schaden (Grafik: DW).

Kokain und Crack

Kokain (Abhängigkeitspotenzial: 2,39) ist der extrahierte Wirkstoff der Kokapflanze. Daraus wird Crack, wenn man im Drogenlabor aus dem Wirkstoff gewonnenes Salz mit Backpulver vermischt und erhitzt.

Kokain wirkt euphorisierend, vertreibt Hunger und Müdigkeit - damit war Kokain lange Zeit eine beliebte Partydroge unter zielstrebigen, leistungsorientierten Männern. Aber wer Kokain schnupft, zahlt einen Preis dafür: Hoher Puls, verengte Blutgefäße, gesteigerter Blutdruck und die Gefahr eines Herzinfarktes.

Das gestörte Hunger- und Durstgefühl und Hyperaktivität können zur Auszehrung des Körpers führen. Bei langer Nutzung stellen sich paranoide Halluzinationen bis hin zu einer Psychose ein, die auch irreversibel - also nicht mehr heilbar - verlaufen kann. Wer Kokain raucht, zerstört seine Mundschleimhäute, wer es schnupft, seine Nasenscheidewand.

Besonders bei Crack-Kokain ist die tödliche Dosis nahezu unberechenbar, weil die Droge ungleich stärker wirkt als Kokain. Zudem hat Crack noch vor Heroin, Nikotin und Alkohol das höchste psychische Abhängigkeitspotential (über 3,0).

LSD

Lysergsäurediethylamid auch Acid (Englisch: "Säure") genannt, ist eine synthetische Droge, die zu einer viel stärkeren Wahrnehmung der Umgebung führt. LSD galt in den 1960er und 70er Jahren als Hippie-Droge zur Bewusstseinserweiterung.

Bei Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung kann LSD eine irreversible Psychose auslösen. Der LSD-Nutzer bleibt umgangssprachlich "auf dem Trip hängen." Die Gefahr einer tödlichen Vergiftung, ist indes niedriger als bei Alkohol oder Nikotin. Auch das Abhängigkeitspotenzial ist mit 1,23 im "niedrigen" Bereich.

Dafür ist die Unfallgefahr nach Einnahme von LSD erheblich, da der Konsument seine Umgebung völlig falsch einschätzen kann, und durch Halluzinationen oder psychotische Rauschzustände irrational handelt: Im Glauben fliegen zu können, springt ein LSD-Konsument vielleicht aus dem Fenster.

Wegbier in Hamburg (Foto: dpa).
Die gefährlichste Droge auf dem Nachhauseweg: das Bier in der S-Bahnnull picture-alliance/dpa

Alkohol und Nikotin

Alkohol hat unter den Drogen mit "mittlerem Abhängigkeitspotenzial" den höchsten Wert (1,93) und ist damit höher eingestuft als etwa Marihuana, LSD, viele Schlafmittel, Amphetamin oder eine weitere beliebte synthetische Partydroge: Ecstasy.

Noch schneller macht das Rauchen abhängig, mit einem Wert von 2,21. Nur Kokain, Crack und Heroin haben höhere Werte.

Aber anders als viele dieser illegalen Drogen genießt Alkohol in nahezu allen nicht-islamischen Ländern der Welt eine breite Akzeptanz. Schon seit der Antike tranken die Menschen Wein. Auch das Rauchen gehörte bis in die 1980er Jahre fast auf der ganzen Welt zum guten Ton.

Die Akzeptanz schwindet allerdings rapide, sobald ein Mensch alkoholabhängig wird, und dies nicht mehr verschleiern kann - er also kein "funktionierender Alkoholiker" mehr ist.

Der Alkohol zerstört mit der Zeit innere Organe, wie die Leber, Bauchspeicheldrüse, Muskulatur und den Stoffwechsel. Er steigert zudem drastisch die Gefahr von Herzerkrankungen und erhöht das Krebsrisiko in Speiseröhre, Magen und Darm.

Allein in Deutschland sterben pro Jahr etwa 74.000 Menschen durch die Folgen des Alkoholismus. Durch das Rauchen kommen hier zwischen 100.000 und 120.000 Menschen um. Damit sind Tabak und Alkohol in der Masse die gefährlichsten Drogen.

Ein Mann zündet sich einen Joint an (Foto: Dpa).
Haschisch macht gleichgültig und doof - aber das interessiert die meisten Kiffer nichtnull picture-alliance/dpa

Marijuana und Haschisch

Gesetzgeber in immer mehr Staaten diskutieren die Freigabe von Marijuana entweder zur medizinischen Behandlung, etwa als Schmerzmittel oder Appetitanreger, bei HIV oder Krebs.

Der im Cannabis enthaltene Wirtstoff Tetrahydrocannabiol (THC) wirkt entspannend und betäubend. Das Abhängigkeitspotenzial wird mit 1,51 als "Mittel" eingeschätzt.

Beim Rauchen oder selbst beim Verzehr handelsüblicher Mengen von Haschisch oder Marijuana ist es praktisch unmöglich, eine tödliche Dosis zu sich zu nehmen.

Auf Drogenkonsumenten wirkt THC zunächst durch eine veränderte, intensivere Wahrnehmung der Umgebung, insbesondere auf Musik, Geschmack und Zeitgefühl. Typische Begleiterscheinung: Heißhunger auf süßes, saueres und salziges.

Langfristig kann es zu einer Verringerung des Denk- und Lernvermögens führen - möglicherweise durch eine Veränderung der Durchblutung im Gehirn. Besonders gefährlich: Die krebserregenden Giftstoffe, die Konsumenten beim Rauchen einatmen. Die Gefahren sind hierbei möglicherweise stärker als beim reinen Tabakrauch, da durch die Verbrennung des Haschisch-Harzes weitere Schadstoffcocktails entstehen.

Crack und Fentanyl in Deutschland auf dem Vormarsch

Die Droge, die auch für Deutschland zunehmend zu einem Problem wird, sieht ganz harmlos aus, so wie heller Kandiszucker. Weil der Ruf so schlecht ist, heißt der Stoff nur "Weißes" oder auch "Steine". Wenn diese bei 96 Grad in einer Pfeife verdampfen, hört man knackende Geräusche und kommt spätestens dann auf den Namen: "to crackle" – Crack. Eine Mischung aus Kokain, Natron und Wasser, die spätestens nach zehn Sekunden wirkt, schneller als jede andere Droge. Die einen Euphorie-Kick verspricht und extrem abhängig macht. Und die bei exzessivem Konsum direkt in den Tod führt.

"Es gilt zunächst, das Überleben der Menschen zu sichern, denn das ist eine ganz bedrohliche Situation. Wenn man sich vorstellt, dass die Substanz so im Halbstundentakt konsumiert werden kann, dann bleibt wenig Zeit für Erholung, so gut wie keine Zeit für Nahrungsaufnahme, für Hygiene, oder für Wundversorgung", sagt Michael Harbaum gegenüber der DW. "Crack ist ja letztlich rauchbares Kokain und putscht auf. Und das führt, wenn man das über Tage konsumiert, häufig auch zu psychotischen Zuständen."

Rasanter Anstieg des Crack-Konsums

Harbaum arbeitet seit 20 Jahren in der Düsseldorfer Drogenhilfe, war zunächst Leiter des Drogenkonsumraums, jetzt ist er geschäftsführender Vorstand. Der Sozialpädagoge hat schon viel gesehen auf den Straßen der 630.000-Einwohner-Stadt. Aber das, was Crack mit den Süchtigen macht, ist nochmal eine andere Dimension. 2017, rechnet er vor, habe seine Organisation nur einige Hundert so genannte Vorgänge mit Crack im Düsseldorfer Drogenkonsumraum gezählt. Im letzten Jahr dagegen schon mehr als 31.000.

Leider der Düsseldorf Drogenhilfe, Michael Harbaum, steht vor einer Wand
"Die größte Veränderung, die wir in den letzten Jahren hier feststellen, ist natürlich Crack" - Michael Harbaum null Privat

"Wir haben einen rasanten Anstieg, entsprechend ändert sich das Verhalten, aber auch die Verelendung der Menschen, die zu uns kommen. Weil Crack eine Substanz ist, die sehr schnell sehr stark wirkt, aber auch sehr schnell wieder nachlässt. Insofern ist der Druck, schnell wieder zu konsumieren, sehr hoch", sagt Michael Harbaum. "Häufig wird die Pfeife geteilt, weil einfach zu wenig Geld da ist, und dann kauft man sich für fünf Euro ein paar Steine und jeder bekommt einen Zug."

Zahl der Drogentoten steigt kontinuierlich an

2022 starben deutschlandweit fast 2000 Menschen an den Folgen des Drogenkonsums, der höchste Stand der vergangenen 20 Jahre. Immer noch sind Heroin und die Langzeitfolgen des Drogenkonsums die Haupttodesursachen von Konsumenten, aber auch die Vergiftungen mit Kokain und Crack sind auf mehr als 400 Todesfälle gestiegen. Auch der Suchtforscher Professor Daniel Deimel, der zusammen mit anderen Experten und Expertinnen Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Crack-Konsum entwickelt hat, gibt sich gegenüber der DW alarmiert.

"Crack war immer schon, seit ungefähr 20 Jahren ein Thema in Frankfurt am Main, Hamburg und Hannover. Seit 2016 breitet sich die Droge in Westdeutschland und in anderen Großstädten wie Berlin, aber auch im Saarland aus, weil Europa und damit auch Deutschland mit hochreinem Kokain geflutet wird", so Deimel. "Der Drogenmarkt expandiert, weil die Produktion des Kokains in Kolumbien deutlich hochgefahren wurde. Der Drogenmarkt und die Produzenten haben sich diversifiziert."

Faeser sucht Kooperation mit Behörden in Südamerika

Gerade erst ist Nancy Faeser aus Südamerika zurückgekehrt. Die Bundesinnenministerin war in Brasilien, Ecuador, Kolumbien und Peru, auch um eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit gegen den internationalen Drogenhandel voranzutreiben. Von Südamerika gelangt immer mehr Kokain über die Häfen von Antwerpen, Rotterdam oder Hamburg nach Europa. Daniel Deimel macht sich keine großen Illusionen. Der Markt für Kokain sei in Deutschland da, und wegen der großen Nachfrage werde auch weiterhin im großen Stil produziert.

Deutschland und Peru kämpfen gemeinsam gegen Kokain-Mafia

"Wir leben hier in einer Hochleistungsgesellschaft. Kokain wird mittlerweile von so vielen Menschen in der Mitte der Gesellschaft verkonsumiert, was zu einer Art Normalisierung geführt hat. Das ist bei weitem nicht mehr die Droge der Reichen, der gut Betuchten und der Künstler und Medienschaffenden, was ja so ein Klischee der 1980er, 1990er Jahre war."

Im Gegensatz zu Heroin bei Crack kein Substitut

Als Crack konsumiert, kommt Kokain dann auch in den Brennpunkten der deutschen Großstädte an. Deimel hat im vergangenen Jahr die offene Drogenszene in Köln untersucht, die Ergebnisse sind eindeutig: fast alle Konsumenten gaben an, schon einmal Crack geraucht zu haben. Viele von ihnen sind obdachlos. Und im Zusammenhang mit dem Crack-Konsum wurde häufig von massiven psychischen Problemen bis hin zu Verfolgungswahn berichtet. Das größte Problem, so Deimel, sei das fehlende Gegenmittel:

Professor Daniel Deimel, Suchtforscher, mit Brille, schaut in die Kamera
"Ein Teufelskreis zwischen Rausch und Absturzerlebnis über Depressionen bin hin zur Suizidalität" - Daniel Deimelnull privat

"Bei Heroin gibt es schon sehr gut entwickelte suchtmedizinische Interventionen wie die substitutionsgestützte Behandlung mit Methadon. Bei Crack gibt es aber kein Medikament, das gegen diese Abhängigkeit zugelassen und wirksam ist. Das heißt, wir brauchen an der Stelle wirklich mehr Forschung. Und eine Nothilfestelle, die auch abends geöffnet hat, mit einer 24/7-Versorgung."

Auch synthetische Opioide werden verstärkt konsumiert

In Düsseldorf konnte Michael Harbaum und sein Team vor einigen Tagen elf suchtkranke Menschen in einer neuen Unterkunft direkt am Hauptbahnhof unterbringen, mit Sicherheitspersonal, Sozialarbeit und abschließbaren Einzelzimmern. Ein Modell, dass laut Experten dringend Schule machen sollte, denn zusammen mit Crack sind schon die nächsten höchstgefährlichen Drogen im Anmarsch: synthetische Opioide wie Fentanyl.

Berliner Kiez kämpft gegen Drogen

Das Schmerzmittel für sterbende oder krebskranke Menschen wird Heroin beigemischt. In den USA sterben jedes Jahr etwa 10.000 Menschen an einer Überdosis von Opioiden. Die Deutsche Aids-Hilfe konnte in einem Testprojekt über ein halbes Jahr in 17 deutschen Drogenkonsumräumen nachweisen, dass schon 3,6 Prozent der abgegebenen Heroin-Proben Spuren von Fentanyl enthielten.

"Wir vermuten, dass die Zahl in den nächsten 12 bis 18 Monaten ansteigen wird", befürchtet Daniel Deimel. "Synthetische Opioide werden auf den Markt gebracht und mit Heroin gestreckt. Das Problem ist, dass diese Substanzen deutlich potenter sind, also die tödliche Dosis. Bei Fentanyl reichen zwei Milligramm, das ist so viel wie eine Bleistiftspitze."

Umdenken in der Suchthilfe gefordert

Im vergangenen Jahr kam es in Dublin zu 54 Drogennotfällen aufgrund des synthetischen Opioids Nitazen. Im englischen Birmingham verstarben im Sommer 2023 30 Personen am Konsum von Heroin, dass synthetische Opioide enthielt. Auch die Bundesregierung ist deshalb gewarnt. 

Burkhard Blienert, Beauftragter für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung, mit Anzug und roter Krawatte, schaut in die Kamera
"Auch wenn keine Zustände wie in den USA zu erwarten sind, müssen wir bei Fentanyl aufmerksam sein" - Burkhard Blienertnull Dominik Butzmann/photothek.de

Der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert fordert gegenüber der DW mehr niedrigschwellige Angebote und Maßnahmen, die auch bei den Menschen ankommen: "Neben Drogenkonsumräumen sind das auch Drug-Checking, Schnelltests in Drogenkonsumräumen, niedrigschwellige Substitutionsangebote und die Nutzung des Notfallmedikaments Naloxon, das selbst medizinische Laien verabreichen können und sollten."

Wirksame und europaweit erprobte Maßnahmen seien genügend vorhanden, sie würden aber noch nicht überall angewendet, so Blienert. "Eine Debatte über das 'Ob' von Drogenkonsumräumen und Druck-Checking können wir uns angesichts der wirklich riskanten Entwicklungen bei Crack und den synthetischen Opiaten nicht mehr leisten."

Luzides Träumen: Nie wieder Albträume?

Wie ein Vogel fliegen oder den Albtraum kontrollieren - was wie eine Superkraft klingt, macht luzides Träumen möglich. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Realität: eine schlafende Person träumt, ist sich dieser Situation aber vollkommen bewusst. Oft kann sich der Träumende auch frei entscheiden und aktiv in den Traum eingreifen. Die Erfahrung heißt deshalb auch Klartraum.

Luzides Träumen lernen

Nicht jeder hat dieses sonderbare Erlebnis oder kennt den Fachbegriff dafür: Wie eine Meta-Analyse zeigt, meint jeder Zweite, schon einmal einen Klartraum erlebt zu haben. Etwa ein Viertel aller Erwachsenen erlebt luzide Träume auch regelmäßig.

Wer nie oder nur selten luzid träumt, kann das ändern. Im Internet finden sich zahlreiche Lernmethoden. Deren wissenschaftliche Begutachtung falle jedoch nüchtern aus, beurteilt Psychologe Daniel Erlach. Da es bei Online-Kursen nicht wirklich eine Qualitätssicherung gibt, lässt sich oftmals schwer beurteilen, welche Kurse seriös sind.

Luzides Träumen lässt sich trainieren. Die einfachste Lerntechnik ist der Realitätscheck: Hier stellt man sich mehrmals am Tag die Frage: "Träume ich, oder bin ich wach?". Der Trick ist, diese Frage zur Gewohnheit zu machen, sodass sie auch im Traum auftaucht.

Am Tag und im Traum beantwortet man sich diese Frage mit einem Selbsttest, zum Beispiel sich selbst spürbar zu kneifen. Im wachen Zustand spürt man den Schmerz, im Traum jedoch misslingt der Test. Alternativ kann man sich auch Mund und Nase zuhalten. Wenn man trotzdem nach wie vor atmen kann, dann weiß man, dass man träumt.

Auch ein Traumtagebuch kann für luzides Träumen helfen. Wer häufiger mit Albträumen zu kämpfen hat, sollte sich aber nicht ohne therapeutische Begleitung an das luzide Träumen wagen.

Von den Träumen der Tiere

Was passiert bei luziden Träumen?

Die Schlafforschung nimmt das Phänomen seit den 1980er Jahren stärker in den Fokus. (Traumforschung: Träum ich oder wach ich? - Spektrum der Wissenschaft).

Forschende konnten zeigen, dass Klarträume kurz vor dem Aufwachen in der REM (Rapid-Eye-Movement) -Phase stattfinden. Von außen kann man die REM-Phase an den raschen Augenbewegungen unter den Augenlidern erkennen. Anders als in der Tiefschlaf-Phase ist das Gehirn hier wieder aktiver.

Einige Hirnregionen sind beim luziden Träumen auffallend aktiv: "Dazu zählt zum Beispiel ein Hirnbereich, der im Wachzustand aktiv ist, wenn wir über uns selbst nachdenken", sagt Neurowissenschaftler Martin Dresler von der Radboud Universität in Nimwegen. 

Bei Personen, die häufig luzid träumen, zeigt das Gehirn eine weitere Auffälligkeit: Bei ihnen ist das vordere Stirnhirn größer. Diese Region ist wichtig für die Selbstreflektion.

Klarträume können auch helfen, Bewegungsabläufe im Wachzustand zu verbessern, wenn sie vorher im Klartraum geübt wurden. Die Übungen im Traum sind ähnlich effektiv wie mentales Training.

Luzide Träume in der Psychotherapie

In der Therapie nehmen Klarträume an Bedeutung zu. Dr. Brigitte Holzinger ist Psychotherapeutin und eine Pionierin in der Schlaf- und Traumforschung. "Es ist gelungen zu zeigen, dass luzides Träumen für Albtraumbewältigung wirklich hervorragend geeignet ist", berichtet Holzinger.

Der Kampf gegen Albträume ist besonders wichtig für Personen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden. Betroffene haben eine extreme Belastung oder Bedrohung erlebt. In Albträumen müssen sie diesem traumatisierenden Ereignis immer wieder begegnen.

Das luzide Träumen kann PTBS-Patienten Selbstwirksamkeit, also ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schenken: "Meine Erfahrung ist, dass die Personen, die mit einer Traumatisierung die Albträume entwickelt haben, erst einmal eine riesige Erleichterung erfahren, wenn sie nicht mehr so hilflos sind", beschreibt Holzinger den Effekt.

Wie man sich richtig erholt

Träumer mildern Traumata selber ab

In der Therapie gibt die Psychotherapeutin den Betroffenen keine strikte Lösung für den Albtraum vor: "Wir besprechen Möglichkeiten und was dann der Träumer, die Träumerin kreativ in den eigenen Träumern unternimmt, überlassen wir den Träumenden."

Im luziden Traum können die Patienten das traumatische Erlebnis mit eigenen Vorstellungen abmildern. Indem die Person sich zum Beispiel eine Gruppe von Menschen vorstellt, die sie beschützt oder unterstützt, so Holzinger.

Sie freut sich über die Fortschritte der Patienten im luziden Traum: "Zum Beispiel, dass sie gelernt haben, jemandem zu sagen 'Geh weg!'. Oder dass sie überhaupt gelernt haben, sich zu wehren."

Auch bei der Therapie von Schizophrenie können Klarträume helfen. Hier ist das Bewusstsein der Erkrankten gestört. Klarträume helfen, ihr Bewusstsein zu trainieren.

Risiken und Nebenwirkungen von luziden Träumen

Luzides Träumen ist für jeden attraktiv, der im Traum das Unmögliche möglich machen will. Doch die Psychotherapeutin rät, dem luziden Traum mit Respekt zu begegnen. Die Traumwelt habe auch seine Schattenseiten: “Manche steigern sich da so rein, dass sie versuchen jeden Tag klar zu träumen“, beschreibt Brigitte Holzinger. Klarträume könnten helfen, dürften aber keine Ersatzwelt werden.

Eine professionelle Begleitung der luziden Träume sei bei Personen mit starken Albträumen besonders wichtig. "Da muss man schrittweise arbeiten, man darf die Leute nicht überfordern", betont Holzinger.

Wer zu schnell und ohne Begleitung luzide Träume erfährt, könnte ungewollt das Gegenteil bewirken. "Dann kann man erst recht eine psychische Erkrankung entwickeln", warnt Holzinger.

 

Quellen:

Metacognitive Mechanisms Underlying Lucid Dreaming, https://www.jneurosci.org/content/35/3/1082

Lucid dreaming incidence: A quality effects meta-analysis of 50 years of research, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27337287/

Effectiveness of motor practice in lucid dreams: a comparison with physical and mental practice, https://doi.org/10.1080/02640414.2015.1030342

Das Phänomen Klartraum, https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-58132-2_6

Wem gehört der Milliarden-Schatz der San José?

Gold, Silber, Smaragde - mehrere Milliarden Euro soll der Schatz der San José heute wert sein. Das Wrack liegt in 600 Metern Tiefe vor der kolumbianischen Küste. Kolumbien will den Schatz nun bergen, obwohl noch gar nicht geklärt ist, wem der Schatz eigentlich gehört. Die Rechtslage ist kompliziert. Und da noch viele Wracks mit großen Kostbarkeiten an Bord auf ihre Entdeckung warten, ist der Rechtsstreit richtungsweisend. 

Viele Verlierer an einem Tag

Um im "spanischen Erbfolgekrieg" den seit 1701 tobenden Krieg mit England, zu finanzieren, wollen die Spanier im Juni 1708 insgesamt 344 Tonnen Gold- und Silbermünzen sowie 116 Kisten mit Smaragden ins Mutterland bringen. Diese Kostbarkeiten hatten die Spanier in ihren amerikanischen Kolonien zusammengerafft.

Sicherheitshalber wurde der gewaltige Schatz auf mehrere Schiffe verteilt, so auch auf die mit 64 Kanonen bestückte Galeone San José, das Hauptschiff der spanischen Silberflotte. Eskortiert wurde die San José von zwei weiteren Galeonen und mehr als einem Dutzend Kriegsschiffen. Schließlich wurden voll beladene spanische Schiffe regelmäßig von englischen oder niederländischen Freibeutern überfallen.

Rund 30 Kilometer vor dem Hafen von Cartagena, das heute zu Kolumbien gehört, lauerten vier britische Kriegsschiffe den Spaniern auf. In der fast zehnstündigen Seeschlacht fing die San José Feuer. Bevor die Engländern die wertvolle Fracht rauben konnten, explodierte die Pulverkammer und in kürzester Zeit sank das Schiff mitsamt der kostbaren Ladung und Besatzung. 578 Menschen kamen ums Leben, es gab nur elf Überlebende. Der Schatz war für alle verloren. Eine Galeone konnten die Engländer kapern, die andere kehrte in den Hafen Cartagena zurück.

Das Gold der San José: verschollen, aber nicht vergessen

Die Erinnerung blieb, aber der kostbare Schatz lag mehr als 270 Jahre lang irgendwo vor der kolumbianischen Küste verborgen. Kolumbien selber war nicht in der Lage, nach dem Schatz zu suchen. Und so finanzierte 1979 ein US-amerikanischer Geschäftsmann eine private Schatzsuche. Vorab schloss seine private Firma Sea Search Armada (SSA) einen Vertrag mit dem kolumbianischen Staat, der ihnen im Erfolgsfall einen satten Anteil an dem Schatz zusichern sollte.

Und tatsächlich konnten die Schatzsucher das Wrack bald lokalisieren und erste, qualitativ noch bescheidene Filmaufnahmen machen. Doch statt Ruhm und Geld gab es nur Verhaftungen und Ärger. Kolumbien erkannte den Fund nicht an, die Firma habe illegal nach dem Schatz gesucht und überhaupt sei ja nicht klar, ob es sich bei dem Wrack auch tatsächlich um die San José handele.

Überwucherte Spanische Galeone San Jose im Karibischen Meer
Mehr als 300 Jahre gehört das Wrack der San José den Algen und Muschelnnull COLOMBIAN PRESIDENCY/AFP

Juristisches Tauziehen um einen Schatz auf dem Meeresgrund

Die US-Firma klagte wegen Vertragsbruchs, ein jahrelanger Rechtsstreit folgte. Im Jahr 2007 gab zunächst ein kolumbianisches Gericht der Bergungsfirma SSA recht. Allerdings klagte Kolumbien in den USA gegen das Urteil und gewann 2011 den Prozess. Denn laut internationalem Seerecht gehören alle Schätze bis zu 12 Seemeilen vor der Küste dem jeweiligen Land. Aber war dieses US-Gericht überhaupt zuständig?

Laut UNESCO-Konvention zum Schutz von Gütern auf dem Meeresgrund gehört ein solcher Fund eigentlich dem Herkunftsland, in diesem Fall also dem Schiffbesitzer Spanien. Eigentlich. Aber Kolumbien hat diese UNESCO-Konvention nicht unterzeichnet.

2015 beauftragte Kolumbien seinerseits eine US-amerikanische Bergungsfirma, die Ende November das Wrack nahe der Halbinsel Barú orten und anhand der markanten Kanonen auch zweifelsfrei identifizieren konnte. Auf den Video-Aufnahmen sind zwischen den Wrackteilen sehr deutlich die mit Delfinen und Pferden geschmückten Kanonen, Gold- und Silbermünzen und andere Kostbarkeiten wie chinesisches Porzellan zu sehen.

Viele erheben Anspruch auf den Schatz

Kolumbiens Staatspräsident Santos reklamierte den Fund für sein Land, nach der Bergung solle der Schatz in einem Museum in Cartagena ausgestellt werden. Aber auch Spanien und die Bergungsfirma SSA beanspruchen die Kostbarkeiten weiterhin für sich. Zudem fordert auch Bolivien einen Teil des Schatzes für das indigene Volk der Qhara Qhara, denen das Gold und Silber sowie die Smaragde einst geraubt worden seien.

Detail einer Kanone der Spanischen Galeone San Jose im Karibischen Meer
An den markanten Pferde und Delphinen auf den Kanonen wurde das Wrack identifiziertnull COLOMBIAN PRESIDENCY/AFP

Sehr viel Geld, sehr viele Interessen. Aber was steht wem zu? Hat Spanien nur Anspruch auf die Wrackteile, also auf das Holz und die Kanonen, oder auch auf die zusammengeraffte Ladung? Spielt es eine Rolle, dass das geraubte Gold und Silber zu Münzen verarbeitet wurde? Ändert dies etwas an dem Anspruch, den Kolumbien oder die Indigenen auf das geraubte Gold oder Silber erheben?

Was ist außerdem mit dem chinesischen Porzellan, das ursprünglich sicherlich nicht aus den spanischen Besitzungen stammt? Und was ist mit dem Vertrag zwischen der Bergungsfirma SSA und Kolumbien?

Komplizierte Rechtslage

Das Sprichwort "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" soll verdeutlichen, dass Verlauf und Ausgang eines Gerichtsverfahrens oftmals unkalkulierbar sind. Denn selbst wenn man Recht hat, bedeutet dies nicht, auch Recht zu bekommen.

