Wissen über Holocaust schwindet
Vor 80 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