Aus heutiger moralischer Sicht scheint es unverständlich, warum Spanien für seine einstigen Plündereien in Südamerika auch noch belohnt werden sollte. Oder warum Kolumbien möglicherweise einen Vertrag gebrochen hat oder internationale Abkommen einfach nicht anerkennt, gleichzeitig aber andere internationale Gesetze für sich in Anspruch nimmt.

Chinesisches Porzellan der Spanischen Galeone San Jose im Karibischen Meer
Das feine chinesische Porzellan hat die Jahrhundert unter Wasser unbeschadet überstandennull COLOMBIAN PRESIDENCY/AFP

Aber vor Gericht geht es eben nicht um Moral, sondern um Recht. Gerichte entscheiden in jedem einzelnen Fall auf der Grundlage der vorgelegten Beweise, Zeugenaussagen, Argumente und des geltenden Rechts. Und da der vorliegende Fall kompliziert ist und es um sehr viel Geld geht, wird der Rechtsstreit vermutlich noch Jahre weitergehen. Zumal nicht wirklich klar ist, welches Recht denn nun gilt und welche Instanz den Fall letztendlich entscheiden kann. Der Internationale Seegerichtshof (International Tribunal for the Law of the Sea, ITLOS) offenbar nicht.

Entscheidet Den Haag über den Schatz der San José?

Die US-Bergungsfirma SSA hat deshalb das Schiedsgericht in Den Haag angerufen. Der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice, ICJ) ist das wichtigste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. Allerdings ist der ICJ für Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten zuständig.

Und beim San José-Schatz handelt es sich nicht um einen Rechtsstreit zwischen Staaten. Deshalb kann der Internationale Gerichtshof möglicherweise auch keinen Fall verhandeln, der auch zwischen privaten Unternehmen oder nichtstaatlichen Akteuren wie Bergungsfirmen und indigenen Völkern stattfindet. 

Es liegt noch viel Gold auf dem Meeresgrund 

Während alle Beteiligten gespannt auf ein Urteil warten, schafft Kolumbien mit der Bergung neue Fakten. Es könnten noch Jahre vergehen, bis es ein verbindliches Urteil gibt, das dann auch für viele andere Wracks und Schiffe gelten könnte.

Nötig wäre es, denn mittels neuer Ortungsmethoden ist die Schatzsuche heutzutage deutlich sicherer, effizienter und lukrativer geworden. Und alleine vor der kolumbianischen Küste sollen noch mehr als zweihundert Wracks liegen.

Dieser Artikel wurde erstmals am 22.03.2024 veröffentlicht und am 28.03. aktualisiert.

WHO warnt vor Mangel an Cholera-Impfstoff

Durch den extremem Cholera-Impfstoffmangel steigen die Fälle rasant an. Laut WHO wurden im vergangenen Jahr 72 Millionen Dosen von Ländern nachgefragt, aber nur 36 Millionen Dosen wurden produziert.

In den Jahren 2021 bis 2023, so die Weltgesundheitsorganisation, seien damit mehr Impfdosen von den Ländern nachgefragt worden wie im ganzen Jahrzehnt davor. Laut WHO ist die Firma EuBiologics in Südkorea die einzige, die überhaupt noch Cholera-Impfstoff herstellt.

Im Jahr 2022 gab es 473.000 Cholerafälle. Das sind doppelt wo viele wie noch 2021, und die Lage spitzt sich weiter zu. Vorläufigen Daten von 2023 zufolge könnte die Zahl für das vergangene Jahr auf 700.000 Fälle steigen.

Um die Lage etwas zu beruhigen, hatte es bereits im Oktober 2022 seitens der Koordinierungsgruppe die Empfehlung gegeben, nicht mehr wie üblich jeweils zwei Impfdosen zu verabreichen, sondern nur noch eine. So sollte die benötigte Menge an Impfstoff reduziert werden, allerdings hält dann auch der Impfschutz nicht so lange vor.

Am schwersten betroffen sind meist Konfliktregionen, in denen schlechte Hygieneverhältnisse herrschen, denn dort kann sich das Bakterium Vibrio cholerae schnell verbreiten. Zu den von Cholera betroffenen Ländern gehören die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Haiti, Somalia, der Sudan, Syrien, Sambia und Simbabwe.

Auf lange Sicht sei es nötig, den Hygienestandard zu verbessern und für mehr und bessere Abwassersysteme zu sorgen sowie in sauberes Trinkwasser zu investieren.

Bakterium Vibrio cholerae verseucht Wasser

"Eigentlich ist die Krankheit Cholera sehr gut in den Griff zu kriegen", sagt Daniel Unterweger, Mikrobiologe an der Universität Kiel und am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Denn das Cholera-Bakterium Vibrio cholerae schwirrt nicht durch die Luft und infiziert Menschen über die Atemwege, wie es Viren wie Influenza oder SARS können. Vibrio Cholerae wird oral - also über den Mund - aufgenommen. Das passiert meistens über mit den Bakterien verunreinigtes Trinkwasser.

So gelangen die Bakterien in den menschlichen Körper, wo sie oft unbemerkt bleiben und der infizierten Person keine Symptome bescheren. Diese scheidet die Bakterien dennoch aus und infiziert damit potenziell weitere Menschen. Cholera kann allerdings auch zu schweren Durchfällen bis hin zum Tod führen.

Doch dazu müsste es in vielen Fällen erst gar nicht kommen, denn "die Cholera-Erkrankung ist sehr gut zu behandeln", sagt Unterweger. Infizierte können mit einer Flüssigkeit, die Salze und Zucker enthält, und intravenös oder oral verabreicht wird in den meisten Fällen erfolgreich behandelt werden.

Es gibt auch Impfungen, die oral verabreicht werden und zumindest ein paar Jahre lang einen guten Schutz bieten. Dennoch sterben nach Schätzungen der WHO jedes Jahr zwischen 21.000 und 143.000 Menschen an der bakteriellen Infektion. Denn Cholera mag leicht zu verhindern und zu behandeln sein, allerdings nur dann, wenn die Umstände es zulassen.

Cholera durch Krieg, Katastrophen und Flucht

"An Cholera erkrankt man dadurch, dass man die Cholera-Bakterien oral aufnimmt. Das heißt, es müssen zwei Faktoren gegeben sein: Zum einen muss das Bakterium in der Umwelt vorhanden sein, beispielsweise in einem Fluss. Und zum anderen muss der Mensch mit dem Fluss in Kontakt kommen, indem er beispielsweise Wasser aus dem Fluss trinkt", erklärt Unterweger.

Sauberes Trinkwasser ist die wichtigste Voraussetzung, um Cholera-Erkrankungen vorzubeugen. Naturkatastrophen wie die Fluten in Libyen oder wie das Erdbeben in Marokko zerstören jedoch die Wasserinfrastruktur und erhöhen das Risiko, das mit Fäkalien verunreinigtes Abwasser ins Trinkwasser gerät - und damit auch das Cholera-Bakterium.

Kriege können einen ähnlich zerstörerischen Effekt haben und den Menschen nicht nur den Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehren, sondern auch eine rechtzeitige Behandlung der Cholera-Erkrankung unmöglich machen.

Klimakrise hat Effekt auf Cholera

Die Klimakrise ist gleich ein zweifacher Treiber für die Verbreitung des Bakteriums, erklärt der Mikrobiologe Unterweger. "Je wärmer Gewässer werden, desto stärker vermehren sich die Cholera-Bakterien." Das erhöhe auch das Risiko für Infektionen. 

Außerdem trägt das sich aufheizende Klima dazu bei, dass immer mehr Menschen ihre Lebensräume verlassen, weil Dürren oder andere Extremwetterlagen sie zur Migration zwingen. "Diese Menschen gelangen dann leicht an Orte ohne ausreichende lokale Hygieneinfrastruktur und infizieren sich dort", sagt Unterweger. Laut WHO sind Flüchtlingscamps besonders anfällig für Cholera-Ausbrüche.

Wie sich die globale Cholera-Situation in den kommenden Jahren entwickeln wird, darüber kann Unterweger nur spekulieren. Die WHO möchte der Infektion bis 2030 den Garaus gemacht haben. Die Klimakrise und dadurch häufiger auftretende Extremwetterereignisse, die wiederum Infrastruktur zerstören und Menschen zur Flucht zwingen, lassen Unterweger jedoch vermuten, dass wir Cholera nicht so schnell loswerden und noch viele Menschen an der Infektionskrankheit sterben werden.

 

Quelle: 

Millions at risk from cholera due to lack of clean water, soap and toilets, and shortage of cholera vaccine, https://www.who.int/news/item/20-03-2024-millions-at-risk-from-cholera-due-to-lack-of-clean-water-soap-and-toilets-and-shortage-of-cholera-vaccine

 

Die Bachelors: Wissenschaft nimmt Datingshows unter die Lupe

Eine neue Staffel "Der Bachelor“. Mal wieder. Obwohl: Diesmal sind es sogar ZWEI Bachelors in einer Sendung, die sich in der neuesten Ausgabe der Datingshow auf die Suche nach der Liebe ihres Lebens begeben.

Und wieder stellt sich die Frage, wer die letzte Rose bekommt. Die Bachelors werden es wissen, vielleicht die Produzenten und - die Biologie. 

"The Bachelor" ist seit der Produktion der ersten US-Staffel im Jahr 2002 ein Erfolgsformat - egal ob mit Bachelor oder Bachelorette als Protagonist bzw. Protagonistin.

2023 startete in den USA die 27. Staffel der Sendung, in Deutschland sind wir derzeit bei der 14. Ausgabe. Doch auch international wird man der Bachelors und Bacherlorettes nicht müde: Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien, Japan, Vietnam, Schweiz, Finnland, Norwegen, Schweden, Rumänien, Russland, Ukraine, Frankreich, Polen, Israel - überall gab oder gibt es Junggesellen oder Jungesellinnen, die in dem Format ihr Glück suchen.

Partnerwahl: Der Bachelor als Studiengrundlage

Forschende des Instituts für Psychologie an der Universität Würzburg haben die TV-Show genauer unter die Lupe genommen und meinen, in dem Format Beweise für evolutionäre Theorien bei der Partnerwahl wiederzuerkennen. Sie gingen der Frage nach, wie der Beginn einer Beziehung und ihre Dauer vom Geschlecht der Person abhängt, die ihren gewünschten langfristigen Partner aus einem Pool potenzieller Kandidaten auswählt. Also: Wie sich der Mikrokosmos Bachelor/Bachlorette aufs echte Leben übertragen lässt. Die Forschung wurde in "Frontiers in Psychology" veröffentlicht

Um die Frage zu beantworten, analysierten die Forschenden 169 Bachelor- und Bachelorette-Staffeln, die zwischen 2002 und 2021 in 23 Ländern ausgestrahlt worden waren. Die erforderlichen Daten entnahmen sie Wikipedia, Nachrichtenartikeln oder anderen Onlineressourcen. Wichtig waren unter anderem Alter und Geschlecht des Protagonisten bzw. der Protagonistin und des gewählten Partners oder der Partnerin. Berücksichtigt wurden auch die Anzahl der Teilnehmenden und der Beziehungsstatus bzw. die Länge der Beziehung nach der Sendung.

Das Ergebnis in Kürze: Wenn Frauen den Partner auswählten, kamen mehr Beziehungen zustande. Während die Männer in der Regel jüngere Partnerinnen wählten, entschieden sich Frauen für Partner, die näher an ihrem eigenen Alter lagen. Wenn es beim Bachelor oder bei der Bachelorette zu einer Beziehung kam, wurde die Dauernicht durch das Geschlecht des Protagonisten beeinflusst.

Evolutionstheorien im Reality-TV

Die Forschenden sehen in den Ergebnissen alte Theorien bestätigt, etwa evolutionäre Muster bei den Alterspräferenzen, wonach Männer durchweg jüngere - also vermeintlich fruchtbarere - Partnerinnen bevorzugten.

Oder etwa die Theorie der elterlichen Investition. Diese besagt, dass das Geschlecht mit der höheren Mindestinvestition in den Nachwuchs - in der Regel die Frau - bei der Partnerwahl eine größere Vorsicht an den Tag legt. Die minimale Investition des Mannes in die Nachkommen besteht aus ein paar Minuten Zeit für den Geschlechtsverkehr, die minimale Investition der Frau hingegen ist eine Schwangerschaft und das Großziehen des Nachwuchses.

Für die Frau ist es demnach von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass diese hohe Anfangsinvestition nicht umsonst getätigt wurde. Frauen bevorzugen nach diesem evolutionspsychologischen Ansatz Partner, die Macht, Status und Ressourcen, wie Vermögen, besitzen, also Voraussetzungen, die für das Aufziehen der Nachkommen nützlich sind. Na klar!

Ergebnisse nach Drehbuch?

Doch ist es wirklich so leicht und vor allem noch zeitgemäß? Die Schlussfolgerungen haben auch Schwächen, schreiben die Forschenden. Sie räumen unter anderem ein, dass Entscheidungen in den Sendungen bezüglich der Finalisten und Finalistinnen nicht von den Protagonisten selbst, sondern von den Produzenten getroffen sein könnten. Es geht um die ewige Frage der "scripted reality", einer vermeintlichen Wahrheit also mit fiktiven Elementen und Handlungen.  

Auch die von den Forschenden analysierten Sendungen, also der Umfang der Stichproben, oder der Cast generell könnten das Ergebnis beeinflusst haben. So sind die teilnehmenden Frauen beim Bachelor laut Bachelordata primär zwischen 25 und 26 Jahren alt, also noch recht jung. Dem Bachelor bleibt keine andere Wahl als sich für eine solch jüngere Partnerin zu entscheiden. Die teilnehmenden Männer bei Bachelorette sind 29 bis 30 Jahre.

Auf der sozialen Nachrichtenseite "Reddit" wird die Studie oder vielmehr das Format "Bachelor" diskutiert, das nach Ansicht der Nutzenden auf hetero-patriarchalische Beziehungen ausgerichtet ist. Auch den Drang, menschliches Handeln mit der Evolution zu rechtfertigen, sehen Leser kritisch. So schreibtein User, der sich mit Evolutionsbiologie beschäftigt: "Ich sehe durchaus den theoretischen Wert der Übertragung von evolutionären Perspektiven auf die Erforschung des menschlichen Verhaltens, aber in der Praxis scheint es zu oft darauf hinauszulaufen, die Art und Weise, […] wie Menschen handeln, mit der Behauptung zu rechtfertigen, es sei alles biologisch angeboren." Dies sei in der heutigen Zeit, in der sich kulturelle Normen und Praktiken so schnell verbreiten, nicht mehr beweisbar.

Nichtsdestotrotz ein Happy End: Laut Studienautoren haben sich acht Prozent der Paare tatsächlich für eine Heirat entschieden. 

Doch was fasziniert uns so am Bachelor?

Trotz der Kritik sind Dating-Shows wie der Bachelor oder Reality-TV allgemein nicht mehr aus der Fernsehlandschaft wegzudenken. Sie laufen zur Prime Time oder On-Demand - wann auch immer der Voyeurist in uns das Verlangen nach Flirts, Streitereien und Schadenfreude hat.

Ehrlichkeit in der Liebe: Ein Charakterzug ist entscheidend

Lügen sind doof, Ehrlichkeit ist gut. Dieser Einordnung würden wahrscheinlich viele Menschen erstmal zustimmen. Aber Moment! Habe ich nicht gestern erst "Du siehst super aus, Schatz!" zu meiner Partnerin gesagt, obwohl ich ihre neue Frisur nicht besonders mag? Und neulich als er gekocht hatte behauptet, das Essen habe richtig gut geschmeckt, obwohl es höchstens mittelgut war?

Lügen folgen einer Kosten-Nutzen-Rechnung, erklärt die Sozialpsychologin Dr. Nina Reinhardt von der Universität Kassel. In vielen Alltagssituationen erscheint uns der Nutzen dieser kleinen Unwahrheiten groß, weil sie uns selbst und die andere Person vor Konflikten bewahren.

Wer lügt denn da?

Forschende gehen davon aus, dass jeder Mensch mehrfach in der Woche lügt. Allerdings gibt es Menschen, die ehrlicher sind als andere. Bei diesen Personen ist ein Persönlichkeitsmerkmal besonders stark ausgeprägt: Ehrlichkeit-Bescheidenheit (engl. Honesty-Humility). Menschen mit diesem Persönlichkeitsmerkmal lügen weniger. Zu diesem Ergebnis gelangten Studien, die die Ehrlichkeit zwischen Menschen untersucht haben, die sich nicht kannten.

Nina Reinhardt wollte wissen, ob dasselbe für Liebesbeziehungen gilt. Denn: "Es ist ein Unterschied, ob ich fremden Menschen gegenüber unehrlich bin, die ich nicht kenne und vielleicht nie wiedersehe", erklärt Reinhardt. Den Partner oder die Partnerin zu belügen, ist viel gravierender. Je nach Schwere der Lüge oder des Betrugs sind die Konsequenzen groß und haben unmittelbare Auswirkungen auf das eigene Leben. 

Reinhardt testete das Lügenverhalten in Paarbeziehungen von insgesamt 5.677 Probanden und Probandinnen. Das Ergebnis: Auch in Partnerschaften ist es vor allem das Persönlichkeitsmerkmal Ehrlichkeit-Bescheidenheit, das für weniger Lügen sorgt.

Persönlichkeitsstruktur im HEXACO-Modell

Dieses Persönlichkeitsmerkmal ist eines von sechs Faktoren, die Teil des sogenannten HEXACO-Modells sind. Weitere sind Emotionalität, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen.

"Jeder Mensch nimmt auf jedem dieser Faktoren eine ganz individuelle Ausprägung an", erklärt Nina Reinhardt. Aus diesem Grund sei das Modell für die  psychologische Forschung gut geeignet und könne das Verhalten von Menschen gut voraussagen. 

Woran erkenne ich einen ehrlichen Menschen?

"Menschen mit einem hohen Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert sind insgesamt fairer", sagt Reinhardt. Sie hätten kein Interesse daran, andere auszubeuten, um einen möglichst großen eigenen Nutzen daraus zu ziehen. "Sie sind aufrichtiger in persönlichen Beziehungen. Das heißt, sie spielen anderen nicht vor sie zu mögen, nur weil das eventuell nützlich für sie sein könnte", so Reinhardt weiter.

Außerdem hätten diese Menschen kein Interesse daran, sich durch Statussymbole und Luxus von anderen abzuheben. "Und sie sind bescheiden, weil sie sich an Regeln halten. Sie nehmen sich nicht heraus, sich über andere zu erheben, indem sie ihre eigenen Regeln aufstellen", sagt die Sozialpsychologin.

Ehrliche und bescheidene Traumpartner

Aus diesen Persönlichkeitsfacetten entsteht eine bestimmte Denkweise, so Reinhardt: Menschen mit hohem Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert begegnen anderen Menschen vertrauensvoller. "So wie ich bin, glaube ich auch, dass mein Umfeld ist", sagt Nina Reinhardt. "Soziale Projektion" nennt die Psychologin das.

Mann oder Frau - wer lügt besser?

Der Faktor Bescheidenheit in Beziehungen ist laut Reinhardt ein relativ neuer Forschungsgegenstand. "Bescheidenheit bedeutet, dass sich jemand weniger egoistisch verhält, sondern eher so, dass sein Verhalten dem anderen zugutekommt", sagt Reinhardt. Bescheidene Menschen könnten sich außerdem besser selbst einschätzen, weil sie sich weniger selbst überhöhen. "Sie haben einen realistischeren Blick auf sich selbst, was sich in einer Beziehung positiv auf die Kommunikation des Paares auswirkt", erklärt die Sozialpsychologin. 

Zumindest dann, wenn es sich um sogenannte "wertschätzende" Bescheidenheit handelt. Laut einer amerikanischen Studie können Menschen mit dieser Form der Bescheidenheit andere feiern, ohne sich selbst abzuwerten und unterwürfig zu verhalten. 

Augen auf bei der Partnersuche

Es gibt ein paar Warnsignale, die darauf schließen lassen könnten, dass es mit der Ehrlichkeit und Bescheidenheit des Gegenübers nicht weit her ist. "Die sind natürlich mit Vorsicht zu genießen", gibt Reinhardt zu bedenken. Nur weil sich jemand einmal unehrlich oder wenig bescheiden verhalte, spreche das nicht automatisch für ein unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal.

Reinhardt listet in ihrer Studie dennoch ein paar Hinweise auf, die die Alarmglocken schrillen lassen sollten: Menschen, die grundsätzlich nur dann höflich und freundlich zu anderen sind, wenn es ihnen nützt, sind auch in Partnerschaften eher weniger aufrichtig. Wer ständig Gesetze oder Regeln bricht, bricht auch eher die Regeln einer Partnerschaft.

Sexuelle Untreue in früheren Partnerschaften ist ebenfalls ein Warnsignal. Menschen, die großen Wert auf Luxus und teure Statussymbole legen, könnten ebenfalls einen eher niedrigen Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert haben. 

Nun ist der Pool an ehrlichen und bescheidenen potentiellen Partnern nicht unendlich groß. Eine Lösung gibt es: Menschen, die selber weniger ehrlich und bescheiden sind, suchen sich Gleichgesinnte. Dann passt es wieder.

 

Quellen:

Journal of Personality and Social Psychology: Honesty-Humility Negatively Correlates With Dishonesty in Romantic Relationships. Reinhardt, N. & Reinhard M.-A. (2023) https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fpspp0000456

Journal of Research in Personality: Trust in me, trust in you: A social projection account of the link between personality, cooperativeness, and trustworthiness expectations. Thielmann, I. & Hilbig, B. (2014) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0092656614000245?via%3Dihub

Psychology Today: HEXACO Six-Factor Model https://www.psychologytoday.com/us/basics/hexaco

Journal of Personality and Social Psychology: The psychological structure of humility. Weidman, A., Cheng, J., Tracy, J. (2018): https://psycnet.apa.org/record/2016-36396-001

Haben Aliens den mysteriösen Monolithen in Wales errichtet?

Vom Weltraum aus betrachtet, erscheint Wales im Westen des Vereinigten Königreichs wie eine mystische Landschaft. Weite Wiesenhügel, dunkle Moore und schroffe Berge. Wenige Erdlinge wohnen dort. Ein roter Drache ziert die walisische Flagge und die Sprache verstehen nur Waliser.

Irgendwo im dortigen Nirgendwo entdeckt ein Wanderer im walisischen Hay-on-Wye in der Grafschaft Powys einen mysteriösen Monolithen aus Metall. Der erstaunte Wanderer postet ein Bild von sich vor dem etwa drei Meter hohen glänzenden Objekt.

Es dauert nicht lange, dann springen die Medien in Großbritannien auf das Thema an. Es sei auf den ersten Blick schon ein bisschen unheimlich, sagt der Finder der Zeitung The Guardian: "Es sieht aus wie ein UFO."

Wo könnte es nur herkommen? "Das Objekt sieht nicht so aus, als habe es jemand da abgeworfen, das hat jemand gezielt dort in den Boden gedrückt", analysiert der Wanderer.

Ein wandernder UFO-Experte

Der Finder und die Zeitung haben alles richtig gemacht: Sie haben ein Mysterium um die Herkunft geschaffen und die wichtigsten Schlagworte verwendet: "unheimlich" und "UFO", schon geht die Meldung um die Welt.

Gegenüber der altehrwürdigen "New York Times" sagt der 37-jährige Entdecker: "Man kann schnell glauben, dass es von einem UFO oder ähnlichem abgeworfen wurde." Der perfekte Monolith sei einer "wie man sie aus Ägypten kennt" (wer kennt sie nicht?) und der Stahl zeige "keine Schweißnaht".

Da der Entdecker nun zufällig in einer Schweißerfamilie aufgewachsen ist und selbst viel mit Metall arbeitet, lautet sein professionelles Urteil: Bei diesem Objekt habe "jemand eine verdammt gute Arbeit gemacht".

Aliens als Antwort - was sonst?

Auch in Wales sind gute Handwerker nur sehr schwer zu finden. Ein weiterer, vermeintlich guter Grund dafür, dass Aliens diesen Monolithen aufgestellt haben müssen: Wer sonst würde das in dieser menschenleeren Gegend tun?

Sind sie also längst unter uns, die Aliens? Vermessen sie die Erde bereits? Oder was will uns dieses Objekt sagen?

Es ist schon auffallend, dass die Aliens sich vor allem für sehr ursprüngliche, abgelegene Gegenden zu interessieren scheinen. Die Gegend in Wales ist sogar so abgelegen - oder rückständig, je nach Auffassung -, dass der Monolithen-Unfug erst vier Jahre nach den ersten Monolithen-Funden endlich auch in Wales angekommen ist.

Weltweite Nachahmung

Denn bereits 2020, als die Erdenmenschen gerade weltweit gegen ein kleines Coronavirus kämpften, entdeckten US-Beamte beim Schäfchenzählen (nicht vor dem Einschlafen, sondern aus einem Hubschrauber heraus) den ersten Monolithen im Red Rock County in Utah. Eine Sensation! Alle berichteten über das seltsame Gebilde im Nichts.

Bald danach wurden ähnliche Objekte in Kalifornien, Rumänien, Großbritannien, den Niederlanden, der Türkei und im deutschen Bundesland Hessen entdeckt. Häufig an Orten, wo es vor allem eines gibt: fast nichts!

Die Faszination des Unbegreiflichen

Das Unerklärliche, Mysteriöse, Unentdeckte zieht uns seit Urzeiten in den Bann. Mystische Orte und Dinge, die wir (zunächst) nicht erklären können, wecken unsere Neugier. 

Der US-amerikanische Psychologe W. McDougall sagte Anfang des 20. Jahrhunderts, Neugier sei der wesentliche Kern von jeder Art von Motivation. Und damit auch die Grundlage für die besonderen wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen des Menschen. Neugier sei ein Instinkt und deshalb bei Kleinkindern schon vor dem Auftreten der Sprache zu beobachten.

Je abgelegener, je unerreichbarer, desto größer die Neugier. Die sagenumwobene Insel Atlantis, das Schiffe verschlingende Bermuda-Dreieck im westlichen Atlantis, UFOs und Aliens, Astrologie, übernatürliche Kräfte oder gigantische Kornkreise - je unerklärlicher, desto anziehender.

“Es ist die Faszination des Außergewöhnlichen. Wenn uns Gewöhnliches genauso faszinieren würde, kämen wir gar nicht mehr dazu, unsere alltäglichen Anforderungen wahrzunehmen. So negativ die Auswirkungen dieser Begeisterungen auch sein mögen: sie sind keinesfalls `eine Panne der Natur´“, so der Psychologe Dr. Günter Molz von der Bergischen Universität Wuppertal. “Weiterer Vorzug des Außergewöhnlichen: Diejenigen, die außergewöhnliche Thesen vertreten, sind `nicht normal´ im Sinne von unauffällig, langweilig. Sie vertreten eine exklusive Position, fühlen sich unter Umständen narzisstisch gratifiziert“, so Molz gegenüber der DW. Diese Personen haben also möglicherweise ein übertriebenes Bedürfnis nach Bewunderung.

Wir Menschen wollen Dinge nicht nur wahrnehmen, sondern auch verstehen. Wir sind darauf konditioniert, Dinge untersuchen, "begreifen" und erklären zu wollen. Was für uns ein Geheimnis bleibt, was "unfassbar" ist, bezeichnen wir als "mysteriös".

Dann suchen wir nach mehr oder eben auch weniger plausiblen Erklärungen - zum Beispiel in der Wissenschaft, in der Para- oder Pseudowissenschaft, in der Esoterik, im Aberglauben oder in Religionen. Alle Bereiche neigen dazu, einen gewissen Absolutheitsanspruch für sich zu beanspruchen. “Nicht-wissenschaftliche Erklärungen haben zudem halt eben den oben angesprochenen Exklusivitätsvorteil“, so der Psychologe Molz. 

Gibt es Aliens?

Aufmerksamkeit statt Aliens

Mag sein, dass eine außerterrestrische Lebensform ein gesteigertes Interesse an der walisischen, rumänischen oder hessischen Provinz hat. Allerdings entpuppten sich die Monolithen in der Vergangenheit als vergleichsweise plumpe Versuche, Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Denn unmittelbar nach Bekanntwerden eines Monolithen strömen Heerscharen an Touristen, Schaulustigen und Sinnsuchern zu den Objekten. Und in ihrem Gefolge Souvenirhändler, Imbissbuden und andere Glücksritter.

Verantwortlich für den ersten Monolithen in Utah war der Künstler Matty Way. Als der Hype seinen Höhepunkt erreichte, gab er sich als "The Most Famous Artist" zu erkennen. Über sein Künstlerkollektiv konnte man Repliken des Monolithen für 45.000 US-Dollar bestellen.

Tolle Geschäftsidee, dachten sich vier Hobbykünstler aus Kalifornien und errichteten ebenfalls Monolithen im Sonnenstaat. Weitere Trittbrettfahrer folgten, so begann das Monolithen-Phänomen.

Die Monolithen in Rumänien, Spanien und Hessen waren allerdings so schlecht geschweißt, dass sich Aliens dafür vermutlich schämen würden. 

Die Schattenseiten des Hypes

Ist die Aufmerksamkeit erst einmal geweckt, was durch Sozial Media natürlich noch viel einfacher geworden ist, dann wollen alle den Ort oder das Objekt sehen oder daran verdienen. Wer weiß, wie lange es zu sehen ist. 

Darauf wies auch der findige Entdecker aus Wales gleich hin: "Ich kann nicht sagen, wie lange das Objekt da stehen wird, ganz ehrlich", sagte er. "So wie ich unsere Nationalparks kenne, die finden das nicht witzig, wenn jemand einfach was aufstellt."

Da hat er vermutlich recht. Denn nach der kurzen Freude über den unverhofften Geldsegen folgt in der betroffenen Region sehr schnell die Wut der Anwohner oder Naturschützer, die miterleben müssen, wie die bis dahin unberührte Landschaft durch den Andrang vermüllt und verwüstet wird.

"Wir möchten alle Besucher darauf hinweisen, dass die Nutzung, Besetzung und Entwicklung öffentlicher Ländereien und ihrer Ressourcen illegal ist - egal, von welchem Planeten Sie kommen", scherzte das Bureau of Land Management auf Twitter. 

Viele der Monolithen wurden bald zerstört oder von den Behörden wieder entfernt. Vorsorglich hatte das Utah Department of Public Safety den genauen Standort des Monolithen verheimlicht, damit sich die Touristenströme gar nicht erst in Bewegung setzen und nicht weitere Objekte in der unberührten Natur errichtet werden.

Tiere weltweit von tödlicher Vogelgrippe bedroht

Es war nur eine Frage der Zeit, bis hochaggressive Vogelgrippevirenauch das antarktische Festland erreichen. Im Herbst 2023 war der Erreger bereits von der Polarforschungsorganisation British Antarctic Survey (BAS) im Südpolarmeer nachgewiesen worden. Infizierte Tiere wurden jetzt vom chilenischen Antarktis-Institut (INACH) auch auf dem antarktischen Festland gefunden.

Über Wildtiere gelangen die Erreger in Gebiete, wo es bislang noch keine Vogelgrippe gab. Das Virus trifft so auf Tiere, die noch nie Kontakt mit dem Virus hatten und entsprechend auch keine Abwehrkräfte dagegen haben.

Das führt vielerorts zu einem gewaltigen Massensterben, nicht nur bei Vögeln, sondern auch bei Säugetieren. An den Pazifikküsten in Chile und Peru wurden bereits tausende tote Robben, Meeresotter und Seelöwen gefunden.

Problematische Geflügelproduktion

Die hochansteckenden Virenstämme H5N1 und H5N8 entstanden wahrscheinlich in Geflügelfarmen in Ostasien, so die "Wissenschaftliche Arbeitsgruppe Vogelgrippe und Wildvögel", die von den Vereinten Nationen (UN) gegründet wurde.

"Durch die enorme Expansion der Geflügelproduktion weltweit, aber vor allem in China und Südostasien, kam es zu der dramatischen Ausbreitung des aktuellen hochpathogenen, also besonders aggressiven Erregers", so Prof. Timm Harder, vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Greifswald. Er leitet dort das Nationale Referenzlabor für Aviäre Influenza, wie die Geflügelpest wissenschaftlich heißt.

Zugvögel tragen das Virus in die Welt

Wenn die Vogelgrippe früher in Geflügelbetrieben entdeckt wurde, war die Folge, dass abertausende Tiere gekeult, also getötet wurden. So wurden die hochpathogenen Viren ausgemerzt und konnten zumindest nicht in die Wildvogel-Populationen gelangen.

Aber das habe sich spätestens seit dem Sommer 2021 geändert, sagt Timm Harder im Gespräch mit der DW: "Durch die speziellen Haltungsformen in Asien, wenn zum Beispiel die Enten auf abgeerntete Reisfelder getrieben werden, kommt es immer wieder zu großen Schnittstellen zwischen Wildvogel-Populationen und infizierten Nutztiervögeln. Das hat zum Übertritt des Virus auf Wildtiere geführt, das dann mit den Zugvögeln weiterverbreitet wird." 

Gänse in einem Stall  in Indien
Auch in Indien verursacht die Vogelgrippe gewaltige wirtschaftliche Schädennull Soumyabrata Roy/NurPhoto/picture alliance

Gefährliche Vermischung

Grundsätzlich sind im Wasser lebende Wildvogel-Populationen das Reservoir für niedrig pathogene Influenza A-Viren, die eigentlich keine Krankheiten auslösen und auch bei Geflügel keine Symptome hervorrufen.

"Aber wenn sich diese harmlosen Influenza A-Viren mit den hochpathogenen H5N1-Varianten vermischen, dann kommt es zu sehr gefährlichen Varianten, die aus dem Nichts ein erweitertes Wirtsspektrum generieren können oder eine neue Pathogenität", erklärt Harder, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am FLI. Durch Kombinationen mit niedrigpathogenen Aviären Influenza-A-Viren entwickelte sich so auch die aktuell grassierende Erregerlinie.

Die Saisonalität gibt es nicht mehr

Früher trat die Vogelgrippe meistens nur im Herbst und Winter auf. Die Vogelgrippe kam mit den Zugvögeln aus Nordosten und verschwand auch wieder, wenn die Tiere im Frühjahr zurückflogen.

Aber diese Saisonalität gibt es nicht mehr: "Dieses Virus hat es geschafft, sich sehr gut an im Wasser lebende Wildvogel-Populationen anzupassen und ist dort jetzt ganzjährig anzutreffen. Das ist mittlerweile in Nordamerika der Fall, und das wird sich auch in Südamerika dahingehend weiterentwickeln", so Harder.

Schutzlose Wildtierpopulationen

Entsprechend wütete die Vogelgrippe in sehr vielen südamerikanischen Ländern. Und es gibt laut Harder keine Hoffnungen, das hochansteckende Virus doch noch ausrotten zu können. "Es ist ein bisschen wie mit dem Flaschengeist: Wenn man den Korken einmal aufgemacht hat und der Geist einmal raus ist, dann kriegen sie ihn nicht mehr in die Flasche zurück. Das Virus ist draußen, entwickelt sich eigenständig in Wildvogel-Populationen und ist von uns nicht mehr beeinflussbar." 

Bisher galt die Antarktis neben Australien und Ozeanien als letzte vom aktuellen Vogelgrippe-Ausbruch verschonte Region der Erde. “Die Vogelgrippe könnte in der Antarktis eine Umweltkatastrophe ersten Grades auslösen“, sagte der Meeresbiologe Ralf Sonntag von der Umweltschutzorganisation Pro Wildlife.

Bis zu 100 Millionen Seevögel haben in der Antarktis ihre Brutgebiete Fünf Pinguin-Arten wie Kaiser- und Adelie-Pinguine kommen nur dort vor. Zudem lebten in der Region Robbenarten wie Weddellrobbe und Seeleopard. Vor allem für einige bedrohten Tierarten wie Albatrosse könnte dies den Todesstoß bedeuten, so Professor Harder.

Kaum noch Einflussmöglichkeiten

Es gibt so gut wie keine Möglichkeiten, um Wildtiere wirksam zu schützen. Zwar können verendete Tiere eingesammelt werden, um die Ausbreitung zu verlangsamen, aber Impfungen kommen für Milliarden von Wildtieren so gut wie nicht in Frage.  

"Das Einzige, was wir noch tun können ist, die Geflügelproduktion so gut es geht zu schützen und zu verhindern, dass sich das Virus aus den Wildvögeln dann wieder in Geflügel zurückziehen kann, sich dort weiter vermehrt und dann wieder zurück an die Wildvögel übertragen wird." Aber das funktioniere selbst in Europa nur unzureichend, immer wieder komme es zu Infektionen.

Das hänge auch mit der vermehrten Freilandhaltung in der Geflügelproduktion zusammen, wo es häufig Kontakt mit Wildtieren gibt. Auch deswegen habe die Europäische Kommission seit 2023 die Impfung von Geflügel gegen das hochpathogene Influenza A-Virus erlaubt.

Toter Vogel am Strand in Peru
Vor allem in Südamerika trifft das Vogelgrippevirus auf schutzlose Wildvogelpopulationennull Carlos Garcia Granthon/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Auch Säugetiere sind gefährdet

Wenn infizierte oder verendete Wildvögel von Säugetieren gefressen werden, dann können sich auch Säugetiere mit dem Virus infizieren.

"Gerade wenn es so ein Massensterben bei koloniebrütenden Seevögeln gibt, dann zieht das immer Fleischfresser an, wie Füchse, Marder oder auch Robben und Otter. Für die sind diese Vögel natürlich leichte Beute und bedeuten gutes Futter. Diese Tiere nehmen eine sehr hohe Dosis des Virus auf, und das nutzt das Virus aus, um sich dann auch in diesen Säugetieren weiter zu vermehren."  

Weitergabe des Virus unter Säugetieren?

Bislang gibt es keine klaren Hinweise, ob das Virus von Säugetier zu Säugetier übertragen werden kann. In Lateinamerika allerdings seinen viele zehntausend Seelöwen am Virus verendet und "es besteht der Verdacht, dass es dort zu Übertragungen von Seelöwe zu Seelöwe gekommen sein könnte." 

Sollte sich das Virus tatsächlich entsprechend angepasst haben, dann wäre dies auch eine große Gefahr für den Menschen. Bislang haben sich Menschen nur in sehr seltenen Fällen angesteckt. "Das könnte sich bald ändern", so Timm Harder. 

Besorgniserregende Mutationen

Durch die Vielzahl der Infektionen wachse auch die Gefahr eines säugetieradaptierten Virus mit einer erhöhten Infektiosität für den Menschen", erläutert Harder.

Es gebe bereits einige Varianten, die zahlreiche Mutationen aufwiesen, die eine Infektion zwischen Menschen wahrscheinlicher machten. So könne die in China entdeckte H3N8-Variante laut einer chinesisch-britischen Studie per Tröpfcheninfektion zwischen Säugetieren übertragen werden und sie vermehre sich erfolgreich in menschlichen Zellen aus Bronchien und Lunge, schreiben die Forschenden im Fachblatt Cell.

Die vielen Subtypen wie H3N8, H6N1, H10N8 müssten sehr genau beobachtet werden. Das gilt auch für den Subtyp H5N6, der auf einer südchinesischen Farm für Hunde, die für den Verzehr gedacht sind, aufgetreten ist.   

Sollten sich tatsächlich in Zukunft Infektionen mit Vogelgrippe beim Menschen häufen, werden schnell geeignete Impfstoffe benötigt. Sicherheitshalber hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits für das aktuelle H5N1-Virus geeignete Impfstoffkandidaten entwickelt. Im Bedarfsfall könnte die Impfstoffproduktion mit den entsprechenden Impfstoffkandidaten sofort beginnen.

Der Artikel wurde am 15.03.24 um die neuen Nachweise des Erregers auf dem antarktischen Festland ergänzt.

Küstenstädte sinken - und der Meeresspiegel steigt

Es sind zwar nur ein paar Millimeter pro Jahr, aber die Folgen werden dramatisch sein: Viele Küstenstädte weltweit werden deutlich früher als bisher angenommen mit massiven Überschwemmungen zu kämpfen haben. Das liegt nicht nur an steigenden Wasserpegeln durch den Klimawandel, sondern auch am Absinken der Landmassen in Küstennähe.

Die Gründe für die Subsidenz, also die Landabsenkung, variieren je nach Region. Natürliche Faktoren wie Erdbeben, vulkanische Aktivitäten und der Verdichtung feinkörniger, unverfestigter Sedimente spielen eine Rolle. Aber auch Bebauung, Bergbau sowie Abbau von Erdgas und Erdöl, also durch den Menschen bedingte Faktoren, tragen zur Absenkung bei. Besonders groß ist das Ausmaß in Regionen, in denen dem Boden sehr viel Grundwasser entzogen wird, um Wohngebiete oder Industrieanlagen zu bauen. Dadurch wird der Untergrund instabiler und senkt sich ab. 

Kaum Dämme und Flutmauern an der US-Ostküste

Ein bedrohliches Absinken der nordamerikanischen Ostküste hatte zuletzt ein Forschenden-Team um Leonard Ohenhen und Manoochehr Shirzaei von der Virginia Tech nachgewiesen. Laut der im Fachjournal "Pnas Nexus" erschienenen Studie gibt vor allem der Boden unter den Metropolen New York, Baltimore und Norfolk messbar um ein bis zwei Millimeter pro Jahr nach. In dem auf einer Halbinsel gelegenen Charleston in South Carolina senkt sich der Untergrund sogar um vier Millimeter pro Jahr.

Infografik | Nature Magazin US-Landkarte
Die Studie zeigt die Überflutungsrisiken an der US-Ostküste, im Golf von Mexiko und an der US-Westküste bis zum Jahr 2050.null https://www.nature.com

Wird die Senkungsrate mit dem klimawandelbedingten Anstieg des Meeresspiegels um durchschnittlich 3,1 Millimeter pro Jahr addiert (Wert des Weltklimarats (IPCC) vom April 2022), wird das Bedrohungspotential deutlich: Allein an der nordamerikanischen Ostküste werden laut der Berechnungen bis 2050 hunderttausende Menschen von häufigen schweren Überschwemmungen bedroht. Dabei dürften vor allem sozial benachteiligte Bevölkerungsteile besonders stark betroffen sein. Sozialwohnungen befinden sich häufig in niedrig gelegenen Überflutungsgebieten, weil das Land dort billiger ist. Wohlhabende können sich eher Häuser in höheren Lagen leisten.

In 24 von 32 analysierten US-Küstenstädten könnte der Meeresspiegel bis zum Jahr 2050 um mehr als 30 Zentimeter ansteigen. Von den untersuchten Städten an der Atlantikküste verfügen bislang nur drei über entsprechende Dämme oder Flutmauern. An der Pazifikküste werden die Pegel voraussichtlich langsamer ansteigen.

Asiatischen Millionenmetropolen besonders betroffen

Noch unheilvoller wird sich die Kombination von absinkenden Landmassen und steigenden Meeresspiegeln vor allem in Südostasien, Ostasien und Südasien auswirken.

2022 hatte ein Forschenden-Team um Matt Wei von der University of Rhode Island die Senkungsraten von 99 Küstenstädten weltweit analysiert. Absenkungen um mindestens zwei Millimeter wurden in fast allen Küstenstädten beobachtet. Aber "in 33 der 99 Städte sinkt ein Teil der Stadt um mindestens zehn Millimeter pro Jahr", heißt es in der Studie. Dieser Wert wäre dreimal höher als der durchschnittliche weltweite Anstieg des Meeresspiegels.

Besonders betroffen sind einige dicht besiedelte Ballungsräume wie Tianjin östlich von Peking, Chittagong in Bangladesch und Semarang auf der indonesischen Hauptinsel Java. Dort senkt sich der Boden um 30 Millimeter pro Jahr - das ist zehnmal so viel wie der durchschnittliche weltweite Anstieg des Meeresspiegels.  Auch Shanghai, Hanoi, Bangkok und Mumbai sind betroffen.   

Zwei Milliarden Menschen global bedroht

Wie dramatisch sich Überschwemmungen auswirken können, ist zum Beispiel in der indonesischen Hauptstadt zu beobachten: In Jakarta lag der Senkungswert zeitweise bei 280 Millimeter, also 28 Zentimeter pro Jahr. Schon jetzt liegt ein Großteil unter dem Meeresspiegel, Überschwemmungen sind eine ständige Bedrohung. Unter anderem ist das ein Grund, warum die Hauptstadt nach Nusantara auf der Insel Borneo verlagert werden soll. 

Ein Forschungsteam um Dr. Tsimur Davydzenka von der Colorado School of Mines hat anhand von mehr als 46.000 Senkungsdaten eine globale Berechnung erstellt. Demnach sind auf Grundlage von 23 Umweltparametern mehr als 6,3 Millionen Quadratkilometer der globalen Landfläche von signifikanten Senkungsraten betroffen, schrieb das Team jüngst in den Geophysical Research Letters. Dazu gehören 231.000 Quadratkilometer städtische und dicht besiedelte Gebiete mit einer Bevölkerung von fast zwei Milliarden Menschen.

Landabsenkung lässt sich verlangsamen

Obwohl Landsenkungen ein globales Problem sind, fehlt ein Bewusstsein dafür. "Das Problem des steigenden Meeresspiegels und der Landabsenkung wird auf breiter Ebene kaum wahrgenommen", beklagt Leonard Ohenhen von der Virginia Tech. Das liege vor allem daran, dass es viele nicht mehr direkt betreffen werde, da die Auswirkungen erst in Jahrzehnten massiv spürbar würden. Um ein Bewusstsein zu schaffen haben sich die Forschenden auf einen "viel näher liegenden Zeitraum fokussiert, nur 26 Jahre von jetzt an."

Ein Bewusstseinswandel sei wichtig, denn durch strengere Regeln für die Grundwasserentnahme lasse sich die Bodenabsenkung in einigen Ballungszentren zumindest verlangsamen, meint auch Matt Wei von der University of Rhode Island. Dies habe zum Beispiel in Shanghai und auch in Jakarta funktioniert. "Diese Beispiele zeigen, dass eine solche Regulierung ein effektives Werkzeug für das Stoppen der Subsidenz sein kann."

 

Quellen:

Nature: Disappearing cities on US coasts, 2024, https://www.nature.com/articles/s41586-024-07038-3

PNAS Nexus: Slowly but surely: Exposure of communities and infrastructure to subsidence on the US east coast, 2024, https://doi.org/10.1093/pnasnexus/pgad426

Geophysical Research Letters: Subsidence in Coastal Cities Throughout the World Observed by InSAR, 2022, https://doi.org/10.1029/2022GL098477 

Geophysical Research Letters: Unveiling the Global Extent of Land Subsidence: The Sinking Crisis, 2024, https://doi.org/10.1029/2023GL104497

Motivieren Fitness-Influencer zum Sport? Ja und nein!

Zu viele Menschen bewegen sich zu wenig. Zu diesem Fazit gelangt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Jahr für Jahr. So auch im aktuellsten "Global status report on physical activity 2022". Dort heißt es, dass 81 Prozent der Heranwachsenden und 27,5 Prozent der Erwachsenen Menschen zu viel herumsitzen und zu wenig gehen, joggen oder Radfahren. Laut einer aktuellen Studie, die im Fachblatt "Lancet" veröffentlicht wurde, ist die Zahl der Übergewichtigen auf eine Milliarde Menschen angewachsen.

Gleichzeitig gibt es einen gegensätzlichen, ebenfalls globalen Trend: Die Fitness-Branche wächst wieder. Nach den Verlusten  während der Pandemie erholt sich die Fitnessbranche wieder und setzt Milliarden um. Und auch auf den sozialen Medien wie Instagram, Youtube oder TikTok scharen Fitness-Influencer eine Millionen-Gefolgschaft um sich.

Sie posten Trainingseinheiten zum Mitmachen und Vorher-Nachher-Bilder von sich selbst oder erfolgreich trainierten Klienten. Sie geben Tipps zu Ernährungsweisen, positiven Geisteshaltungen oder Nahrungsergänzungsmittel. Häufig unterstützt von großen Sportartikel-Herstellern, die längst das Potential der Influencer für sich entdeckt haben, um die eigene Marke zu bewerben.

Bewegungslosigkeit und Übergewicht auf der einen und Selbstoptimierung und Fitnesskult auf der anderen Seite - wie passt das zusammen?

Zwei extreme Pole

"Im Mittel nimmt die Sportlichkeit von Menschen tatsächlich ab", sagt auch Lars Donath. Er leitet die Professur für Trainingswissenschaftliche Interventionsforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. "Der Mittelwert ist aber gar nicht so interessant. Viel interessanter ist, was an den Rändern passiert." Diese Ränder würden sich polarisieren, so Donath.

Sein Eindruck: Sport und Bewegung spielen eine zu geringe Rolle in Institutionen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten. Stattdessen würde Fitness immer stärker privatisiert. Mitgliedschaften in Vereinen, Sportausrüstung und - kleidung - all das kann teuer werden. Das kann den Zugang für Menschen aus bildungs- und einkommensschwachen Gruppen erschweren.

"Wer diesen Zugang hat und mit Sport sozialisiert worden ist und sportlich aktive Eltern hat, der bewegt sich auch im späteren Leben", sagt Donath.

Fit für ein langes, gesundes Leben durch Sport

Fitness-Influencer können demotivieren

Menschen, die sich ohnehin schon gerne bewegen seien auch eher diejenigen, die sich durch Fitness-Influencer tatsächlich positiv beeinflussen ließen, so Donath. Auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Fitness-Influencer können einen motivierenden Effekt haben und Begeisterung fürs Training wecken. Allerdings verpuffe diese Motivation häufig schnell wieder, so Donath.

Forschende warnen zudem, dass der Schuss ebenso gut nach hinten losgehen könne. Die Gefahr sei groß, dass die Selbstdarstellung des Influencers nicht inspiriert, sondern lähmt und demotiviert. Zu ideal, zu unerreichbar. "Da helfen dann auch Hashtags wie "Fitspiration" nicht, die dazu aufrufen sollen, einen Transformationsprozess einzuleiten", sagt Donath.

Sportliche Ziele und Motivation seien sehr individuell und von den persönlichen Begleitumständen abhängig, so der Sportwissenschaftler. Aus diesem Grund kann der Vergleich mit Fitness-Influencern so kontraproduktiv sein, weil das eigene Leben im Vergleich keine Berücksichtigung findet.

Was motiviert Menschen Sport zu treiben?

"Fitness-Influencer sind Segen und Fluch zugleich", sagt Donath deshalb. "Wenn ich den Richtigen finde, der mich mit meinen Zielen, meinen Motiven und meinem Kontext abholt, kann das eine Chance sein." Das hält Donath allerdings für nicht sehr wahrscheinlich. "Ich glaube, dass gerade diejenigen, die ohnehin schon übergewichtig und unzufrieden sind, noch übergewichtiger und unzufriedener werden." Die Polarisierung verschärft sich.

Menschen von der Couch auf die Beine zu bekommen, sollte ein gesamtgesellschaftliche Ziel sein, findet Donath. "Eltern müssen wissen, wie wichtig es für die körperliche, geistige und emotionale Entwicklung ist, Kinder draußen spielen und auf Bäume klettern zu lassen." Die Voraussetzungen dafür müssten auch in Kindergärten, Schulen und anderen Institutionen wie Universitäten geschaffen sein.

Aktive Menschen im nahen Umfeld und verschiedene Sportarten zum Ausprobieren inspirieren stärker als jeder Fitness-Influencer, meint Donath. "Wir sind soziale Wesen und richten unser Verhalten oft nach dem Verhalten der Menschen um uns herum."

Ernährung ist zentral im Kampf gegen Übergewicht

Eine aktivere Gesellschaft wäre auch eine gesündere Gesellschaft. Sport stärkt das Herz-Kreislaufsystem, senkt den Blutdruck und kann auch bei Depressionen helfen. Eines kann Sport allein allerdings nicht: die Menschen schlanker machen. "Die Wissenschaft ist ziemlich klar: Das größte Potential, um Gewicht zu verlieren, hat eine Ernährungsumstellung", sagt Lars Donath. 

Natürlich kann Sport den Gewichtsverlust positiv beeinflussen. Wer sich nach dem Sport allerdings mit Pizza, Pommes oder Süßigkeiten belohnt, wird wenige Erfolge auf der Waage sehen. Donath rät: "Fokussiere zuerst auf die Ernährung. Kombiniere Bewegung mit der Ernährung und versuche nach der Gewichtsabnahme den Sport zu nutzen, um dein Gewicht zu halten."

Quellen:

Global status report on physical activity 2022, World Health Organisation. https://www.who.int/teams/health-promotion/physical-activity/global-status-report-on-physical-activity-2022

The Impact of Fitness Influencers on a Social Media Platform on Exercise Intention during the COVID-19 Pandemic: The Role of Parasocial Relationships. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9858650/

Worldwide trends in underweight and obesity from 1990 to 2022: a pooled analysis of 3663 population-representative studies with 222 million children, adolescents, and adults. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(23)02750-2/fulltext

Weltraummüll: Wie groß ist das Risiko getroffen zu werden?

Am 7. März 2024 richtete sich das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit einer Warnung an die Bewohner Deutschlands: In den folgenden Tagen, dem 8. und 9. März, würden Weltraumtrümmerteile über Teile des Landes fliegen und könnten - obwohl wenig wahrscheinlich - auf die Erde fallen.

Sowohl das BBK als auch die Europäische Weltraumorganisation (ESA) halten sich mit genaueren Angaben zu Zeit, Ort und potentieller Gefahr zurück. Sicher ist nur, dass eine Palette von neun Batterien der Internationalen Raumstation (ISS) auf einer unkontrollierten Flugbahn irgendwann in diesem Zeitraum irgendwo wieder in die Erdatmosphäre eintreten wird. 

Die Gesamtmasse des Schrotts soll etwa 2,6 Tonnen betragen - das entspricht 2.600 Kilogramm oder dem Gewicht eines großen Autos. 

Es wird erwartet, dass der größte Teil der Batterien beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglüht. So passiert es normalerweise. Ebenso normal ist jedoch auch, dass einige der größeren Weltraummüllteile den langen Fall überstehen und auf der Erdoberfläche landen - meistens im Meer. 

Wie hoch ist das Risiko durch herabfallenden Weltraumschrott? 

Das ISS-Batteriepaket hat eine "natürliche" Flugbahn zwischen -51,6 Grad Süd und 51,6 Grad Nord. Eine natürliche Flugbahn bedeutet "unkontrolliert" - sie wird nicht von Computern oder durch Menschen gesteuert. Anders als Satelliten oder Raumfahrzeuge können Batterien nicht navigiert werden. Dadurch ist es schwierig vorherzusagen, ob der Schrott auseinanderbricht und wo die Teile letztlich aufschlagen.

Klar ist allerdings, dass das Batteriepaket vor seinem Wiedereintritt in die Atmosphäre mehrmals über Deutschland hinwegfliegt. Doch das gilt auch für viele weitere Regionen: Große Teile Europas und Lateinamerikas, der Nordosten Afrikas, der Nahe Osten, Süd- und Südostasien sowie Australien werden überflogen.

Lässt sich aus der Warnung des BBK ein besonderes Risiko für Deutschland ableiten? "Nein", lautet die schriftliche Antwort des Bundesamtes. Bevor das Ereignis nicht stattgefunden habe, könne man den Anwohnern auch keine weiteren Ratschläge über Schutzmaßnahmen geben, die die Menschen ergreifen könnten.

Müssen Sie sich also Sorgen machen? Die offizielle Antwort des BBK und der Europäischen Weltraumbehörde ESA lautet "Nein" - das Risiko für Menschenleben ist gering. Dennoch werde das Objekt "eng überwacht".

Wie viel Weltraummüll fällt jedes Jahr auf die Erde? 

Nach Angaben der ESA dringt fast jede Woche Weltraumschrott auf unkontrollierten Flugbahnen in die Erdatmosphäre ein. 

Seit den 1960er Jahren ist die Zahl der Weltraummüll-Ereignisse stetig gestiegen. Zwischen 1960 und 2000 gingen durchschnittlich etwa 500 Trümmerteile pro Jahr auf die Erde nieder. 

In den letzten Jahren hat der Müllregen aus dem All noch deutlicher zugenommen: Laut ESA fielen im Jahr 2022 fast 2.500 Weltraummüllteile auf die Erde. Im Jahr 2023 war die Zahl wieder auf etwa 1.500 Objekte gesunken.

Wohin mit Weltraumschrott?

Welche Arten von Weltraummüll fallen auf die Erde? 

Weltraumschrottobjekte bestehen hauptsächlich aus Raketenstufen, Teilen von Explosionen, die durch alternde Batterien oder Treibstoffreste ausgelöst werden. Auch die Kollisionen von Satelliten oder Überbleibsel von Anti-Satelliten Test sorgen für eine steigende Anzahl an Trümmern im All.

In den niedrigen Umlaufbahnen bis zu einer Höhe von 2.000 Kilometern tummeln sich die meisten Satelliten, weil sie dort zur Erdbeobachtung genutzt werden können. Hier steigt das Schrottvolumen besonders schnell an. 

Doch nicht nur Unfälle und Kollisionen vermüllen das All. So manches Teil wird absichtlich in den Weltraum entlassen. Teile von Raketen beispielsweise, die ihre Funktion erfüllt haben. Oder verbrauchte Batterien wie die der ISS. Sie wurden vor drei Jahren als Schrott freigesetzt.

Ist Weltraummüll giftig? 

Weltraumschrott kann durchaus giftige Elemente enthalten. Alice Gorman, Weltraumarchäologin und Expertin für Weltraummüll erklärte in einem vergangenen Gespräch mit der DW: "Einige Treibstoffe für Raumfahrzeuge sind giftig - Hydrazin zum Beispiel. Es gibt Metalle wie Beryllium und Magnesium, die normalerweise in Form von Legierungen vorliegen, aber Beryllium ist auf jeden Fall ziemlich unangenehm." 

Da der meiste Weltraummüll im Meer landet, machen sich einige Experten durchaus Sorgen um die Verschmutzung der Meere. Aber die Auswirkungen seien noch nicht umfassend erforscht, so Gorman. 

Wann kommt die Müllabfuhr im Weltall?


Wie groß ist also das Risiko, von Weltraummüll getroffen zu werden?  

Laut Experten ist es 65.000 Mal wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen zu werden, als dass einem ein Stück Weltraummüll auf den Kopf fällt. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall zu Hause zu sterben, ist 1,5 Millionen Mal höher. 

Die Wahrscheinlichkeit, von einem Meteoriten erschlagen zu werden, ist ebenfalls höher als das Risiko durch herabfallenden Weltraummüll verletzt zu werden.

Der ehemalige Präsident der ESA, Jan Wörner, äußerte sich der Deutschen Presseagentur gegenüber ebenfalls sorglos. "Batterien brennen sehr gerne. Ich gehe davon aus, dass das Paket nahezu komplett in der Atmosphäre verglüht. Vielleicht sieht man das Zerlegen ja als schöne Sternschnuppe."

Weniger Fleisch, mehr Pflanzen: Tipps für ein veganes Leben

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre Empfehlungen verändert: mindestens drei Viertel der Ernährung sollten aus Gemüse und Obst bestehen, nur maximal ein Viertel aus tierischen Produkten.

"Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und pflanzlichen Ölen ernährt, schützt nicht nur seine Gesundheit. Eine pflanzenbetonte Ernährung schont auch die Umwelt", wie DGE-Präsident Bernhard Watzl in einer Pressemitteilung zu den neuen Empfehlungen mitteilte.

Immer mehr Menschen probieren aus, wie eine vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung funktionieren kann. Davon zeugt die steigende Begeisterung am sogenannten "Veganuary": Die Zahl derer, die sich jeden Januar für einen Monat lang vegan ernährt, steigt.

Schon nach kurzer Zeit ohne Fleisch, Eier und andere tierische Produkte kann einiges im Körper passieren. Britische Forschende beobachteten, dass durch die geringere Aufnahme gesättigter Fettsäuren der sogenannte LDL-Cholesterin-Wert im Körper der Probanden deutlich sank. 

Besonders deutlich zeigte sich das bei den sich normalerweise omnivor ernährenden Teilnehmenden – also denen, auf deren Speiseplan regelmäßig Fleisch, Milchprodukte und Eier stehen. Gesättigte Fettsäuren sind vor allem in Käse, Butter und Wurstprodukten enthalten und ein Risikofaktor für Herz-Kreislauferkrankungen.

Allerdings stellten die Forschenden auch fest, dass es einigen Probanden nach dem Experiment an bestimmten Mikronährstoffen mangelte. Besonders Vitamin B12 und Jod fehlte den omnivoren Probanden nach einem Monat veganer Ernährung.

Wer jetzt denkt, es gehe eben nicht ohne tierische Produkte, irrt allerdings: Bei den Teilnehmenden, die sich ohnehin schon vegetarisch oder vegan ernährten, war der Mangel an Mikronährstoffen geringer ausgeprägt oder gar nicht vorhanden. 

Die Forschenden stellten fest: vegetarisch und vegan lebende Menschen wissen eher, was sie essen müssen, um mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu sein. 

Wie gesund ist vegane Ernährung?

1. Auf Mikronährstoffe achten

Ein für vegan lebende Menschen kritischer Nährstoff ist Vitamin B12. Er kommt vor allem in Fleisch vor. Doch Fleisch, Käse und Eier zu konsumieren, bedeutet nicht automatisch, mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu sein. Auch nicht mit Vitamin B12. "Es gibt viele Nicht-Veganer, die ebenfalls einen Vitamin B12-Mangel haben", sagt Martin Smollich, Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.

"Ich empfehle immer, erst den Blutwert bestimmen zu lassen, bevor man Vitamin B12 supplementiert", sagt Smollich. "So verhindert man Über- und Unterdosierung." Das gilt für alle, Pflanzen- wie Fleischesser. Nicht nur Veganer und Veganerinnen können Vitamin B12 über Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen, sondern jeder, bei dem ein Mangel festgestellt wurde. Wer das nicht möchte, sollte sich klar machen, dass auch viele zum Verzehr gezüchtete Tiere Vitamin B12-Supplemente verfüttert bekommen. 

Grundsätzlich gilt: Mikronährstoffversorgung ist nicht erst dann für Menschen interessant, wenn sie auf tierische Produkte verzichten, so Smollich. "Auch viele Omnivore sind nicht optimal versorgt", sagt Martin Smollich. Er empfiehlt deshalb, sieben bis zehn Tage lang ein Ernährungsprotokoll zu führen, um sich die eigene Nährstoffversorgung bewusst zu machen. Nicht nur an Vitamin B12 mangele es vielen Menschen, auch die Eisen-, Calcium-, Jod- und Zinkversorgung erreiche die Zufuhrempfehlungen oft nicht, so Smollich.

2. Keine Angst vor Fleisch- und Käseersatzprodukten

Kein Fleisch oder Käse mehr? Vielleicht für immer? Hier können Ersatzprodukte eine große Hilfe sein. "Aus ernährungsmedizinischer Perspektive sind Fleischersatzprodukte sicher nicht optimal", sagt Smollich. Denn es handele sich dabei um Produkte, die oft sehr fett- und salzreich sind. Im Vergleich mit Chicken Nuggets oder dem Burger Patty aus Fleisch schneiden die pflanzlichen Alternativen trotzdem immer noch besser ab, so Smollich.  

Tierisches Eiweiß - pflanzliches Eiweiß

Für Käseersatzprodukte gilt Ähnliches. Und selbst wer die Käsealternativen nicht besonders mag – einen Grund, sie zu verteufeln gibt es aus Sicht der Ernährungsmedizin nicht. "Sie sind kalorienreich und enthalten viel pflanzliches Fett, aber pflanzliches Fett ist nicht schlechter als tierisches", sagt Smollich. 

Wer längerfristig vegan leben möchte, sollte es sich so leicht wie möglich machen. "Bei den bisherigen Gerichten das Fleisch oder den Käse einfach ersatzlos wegzulassen, ist eine schlechte Idee", findet Smollich. Nicht nur vegane Alternativen können den Übergang erleichtern: Dank Socialmedia und einer wachsenden Anzahl vegan lebender und kochender Menschen war es nie leichter, an neue Rezeptideen zu kommen.

3. Mit pflanzlichen Proteinquellen beschäftigen

Auf der Suche nach neuen Rezepten und veganen Inspirationen wird eines schnell klar: Auch vegan lebende Menschen können ihren Proteinbedarf decken. Sie können sogar Sport machen und Muskeln aufbauen. Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen oder Sojabohnen, Tofu oder Kürbiskerne und Leinsamen helfen als pflanzliche Proteinlieferanten dabei.

Allerdings lautet ein häufiges Argument, pflanzliche Proteine hätten keine so gute Bioverfügbarkeit. "Es stimmt, dass man von pflanzlichen Proteinen grundsätzlich mehr zu sich nehmen muss als von tierischen Proteinen, damit genau so viel im Körper ankommt", sagt Smollich. 

Vor allem Sportler behelfen sich darum mit Proteinshakes, um ihren Bedarf zu decken. "Da spricht überhaupt nichts gegen", meint Smollich. Und nicht nur das: "Studien zeigen eindeutig: Pflanzliche Proteine sind insgesamt gesünder als tierische Proteine."

Phantomschmerz: Wie tut etwas weh, was nicht existiert?

Die Frage "Wo tut es weh?" ist für Thomas Frey nicht einfach zu beantworten - denn sein schmerzendes Bein existiert nicht mehr.

Vor über 30 Jahren verlor er es bei einem schweren Unfall. Unmittelbar danach spürte er jedoch starke Schmerzen im verlorenen Bein. Mit dieser bizarren Erfahrung ist Thomas Frey nicht allein, im Gegenteil: Über 70 Prozent aller Betroffenen spüren nach einer Amputation Phantomschmerzen.

Neben Armen und Beinen können auch andere Körperteile wie eine entfernte Brust oder ein nicht mehr vorhandener Zahn betroffen sein. Meist treten die Schmerzen unmittelbar nach dem Verlust auf, manchmal aber auch erst Monate später. Wie bei Thomas Frey sind sie oft chronisch und belasten die Betroffenen ihr Leben lang.

Er vergleicht die Schmerzen mit einer Migräne: "Das sind Impulse, die ein paar Sekunden anhalten. Dann ist mal wieder fünf Minuten Ruhe. Das kann über Stunden gehen." Oft sind die Schmerzen unerträglich und die Einschränkungen im Alltag massiv.

"Mit Phantomschmerzen kann ich mich nicht mit Freunden abends zum Essen verabreden, ich kann auch kein Meeting mitmachen," sagt Frey. Für einen Außenstehenden ist diese Belastung schwer zu begreifen, oft traf Frey auf Unverständnis. "Ich weiß noch die Reaktion meines Vaters, der meinte: 'Stell dich nicht so an'", erinnert sich Frey.

Die Ursache der Phantomschmerzen ist komplex

In der Literatur taucht der Begriff Phantomschmerz schon im 16. Jahrhundert auf, doch die Suche nach seiner Erklärung dauert an. Prof. Dr. Thomas Weiß ist Physiologe und hat sich intensiv mit den Ursachen der Phantomschmerzen beschäftigt. "Eine Amputation verändert das gesamte Nervensystem", beschreibt Weiß den heutigen Wissensstand.

Der Schmerz zählt deshalb zu den neurologischen Erkrankungen. Zentral war die Entdeckung, dass sich die Nervenbahnen nicht nur am Stumpf, sondern auch im Rückenmark und im Gehirn verändern.

Besonders auffällig sind Veränderungen im Hirnbereich, den Weiß als primären somatosensorischen Kortex bezeichnet. Dieser Ort nimmt Reize am Körper wie Berührung, Druck oder Temperatur wahr und heißt deshalb auch Tastrinde.

Jedes Körperteil ist in der Tastrinde einem eigenen Bereich zugeordnet. Alle Bereiche der Tastrinde zusammen bilden so eine Art Landkarte des Körpers.

Wenn ein Körperteil plötzlich fehlt, empfängt der ihm zugehörige Hirnbereich zunächst keine Signale mehr. "Dann sind diese Regionen, wenn man so will, wie eine Art arbeitslos", beschreibt Weiß. Doch das bleibt nicht so.

Die Nachbarbereiche übernehmen den verwaisten Bereich und leiten ihre Impulse dort hin. "Man sagt dazu funktionelle Reorganisation, also eine funktionelle Umstrukturierung", erklärt Weiß. Ein lernfähiges Gehirn, in dem sich das neuronale Netz rasch verändern kann, scheint hier ausnahmsweise nicht von Vorteil zu sein: "Personen, die ein besonders lernfähiges Gehirn haben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie unter Phantomschmerzen leiden", so Weiß. 

Trotz bereits vieler gesammelter Erkenntnisse stellt der Phantomschmerz die Forschung immer wieder vor Rätsel: "Die neueste Entwicklung ist, dass die Erklärung durch den primären somatosensorischen Kortex allein nicht ausreicht", sagt Weiß. Deshalb stehen nun andere Bereiche im Nervensystem und auch die Gene im Fokus.

Die Suche nach der Ursache bleibt komplex, vor allem, weil die Schmerzen bei jedem Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt sind: "Da finden sie welche, die haben überhaupt keinen Phantomschmerz und sie finden welche, da sind die Schmerzen so stark, dass die darüber nachdenken sich umzubringen", erklärt Weiß.

Wie sich Phantomschmerzen behandeln lassen

Um Phantomschmerzen zu lindern, sind häufig starke Schmerzmedikamente im Einsatz. Doch durch die starken Nebenwirkungen stellten sie für Betroffene wie Frey eine weitere Belastung dar. Die Erkenntnisse über den neurologischen Ursprung der Phantomschmerzen konnten die Behandlung jedoch erweitern. Besonderen Erfolg verzeichnet die Spiegeltherapie.

Das passiert bei Schmerzen im Körper

Auch Frey probierte die neue Methode. In der Therapie bewegte er sein noch vorhandenes Bein vor dem Spiegel. "In dem Moment, wo ich das mache, habe ich das Gefühl, dass Energie zu fließen beginnt", beschreibt Frey seine Erfahrung.

Die Reflexion im Spiegel trickst das Gehirn aus. Dort wird die Bewegung mit dem amputierten Bein verknüpft. Die fehlgebildeten und schmerzverursachenden Strukturen in der Tastrinde bilden sich deshalb teilweise zurück, der Phantomschmerz nimmt ab. 

Das klappt sogar, wenn mal kein Spiegel vorhanden ist: Auch speziell entwickelte Apps und Virtual Reality Erlebnisse können diesen Effekt herbeiführen. Dank der Spiegeltherapie konnte Thomas Frey die starken Schmerzmedikamente absetzen. 

Für ihn ist es aber auch entscheidend, mit welcher Einstellung er dem Schmerz begegnet: "Das Problem bei chronischen Schmerzpatienten ist, dass sie sicherlich zu Anfang dem Schmerz den Krieg erklären und ihn zu einem absoluten Feind machen", meint Frey. Doch diese Einstellung habe er durch das Leben mit Phantomschmerzen geändert. Um der Beschwerden Herr zu werden, musste er sie zunächst als Teil seines Lebens akzeptieren: "Ich muss den Schmerz zum Freund machen", erkennt er heute.

Evolution: Hatte ADHS Vorteile für unsere Vorfahren?

ADHS ist in der Regel negativ behaftet. Hyperaktivität, Impulsivität oder Aufmerksamkeitsprobleme - die Symptome der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung werden eher als Schwäche angesehen. ADHS hat aber auch Vorteile, die wissenschaftlich untersucht wurden. Betroffene gelten als kreativ, dynamisch, sie sind sozial-emotional kompetent und haben hohe kognitive Fähigkeiten.  

Forschende der University of Pennsylvania haben nun versucht, dem Ursprung von ADHS nachzugehen. So schreibt David Barack, einer der Studienautoren, auf X: "ADHS und ADHS-ähnliche Merkmale wie Ablenkbarkeit und Impulsivität sind weit verbreitet und werden oft als negativ angesehen. Aber wenn sie wirklich negativ sind, dann gibt ihr Fortbestehen ein Rätsel auf."

Ist ADHS also ein wichtiger Teil der Evolution? Laut der aktuellen Studie könnte man das so sagen. Das Forscherteam glaubt, ADHS habe sich als adaptive Überlebensstrategie unserer Vorfahren entwickelt. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift "The Royal Society" veröffentlicht.

Beeren sammeln mit ADHS

Um der Sache auf den Grund zu gehen, analysierten die Forschenden Daten von 457 Erwachsenen, von denen 206 nach eigener Aussage stärkere ADHS-Symptome bei sich beobachteten. 

Die Probanden sollten in einem Videospiel möglichst viele Beeren von virtuellen Sträuchern absammeln. Die Zeit dafür war begrenzt. Die Teilnehmenden mussten sich immer wieder entscheiden: Sammeln sie am selben Fleck weiter, an dem die Beeren zur Neige gehen oder wechseln sie den Ort, um einen neuen Strauch zu erkunden? Letzteres kostete wertvolle Sekunden.

Diejenigen mit ADHS-Merkmalen neigten dazu, schneller zu wechseln und weniger Zeit an einem einzigen Strauch zu verbringen. Und so sammelten sie mehr Beeren als die andere Gruppe ohne ADHS-Symptome. Diese wiederum neigte dazu, sehr viel mehr Zeit an einem Strauch zu verweilen, in der Hoffnung, die Ausbeute zu optimieren.

Die Forschenden überraschte dieses Ergebnis. Sie gingen davon aus, der schnelle Wechsel der Sträucher würde zu einem schlechteren Ertrag führen. "Doch höhere ADHS-Symptome führen zu einer höheren Belohnungsrate und einer besseren Leistung", so Studienautor Barack.

ADHS als Überlebensstrategie

Die Taktik bringt Vorteile mit sich: Sie verhindert die Ausbeutung von Ressourcen an einem einzigen Ort, gleichzeitig werden neue Gebiete ausgekundschaftet. Eine Strategie, die für Jäger und Sammler früher überlebenswichtig sein konnte.

Auch andere Studien stützen die These des evolutionären Vorteils. Sie zeigten, dass der nomadische Lebensstil mit genetischen Mutationen verbunden ist, die bei ADHS eine Rolle spielen.

All das könnte möglicherweise erklären, warum ADHS heute so weit verbreitet ist. Mit dem Unterschied, dass Eigenschaften, die sich früher bei der Nahrungssuche bewährt haben, in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr ganz so vorteilhaft sind. Vor allem, wenn Ressourcen nicht mehr so begrenzt sind.

Vorfreude ist die schönste Freude

Dopamin wird bei Menschen mit ADHS schneller abgebaut als bei Menschen ohne das Syndrom. Das ständige Streben nach dem wichtigen Botenstoff kann dazu führen, dass Personen mit ADHS ständig zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herpendeln, ohne eine so richtig abzuschließen.

Doch die Forschenden betonen auch die Notwendigkeit von weiteren Untersuchungen, weil die Aussagekraft der Studie begrenzt sei. Insbesondere deshalb, weil die ADHS-Symptome auf Selbsteinschätzungen der Probanden beruhten.

Im nächsten Schritt soll die Untersuchung mit diagnostizierten ADHS-Probanden durchgeführt werden. Zudem sollen reale Aufgaben zur Nahrungssuche gestellt werden, die mehr Anstrengungen erfordern als ein Onlinespiel. 

Quellen: 

Attention deficits linked with proclivity to explore while foraging, Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2024

A qualitative and quantitative study of self-reported positive characteristics of individuals with ADHD, Frontiers in Psychiatry 13, 2022

Dopamine receptor genetic polymorphisms and body composition in undernourished pastoralists: An exploration of nutrition indices among nomadic and recently settled Ariaal men of northern Kenya, BMC Evolutionary Biology 8, 2008

Wendy Williams hat Aphasie - Wenn plötzlich die Worte fehlen

Es war im letzten Jahr als Ärzte bei der amerikanischen Medienpersönlichkeit Wendy Williams eine primär progressive Aphasie und Frontotemporale Demenz (FTD) erkannten.

Es "stellte sich immer häufiger die Frage, ob Wendy Informationen richtig verarbeiten kann. Immer wieder gab es Spekulationen über ihren Zustand, vor allen Dingen, wenn sie Worte einfach nicht finden konnte. Manchmal verhielt sie sich unberechenbar und hatte Schwierigkeiten, etwa finanzielle Transaktionen zu verstehen", schrieb ihr Team.

Williams, die ehemalige Moderatorin der in den USA bekannten "Wendy Williams Show", habe sich dazu entschieden, mit der Diagnose an die Öffentlichkeit zu gehen, "um das Bewusstsein für Aphasie und Frontotemporale Demenz zu sensibilisieren", erklärten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der TV-Moderatorin. 

"Leider sind viele Menschen, bei denen Aphasie und Frontotemporale Demenz diagnostiziert wurden, mit Stigmatisierung und Missverständnissen konfrontiert, insbesondere wenn sich ihr Verhalten ändert, sie aber noch keine konkrete Diagnose bekommen haben."

Das Ende einer Karriere

Bruce Willis hatte seine Schauspielkarriere beendet als er die Diagnose Aphasie erhielt. Darüber hinaus wurde bei ihm dann auch noch Frontotemporale Demenz festgestellt. Diese Nachrichten kamen für die Öffentlichkeit überraschend. Willis hatte noch kurz zuvor an zahlreichen Filmprojekten mitgearbeitet. Dann aber teilte seine Familie mit, dass der damals 67-Jährige wegen seiner Krankheit keine Filme mehr drehen könne.

Aphasien können jeden treffen

Der "erworbene Verlust der Sprache" kann nach einer Schädigung der linken Gehirnhälfte auftreten. Verursacht werden Aphasien meistens durch einen Schlaganfall. Aber auch Hirnblutungen oder Schädelhirnverletzungen z.B. nach einem Unfall, Hirntumore oder entzündliche Prozesse können Aphasien zur Folge haben. Von einem Tag auf den anderen verliert man die Fähigkeit, mit Worten zu kommunizieren.

Der plötzliche Sprachverlust betrifft alle sprachlichen Fähigkeiten: Das Sprechen und Verstehen ebenso wie das Lesen und Schreiben.

Aber eine Aphasie ist "nur" eine Sprachstörung, sie ist keine Denkstörung. Das bedeutet, dass die Denkprozesse oder die intellektuellen Fähigkeiten nicht oder nur gering gestört sind.

Für Betroffene und ihre Angehörigen sind dies extrem belastende Situationen. Der Betroffene kann selbst die alltäglichsten Dinge des Lebens nicht mehr benennen. Er weiß, was es ist, aber ihm fehlen einfach die Worte.

Vier unterschiedliche Aphasie-Formen

Die vier Aphasie-Formen lassen sich anhand der Symptome voneinander unterschieden:

Amnestische Aphasie

Die amnestische Aphasie ist die leichteste Form der Aphasie, bei der die Betroffenen beim direkten Benennen von Gegenständen Wortfindungsstörungen haben. Sie kaschieren die Sprachstörung, indem sie etwa die Wörter umschreiben oder Redefloskeln verwenden.

Broca-Aphasie

Wer im Stakkato- oder Telegrammstil spricht, also oftmals in sehr kurzen, einfachen Sätzen spricht oder einzelne Schlüsselworte aneinander reiht, leidet möglicherweise an einer Broca-Aphasie. Der Sprachfluss ist zwar durch die Suche nach passenden Worten angestrengt und verlangsamt, aber der Betroffene ist noch vergleichsweise gut zu verstehen.

Wernicke-Aphasie

Fast genau gegenteilig sprechen Menschen, die unter einer Wernicke-Aphasie leiden. Sie bilden sehr lange, verschachtelte Sätze, in denen sich einzelne Passagen zuweilen wiederholen. Der Betroffene redet zwar scheinbar flüssig, aber die passende Wortfindung fällt ihm sehr schwer und oftmals ergeben seine Sätze auch keinen Sinn. Entsprechend versteht man den Betroffenen auch nur schwer.

Globale Aphasie

Menschen mit einer globalen Aphasie sprechen oftmals nur einzelne Worte oder wiederholen die immergleichen Redefloskeln. Bei dieser schwersten Form der Aphasie ist der Betroffene kaum noch zu verstehen.

Therapie ist teilweise möglich

Die erworbene Sprachstörung ist nicht irreversibel, aber es erfordert viel Training in einer gezielten Sprachtherapie, das Sprechen und oft auch das Schreiben wieder zu erlernen.

Vor allem nach einem erstmaligen Schlaganfall kommt es bei etwa einem Drittel der Patienten zu einer weitestgehenden Normalisierung der Sprachfunktionen innerhalb der ersten vier Wochen. Danach nimmt die Rückbildung der Sprachstörungen allerdings immer weiter ab.

Brandschutz: Bei einem Großbrand das Schlimmste verhindern

Bei einem Hochhausbrand im spanischen Valencia sind mindestens vier Menschen umgekommen, mindestens 14 weitere wurden verletzt (Stand 23.02, 8:42 Uhr). Noch sei unklar, ob Menschen vermisst würden - die Regionalzeitung "Levante" berichtet von 20 Vermissten.

Gerade in Hochhäusern wird ein Brand lebensbedrohlich, denn für Menschen in den oberen Stockwerken sind die Fluchtwege schnell abgeschnitten und Löschwasser in den obersten Stock zu befördern, ist sehr viel schwieriger als ins Erdgeschoss. Nicht mal die Flucht aus dem Fenster ist eine Option.

Im Falle des Brandes in Valencia ist das Feuer in einem der untersten Stockwerke ausgebrochen. Es habe sich über die Fassade aus brennbaren Materialien auch wegen der starken Winde rasant ausgebreitet, heißt es in spanischen Medien. Eine Vertreterin der örtlichen Ingenieurskammer sagte gegenüber dem Sender A Punt, der Brand habe sich so schnell ausbreiten können, weil die Fassade mit hochbrennbarem Polyurethan verkleidet war. 

Großbritannien Großbrand in Londoner Hochhaus
Großbrände wie den im Grenfell Tower sollen durch verschiedene Brandschutzvorrichtungen verhindert werdennull picture-alliance/empics/R. Findler

Der Fall erinnert an den schlimmen Brand im 24-stöckigen Londoner Grenfell Tower im Jahr 2017. Beim Brand des 24-stöckigen Wohnhauses waren 72 Menschen getötet worden. Auch in diesem Fall breitete sich das Feuer über die Fassadenverkleidung aus. Die Ermittlungen zu dem Fall laufen noch.

Dabei sollten moderne Bau- und Sicherheitsvorschriften bei solchen Unglücken eigentlich das Schlimmste verhindern. Die richtige Technik hilft im Notfall, den Brand unter Kontrolle zu halten. Hier ein paar Beispiele dafür, was Ingenieure und Chemiker ausgetüftelt haben.

1) Feuer melden und löschen

Brandmelder warnen frühzeitig vor Feuer. Ein Beispiel sind optische Rauchmelder: Sie lösen Alarm aus, wenn der Infrarot-Lichtstrahl im Inneren durch Rauchpartikel abgelenkt wird und auf einen lichtempfindlichen Sensor trifft.

In Hochhäusern sind in der Regel Brandmeldeanlagen vorhanden, die bei einem Alarm automatisch eine Meldung an die Feuerwehr schicken und einen internen Alarm auslösen. Von akustischen Warnungen im gesamten Gebäude wird häufig aber abgesehen, da sie zu Missbrauch verleiten oder zu Panik führen können. Oft wird nur ein stiller Alarm für das Personal ausgelöst, etwa in Krankenhäusern.

Um den Brand zu löschen, helfen in Hochhäusern Steigleitungen. Das sind fest angebrachte Metallrohre, über die die Feuerwehr Löschwasser für die oberen Stockwerke einspeisen kann.

Sprinkleranlagen versprühen automatisch Wasser bei einem Feuer. An den Sprinklerköpfen befinden sich kleine Glasampullen, die mit einer speziellen Flüssigkeit gefüllt sind. Ab einer bestimmten Temperatur dehnt diese sich aus, lässt die Ampulle platzen und gibt so einen Wasserstrahl frei.

2) Ein Ausbreiten der Flammen verhindern

Das Problem bei vielen Häusern: Sie sind mit einer Wärmedämmung verkleidet, üblicherweise aus Polystyrol-Platten (Styropor) - und die können Feuer fangen.
Um zu verhindern, dass so die gesamte Fassade in Brand gerät, werden regelmäßig Brandriegel - auch Brandschutzstreifen genannt - aus nicht brennbarem Material dazwischengesetzt. Sie bestehen meist aus Mineralwolle: Die hat einen Schmelzpunkt von über 1000 Grad Celsius und verhindert, dass die Flammen auf weitere Stockwerke übergreifen. 

Wärmedämmung an einer Außenwand
Im Gegensatz zu Styropor brennt Mineralwolle (die gelbe Schicht, zweite von rechts) von Natur aus nichtnull picture-alliance/chromorange/H. Richter

3) Plastik, das den Flammen trotzt

Kunststoffe brennen von Natur aus hervorragend, vor allem Massenkunststoffe wie Polypropylen. Wenn sie sich bei einem Brand zersetzen, werden zusätzlich hochentzündliche Substanzen frei, die die Situation noch verschlimmern. Vorsicht ist vor allem bei Kabelisolierungen geboten: Sind sie aus leicht brennbarem Kunststoff, könnte sich ein Brand über sie im ganzen Haus ausbreiten.

Eine Lösung sind spezielle Kunststoffe, die aufgrund ihrer Zusammensetzung bereits flammgeschützt sind. Bestes Beispiel ist Polyvinylchlorid (PVC), aus dem viele Kabelisolierungen bestehen. Es enthält Chlor und löscht einen Brand quasi von selbst, weil freigesetztes Chlor die Flamme erstickt.

Test auf Entflammbarkeit im Labor
Teppichböden sollen im Idealfall schwer entflammbar sein. Das testet man vorher im Labor.null Wacker Chemie AG

Eine andere Möglichkeit ist die Zugabe von Flammschutzmitteln, Chemikalien, die dem ansonsten brennbaren Kunststoff bei der Herstellung zugesetzt werden und ihn widerstandsfähig gegen Feuer machen. Recht neu auf dem Markt ist bromiertes Styrol-Butadien-Copolymer, auch PolyFR genannt: Es wird Polystyrol-Schäumen (Styropor) zugesetzt. Das zuvor eingesetzte giftige Mittel Hexabromcyclodecan ist seit 2015 nach dem Stockholmer Übereinkommen verboten, weil es sich in der Umwelt anreichert.

4) Schaum schützt Stahlträger

Wenn es in einem Haus brennt, erwärmen sich auch die Stahlträger - das kann tödlich enden. Ab einer Temperatur von 500 Grad Celsius werden die Stahlskelette instabil und können dann innerhalb von Minuten einknicken: Das Haus stürzt ein und begräbt Menschen möglicherweise unter sich.

Pressebild Wacker Chemie AG (Wacker Chemie AG)
Aus einer millimeterdünnen Schicht wird ein zentimeterdicker, wärmeisolierender Schaumnull Clariant

Um das zu verhindern, wird auf die Stahlträger ein Mix an Chemikalien aufgetragen, beispielsweise als Teil der Deckfarbe. Bei Temperaturen über 250 Grad beginnen diese Chemikalien, miteinander zu reagieren und Gase freizusetzen. Als Folge entsteht ein zentimeterdicker Schaum, der die Stahlträger vor Hitze abschirmt. Dieser Wärmeschutz hält etwas über eine Stunde an. Das gibt den Menschen viel wertvolle Zeit, sich aus dem brennenden Gebäude zu retten.

5) Weg mit dem Rauch, her mit frischer Luft

Ist eine Rauchdruckanlage vorhanden, wird diese durch Brandmelder aktiviert, wenn in einem Hochhaus ein Feuer ausbricht. Die Anlage stellt sicher, dass die Fluchtwege - etwa die Treppenhäuser - rauchfrei und damit sicher passierbar bleiben.

Ein Ventilator pustet von unten mit hohem Druck Luft ins Treppenhaus, sie entweicht hoch oben durch eine Öffnung unter dem Dach. Frische Außenluft strömt somit ständig mit einer Geschwindigkeit von bis zu zwei Meter pro Sekunde von unten nach oben durchs Treppenhaus, also entgegen der Fluchtrichtung. Nebeneffekt ist, dass Rauch, der möglicherweise aus anderen Teilen des Gebäudes ins Treppenhaus gelangt, einfach weggepustet wird.

Menschen können so gefahrlos das Gebäude über die Fluchtwege verlassen, und Rettungskräfte können so das Gebäude sicher betreten.

Mikroben verwandeln CO2 rasend schnell in Gestein

Zu viel Plastik und zu viel Kohlendioxid - unsere allergrößten Umweltprobleme können in naher Zukunft vielleicht von den allerkleinsten gelöst werden: Mikroben! Das ist längst keine Utopie mehr: Rund um den Globus arbeiten Forschende sehr erfolgreich an Mikroorganismen, die Plastik zersetzen können. Wenn sich diese Bakterien im großen Stil technisch nutzen lassen, könnte dies unser Plastikmüllproblem lösen.

Im Kampf gegen den Klimawandel melden nun Forschende der Sanford Underground Research Facilityin den USA einen bahnbrechenden Durchbruch: Sie haben natürliche Mikroben entdeckt, die Kohlendioxid (CO2) aufnehmen und rasend schnell in festes Gestein umwandeln können. Dieser Prozess wird als "Kohlenstoffmineralisierung" bezeichnet.

Schwierige Kohlendioxid-Speicherung unter Tage

Seit Jahren suchen die USA intensiv nach Möglichkeiten, das klimaschädliche Gas Kohlendioxid dauerhaft unter der Erde zu lagern. Aber oftmals entweicht ein großer Teil des in die Gesteinsschichten eingepumpten Gas wieder durch geologische Verwerfungen.

Deshalb suchen die Forschenden nach ganz speziellen Gesteinsschichten, in denen das Gas aufgelöst und durch den sogenannten "In-situ-Mineralisierungs-Prozess" in ein Karbonatmineral umgewandelt wird. Das Gas wird somit zu Gestein. Allerdings dauert dieser Prozess normalerweise sieben bis zehn Jahre, in denen das Gas eben auch wieder entweichen kann.

Die jetzt entdeckten stabförmigen Mikroben können diesen natürlichen Prozess allerdings drastisch beschleunigen. Sie brauchen gerade einmal zehn Tage, um das Gas in Gestein umzuwandeln.

Norwegen: Endlager für CO2

Vom Labor in die Realität

Zunächst hat das interdisziplinäre Team aus Geochemikern, Mineralogen und Mikrobiologen im Labor die optimalen Rahmenbedingungen untersucht, die für eine Mineralisierung ohne Bakterien notwendig sind, also wie hoch der Druck und der Säuregehalt sein muss. Oder welche Temperatur und wieviel Zeit nötig ist.

Als diese Rahmenbedingungen geklärt waren, suchten die Forschenden tief unter der Erde nach Mikroben, die mit diesen Bedingungen gut zurechtkommen.

Vier Geobacillus-Bakterien-Arten erwiesen sich als besonders geeignet, weil sie auch unter diesen sehr speziellen Bedingungen in wasserführenden Felsspalten wachsen und den biologischen Umwandlungsprozess von CO2 zu Gestein beschleunigen können. "Wir haben herausgefunden, dass wir CO2 speichern können, indem wir das Mineral MgCO3-Magnesit durch den Einsatz von Mikroben in nur zehn Tagen auskristallisieren." 

Dauerhafte Umwandlung von CO2 möglich

Die Forschenden gehen davon aus, dass das in Gestein umgewandelte Gas über Tausende von Jahren stabil und außerhalb des Kreislaufs der Atmosphäre bleibt. Auf diese Erkenntnisse hat das interdisziplinäre Team nun ein Patent angemeldet.

Wenn durch die Erkenntnisse eine schnelle Umwandlung auch im ganz großen Stil gelingt, könnten künftig gewaltige CO2-Mengen in tiefen Gesteinsschichten und zum Beispiel in ehemaligen Bergwerken oder in erschöpften Gas- und Ölvorkommen gespeichert werden. Den Mikroben sei Dank!

Gazastreifen: So lassen sich Krankheiten in Krisengebieten verhindern

Nach schweren Erdbeben wie Anfang September 2023 in Marokko oder Flutkatastrophen wie in Südosteuropa und Libyen können sich Infektionskrankheiten oftmals sehr schnell verbreiten, es kann zu medizinischen Notfällen bis hin zu Epidemien kommen.

Aber nicht nur bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche und Überflutungen, sondern auch bei Kriegen und Flucht können Infektionskrankheiten die Krisensituation zusätzlich verschärfen.

Im Gazastreifen nehmen Krankheiten seit Beginn des Krieges drastisch zu. Dazu kommt, dass das Gesundheitssystem fast vollständig zusammengebrochen ist. Am 19. Februar 2024 waren nur noch 12 von 36 Krankenhäusern mit stationären Kapazitäten in Betrieb, und das auch nur teilweise.

Epidemiologen haben drei Szenarien modelliert und dabei auch mögliche Infektionskrankheiten und Epidemien mit einberechnet. Laut dem schlimmsten Szenario können durch den Krieges in Gaza in den nächsten sechs Monaten 85.000 Palästinenser an Verletzungen und Krankheiten sterben.

Gaza: Infektionskrankheiten könnten für viele tödlich sein

Denn durch Kriege wie jetzt in Gaza und durch Naturkatastrophen könne sich Infektionskrankheiten rasend schnell ausbreiten. Nach den Überflutungen in Pakistan im Sommer 2022 breiteten sich sowohl Cholera als auch Typhus aus. In den Krisengebieten im Libanon und in Syrien gab es ebenfalls Cholera-Ausbrüche. Auch in der Ukraine wurden Cholera-Fälle gemeldet. 

Nach den Überflutungen in Pakistan im Sommer 2022 breiteten sich sowohl Cholera als auch Typhus aus. In den Krisengebieten im Libanon und in Syrien gab es ebenfalls Cholera-Ausbrüche. Auch in der Ukraine wurden Cholera-Fälle gemeldet.

Cholera und Typhus treten häufig auf 

Diese Krankheiten können sich in Krisengebieten ausbreiten:

  • Durchfallerkrankungen wie Cholera und Typhus werden oft durch verschmutztes Wasser übertragen, was in vielen Krisengebieten ein Problem ist. 
  • Hepatitis kann sich durch Fäkalien bei schlechten hygienischen Bedingungen ausbreiten.
  • COVID-19, Influenza und andere Erkrankungen, die über die Atemluft übertragen werden, sind vor allem bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften wie Turnhallen oder Zelten ein Problem.
  • Malaria und Dengue-Fieber werden durch Mücken übertragen und sind vor allem in überfluteten Gebieten eine Gefahr.

Ob und wie schwer Krankheiten in Krisengebieten ausbrechen, ist schwer zu prognostizieren. "Es kommt sehr auf den Kontext an", sagt Parnian Parvanta, Ärztin und stellvertretende Vorsitzende der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Deutschland. "Im Nordwesten Syriens etwa waren die medizinische Versorgung und die hygienischen Bedingungen schon vor dem Erdbeben sehr schlecht. Umso härter wurden die Menschen (...) durch das Erbeben getroffen." 

Es kommt also sehr auf die individuelle Situation: zum Beispiel, wie viel Infrastruktur noch vorhanden ist, wie viele Menschen betroffen sind - und vor allem darauf, wie schnell Unterstützung vor Ort ist.

Ein Kind liegt auf einer Trage und wird verarztet.
Cholera breitet sich häufig in Krisengebieten aus - wie hier in einem Flüchtlingslager im Libanonnull Marwan Naamani/picture alliance/dpa

Menschen benötigen vor allem sauberes Trinkwasser

Hilfsorganisationen versuchen vor Ort, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern oder zu stoppen. Die wichtigste Maßnahme ist laut Expertin Parvanta, für sauberes Trinkwasser zu sorgen. "Das ist essenziell."

Neben sauberem Trinkwasser gehören diese Punkte zu den wichtigsten Maßnahmen: 

  • Zugang zu Sanitäranlagen wie Toiletten sicherstellen
  • Abwasser sicher ableiten
  • Hygieneprodukte wie Seife und Desinfektionsmittel verteilen
  • Notwendige Medikamente und Arzneimittel organisieren
  • Mobile Kliniken einrichten, um Menschen schnell zu versorgen
Drei Kinder spielen in einem Kanal im Libanon.
In Krisengebieten fehlt es oft an sauberem Trinkwassernull Mohamed Azakir /REUTERS

Nicht nur an Infektionskrankheiten denken 

Außerdem können Krisen wie Kriege und Naturkatastrophen dazu führen, dass Grunderkrankungen wie Diabetes oder chronische Lungenerkrankungen nicht ausreichend versorgt werden. Auch die Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen ist oft ein Problem.

Zudem werden Impfkampagnen, etwa gegen Masern oder Polio, in Krieg- und Krisensituationen oft verlangsamt oder müssen ausgesetzt werden. Das führt dazu, dass weniger Menschen gegen diese Krankheiten geschützt sind und sich Infektionen häufen. "An Orten, an denen viele Geflüchtete sind, gibt es oft ein erhöhtes Risiko für die Ausbreitung von Masern", sagt Ärztin Parvanta.

Mindestens genauso wichtig wie die rasche Unterstützung vor Ort ist daher auch der Wiederaufbau der kritischen Infrastruktur wie Krankenhäuser und Arztpraxen.

Ukraine: Wie der Krieg die Umwelt vergiftet

Vor zwei Jahren begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Ein Ende scheint nicht absehbar. Doch selbst wenn noch heute jeder Beschuss eingestellt würde, keine Bomben mehr fielen und keine Raffinerien oder Industriebetriebe mehr explodieren würden - in Sicherheit sind die Menschen in der Ukraine trotzdem nicht. 

Die Auswirkungen des Krieges auf Mensch, Tier und Natur werden länger nachwirken. So kommt eine Studie über die Umweltfolgen des Ukraine-Kriegs zu dem Ergebnis, dass in den ersten eineinhalb Jahren rund 150 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 freigesetzt wurde - so viel wie die jährlichen CO2-Emissionen Belgiens. Die Schätzung stammt von der "Initiative on GHG Accounting of War", einer Gruppe von Fachleuten, die sich mit den Klimaauswirkungen des Ukraine-Krieges befasst. Die Ergebnisse präsentierten sie im Dezember 2023 auf der UN-Klimakonferenz in Dubai.

Krieg gegen Mensch und Natur

Eine neuere Analyse eines US-ukrainischen Forschungsteams liefert weitere Zahlen: Landschaftszerstörung, Beschuss, Waldbrände, Abholzung und Verschmutzung haben 30 Prozent der ukrainischen Schutzgebiete in Mitleidenschaft gezogen. Insbesondere durch die Eroberung des Kernkraftwerks Saporischschja durch Russland und die Zerstörung des Kachowka-Staudamms befürchtet das Team um Daniel Hryhorczuk, emeritierter Professor am Institut für Umwelt- und Arbeitssicherheit und Epidemiologie and der University of Illinois School of Public Health, USA, anhaltende ökologische Katastrophen.

Ukraine will Russland wegen Umweltschäden anklagen

Zudem sind Luft, Wasser und Boden in großem Umfang chemisch verseucht, 30 Prozent der Ukraine seien mit Landminen und nicht explodierten Geschossen kontaminiert. 

Befinden sie sich erst mal im Wasser oder im Boden, erreichen sie über Pflanze, Tier oder Trinkwasser früher oder später auch den Menschen. Davon gehen Toxikologen zumindest aus. Gesichertes Wissen darüber, wie sich die Substanzen im Erdreich verhalten und welchen Einfluss sie von dort auf die Gesundheit des Menschen nehmen, fehlt an vielen allerdings Stellen noch.

TNT ist krebserregend

Die gefährlichen Stoffe in der Munition sind vor allem Explosivstoffe und Schwermetalle. Zu den Explosivstoffen zählt das TNT, das zur Gruppe der Nitroaromaten gehört, die für ihre Sprengkraft bekannt sind. "Wir wissen aus Fütterungsstudien mit Ratten und Mäusen, dass TNT sehr giftig ist", sagt Professor Edmund Maser, Direktor des Instituts für Toxikologie am Universitätsklinikum in Kiel, im DW-Gespräch im März 2023. 

Maser forscht zu den Auswirkungen der Munition, die nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschen Teil der Nord- und Ostsee versenkt wurde. 1,6 Millionen Tonnen rosten dort vor sich hin.  

Auch im Meer beobachteten Toxikologen, dass das aus den versenkten Munitionsbeständen freigesetzte TNT den Tieren in der Umgebung schadet: "TNT beeinträchtigt die Reproduktion, das Wachstum und die Entwicklung der Meerestiere", sagt Maser. "Außerdem wissen wir aus den Tierstudien, dass TNT und andere Explosivstoffe krebserregend sind."

Quecksilber, Arsen und Blei zerstören Zellen

Das gilt auch für manche Schwermetalle wie Arsen und Cadmium, die ebenfalls krebserregend seien. "Schwermetalle wie Quecksilber sind vor allem in den Zündern enthalten, wo sie als Quecksilberfulminat dafür sorgen, dass ein Sprengstoff wie TNT schneller explodiert", erklärt Maser.

Quecksilber gehört ebenfalls zu den Schwermetallen und führt zu Schäden an den Nervenzellen. "Bei ungeborenen Kindern kann es auch zu Missbildungen führen", sagt Maser. Blei könne eine ähnliche Wirkung haben und zu Entwicklungsstörungen und Fehlgeburten führen.

Kateryna Smirnova vom Sokolowskyj-Institut für Bodenkunde und Agrochemie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, einer der führenden wissenschaftlichen Einrichtungen für Bodenkunde und Bodenschutz in der Ukraine, sagt, dass Bodenproben aus der Region Charkiw bereits gezeigt hätten, dass die Konzentration an krebserregenden Schwermetallen wie Blei und Cadmium erhöht ist.

Smirnovas Kollegin Oksana Naidyonova, Mikrobiologin am Sokolowskyj-Institut, erklärt, dass die Schwermetalle die Aktivität der Bakterien im Boden negativ beeinflussen. "Sie hemmen die Entwicklung der Pflanzen und die Versorgung mit Mikronährstoffen, was zu physiologischen Störungen beiträgt und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten verringert."

Ukraine-Krieg: Wenn Forscherinnen fliehen müssen

Allerdings bleiben die Chemikalien nicht unbedingt im Boden. TNT beispielsweise könne vom Wind weggetragen und verteilt werden, so Maser. Um die tiefer im Boden befindlichen Substanzen kümmert sich der Regen. "Es kann dann sein, dass die Stoffe in das Oberflächenwasser geraten, wodurch Bäche, Flüsse und Seen kontaminiert werden", erklärt Toxikologe Maser.

Ein toxischer Kreislauf

Wenn Tiere die Chemikalien aufnehmen, können sie sich entlang der Nahrungskette anreichern und dann auch für den Menschen als Endverbraucher gefährlich werden, so Toxikologe Maser. Oder wenn der Regen versickere und die Stoffe mit diesem Sickerwasser ins Grundwasser gelangen. "Dann ist das Trinkwasser gefährdet", sagt Maser.

Das Sickerwasser könnte aber auch dazu beitragen, dass sich Quecksilber und Co. im Boden verteilen und von Pflanzen aufgenommen werden. Handelt es sich dabei um Getreide oder Gemüse, landen die Chemikalien auch auf diesem Weg letztlich im menschlichen Körper.

Umweltschäden in Milliardenhöhe

Am Beispiel der Ukraine lassen sich die immensen Kosten durch die Kriegszerstörungen veranschaulichen. Nach der neuesten Analyse hat der Krieg in der Ukraine Umweltschäden von mehr als 56,4 Milliarden US-Dollar verursacht. 

Die Forschende um Daniel Hryhorczuk fordern, die Umweltfolgen aller bewaffneten Konflikte zu untersuchen und wirksamere Maßnahmen zum Schutz der Umwelt im Krieg zu ergreifen. “Zu diesen Maßnahmen gehört auch, dass diejenigen, die für die Schädigung der Umwelt während eines Krieges verantwortlich sind, und diejenigen, die einen Krieg anzetteln, zur Verantwortung gezogen werden”, so der Appell. 

Wie die Muttersprache unser Gehirn formt

Ein Arabisch-Muttersprachler muss im Gespräch genau hinhören: Meint sein Gegenüber kitabun (كتاب) oder katib (كاتب)? "Buch" oder "Schriftsteller"? Beide Wörter basieren auf derselben Sprachwurzel k-t-b ( ب - ت - ك), was im Arabischen sehr häufig vorkommt.

Ein Deutsch-Muttersprachler hingegen muss sich vor allem auf die Satzstruktur konzentrieren: "Leihst du dir das Buch von deinem Lieblingsschriftsteller aus?" Teile von trennbaren Verben wie "ausleihen" sind im Deutschen oft an verschiedenen Stellen im Satz verstreut. 

Die arabische und die deutsche Sprache sind sehr verschieden. Aber lassen sich diese Unterschiede auch im Gehirn von Muttersprachlern erkennen? Das wollten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig wissen. Das Team rund um Doktorandin und Erstautorin Xuehu Wei hat dafür jeweils 47 Arabisch- und Deutsch-Muttersprachler in einer Studie untersucht.

Bei der Auswahl der Probanden haben die Forschenden darauf geachtet, dass sie einsprachig aufgewachsen sind und damit nur eine Muttersprache besitzen. Neben ihrer Erstsprache konnten die Probanden lediglich etwas Englisch.

Hirnscans verraten Unterschiede der Muttersprachler

Das Wissenschaftler-Team hat die Teilnehmenden gebeten, sich in einen speziellen Magnetresonanztomographen (MRT) zu legen. Dieser fertigt nicht nur hochauflösende Scans vom Gehirn an, sondern wirft auch Informationen über die Verbindungen der Nervenfasern aus. Mithilfe dieser Daten konnten die Forscher daraufhin berechnen, wie stark die einzelnen Sprachregionen miteinander verdrahtet sind.

"Das Ergebnis hat uns sehr überrascht, weil wir immer davon ausgegangen sind, dass Sprache universell ist", sagt Alfred Anwander, Forscher in der Abteilung Neuropsychologie am Leipziger Max-Planck-Institut und Mitautor der Studie. "Wir dachten, dass es unabhängig von der Sprache ist, wo sie im Gehirn verarbeitet wird und auch wie stark die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Bereichen ist."

Bei den Arabisch-Muttersprachlern konnte das Forscher-Team sehen, dass die linke und rechte Gehirnhälfte stärker miteinander verknüpft ist. Auch zwischen den seitlichen Lappen des Großhirns, genannt Temporallappen, und hin zum mittleren Teil, dem sogenannten Parietallappen, gab es eine stärkere Verbindung.

Sprachzentren für Aussprache und Bedeutung

Das ist durchaus plausibel: Diese Hirnregionen sind dafür zuständig, die Aussprache und Bedeutung der gesprochenen Sprache zu verarbeiten. Ein Arabisch-Muttersprachler muss sich genau darauf konzentrieren, wie das Wort ausgesprochen wird und welche Bedeutung es dadurch hat: Hat sein Gesprächspartner nun "kitabun" (Buch) oder "katib" (Schriftsteller) gesagt?

Bei den Deutsch-Muttersprachlern fanden die Wissenschaftler stärkere Verbindungen in der linken Gehirnhälfte und hin zum Frontallappen im vorderen Bereich des Gehirns. Auch das lässt sich anhand der deutschen Sprache erklären, denn diese Regionen sind dafür verantwortlich, den Satzbau einer Sprache zu verarbeiten. Schachtelsätze wie den letzten Satz können Deutsch-Muttersprachler dadurch ohne Probleme verstehen.

"Unsere Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie sich das Gehirn an kognitive Anforderungen anpasst– unser strukturelles Netzwerk der Sprache wird also durch die Muttersprache geprägt", fasst Mitautor Anwander zusammen.

Sprachen lernen im Schlaf?

Wertvolles Wissen über verschiedene Sprachverarbeitung

Wichtig zu betonen sei es, so der Forscher, dass diese unterschiedlichen Verschaltungen weder Vor- noch Nachteile für die Sprechenden bedeuten. "Die Verschaltung ist einfach nur anders, nicht besser oder schlechter", so Anwander.

Das Wissen um die unterschiedlich verdrahteten Sprachzentren hingegen bringt für beide Muttersprachler Vorteile. Zum Beispiel könnte die Behandlung von Schlaganfall-Patienten verbessert werden. Manche Betroffene leiden an einer Sprachstörung, genannt Aphasie. Für die verschiedenen Muttersprachler könnten unterschiedliche Therapieansätze entwickelt werden, mit denen die Patienten schneller wieder sprechen lernen.

"Außerdem wird es sehr spannend sein, die Untersuchung auf mehr Sprachen auszudehnen", so Anwander. In einer anderen Studie haben die Max-Planck-Forscher Deutsch-, Englisch- und Chinesisch-Muttersprachler untersucht. Die Ergebnisse stehen derzeit noch aus.

Es ist also noch offen, ob und wie weitere Muttersprachen das Gehirn unterschiedlich prägen. Auch eine größer angelegte Studie von Deutsch- und Arabisch-Muttersprachlern wäre hilfreich, um die Ergebnisse zu bestätigen. 

Neue Methoden für das Fremdsprachenlernen

Im zweiten Schritt der aktuellen Studie werden die Forscher analysieren, was in den Gehirnen der arabischsprachigen Menschen passiert, während sie Deutsch lernen. "Wir sind gespannt darauf zu sehen, wie sich das Netzwerk beim Lernen einer neuen Sprache ändert", sagt Anwander.

Die Erkenntnisse sollen am Ende dazu dienen, Methoden für das Lernen von Fremdsprachen zu verbessern. Je nach Lerntyp und Muttersprache könnten unterschiedliche Strategien entwickelt werden, um zum Beispiel einfacher Deutsch zu lernen. Dafür sei aber noch viel Forschung nötig. "Von der individuellen Lernstrategie anhand eines Gehirnscans sind wir noch weit weg", so der Forscher. Bis dahin kommen Lernende wohl nicht um ihr Vokalbelheft herum.

Warum und seit wann singen Menschen?

Für Vögel und Wale ist Gesang überlebenswichtig - ob bei der Partnersuche, zur Kommunikation mit Artgenossen oder um Entfernungen einzuschätzen. Für den Menschen aber ist Gesang vordergründig nicht zentral fürs Überleben. Trotzdem ist er ein zentraler Bestandteil fast aller Kulte und Kulturen. Aber wann und warum fingen Menschen einst an zu singen?

Suche nach dem Ursprung des Gesangs

Unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, sind keine Sänger. Zwar können bestimmte Schopfgibbons sogar im Duett singen, aber der Stimmapparat von Gorillas, Schimpansen und Bonobos erlaubt ihnen lediglich, spitze Schreie oder kehlige Laute zu äußern. 

Evolutionsforscher Charles Darwin glaubte, dass der menschliche Gesang auf die Paarungsrufe der Vögel zurückgehe, da bei Vögeln die guten Sänger bei der Partnerwahl deutlich erfolgreicher als die weniger begabten Artgenossen sind.

Singende Nachtigall (Luscinia megarhynchos) in einem Baum
Laut Darwin ist der menschliche Gesang auf den Paarungsruf der Vögel zurückzuführen null Christian Naumann/Naturphotos/picture alliance

Diese Beobachtung übertrug Darwin auf den Menschen und glaubte, dass urzeitliche Männer - noch bevor sie richtig sprechen konnten - für Frauen gesungen hätten, "um das andere Geschlecht zu bezaubern" und sich so einen Fortpflanzungsvorteil zu sichern.

Allerdings lässt sich der menschliche Gesang schwerlich mit dem Vogelgezwitscher vergleichen. Zumal die ältesten bekannten Gesänge von Ur- und Naturvölkern keine Liebeslieder oder Paarungsgesänge sind, sondern rituelle, kriegerische oder religiöse Gesänge, so der deutsche Musikforscher Carl Stumpf Ende des 19. Jahrhunderts.

Gegen Darwins Balz-Theorie spricht auch, dass es gerade beim rituellen oder beim gemeinsamen Singen nicht darum geht, andere Mitsingende auszustechen, sondern gemeinsam ein melodisches Klangerlebnis zu erschaffen.

Singen stärkt die Gemeinschaft

Bereits in der Antike glaubte der griechische Philosoph Platon um etwa 400 vor unserer Zeitrechnung, dass Menschen aus einem Bedürfnis nach sozialer Harmonie heraus singen.

Diese Ansicht teilt auch der Musikpsychologe David Huron von der Ohio State University, der das Standardwerk "Sweet Anticipation" verfasst hat. Demnach singt der Mensch, weil er auf soziale Beziehungen angewiesen ist und sich einer Gruppe zugehörig fühlen will.

Dass – vor allem gemeinsames - Singen den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärkt, etwa bei der gemeinsamen Arbeit, im Chor oder am Lagerfeuer, ist vielfach belegt, etwa durch eine Studie, die 2016 in der Zeitschrift "Psychology of Music" erschien. Wenn Singen die Gemeinschaft stärkt, dann sichert die gestärkte Gemeinschaft auch das Überleben des Einzelnen.

Singende argentinische Fussballfans im Stadion
Fangesänge und gemeinsame Choreographien schmieden Individuen zur Gemeinschaft zusammen und können den Gegner beeindrucken. null Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

Gemeinsamer Gesang kann Ängste vertreiben und Feinde einschüchtern. Er schmiedet die einzelnen Individuen zu einer Gruppe zusammen und kann Menschenmassen auf eine Religion oder eine Ideologie einschwören. Wenn die singende Gruppe dann auch noch die gleiche, also uniforme Kleidung trägt und sich auf gleiche Weise bewegt, wird dieser Zusammenhalt noch einmal verstärkt. 

Singen schüttet Glückshormone aus

Viele Menschen singen, weil es ihnen Spaß macht und gut tut. Das ist nicht nur ein subjektives Gefühl, sondern lässt sich auch wissenschaftlich erklären.

Beim Singen werden körpereigene Glückshormone wie Endorphine, Serotonin, Dopamin und Adrenalin ausgeschüttet. Gleichzeitig werden Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin abgebaut. Vorausgesetzt, man singt gerne, verbessert Singen so nachweislich die Stimmung und den allgemeinen Gefühlszustand. Außerdem wird die Zirbeldrüse im Gehirn stimuliert, die das Hormon Melatonin produziert und den Schlaf-Wach-Zyklus reguliert. Singen fördert außerdem die Ausbildung antioxidativer Enzyme und hat so einen tumorhemmenden Effekt. 

Singen als Medizin

Wenn man in der Gemeinschaft singt, dann ist der positive Effekt noch größer. Nach mehr als einer halben Stunde Gesang schüttet das Gehirn zusätzlich das Bindungshormon Oxytocin aus. Dieses Hormon wird auch bei stark emotionalen Momenten wie beim weiblichen Orgasmus, bei der Geburt eines Kindes oder beim Stillen verstärkt produziert. Oxytocin sorgt auch dafür, dass beim Singen eine innige Beziehung zu Mitsingenden aufgebaut wird.

In den 1990er-Jahren untersuchten schwedische Forschende mehr als 12.000 Personen aus allen Altersgruppen und fanden heraus, dass Mitglieder von Chören und Gesangsgruppen eine deutliche höhere Lebenserwartung haben als Menschen, die nicht singen. Die Ergebnisse der Studie "The Choir Singing and Health Project" wurden in mehreren wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht, darunter auch "The British Medical Journal" (BMJ).

Singen kann helfen zu heilen

Viele Kulturen vertrauen auf die heilende Kraft der Stimme, um Kranke zu heilen. Denn Gesang und Musik wirken sich nicht nur auf den Hormonhaushalt aus, sondern verändern auch den Herzschlag und den Blutdruck, beeinflussen die Atemfrequenz und wirken entspannend.

Auch in der modernen Therapie wird Gesang und Musik eingesetzt, etwa bei Depressionen, Ängsten oder Traumata. Bei Ess- und Persönlichkeitsstörungen sowie bei psychosomatischen Erkrankungen oder bei Demenz kann therapeutisches Singen ebenfalls helfen.

 

Computer oder Bücher - womit lernen Kinder besser?

Der antike griechische Philosoph Sokrates sagte, dass das Aufschreiben von Dingen die Menschen vergesslich machen würde. Heute, Tausende von Jahren später, sind wir in der glücklichen Lage, über Sokrates' Gedanken zu diskutieren - eben weil sie aufgeschrieben wurden.

Experten sagen oft, dass das geschriebene Wort - etwa in Büchern - am besten ist, und dass Computer sich negativ auf das Lernen auswirken, und zwar fast aus denselben Gründen, aus denen Sokrates gegen das Aufschreiben war: Vergesslichkeit, denn wer alles nachschauen (oder googlen) kann, muss sich nichts mehr merken.

Weil immer mehr Klassenzimmer von gedruckten auf digitale Lehrmittel umsteigen, untersuchen Forschende die Auswirkungen auf das Lernen der Kinder. Das Gebiet ist neu und die Erkenntnisse sind nicht einheitlich - es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, ob Kinder besser mit Büchern oder digitalen Medien lernen.

In einer Studie an Grundschulen in Honduras wurde beispielsweise festgestellt, dass der Ersatz von Schulbüchern durch Laptops letztlich keinen Unterschied in der Lernleistung der Schüler und Schülerinnen ausmachte - weder positiv noch negativ. Es scheint also, dass beide Formen des Lernens - gedruckt und digital - je nach Person und Situation effektiv sein können oder eben nicht.

Frühes Lernen hilft der Gehirnentwicklung

Mit Hilfe der Neurowissenschaft können Pädagogen entscheiden, welche Hilfsmittel in den verschiedenen Entwicklungsstadien eines Kindes eingesetzt werden sollten. Neurowissenschaftler haben gezeigt, dass Lernen und Gedächtnisbildung zu neuen Verbindungen im Gehirn führen. Das Gehirn ist plastisch, also formbar - es wächst und löscht Verbindungen zwischen Neuronen, während wir Erinnerungen bilden, lernen und vergessen. Das gilt für alle Altersgruppen, aber besonders bei Kindern.

Training fürs Gedächtnis

Die Plastizität des Gehirns hängt in hohem Maße von unseren Erfahrungen und unserer Umgebung ab. Studien haben herausgefunden, dass wir umso mehr lernen, je reichhaltiger unser Lernumfeld in der Kindheit ist. Es beeinflusst auch die Art und Weise, wie unser Gehirn neue Dinge für den Rest unseres Lebens lernt.

Das beste Beispiel dafür ist das Sprachenlernen. Kinder lernen im Vergleich zu Erwachsenen sehr viel leichter eine zweite Sprache, weil ihr Gehirn plastischer ist. Darüber hinaus können Erwachsene, die in ihrer Kindheit zwei Sprachen gelernt haben, viel schneller eine dritte Sprache lernen als Erwachsene, die in ihrer Kindheit nur eine Sprache gelernt haben - ihr Gehirn ist auf das Erlernen von Sprachen trainiert worden.

Am anderen Ende des Spektrums verändert der Entzug von Sinneseindrücken in der Kindheit das Gehirn dauerhaft zum Schlechten. Kinder, denen verschiedene Erfahrungen vorenthalten werden - zum Beispiel weniger Berührungen und Interaktionen mit Erwachsenen, weniger Anblicke und Geräusche und wenig Zugang zum Lernen - können kleinere Gehirne entwickeln. Diese Veränderungen lassen sich später im Leben oft nicht mehr rückgängig machen.

Vorteile vielfältiger Lernerfahrungen

Was bedeutet das für die Bildung? Kinder müssen mit so vielen verschiedenen Arten von Lernmitteln wie möglich in Berührung kommen, sowohl mit digitalen als auch mit "altmodisch" gedruckten. Auch mit der Hand schreiben (auf Papier!) hilft beim Lernen. Studien zeigen, dass das Gehirn beim Schreiben aktiv an der Aufzeichnung beteiligt, beim Tippen jedoch weniger aktiv ist.

Aber auch die Nutzung digitaler Lernplattformen kann eine reichhaltigere Erfahrung bedeuten: Eine Fülle von Animationsfilmen, belohnungsbasierte Lern-Apps, virtuelle Klassenzimmer und KI-Tools wie ChatGPT können Schüler auf interaktive Weise zum Lernen motivieren.

Die Forschung hat gezeigt, dass digitale Technologien die Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten, die manuelle Geschicklichkeit und das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis verbessern, wenn sie in einem Lernkontext eingesetzt werden. Die positiven Ergebnisse beeinflussen alle Bereiche des Lernens eines Kindes, einschließlich Sprache, Lese- und Schreibfähigkeit, Mathematik, Naturwissenschaften, Allgemeinwissen, kreatives Denken - die Liste ist endlos.

Großer Bildschirm in Klassenzimmer in der Ukraine mit Lehrerinnen und Schülerinnen
Immer mehr Klassenzimmer, wie hier in der Ukraine, sind digital ausgestattetnull Madeleine Kelly/ZUMAPRESS.com/dpa/picture alliance

PCs: Auswirkungen auf körperliche und geistige Gesundheit

Die digitalen Technologien sind allerdings nicht ausschließlich unbedenklich. Einige Studien zeigen, dass sich Computer negativ auf die Aufmerksamkeit auswirken können. Untersuchungen stellten außerdem fest, dass Kinder Computer passiv nutzen, anstatt sie als aktives Lernwerkzeug zu verwenden, das das Gehirn anregt. Ob diese negativen Auswirkungen kurzfristig oder dauerhaft sind, ist noch nicht klar.

Einige Studien deuten auch darauf hin, dass eine übermäßige Computernutzung die körperliche und geistige Gesundheit beeinträchtigt. Das könnte aber eher mit dem langen Sitzen zu tun haben als mit den Computern selbst. Deshalb ist es für die Entwicklung von Kindern und auch für ihre schulischen Leistungen wichtig, draußen zu spielen und aktiv zu sein.

Das eigentliche Problem bei der Bildung ist Armut

Bei der Bildung eines Kindes spielen viele Faktoren eine Rolle. Das häusliche Umfeld ist ebenso wichtig wie die Materialien und Technologien, die sie zum Lernen verwenden. Eines der größten Probleme im Bildungsbereich ist die Armut und der damit einhergehende schlechte Zugang zu Büchern und Computern.

Dieses Problem wurde vor allem während der COVID-19-Pandemie deutlich, weil Kinder aus benachteiligten Verhältnissen in Zeiten, in denen die Schulen geschlossen waren, zu Hause die nötigen Lernmitteln und Unterstützung fehlten. Dies zeigte beispielsweise eine im Vereinigten Königreich durchgeführte Untersuchung, die ergab, dass ein Drittel der Schüler in benachteiligten Regionen während der Pandemie keinen angemessenen Zugang zu häuslichen Lernmitteln hatte.

Studien zufolge führte das zu einer Verschlechterung der schulischen Leistungen dieser Kinder. Dieses Ergebnis ist vor allem auf die ungleichen Bildungschancen zurückzuführen. Ein Trend, der weltweit zu beobachten ist.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

Alaskapocken: Erster Todesfall durch das Virus

Die Alaskapocken (englisch: Alaskapox) gehören zu den sogenannten Orthopoxviren oder "Säugerpocken" und sind mit Pocken, Kuhpocken und Mpox (ursprünglich als "Affenpocken" bekannt) verwandt. Infektionen sind bisher nur im US-Bundesstaat Alaska aufgetreten.

Seit dem ersten Fall im Jahr 2015 sind bisher nur insgesamt sieben Infektionen bei Menschen gemeldet worden. Bis auf den aktuellen Fall verliefen alle Infektionen mild und erforderten keinen Krankenhausaufenthalt.

Die Alaskapocken-Patienten berichteten über eine oder mehrere Hautläsionen, die Spinnen- oder Insektenbissen ähneln. Zu den Symptomen gehören auch geschwollene Lymphknoten und Gelenk- oder Muskelschmerzen, die in der Regel innerhalb weniger Wochen abklingen.

Wie wird das Virus übertragen?

Forscher glauben, dass das Virus eine sogenannte Zoonose sein könnte, also von Tieren auf den Menschen übertragen werden kann. Die Gesundheitsbehörden Alaskas berichteten, dass Alaskapocken 2020 und 2021 bei zwei Arten von Kleinsäugern - Wühlmäusen und Spitzmäusen - im Fairbanks North Star Borough, einem Bezirk im Bundesstaat Alaska, festgestellt wurden. Dort traten auch die meisten der menschlichen Fälle auf.

Wie genau das Virus vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist, ist noch unklar. Die Patienten könnten sich über Haustiere angesteckt haben, die wiederum mit infizierten Wühl- oder Spitzmäusen in Kontakt gekommen waren. Das könnte auch im Fall des verstorbenen Patienten passiert sein.

Direkte Übertragungen von Mensch zu Mensch wurden zwar bisher nicht beobachtet. Experten warnen jedoch davor, dass andere Orthopoxviren durch direkten Kontakt mit infektiösen Hautläsionen übertragen werden können. Sie raten Menschen mit Hautläsionen, die möglicherweise durch Alaskapocken verursacht wurden, die betroffene Stelle mit einem Verband abzudecken.

Zoonosen - kommt die nächste Pandemie?

Was wissen wir über den Alaskapocken-Todesfall?

Der nun in Alaska verstorbene Mann wurde von den Gesundheitsbehörden als "älter" bezeichnet, sein genaues Alter gaben die Behörden nicht bekannt.

Er lebte auf der abgelegenen Kenai-Halbinsel, die vor der Südküste des Bundesstaates in den Golf von Alaska ragt. Die Halbinsel ist mehr als 483 Kilometer (300 Meilen) von der zweitgrößten Stadt Alaskas, Fairbanks, entfernt, wo die sechs anderen Fälle auftraten. Die Gesundheitsbehörden vermuten daher, dass sich das Virus auf kleine Säugetiere außerhalb dieser Region ausgebreitet hat.

Der Mann nahm im Rahmen seiner Krebsbehandlung Medikamente ein, die das körpereigene Abwehrsystem unterdrücken. "Der immungeschwächte Status des Patienten hat wahrscheinlich zum Schweregrad der Erkrankung beigetragen", so das Gesundheitsministerium von Alaska in einem Bulletin zu diesem Fall.

Im September 2023 entdeckte der Erkrankte rote Pusteln in seiner rechten Achselhöhle. Im November wurde er wegen Müdigkeit, Schmerzen und eingeschränkter Beweglichkeit in seinem rechten Arm ins Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte entdeckten vier weitere Läsionen an seinem Körper.

Tests ergaben schließlich, dass der Mann an Alaskapocken erkrankt war. Später "zeigte er eine verzögerte Wundheilung, Unterernährung, akutes Nierenversagen und Atemstillstand", so das Gesundheitsministerium von Alaska. Der Patient starb im Januar 2024.

Der Mann hatte allein gelebt und war nicht verreist, bevor er sich infizierte. Er hatte jedoch berichtet, dass er sich um eine streunende Katze kümmerte, die regelmäßig kleine Säugetiere jagte und ihn häufig kratzte - so auch in der Nähe seiner Achselhöhle, kurz bevor sich dort die erste Läsion entwickelte.

Es ist möglich, dass die Katze mit einer infizierten Wühlmaus oder einem anderen kleinen Säugetier in Kontakt gekommen war und die Infektion dann an den Mann weitergegeben hatte.

Orange-weiße Hauskatze schaut in die Kamera
Möglicherweise könnten Haustiere, die mit infizierten Kleintieren in der Wildnis Kontakt hatten, Alaskapocken an Menschen weitergeben.null ingimage/IMAGO

Was tun, wenn Sie glauben, dass Sie Alaskapocken haben?

Suchen Sie einen Arzt auf, wenn Sie glauben, dass Sie sich mit dem Virus angesteckt haben könnten. Vermeiden Sie es, Läsionen an Ihrem Körper zu berühren.

Es gibt zwar keine Beweise für eine Übertragung von Alaskapocken von Mensch zu Mensch, aber einige andere Orthopoxviren verbreiten sich über den Kontakt mit den infektiösen Läsionen der Erkrankten, so dass die Gesundheitsbehörden Alaskas zur Vorsicht raten.

Sie empfehlen Menschen, die an Alaskapocken erkrankt sein könnten, "gute Handhygiene zu praktizieren, die gemeinsame Benutzung von Kleidungsstücken, die mit den Läsionen in Berührung gekommen sein könnten, zu vermeiden und Kleidung und Bettwäsche [von möglicherweise Infizierten] getrennt von anderen Haushaltsgegenständen zu waschen."

GPS-Chaos: Wie Jamming Satellitensignale stört

Satellitennavigation ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken. Die GPS-Geräte im Auto, Smartphone oder der Uhr würden nicht mehr funktionieren - wir würden wohl nur mit großen Schwierigkeiten von A nach B finden. 

Doch nicht nur im Privaten, auch in wirtschaftlichen und öffentlichen Bereichen sind Navigationsdaten mittlerweile unerlässlich - sei es für automatisierte Prozesse in der Landwirtschaft, Satellitensignale in Stromnetzen, in Telekommunikationsnetzen oder bei Finanztransaktionen. GPS gehört zur Grundausstattung im Flug- und Schiffsverkehr.
Und genau dort wird auch gerade wieder deutlich, dass das System angreifbar ist. 

Jamming: Gestörte Satellitensignale sind keine Seltenheit

Seit Dezember verfolgen Sicherheitsexperten gezielte Störungen - Jamming oder Spoofing genannt - der Satellitennavigation im Ostseeraum bis nach Deutschland. Es werden "sporadisch aus dem nordöstlichen Bereich des deutschen Luftraums Störungen der vom Satellitennavigationssystem 'Global Positioning System' (GPS) ausgestrahlten Navigationssignale gemeldet", teilte das Bundesverkehrsministerium (BMDV) der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage mit.

Deutsche Sicherheitsforscher, Luftfahrtexperten und Militärs verfolgen die GPS-Störungen ziemlich genau und auch eine konkrete Ortung der Störquellen ist möglich. Zu den Ergebnissen wird öffentlich allerdings keine Auskunft gegeben. Einen konkreten Verdacht gibt es laut dpa aber: Russland, das nach unterschiedlichen Berichten auch seine eigenen Städte mit einer Art Störschirm gegen Angriffe schützt, wie sie die Ukraine als Teil ihrer Verteidigung mit Drohnen fliegt. 

Steuerstand in einem Trainingsschiff
Moderne Navigationssysteme sind auch in der Schifffahrt Standard, aber zur Positionsbestimmung kommen stets mehrere Technologien zum Einsatz.null Tonggie Siregar/DW

Solche Störungen sind nichts Neues. GPS-Störungen werden weltweit registriert. So warnte Indiens Luftfahrtbehörde DGCA die Ende 2023, dass mehrere zivile Flüge aus Indien in der Nähe des Irans vom Kurs abkamen, nachdem ihre Navigationssysteme versagt hatten. Offenbar wurde ihr GPS-Signal manipuliert. Eines der Flugzeuge flog schließlich fast unerlaubt in den iranischen Luftraum. Auch die Luftfahrtvereinigung OPSGROUP hat seit Ende September 2023 mehr als 50 solcher Vorfälle von Passagierflugzeugen registriert. Auf der Website werden regelmäßige Updates veröffentlicht. 

Nicht nur in der Luft, auch auf See sind diese Störungen problematisch. So zeigte eine Studie aus dem Jahr 2019, dass Tausende von Schiffen in der Nähe des Hafens von Shanghai von fatalen Störungen betroffen waren. Es tauchten Schiffe auf den Bildschirmen des Automatischen Identifikationssystem (AIS) auf, wo in Wirklichkeit keine waren. Es wurden Frachter in voller Fahrt angezeigt, die eigentlich im Hafen lagen. Eine bis dato der größten maritimen GPS-Attacken.

Gezielte Störungen von Satellitensignalen kommen häufig in Krisenregionen , etwa am Schwarzen Meer oder im Nahen Osten vor, insbesondere dem östlichen Mittelmeerraum, Irak, Libanon, Libyen, Zypern, der Türkei und Armenien. Auf einer Karte namens GPSJAM.org sind aktuelle Störungen visualisiert. Diese basieren auf Daten von Flugzeugen, die Informationen über die GPS-Genauigkeit enthalten.

Doch auch schon früher, bevor Navigationssatelliten betroffen waren, gab es Jamming. Dann waren etwa Kurzwellen-Radioprogramme oder über Satelliten ausgestrahlte Fernsehsendungen betroffen, die zum Beispiel Menschen in bestimmten Gebieten nicht empfangen sollten.

Wie funktioniert GPS?

Genau genommen ist das, was wir als GPS bezeichnen, also ein System zur Positionsbestimmung via Satelliten, eigentlich "GNSS": Global Navigation Satellite System. GPS, das NAVSTAR Global Position System, ist nur ein Teil davon.

Weltweit gibt es vier Hauptsysteme: Neben GPS von den USA auch Galileo von der EU, GLONASS von Russland und Beidou von China. Während alle anderen Systeme primär auf die militärische Nutzung ausgerichtet sind, ist Galileo das einzige System unter rein ziviler Kontrolle. Mit Galileo wurde Ende Januar 2023 eine Genauigkeit erreicht, die die konkurrierenden Systeme GPS, GLONASS und Beidou um mehr als den Faktor 10 übertrifft. Allerdings unterstützen noch nicht alle Geräte Galileo. 

 

Wie funktioniert das Navigationssystem GPS?

Das NAVSTAR GPS gilt daher immer noch als Referenz und wird am häufigsten verwendet. In rund 20.000 Kilometern Höhe umkreisen die Satelliten die Erde. Mithilfe von Empfängern und Algorithmen werden Positions-, Navigations- und Zeitdaten (kurz: PNT) für Luft-, See- und Landreisen synchronisiert. Um die genaue Position zu berechnen, muss ein GPS-Gerät das Signal von mindestens vier Satelliten lesen können.

Jamming und Spoofing: Wie werden GPS-Signale gestört?

Doch die Signalübertragung funktioniert nicht immer reibungslos. Beim Jamming (deutsch: Störung) sendet ein Störsender ein Signal aus, welches das originale, aber schwächere Signal überlagert, sodass der Empfänger das echte Satellitensignal nicht mehr vollständig entschlüsseln kann. 

Durch andere Funksignalquellen kann Jamming unbeabsichtigt erfolgen - etwa durch Radar- oder Kommunikationssysteme auf benachbarten Frequenzen. Jamming kann aber auch vorsätzlich eingesetzt werden. Vorsätzliches Jammen mit GNSS-Störsendern ist in den meisten Ländern illegal, im Internet sind Equipment und Anleitungen aber problemlos erhältlich. 

Beim sogenannten Spoofing (deutsch: Manipulation) werden absichtlich falsche PNT-Daten übertragen, um den Nutzenden die wahre Position zu verschleiern. Sie erhalten falsche Navigationsdaten. Beim Spoofen sind komplexere Geräte notwendig, um die Satellitensignale vorzutäuschen.

  

Gegenmaßnahmen: Was hilft gegen Jamming und Spoofing?

Da sich Piloten und Schiffskapitäne auf mehrere Systeme stützen, besteht nach Einschätzen von Forschenden des Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) für diese "keine akute Gefährdung". Unbedeutend sind die Störungen dennoch nicht. "Allerdings kam es schon zu Routenänderungen und Flugausfällen", schreiben sie. Besonders Spoofing-Attacken in der Luft und auf See können Chaos auslösen, wie die Beispiele oben zeigen. 

Mit Blick auf die Entwicklung zukünftiger Technologien zur Positionsbestimmung, die für den zunehmenden Verkehr und die Automatisierung im Mobilitätssektor notwendig sind, sei man aber "gut beraten, solche Störungen ernst zu nehmen und bei derartigen zukünftigen Technologieentwicklungen zu berücksichtigen".

Am DLR-Institut für Kommunikation und Navigation wird bereits an alternativen Navigationssystem gearbeitet, zum Beispiel an "R-MODE". Es laufe derzeit in der Ostsee im Testbetrieb und ermögliche Schiffen eine Positionsbestimmung auch bei GNSS-Störungen durch die Nutzung anderer Funksignale. Eine vergleichbare Alternative gebe es mit "LDACS-NAV" auch für die Luftfahrt. 

Wie Liebe die Hormone in Gehirn und Körper tanzen lässt

Wenn wir uns verlieben, schüttet der Körper einen Hormoncocktail mit Serotonin, Phenylethylamin, Dopamin und Oxytocin aus, der es in sich hat. Die meisten dieser hormonellen Botenstoffe werden im Gehirn gebildet.

"Dort kann man sie nicht durch Blut abnehmen messen", bedauert der Bochumer Forscher Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Liebe lässt sich zwar nicht messen. Aber wissenschaftlich nachvollziehen lassen sich die Auswirkungen des Hormonmixes dennoch. Das geht mit Tomographen, die zumindest die Aktivitäten in einzelnen Hirnarealen aufzeichnen.

Welche Phasen Verliebte durchlaufen und welche Hormone sie dabei begleiten, kann ganz schön aufregend sein!

Phase 1: "Ich bin ja so verliebt!"

Herzklopfen und Schmetterlinge im Bauch - dahinter stecken Dopamin und das "Verliebtheitshormon" Phenylethylamin. Es sorgt dafür, dass eine erotische Anziehungskraftzwischen Menschen entsteht. Zusätzlich macht Dopamin uns offen gegenüber anderen. Also auch gegenüber der künftigen großen Liebe.

Phase 2: "Wir haben uns geküsst!"

Lust zu knutschen? Dann los! Küssen ist nicht nur schön, sondern auch gesund. Die Pulsfrequenz steigt und der Stoffwechsel verbessert sich. Wer viel küsst, ist weniger anfällig für Bluthochdruck und Depressionen.

Frag doch! Was ist Liebe?

Der ausgetauschte Speichel ist gut für das Immunsystem und die Zähne, weil antimikrobielle Enzyme Karies und Parodontose vorbeugen. Und auch um tiefe Falten brauchen sich eifrige Küsser weniger Sorgen zu machen. Sie trainieren alle 34 Gesichtsmuskeln auf einmal und straffen so ihre Haut. 

Phase 3: "Nur in Deiner Nähe bin ich glücklich"

Insbesondere frisch Verliebte neigen dazu, den geliebten Menschen zu idealisieren, alle Gedanken kreisen um ihn. Das überschäumende Verliebtsein ist mit neuronaler Aktivität in Hirnbereichen verbunden, die bei Belohnung und Motivation, Emotionen sowie sexueller Erregung beteiligt sind. 

Bekannt ist, dass bestimmte Hirnareale, die bei romantischer Liebe eine Rolle spielen, sich mit dem sogenannten Annäherungssystem oder auch Verhaltensaktivierungssystem, kurz BAS (Behavioral Activation System), überschneiden.

Das BAS bewirkt, dass wir positive Reize verstärkt wahrnehmen, neugieriger sind und selbstbewusster handeln, heißt es in einer australischen Studie, die im Fachjournal "Behavioural Sciences" erschienen ist. "Menschen, die romantische Liebe erleben, zeigen eine Reihe von Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen, die auf eine gesteigerte BAS-Aktivität hindeuten", heißt es in der Studie. Den Ergebnissen zufolge gibt es einen Zusammenhang zwischen BAS und Verliebtsein: Es reagiert auf Reize in Bezug auf die geliebte Person. 

Gleichzeitig nimmt bei frisch Verliebten überraschenderweise das Glückshormon Serotonin ab. Forscher erklären das so: Verliebte verlieren den rationalen Blick und stellen den Partner voll und ganz in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Wenn die Person für längere Zeit (oder auch nur für fünf Minuten) nicht in der Nähe ist, kommt es zu Entzugserscheinungen, ähnlich wie bei Drogensüchtigen.

Phase 4: "Du und ich für immer und ewig"

Wichtig für eine Partnerschaft ist auch das "Kuschelhormon" Oxytocin. Es fördert nicht nur die Bindung zwischen Mutter und Kind, sondern auch zwischen Partnern.

Alteres Paar hält gemeinsam ein Herz in der Hand
Nicht nur die Hormone entscheiden, ob eine Partnerschaft länge hältnull Christin Klose/dpa-tmn/picture alliance

Zusätzlich sorgt es in sozialen Beziehungen für Vertrauen. Allerdings hat es auch seine schlechte Seiten: Es bewirkt, dass Menschen andere ausgrenzen. Das machen Verliebte in der Regel aber - wenn überhaupt - nicht mit böser Absicht.

Phase 5: Zeit zu zweit mit Testosteron und Östrogen

Sex hat nur indirekt mit den klassischen Verliebtheitshormonen zu tun. Auf Sexualität wirken vor allem die Geschlechtshormone Testosteron und Östrogen. Beim weibliche Orgasmus wird außerdem das Hormon Oxytocin hoher Konzentration ausgeschüttet. Je mehr davon ausgeschüttet wird, desto heftiger ist der Orgasmus und das anschließende Gefühl der Bindung an denjenigen, mit dem man diesen Orgasmus erlebt hat.

Ineinander verschränkte Hände von einem Paar
Die Hormone Testosteron und Östrogen sind für die Sexualität wichtig null Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Sex hat auch für die Gesundheit angenehme Begleiteffekte. Die Partner verbrennen beim Sex jeweils bis zu einige hundert Kilokalorien, so Endokrinologe Schatz.

Durch den Sex neigen Männer außerdem weniger zu Prostatakrebs. Und die vom Körper freigesetzten, opiumähnlichen Substanzen können sogar wie Schmerzmittel wirken. "Knie- oder Wirbelschmerzen bei älteren Männern gehen davon aber auch nicht weg", verrät Hormonforscher Helmut Schatz.

Der Zauber der Liebe

Ob die Liebe hält, hängt allerdings von viel mehr ab als nur von den Hormonen. "Man darf die Hormone nicht isoliert betrachten", betont Schatz. "Verliebtheit hängt stark von der Psyche ab. Und auch vom Nervensystem."

Der Zauber des Verliebtseins ist also nicht nur ein biologischer Prozess. Die Hormone sind nur Teil eines Netzwerks aus Komponenten, die für das Gefühl "Liebe" verantwortlich sind. 

Um die Liebe vor dem Alltag zu retten, rät Endokrinologe Schatz, gelegentlich zum Beispiel mal Achterbahn zu fahren: Gefahrensituationen schweißen Paare zusammen. Einen anderen Tipp hat der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth: öfter Komplimente machen. Ehrliche und nette Worte können die vermehrte Ausschüttung von neuronalen Wirkstoffen wie Oxytocin und Dopamin auslösen. Genau der Stoff also, den Verliebte brauchen. 

 

Der Artikel erschien ursprünglich 2017 und wurde zum Valentinstag 2024 mit der australischen Studie aktualisiert.

So funktioniert Starlink - auch in der Ukraine

Spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist der strategische Nutzen von Starlink klar: Über das Satellitennetzwerk von Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX kriegen die Menschen in der Ukraine wieder Informationen. Und auch das ukrainische Militär nutzt Starlink erfolgreich für die Koordination unter anderem von Drohnen.

Doch nach Erkenntnissen des ukrainischen Geheimdienstes nutzen auch russische Truppen seit Monaten die Technologie im besetzten Teil der Ukraine. Demnach umgeht Russland die Sanktionen, indem es Waren über Drittländer bzw. nicht näher bezeichnete “arabische Länder“ einführt.

Vom Starlink-Betreiber und der russischen Regierung kamen wage Dementis: Das Unternehmen SpaceX betont, keine Geschäfte mit der russischen Regierung oder dem russischen Militär zu machen. Sollte SpaceX von Fällen erfahren, in denen Starlink-Terminals ohne Erlaubnis genutzt würden, werde die Firma dies prüfen und das Terminal gegebenenfalls abschalten, hieß es in einer Erklärung.

Laut Kreml seien die Terminals, also die Empfangs-Endgeräte, weder für die Verwendung in Russland zertifiziert noch würden sie offiziell an Russland geliefert, entsprechend könnten sie auch nicht verwendet werden.

Wofür gibt es Starlink?

Mit dem ursprünglich zivilen Starlink-Programm sollen eigentlich unterversorgte Regionen fernab der Städte mit Internet versorgt werden. Neben strukturschwachen Gebieten, wenig besiedelten Regionen oder unendlichen Wasserflächen dachte man vielleicht auch an freie Informationen für Menschen in zensierten Autokratien.

Sicherlich aber dachte man nicht an ein europäisches Kriegsgebiet, in dem der Aggressor zu Beginn der Invasion zunächst gezielt die Stromversorgung und Internetverbindungen zerstörte.

Wie funktioniert Starlink?

Starlink erstellt einen Internetzugang, indem es die Daten via Licht transportiert, also wie bei einem Glasfaserkabel. Aber dieser Transfer erfolgt über Satelliten. Dafür baut der texanische Geschäftsmann Elon Musk seit Jahren eine Satelliten-Netzwerk auf, in dem die einzelnen Satelliten die entsprechenden Daten untereinander weiterleiten.

Musks Raumfahrtkonzern SpaceX hat seit 2019 rund 2300 Satelliten ins niedrige Erdorbit gelauncht. Ziel es es, das Netzwerk auf bis zu 42.000 Satelliten auszubauen. Einen entsprechenden Antrag hat SpaceX bereits bei der zuständigen Federal Communications Commission (FCC) in den USA gestellt.

Illustration | SpaceX Starlink Satellitennetzwerk
Seit 2019 hat der Raumfahrtkonzern SpaceX bereits rund 2300 Satelliten ins niedrige Erdorbit gelauncht.null Science Photo Library/imago images

Um die Satelliten-Daten nutzen zu können, braucht es zudem ein Empfangsgerät am Boden, der wie ein Router die Geräte mit dem nächsten Satelliten verbindet. Der Empfänger richtet die Empfangsschüssel, die einer TV-Satellitenschüssel ähnelt, eigenständig auf einen verfügbaren Satelliten aus und schon wird die Internetverbindung aufgebaut.

Was sind die Vorteile von Starlink?

Starlink ist nicht der erste Anbieter von Satelliten-Internet, aber es hat einige Vorteile gegenüber den Konkurrenten: Das Satelliten-Internet ist vergleichsweise einfach zu bedienen. Die Daten fließen kontinuierlich und beeindruckend schnell. Denn die Starlink-Satelliten kreisen mit 328 bis 614 Kilometern Höhe deutlich niedriger um die Erde als die Satelliten der Mitbewerber.

Zum Vergleich: Die Satelliten vom bisherigen Satelliten-Platzhirsch Hughesnet kreisen in 35.000 Kilometern Höhe um die Erde. Entsprechend braucht auch die Datenübertragung rund zehnmal so lang wie bei Starlink.

Lohnt sich Starlink für Privatleute?

Bislang ist Starlink nur in ausgewählten Regionen verfügbar. Zu den 32 Ländern zählen Teile der USA und Kanadas, Mittel- und Südeuropa, Teile von Lateinamerika und der Süden von Australien. Also noch nicht die Gebiete, für die das Satelliten-Internet ursprünglich gedacht waren.

Das liegt vermutlich auch daran, dass das Satelliten-Internet von Starlink sehr teuer ist, allein das Empfangsgerät kostet in den USA rund 600 Euro. Und die monatliche Nutzungsgebühr liegt bei 110 Dollar.

Insofern lohnt sich das Satelliten-Internet für Gebiete mit einer guten oder zufriedenstellenden Netzabdeckung wie etwa in Europa kaum. Es sei denn, man ist viel mit dem Boot oder Wohnmobil unterwegs und will trotzdem permanent eine leistungsstarke Internetverbindung nutzen.

Warum ist das Starlink-Programm so umstritten?

Schnelles Internet für alle überall klingt zunächst vielversprechend. Aber das Satelliteninternet Starlink ist aus vielerlei Gründen sehr umstritten.

Sorge vor Kontrollverlust

Zwar spielt Starlink für die Ukraine eine wichtige Rolle bei der Verteidigung gegen den seit fast zwei Jahren andauernden russischen Angriffskrieg. Aber es gab auch schon große Differenzen zwischen der Ukraine und SpaceX. So etwa, als Firmenchef Musk vor einigen Monaten verkündete, er habe einen ukrainischen Angriff auf die russische Schwarzmeerflotte verhindert, indem er sich weigerte, Starlink in der Region um die annektierte Halbinsel Krim zu aktivieren.

Schon die Bereitstellung von Starlink für die Ukraine samt Lieferung der nötigen Empfangsanlagen fand als öffentliche Absprache zwischen dem texanischen Geschäftsmann Elon Musk und Mykhailo Fedorov, ukrainischer Vize-Premier und Minister für digitale Transformation, über den privaten Bloggingdienst Twitter (heute X) statt - also ohne öffentliche Debatte und ohne jegliche Kontrolle durch Parlamente.

Elon Musk aktiviert Starlink in der Ukraine
Wird Elon Musk das private Starlink-Projekt irgendwann meistbietend verkaufen? null Susan Walsh/AP/dpa/picture alliance

Und was passiert, wenn das private Starlink-Projekt nach Fertigstellung meistbietend verkauft wird und in die falschen Hände gelangt? Wenn künftig totalitäre Staaten oder strategische Rivalen auf dieses erdumspannende Netz zugreifen können?

Gedränge im Orbit

Außerdem "müllt" Elon Musk mit seinen privaten Satelliten auch unser Orbit zu. 1957 wurde der erste Sputnik-Satellit ins All geschossen, bis 2019 folgten ihm bereits 8.500 weitere Satelliten. Das Starlink-Netzwerk soll 42.000 Satelliten umfassen - es wird also schnell sehr voll im Orbit. Dies gefährdet andere Satelliten und behindert auch astronomische Beobachtungen von der Erde aus.

Schon jetzt werden die Starlink-Satelliten für die meisten Beinahe-Kollisionen mit anderen Satelliten verantwortlich gemacht. Und sobald ein Satellit automatisch seine Flugbahn ändert, um einer möglichen Kollision auszuweichen, kann dies eine Kettenreaktion auslösen, weil dann wiederum andere Satelliten auf dessen geänderte Flugbahn reagieren.

Problematisch ist auch die vergleichsweise kurze Lebenszeit der Starlink-Satelliten, die nach rund fünf Jahren ihren Geist aufgeben. Selbst wenn sie dann beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre weitgehend verglühen, so müssen doch ständig neue Satelliten ins All geschossen werden, um keine Lücken im Netzwerk entstehen zu lassen.

Kaum Chancen für Mitbewerber

Aktuell nutzt SpaceX seine marktbeherrschende Stellung massiv aus, um sich die Konkurrenz auch in Zukunft fernzuhalten: Angesichts der Satelliten-Dichte ist für andere Mitbewerber kaum noch Platz, schon gar nicht in den erdnahen Umlaufbahnen. Wenn überhaupt müssten sie auf deutlich weiter entfernte und unattraktivere Höhen ausweichen.

Für ein ähnlich engmaschiges Satelliten-Netz zur globalen Versorgung mit schnellem Internet ist dies höchst unattraktiv, sprich: Starlink hat auch künftig wenig Konkurrenz zu fürchten. 

 

Pränataler Down-Syndrom-Test hoch umstritten

Bei ihrer dritten Schwangerschaft war Susanne (Nachname ist der Redaktion bekannt) 36 Jahre alt. Zwei kleine Söhne hatten sie und ihr Mann bereits. Wie bei Schwangeren über 35 in Deutschland üblich, wurde bei Susanne ein Erst-Trimester-Screening gemacht. Ihr wurde Blut abgenommen, über Ultraschall wurde die Nackenfalte des Babys untersucht. Das Ergebnis: Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind eine Chromosom-Störung wie zum Beispiel Trisomie 21, Down-Syndrom, haben könnte.

Es folgte die Überweisung an einen Humangenetiker und weitere Tests. Hier bekam die Familie aus der Nähe von Heidelberg bestätigt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Susanne ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen würde, war deutlich erhöht. Um noch mehr Gewissheit zu erlangen, gab es damals, 2008, nur die Möglichkeit invasiver Tests, beispielsweise der Fruchtwasseruntersuchung. Der Eingriff liefert zwar mehr Informationen, birgt aber auch ein 0,5 prozentiges Risiko einer Fehlgeburt. Susanne und ihr Mann verzichteten noch aus einem anderen Grund auf die Maßnahme. 

"Man muss sich vorher natürlich überlegen, was man mit dem Ergebnis macht," erzählt Susanne. "Und uns war klar, wegen Down-Syndrom würden wir die Schwangerschaft nicht abbrechen."  

Arzt nimmt einer Schwangeren Blut ab
Den nicht-invasiven Pränataltest, mit dem relativ sicher festgestellt werden kann, ob ein Kind Down-Syndrom haben wird, gab es während Susannes Schwangerschaft noch nicht. Ob sie ihn gemacht hätte, weiß sie nicht.null picture-alliance/BSIP

Als Tochter Luise geboren wurde, war sich der entbindende Arzt, selbst kein Trisomie-Experte, nicht sicher, ob das Baby nun Down-Syndrom hatte oder nicht - für Susanne in dem Moment egal.

"Es ist halt ein Baby und es ist unser Baby," beschreibt sie ihre Gedanken nach der Entbindung.

Erst am nächsten Tag diagnostizierte der hinzugezogene Experte: Luise hat Trisomie 21.  

Mittlerweile besucht die bald 14-Jährige eine Förderschule, ein schwerer Herzfehler, der kurz vor ihrem zweiten Geburtstag operiert wurde, ist verheilt. Luise führe ein "ganz normales Schülerinnen-Leben", erzählt ihre Mutter.

Trisomie ist nicht gleich Trisomie

Seit 2012 haben Schwangere in Deutschland die Möglichkeit, eine mögliche Chromosom-Störung ihres Babys auch über einen nicht-invasiven pränatalen Test (NIPT) diagnostizieren zu lassen. Für einen NIPT wird eine Blutprobe der schwangeren Frau untersucht. Die Erkennungsrate für Trisomie 21 liegt bei rund 99%. Die Erkennungsrate für eine Trisomie 18 liegt bei 98% und die für eine Trisomie 13 bei nahezu 100%. Die beiden letzteren sind schwere Chromosom-Störungen, bei denen die Kinder teilweise schon im Mutterleib sterben, oder so schwere körperliche Fehlbildungen haben, dass sie nach der Geburt nicht lange überleben können.

Bei Menschen, die mit Trisomie 21 geboren werden, ist das Chromosom 21 dreifach statt doppelt vorhanden. Sie haben meistens eine leichte geistige Behinderung ― in wenigen Fällen ist diese auch schwer ― und motorische Störungen. 40 bis 60 Prozent haben einen angeborenen Herzfehler, auch Fehlbildungen des Magen-Darm-Trakts sind nicht ungewöhnlich. Viele der körperlichen Anomalien sind operabel, die Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom  liegt im Durchschnitt bei etwa 60 Jahren.

Infografik Genom von Menschen mit Trisomie 21
Menschen mit Down-Syndrom haben das Chromosom 21 dreimal

Pränataldiagnose als Kassenleistung

Seit 2019 wird der NIPT in Deutschland in begründeten Einzelfällen, bei Schwangerschaften mit einem erhöhten Risiko, nach einer ärztlichen Empfehlung von der Krankenkasse bezahlt.

Der Schritt war, wie auch schon die Einführung des Tests, umstritten. Kritiker sorgen sich, dass der NIPT als einfache Methode genutzt werden könnte, Menschen mit Behinderung noch vor ihrer Geburt auszusortieren, wenn Frauen ein Baby beispielsweise aufgrund einer hohen Wahrscheinlichkeit von Trisomie 21 abtreiben.

"Weiter fürs Down-Syndrom kämpfen"

Natalie Dedreux startete vor zwei Jahren eine Petition dagegen, dass die Krankenkassen in bestimmten Fällen die Kosten des NIPT übernehmen. 

"Ein Leben mit Down-Syndrom ist was Besonderes", sagt sie. Und die 23-jährige Bloggerin muss es wissen ― sie hat Down-Syndrom, lebt allein in einer Wohnung in Köln und gehört zum Team des Forschungsinstituts Touchdown 21, wo Menschen mit und ohne Down-Syndrom zusammenarbeiten. Außerdem schreibt sie für 'Ohrenkuss', das Magazin des Instituts. "Wichtig ist, dass wir gesehen werden, damit die Welt auch mal sieht, dass Menschen mit Down-Syndrom da sind."

Die Petition ist trotz der Entscheidung zur Kostenübernahme der Krankenkassen weiterhin offen und hat bereits fast 30.000 Unterschriften. "Ich möchte fürs Down-Syndrom weiter kämpfen", sagt Dedreux.

"Treibt uns nicht ab!"

Dänemark: Kaum noch Babys mit Down-Syndrom

"Es ist ein Problem, wenn wir in einer Gesellschaft ein Leben wegen eines extra-Chromosoms als nicht lebenswert benennen", sagt Grete Fält-Hansen. Sie ist die Vorsitzende der Nationalen Down-Syndrom Gesellschaft in Dänemark und Mutter von Karl-Emil, einem 20-Jährigen mit Down-Syndrom.

In Dänemark gehört seit 2004 ein nicht-invasiver Test, mit dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, ob ein Kind Trisomie 13, 18 oder 21 haben wird, zum normalen Voruntersuchungspaket, das jeder Schwangeren angeboten wird. Den Frauen entstehen keine zusätzlichen Kosten, fast alle entscheiden sich dafür. Von denen, die eine Down-Syndrom-Diagnose bekommen, entscheiden sich mehr als 95 Prozent für eine Abtreibung, berichtet das US-Magazin The Atlantic.

Das hat radikale Folgen. 2019 wurden in ganz Dänemark 18 Kinder mit Down-Syndrom geboren. In den USA sind es jedes Jahr etwa 6000 Kinder, für Deutschland gibt es eine vergleichbare Statistik nicht. Aktuell leben in der Bundesrepublik schätzungsweise rund 50.000 Menschen mit Down-Syndrom.

Natalie Dedreux mit Bundeskanzlerin Merkel bei der Caritas in Köln
Dedreux mit Angela Merkel bei einem Besuch der Bundeskanzlerin in Köln im Juli 2018null picture-alliance/dpa/O. Berg

Fält-Hansen sagt, die Regelung habe dazu geführt, dass Eltern, die den Pränataltest ablehnen und dann ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, schon mal gefragt werden "Warum hast du denn den Test nicht gemacht?" 

Sie bemängelt, dass Frauen, bei denen der Test auf Trisomie 21 hindeutet, nicht genügend betreut werden. "Sie müssen eine der härtesten Entscheidungen treffen, die es gibt", sagt Fält-Hansen. "Ich finde es gut, dass die Frauen das selbst entscheiden können. Niemand hätte mir vorschreiben dürfen, ob ich abtreibe oder nicht. Aber es sollte eine gut informierte Entscheidung sein. Und daran mangelt es häufig." 

"Keine Frau treibt leichtfertig ab"

Das kritisiert auch Katja de Bragança, Leiterin des Touchdown 21 Instituts und Ohrenkuss-Chefredakteurin. Wenn die Ärzte der Schwangeren mitteilen, dass ihr Baby höchstwahrscheinlich Down-Syndrom habe, "lässt der Informationsstandard sehr zu wünschen übrig", sagt sie. 

De Bragança und Ohrenkuss-Mitarbeiter Achim Priester
De Bragança (mit ehem. Ohrenkuss-Mitarbeiter Achim Priester): Es ist schockierend, was Menschen mit Down-Syndrom wie selbstverständlich abgesprochen wird.null Britt Schilling

"Manchmal kommt die Erstmitteilung und dann 70 Sekunden danach soll der Abbruch-Termin gemacht werden. Die Mitteilung sollte respektvoller und mit mehr Wissen passieren. Wenn es mehr Informationen gibt, steht die Entscheidung der Frau auf sichereren Füßen." 

Und es ist eine schwere Entscheidung, das erlebt Dr. Heike Makoschey-Weiß immer wieder. Die Frauenärztin und Psychotherapeutin arbeitet in der Pränatalmedizin- und Genetik-Praxis Meckenheim.

"Es ist für niemanden leicht, einen Schwangerschaftsabbruch in Anspruch zu nehmen", sagt sie.

Hilde Mattheis
Mattheis: NIPTs nur für Frauen, die es sich leisten können, wäre "soziale Diskriminierung"null picture-allianceZB/B. Pedersen

Ein Punkt, der auch Hilde Mattheis wichtig ist. "Keine Frau treibt leichtfertig ab", sagt die SPD-Politikerin. Sie unterstützt den NIPT als Kassenleistung, weil "ich Frauen zutraue, dass sie bedacht und verantwortungsvoll damit umgehen." Makoschey-Weiß sagt dagegen, der Test werde von Ärzten zu häufig und vor allem zu unreflektiert eingesetzt.

Mehr Offenheit gegenüber Menschen mit Behinderung

Für Susanne, die Mutter der bald 14-jährigen Luise aus der Nähe von Heidelberg, ist der NIPT an sich nicht das Problem. "Der ist nun mal in der Welt und der wird auch nicht wieder verschwinden. Das ist ein Instrument. Aber die Frage 'Wie gehe ich mit dem Ergebnis um?', die hängt absolut damit zusammen, was die Eltern wahrnehmen, wie Behinderung in der Gesellschaft bewertet wird."

Es müsse gute Unterstützungsangebote für Eltern geben und Offenheit und Akzeptanz gegenüber Menschen mit Behinderung. Nur so, sagt Susanne, sei es tatsächlich möglich, "den Eltern ein Umfeld zu bieten, wo sie sich frei entscheiden können ― frei von Ängsten und Zwängen." 

 

Wird Rheuma durch Darmbakterien ausgelöst?

Rheuma lässt die Finger und Zehen anschwellen. Die Gelenke schmerzen und werden steif. Alltägliche Aufgaben werden zur Herausforderung: das Essen mit Besteck, das Schließen von Knöpfen, die Körperpflege. Auch wenn sich die Symptome vor allem an den Händen zeigen, ist der ganze Körper von der rheumatischen Entzündung befallen.

Weltweit leidet laut deutscher Rheuma-Liga ungefähr ein Prozent der Menschen an Rheuma, in Europa sind etwa drei Millionen Personen betroffen. Und es trifft nicht nur alte Menschen - auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene können an Rheuma erkranken. Auffallend ist zudem, dass Frauen zwei- bis dreimal häufiger betroffen sind als Männer.

Vergebliche Suche nach der Ursache

Bislang ist die genaue Ursache für die rheumatoide Arthritis, wie Rheuma eigentlich heißt, unklar. Faktoren wie eine gewisse erbliche Veranlagung, Stress oder Wetterwechsel werden mit dieser Autoimmunkrankheit in Verbindung gebracht.

Nun glauben US-Forschende eine mögliche Ursache gefunden zu haben: Laut ihrer Studie soll das Darm-Mikrobiom die eigentlich hilfreiche Aminosäure Tryptophan in einen entzündlichen Stoff umwandeln, der Arthritis auslösen kann. Das Team um Kristine Kuhn, Leiterin der Abteilung für Rheumatologie an der University of Colorado, hat die Studie im Journal of Clinical Investigation veröffentlicht.

Lebenswichtige Aminosäure

Tryptophan ist im Körper unter anderem wichtig für die Produktion von Proteinen, Enzymen und Neurotransmittern - also den chemischen Botenstoffen des Nervensystems. Als Vorstufe des Botenstoffs Serotonin wirkt Tryptophan zum Beispiel wie ein natürliches Antidepressivum.

Kind mit Rheuma wird behandelt
Rheuma trifft nicht nur alte Menschen, auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene können erkranken.null picture alliance/dpa

Unser Körper kann Tryptophan nicht selber herstellen, wir müssen diese lebensnotwendige Aminosäure mit der Nahrung aufnehmen. Besonders große Mengen Tryptophan finden sich in Hartkäse, in Hühnerfleisch, in Cashew- und Erdnüssen, in Sojabohnen und dunkler Schokolade. 

Wenn Helfer zu Feinden werden

Allerdings kann Tryptophan auch Entzündungen im Körper auslösen, vor allem, wenn es auf Bakterien trifft. Wenn Rheuma-Erkrankte tryptophanhaltige Lebensmittel essen, wird die Aminosäure durch ihr Darm-Mikrobiom anders aufgespalten als bei gesunden Menschen. Trifft Tryptophan dann auf Bakterien, kommt es zu einer verstärkten Indolproduktion. Die chemische Verbindung Indol ist ebenfalls grundsätzlich sehr nützlich und hat entzündungs- und krebshemmende Eigenschaften.

Allerdings zeigte sich im Mäuseversuch, dass sich durch die verstärkte Indolproduktion autoreaktive, also gegen das körpereigene Gewebe gerichtete T-Zellen entwickeln können. Diese T-Zellen greifen gesunde Zellen an: Es kommt zu einer entzündlichen Autoimmunreaktion, die eine rheumatoide Arthritis auslösen kann.

Ist der Darm unser zweites Gehirn?

Sollte sich dieser Wirkmechanismus auch beim Menschen nachweisen lassen, ermöglicht dies neue Therapieansätze. Wenn es gelingt, die Indolbildung zu blockieren, könnte eine rheumatoide Arthritis bereits in einem sehr frühen Stadium behandelt werden. Lange bevor es zu den stark geschwollenen Gelenken und schmerzhaften Deformationen der Hände kommt.

Ernährung kann vor Rheuma schützen

Da möglicherweise das Darm-Mikrobiom eine so zentrale Rollen bei der Ausbildung von Rheuma spielt, kann zudem eine ausgewogene Ernährung vor rheumatoider Arthritis schützen.

Die Deutsche Rheuma-Liga gibt einige Tipps für die Ernährung bei Rheuma: Wenig "rotes" Fleisch (Schwein, Rind, Lamm) und nur eine Fleischmahlzeit pro Woche. Stattdessen Fisch und Meeresfrüchte, die das nötige Eiweiß liefern. Statt tierischen sollten lieber pflanzliche Fette und Öle mit hohem Linolsäureanteil verwendet werden: etwa Distelöl, Rapsöl, Maiskeimöl oder Weizenkeimöl.

Die Rheuma-Liga empfiehlt zudem reichlich Obst und Gemüse zu essen, die den Körper mit Nährstoffen, Ballaststoffen sowie sekundären Pflanzenstoffen versorgen. Außerdem Vollkornprodukte und Nüsse, Milchprodukte als Kalziumlieferant und wenig Eier. Dazu viel Wasser und ungesüßten Tee trinken. Für Rheumapatienten empfiehlt es sich besonders, möglichst frisch zu kochen und wenig Fertiggerichte zu essen. Diese enthalten oftmals viel Salz, gesättigte Fettsäuren, versteckten Zucker sowie Eier.

Die Rheumatologin Kuhn empfiehlt eine mediterranen Ernährungsweise: "Eine Ernährung, die reich an pflanzlichen Ballaststoffen und magerem Fleisch ist - diese ganze mediterrane Ernährung - scheint das Mikrobiom in einen gesünderen Zustand zu versetzen", erläutert Kuhn.

Eine solche mediterrane Ernährung erhalte die hilfreichen, entzündungshemmenden Eigenschaften von Tryptophan, wohingegen die typische westliche Ernährung Entzündungen eher begünstige, so die Rheumatologin.

 

Quellen:

Microbiota-dependent indole production stimulates the development of collagen-induced arthritis in mice, 2024, https://www.jci.org/articles/view/167671

Merkblatt der Deutschen Rheuma-Liga: Rheumatoide Arthritis (chronische Polyarthritis), 9. Auflage,  https://www.rheuma-liga.de/fileadmin/public/main_domain/Dokumente/Mediencenter/Publikationen/Merkblaetter/1.2_Rheumatoide_Arthritis.pdf

 

Mental Health Report: Immer mehr Menschen psychisch krank

Aktuell leiden rund 31 Prozent der Deutschen unter einer psychischen Erkrankung. Genau so viele sind es in China und Thailand. In den USA haben sogar 40 Prozent mit einer psychischen Erkrankung wie Depression, Angststörung oder einer Essstörung zu kämpfen. So lautet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des internationalen Meinungsforschungsunternehmen Ipsos.

Das deutsche Versicherungsunternehmen AXA hat die Befragung in Auftrag gegeben und die Ergebnisse im Mental Health Report 2024 veröffentlicht.

 

Für den Report wurden je 1000 Menschen aus 16 Ländern in Europa, Asien und Nordamerika zu ihrem mentalen Gesundheitszustand befragt. Im Vergleich zum Jahr 2023 fällt auf: In den meisten Ländern hat sich die Lage 2024 verschlechtert. In Frankreich, Irland und Mexiko stieg der Anteil der Menschen mit einer psychischen Erkrankung um 6 bis 7 Prozent. In der Türkei sogar um 8 Prozent. Lediglich auf den Philippinen sind 2024 weniger Personen erkrankt als im Jahr davor.

Mentale Gesundheit scheint zudem eine Generationenfrage zu sein: Vor allem junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren gaben besonders häufig an, unter einer psychischen Erkrankung zu leiden. In Irland, der Türkei und den USA sind vor allem die 18- bis 24-Jährigen betroffen. Doch auch in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen führen die USA und die Türkei das Feld an.

 

Laut Report geben 43 Prozent aller befragten Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren an, psychisch krank zu sein. Die häufigsten genannten Erkrankungen sind Depressionen, unter denen 22 Prozent leiden, und Angststörungen wie Phobien oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), von denen ebenfalls 22 Prozent betroffen sind.

Je älter die befragten Menschen, desto seltener die psychischen Erkrankungen: Nur 14 Prozent der 65- bis 75-Jährigen gaben an, aktuell unter Depressionen, Angststörungen und Co. zu leiden.

Die Befragung macht allerdings nicht nur einen Generationen-, sondern auch einen Geschlechterunterschied deutlich: Frauen bezeichnen sich häufiger als psychisch erkrankt als Männer. Das gilt für alle der 16 untersuchten Länder. Und auch hier gilt: Junge Frauen fühlen sich schlechter als ältere.

 

Der Report klärt außerdem darüber auf, wie die befragten Personen zu ihren Angaben kommen. In Deutschland hat eine Mehrheit von 57 Prozent eine Diagnose durch Psychologinnen und Psychiater erhalten. Etwa 17 Prozent sind durch Allgemeinmediziner und Allgemeinmedizinerinnen diagnostiziert worden.

Die Anzahl der Deutschen, die sich durch eigene Recherchen - etwa im Internet - selbst als psychisch krank eingeschätzt hat, liegt bei 16 Prozent. In anderen Ländern liegt die Zahl der Selbstdiagnosen teilweise deutlich höher: Auf den Philippinen beispielsweise sind es 60 Prozent und in der Türkei 36 Prozent.

Wenn die Seele krank ist

Die Befragung macht deutlich, wie wichtig professionelle Hilfe im Falle einer psychischen Erkrankung ist: Mit 57 Prozent sagt eine Mehrheit der Befragten aus Deutschland, dass sie sich dadurch erfolgreich von ihrer Erkrankung erholt haben.

Allerdings lässt sich auch rund jede vierte Person aus Deutschland (24 Prozent) gar nicht behandeln. Nur in Japan nehmen mit 25 Prozent noch mehr Menschen keinerlei Behandlung in Anspruch.

Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) zählen "psychische Erkrankungen in Deutschland zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre. Menschen mit psychischen Erkrankungen haben zudem im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um 10 Jahre verringerte Lebenserwartung."

Die Zahl neurologischer Erkrankungen ist in Afrika sehr hoch

Die Prävalenz neurologischer Erkrankungen ist in Afrika sehr hoch und hat verheerende Auswirkungen auf die örtlichen Gemeinschaften.

"Psychische Gesundheit und neurologische Erkrankungen werden in Kenia oft missverstanden", sagt Penny Wangari-Jones, Gründungsmitglied von Hidden Voices , einer in Kenia ansässigen Wohltätigkeitsorganisation für psychische Gesundheit. "Die Menschen werden oft in Kirchen gebracht, um dort für sie zu beten oder man sagt ihnen, sie seien besessen. Viele Patienten werden vernachlässigt, in Häuser eingesperrt oder in Anstalten zurückgelassen, um zu Sterben. Es ist erschütternd."

Neurologische Erkrankungen sind heute weltweit die häufigste Krankheitsursache - etwa 3,4 Milliarden Menschen leben mit neurologischen Problemen. Im Vergleich zu anderen Regionen sind neurologische Erkrankungen in Afrika südlich der Sahara unverhältnismäßig häufig.

50 Prozent der Menschen, die in Afrika eine Notaufnahme aufsuchen, haben irgendeine Art von neurologischer Beeinträchtigung. Die Zahl neurologischer Erkrankungen ist oft doppelt so hoch wie in Regionen mit höherem Einkommen. Die Prävalenz von Epilepsie zum Beispiel ist in Afrika südlich der Sahara zwei- bis dreimal so hoch wie in Europa.

"Da es oft keine Gesundheitsdienste oder Anlaufstellen für die Menschen gibt, haben die örtlichen Gemeinschaften keine Möglichkeit, sich um Menschen mit neurologischen oder psychischen Erkrankungen zu kümmern", so Wangari-Jones gegenüber DW.

Klinik in der Zentralafrikanischen Republik - Zimmer mit mehreren Betten
Die meisten Regionen in Afrika haben einen Mangel an medizinischem Personalnull BARBARA DEBOUT/AFP/Getty Images

Warum gibt es in Afrika so viele neurologische Erkrankungen?

Die wichtigsten Faktoren, die zu neurologischen Erkrankungen beitragen, sind Schlaganfall, neonatale Enzephalopathie (Hirnverletzungen), neuropathische Schmerzen oder Nervenschmerzen, Alzheimer und andere Formen von Demenz.

Ein Grund für die höhere Prävalenz in Afrika sind Infektionskrankheiten wie HIV, Meningitis und Malaria. Sie können neurologische Komplikationen wie Enzephalitis - eine Entzündung des Gehirns - verursachen.

Laut Jo Wilmshurst, Leiter der pädiatrischen Neurologie am Red Cross War Memorial Children's Hospital im südafrikanischen Kapstadt, sind die Probleme jedoch auch auf verschiedene sozioökonomische und gesundheitspolitische Faktoren zurückzuführen.

"Es kann sein, dass ein Kind [mit neurologischen Erkrankungen] eher in einem Umfeld geboren wird, das sozioökonomisch benachteiligt ist und die Mutter möglicherweise mit HIV infiziert ist. Sie könnten auch Tuberkulose haben. Und dann gibt es noch all die Probleme mit dem Zugang zu Therapien", so Wilmshurst.

Neurologische Probleme begännen oft schon vor der Geburt, fügt sie hinzu. Komplikationen oder Infektionen während der Geburt können zu bleibenden neurologischen Schäden führen. Der Mangel an Neonatologen, die sich um Neugeborene kümmern, bedeutet, dass die Schäden oft nicht rechtzeitig diagnostiziert oder behandelt werden, um dauerhafte neurologische Schäden zu verhindern.

"Dann ist da noch die Gesundheit von Müttern. In Westkap haben wir pandemische Ausmaße von Toxinbelastung durch das fetale Alkoholsyndrom [FASD]. Dieses verursacht bei Kindern neurologische Störungen", erklärt Wilmshurst.

Abwanderung medizinischer Fachkräfte stoppen

Derzeit gibt es in Afrika nicht genügend Fachärzte und anderes medizinisches Personal, um das Ausmaß an neurologischen Erkrankungen zu bewältigen. Das gilt auch für die Belastung, die dadurch entsteht.

"Das Hauptproblem ist, dass die Ausbildung von Fachärzten in Afrika nicht richtig Fuß gefasst hat. Man kann die höchste Prävalenz neurologischer Erkrankungen in Regionen feststellen, in denen es keine Neurologen gibt", so Wilmshurst.

Die Zahl der Neurologen in den afrikanischen Ländern unterscheidet sich auffallend von der in Europa: In Afrika kommen auf 100.000 Einwohner 0,03 Neurologen, in Europa sind es 8,45 Neurologen pro 100.000.

Wilmshurst konstatiert, dass sich die Dinge verbessern. Der Ausbau neurologischer Dienst habe auch in Afrika begonnen. Dazu gehört auch die Ausbildung von Fachärzten.

"Wir nehmen für die Dauer von zwei Jahren einen Kliniker [aus Afrika] auf und machen mit ihm [in Südafrika] eine intensive Ausbildung. Der erste von ihnen, der nach Tansania zurückgekehrt ist, war der erste Kinderneurologe im ganzen Land", erzählt Wilmshurst.

Obwohl das Programm in den letzten 16 Jahren nur etwa 200 Fachärzte ausgebildet hat, ist die Wirkung enorm.

"Einer unserer Auszubildenden ist zurück nach Kenia gegangen, wo er sich für die Einführung der Rotavirus-Impfung eingesetzt hat. Wir wissen, dass die Sterblichkeitsrate auf Grund von Komplikationen mit dem Rotavirus dann drastisch gesunken ist. Er hat dort ein paar Millionen Leben gerettet", sagt Wilmshurst.

Zusammenarbeit im Kampf gegen neurologische Erkrankungen

Wangari-Jones ist der Auffassung, dass es bei der Bekämpfung belastender neurologischer Erkrankungen wichtig ist, die verschiedenen Hilfsprogramme in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren.

"Es gibt viele Ängste und Befürchtungen bezüglich der Medikamente oder der modernen Medizin. Sie sind oft auf ein Trauma aus der Kolonialzeit zurückzuführen. Eine der Herausforderungen besteht darin, bei neurologischen Erkrankungen nicht zu sehr auf Medikamente zu setzen. Die Menschen könnten sich sonst von der ursprünglichen Art entfernen, wie in den Kommunen Menschen gepflegt werden."

Wangari-Jones arbeitet mit Hidden Voices daran, Stigmatisierung und Ängste im Zusammenhang mit neurologischen und psychischen Erkrankungen abzubauen. Deshalb spricht sie oft vor Kirchengruppen in Kenia und in Schulen.

"In diesen Gesprächen erzählen die Menschen oft von ihren Problemen und von Vorfällen, die Familienmitglieder betreffen. Auf diese Weise erreichen wir die Menschen in der Gemeinde und helfen ihnen, Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten zu erhalten", sagt sie.

Das Gesundheitswesen ist für Wilmshurst ebenfalls ein wichtiges Thema, zu dem sie spezielle Trainingsprogramme organisiert. Die Gesundheit der Bevölkerung ist dabei ein wichtiges Ziel. Gesundheits- und Pflegepersonal der Gemeinden werden darin geschult, neurologische Krankheiten zu erkennen und zu behandeln. Das geschieht oft im Rahmen bestehender Programme für HIV- oder Tuberkulosebehandlung.

"Die Menschen in Afrika sind vielbeschäftigt", sagt Wilmshurst. "Die Arbeitsbelastung ist enorm und es gibt viele Verpflichtungen. Der einzige Weg, die Situation zu ändern, besteht darin, Lösungen zu finden, die in der betreffenden Arbeitsumgebung machbar und anpassungsfähig sind."

 

Quellen:

Nervous System Disorders Collaborators (2024). Global, regional, and national burden of disorders affecting the nervous system, 1990-2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet Neurology. DOI: 10.1016/S1474-4422(24)00038-3

 

Schreien statt Weinen – Depressionen bei Männern

Depressionen gelten als typisch weiblich und sind ein Tabuthema, vor allem bei Männern. "All die Dinge, die klassischerweise eher mit Weiblichkeit assoziiert sind, werden bei Männern tendenziell verdrängt und müssen kompensiert werden. Aggressives Verhalten kann dabei ein Ventil sein", sagt Anna Maria Möller-Leimkühler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass weltweit etwa 322 Millionen Menschen von Depressionen betroffen sind. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer.  

Traditionelle Verhaltensmuster gelten noch

Gefühle zeigen, darüber reden, das scheint vor allem Frauensache. Männer sprechen seltener über ihre Gefühle und Probleme. Dieser Mangel an Kommunikation ist ein Grund dafür, dass psychische Erkrankungen bei Männern seltener diagnostiziert werden als bei Frauen. Und das, obwohl Männer häufiger Suizid begehen. 

Viele Männer sehen ihre Depression als Versagen an oder glauben, Ansprüchen nicht gerecht werden zu können. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention ziehen sich Männer bei Depressionen eher zurück, wollen ihre Erkrankung nicht wahrhaben.  "Das ist diese emotionale Kontrolle, bloß keine Gefühle der Schwäche zeigen, also Traurigkeit, Unsicherheit, Ängste, Scham", so Möller-Leimkühler. Bei Frauen hingegen ist das Zeigen von Schwäche gesellschaftlich akzeptiert. Frauen sind auch eher in der Lage, über ihre Gefühle zu sprechen, sei es mit der besten Freundin oder in einer Gruppe mit anderen Frauen.

Auf erste Anzeichen achten

Die Kernsymptome einer Depression sind bei Männern und Frauen gleich. "Beide haben Schuldgefühle, beide empfinden Hoffnungslosigkeit, haben Suizidgedanken, Schlafstörungen und ein Gefühl von Erschöpfung", sagt Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe. Die Lebensumstände aber seien unterschiedlich.

49. Depressionen: Eine ernsthafte Krankheit

Auch physische Hinweise für eine Depression finden sich. Diese müssen nicht nur erkannt, sondern auch richtig zugeordnet werden: Kopfschmerzen etwa, Schmerzen in der Brust, Gelenk- oder Rückenschmerzen, Magen- und Darmproblemen und Müdigkeit. Derartige Symptome sind aber durchaus gesellschaftsfähig und werden nicht als Schwäche gesehen, denn es sind ganz "normale" Krankheiten, vor denen keiner gefeit ist und die kein Tabu darstellen.

Es gibt anatomische Unterschiede

Nicht nur die traditionelle Geschlechterrolle oder Veranlagung können Auslöser sein, auch die Anatomie des Gehirns hat Einfluss. Das männliche Gehirn sei in seinen beiden Hälften nicht so verschaltet wie bei Frauen, sagt Möller-Leimkühler. "Das männliche Gehirn arbeitet etwas asymmetrischer. Die linke Gehirnhälfte ist aktiver. Das ist der Bereich, in dem Logik und Rationalität stecken."

Männer haben nicht nur einen schlechteren Draht zu ihren eigenen Gefühlen als Frauen. Sie haben oft Probleme, Gefühle in Worte zu fassen. So werden negative, depressive Stimmungen bei Männern nicht als Signal erkannt. "Männer spüren eine innere Spannung und reagieren auf der Verhaltensebene mit Aktivismus, Aggressivität, Verdrängung, Bagatellisierung und Abwehr. Diese Abwehrmechanismen können sich auch in höherem Alkoholkonsum zeigen", sagt Möller-Leimkühler.

Depressionen sind vererbbar

Depressionen entwickeln sich nicht durch Unfähigkeit oder Versagen. "Die Veranlagung ist ein wesentlicher Punkt", sagt Hegerl. "Das müssen Betroffene erst einmal verstehen und auch, dass sie nichts dagegen tun können. Sie haben diese Veranlagung vielleicht geerbt oder in der frühen Kindheit erworben."

Was Patientinnen und Patienten allerdings tun können, ist sich Hilfe zu holen und das so schnell wie möglich. Hat sich eine Depression erst mal manifestiert und ist chronisch geworden, wird es immer schwieriger, die Betroffenen aus dem schwarzen Loch zu holen, in dem sie stecken.

Meist sind es Angehörige und Freunde, die den Stein ins Rollen bringen und dafür sorgen, dass der Betroffene dann doch Hilfe sucht. Der Anlass sind dann oft Wesensänderungen wie etwa eine erhöhte Aggressivität, die dazu führt, dass die Umgebung hellhörig wird.

Mann schreit und ist wütend
Bei Männern können sich Depressionen durch aggressives Verhalten zeigennull Adobe Stock

Es ist wichtig, Hilfe zu suchen

Gerade Männer denken oft, sie könnten ohne fremde Hilfe einen Weg aus der Depression finden. Das aber ist ein Trugschluss. Ein wichtiger erster Schritt ist, über Gefühle und das eigene Befinden mit jemandem zu reden. Das müssen viele Männer erst lernen. 

Bei Depressionen braucht es eine entsprechende Therapie und je nach Schwere der Symptome, wird auch eine medikamentöse Unterstützung benötigt. Eine bewährte Methode ist nach wie vor die Psychotherapie, die bei der Behandlung von Depressionen unverzichtbar ist. Dabei steht das Gespräch mit dem Therapeuten im Mittelpunkt. Betroffene lernen dabei u.a. über ihre Gefühle, ihre Ängste und ihre Befindlichkeiten zu reden und zu erkennen, welche Probleme im Zusammenhang mit der Depression stehen. Auch die Erprobung neuer Verhaltens- und Denkweisen gehören dazu.

Oft wird sie mit der Pharmakotherapie kombiniert. Das heißt, der Patientin oder dem Patienten werden Medikamente gegeben, meist sind das Antidepressiva, die helfen sollen, das seelische Gleichgewicht wiederzufinden, und das geht nicht im Alleingang. 

"Depression ist eine gefährliche Erkrankung – nicht nur wegen der Suizidgefahr", sagt Hegerl. Menschen mit Depressionen ernähren sich oft schlecht. Sie bewegen sich nicht oder kaum. Das erhöht beispielsweise die Gefahr für einen Herzinfarkt, für einen Schlaganfall oder andere schwere Krankheiten wie Diabetes. Das erklärt auch, dass die Lebenserwartung von Menschen mit Depressionen durchschnittlich um 10 Jahre reduziert ist."

Tabletten gegen Depressionen

Geschlechterspezifische Untersuchungen sind nötig

Ein Werkzeug, um den Verdacht 'Depression' zu untermauern, sind Fragebögen, die auf das Krankheitsbild 'Depression' zugeschnitten sind. Die führen allerdings dazu, dass bei Männern oft weniger Symptome festgestellt werden als bei Frauen. Damit erreichen diese Männer nicht den klinischen Schwellenwert und fallen durch das Raster. Eine mögliche Depression bleibt also unerkannt.

2020 leitete Möller-Leimkühler Studien zur Entwicklung und Evaluation eines "Gendersensitiven Depressionsscreenings", das in der National Library of Medicine veröffentlicht wurden. Das GSDS wurde umfangreich untersucht und konnte im Vergleich zu einem geschlechterneutralen Fragebogen bis zu 18 Prozent mehr depressionsgefährdete Männer identifizieren. Damit stehe "ein mehrdimensionales, valides und zuverlässiges Instrument für ein genderdepressives Depressionsscreening“ zur Verfügung, so Möller-Leimkühler. Sind die Untersuchungen also geschlechtsspezifisch, werden bei Männern mehr Risikofälle gefunden. Anlass genug, um noch besser über psychische Erkrankungen aufzuklären. 

 

Quellen:

Stiftung Deutsche Depressionshilfe: Einsamkeit bei den Bundesbürgern und bei Menschen mit Depression, 2023, https://www.deutsche-depressionshilfe.de/forschungszentrum/deutschland-barometer-depression

National Library of Medicine, Development and Preliminary Validation of a Gender-Sensitive Depression Screening (GSDS), 2020, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31952089/

National Library of Medicine, Gender-Sensitive Depression Screening (GSDS) - Further Validation of a New Self-Rating Instrument, 2022, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34921365/

Die Bachelors: Wissenschaft nimmt Datingshows unter die Lupe

Eine neue Staffel "Der Bachelor“. Mal wieder. Obwohl: Diesmal sind es sogar ZWEI Bachelors in einer Sendung, die sich in der neuesten Ausgabe der Datingshow auf die Suche nach der Liebe ihres Lebens begeben.

Und wieder stellt sich die Frage, wer die letzte Rose bekommt. Die Bachelors werden es wissen, vielleicht die Produzenten und - die Biologie. 

"The Bachelor" ist seit der Produktion der ersten US-Staffel im Jahr 2002 ein Erfolgsformat - egal ob mit Bachelor oder Bachelorette als Protagonist bzw. Protagonistin.

2023 startete in den USA die 27. Staffel der Sendung, in Deutschland sind wir derzeit bei der 14. Ausgabe. Doch auch international wird man der Bachelors und Bacherlorettes nicht müde: Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien, Japan, Vietnam, Schweiz, Finnland, Norwegen, Schweden, Rumänien, Russland, Ukraine, Frankreich, Polen, Israel - überall gab oder gibt es Junggesellen oder Jungesellinnen, die in dem Format ihr Glück suchen.

Partnerwahl: Der Bachelor als Studiengrundlage

Forschende des Instituts für Psychologie an der Universität Würzburg haben die TV-Show genauer unter die Lupe genommen und meinen, in dem Format Beweise für evolutionäre Theorien bei der Partnerwahl wiederzuerkennen. Sie gingen der Frage nach, wie der Beginn einer Beziehung und ihre Dauer vom Geschlecht der Person abhängt, die ihren gewünschten langfristigen Partner aus einem Pool potenzieller Kandidaten auswählt. Also: Wie sich der Mikrokosmos Bachelor/Bachlorette aufs echte Leben übertragen lässt. Die Forschung wurde in "Frontiers in Psychology" veröffentlicht

Um die Frage zu beantworten, analysierten die Forschenden 169 Bachelor- und Bachelorette-Staffeln, die zwischen 2002 und 2021 in 23 Ländern ausgestrahlt worden waren. Die erforderlichen Daten entnahmen sie Wikipedia, Nachrichtenartikeln oder anderen Onlineressourcen. Wichtig waren unter anderem Alter und Geschlecht des Protagonisten bzw. der Protagonistin und des gewählten Partners oder der Partnerin. Berücksichtigt wurden auch die Anzahl der Teilnehmenden und der Beziehungsstatus bzw. die Länge der Beziehung nach der Sendung.

Das Ergebnis in Kürze: Wenn Frauen den Partner auswählten, kamen mehr Beziehungen zustande. Während die Männer in der Regel jüngere Partnerinnen wählten, entschieden sich Frauen für Partner, die näher an ihrem eigenen Alter lagen. Wenn es beim Bachelor oder bei der Bachelorette zu einer Beziehung kam, wurde die Dauernicht durch das Geschlecht des Protagonisten beeinflusst.

Evolutionstheorien im Reality-TV

Die Forschenden sehen in den Ergebnissen alte Theorien bestätigt, etwa evolutionäre Muster bei den Alterspräferenzen, wonach Männer durchweg jüngere - also vermeintlich fruchtbarere - Partnerinnen bevorzugten.

Oder etwa die Theorie der elterlichen Investition. Diese besagt, dass das Geschlecht mit der höheren Mindestinvestition in den Nachwuchs - in der Regel die Frau - bei der Partnerwahl eine größere Vorsicht an den Tag legt. Die minimale Investition des Mannes in die Nachkommen besteht aus ein paar Minuten Zeit für den Geschlechtsverkehr, die minimale Investition der Frau hingegen ist eine Schwangerschaft und das Großziehen des Nachwuchses.

Für die Frau ist es demnach von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass diese hohe Anfangsinvestition nicht umsonst getätigt wurde. Frauen bevorzugen nach diesem evolutionspsychologischen Ansatz Partner, die Macht, Status und Ressourcen, wie Vermögen, besitzen, also Voraussetzungen, die für das Aufziehen der Nachkommen nützlich sind. Na klar!

Ergebnisse nach Drehbuch?

Doch ist es wirklich so leicht und vor allem noch zeitgemäß? Die Schlussfolgerungen haben auch Schwächen, schreiben die Forschenden. Sie räumen unter anderem ein, dass Entscheidungen in den Sendungen bezüglich der Finalisten und Finalistinnen nicht von den Protagonisten selbst, sondern von den Produzenten getroffen sein könnten. Es geht um die ewige Frage der "scripted reality", einer vermeintlichen Wahrheit also mit fiktiven Elementen und Handlungen.  

Auch die von den Forschenden analysierten Sendungen, also der Umfang der Stichproben, oder der Cast generell könnten das Ergebnis beeinflusst haben. So sind die teilnehmenden Frauen beim Bachelor laut Bachelordata primär zwischen 25 und 26 Jahren alt, also noch recht jung. Dem Bachelor bleibt keine andere Wahl als sich für eine solch jüngere Partnerin zu entscheiden. Die teilnehmenden Männer bei Bachelorette sind 29 bis 30 Jahre.

Auf der sozialen Nachrichtenseite "Reddit" wird die Studie oder vielmehr das Format "Bachelor" diskutiert, das nach Ansicht der Nutzenden auf hetero-patriarchalische Beziehungen ausgerichtet ist. Auch den Drang, menschliches Handeln mit der Evolution zu rechtfertigen, sehen Leser kritisch. So schreibtein User, der sich mit Evolutionsbiologie beschäftigt: "Ich sehe durchaus den theoretischen Wert der Übertragung von evolutionären Perspektiven auf die Erforschung des menschlichen Verhaltens, aber in der Praxis scheint es zu oft darauf hinauszulaufen, die Art und Weise, […] wie Menschen handeln, mit der Behauptung zu rechtfertigen, es sei alles biologisch angeboren." Dies sei in der heutigen Zeit, in der sich kulturelle Normen und Praktiken so schnell verbreiten, nicht mehr beweisbar.

Nichtsdestotrotz ein Happy End: Laut Studienautoren haben sich acht Prozent der Paare tatsächlich für eine Heirat entschieden. 

Doch was fasziniert uns so am Bachelor?

Trotz der Kritik sind Dating-Shows wie der Bachelor oder Reality-TV allgemein nicht mehr aus der Fernsehlandschaft wegzudenken. Sie laufen zur Prime Time oder On-Demand - wann auch immer der Voyeurist in uns das Verlangen nach Flirts, Streitereien und Schadenfreude hat.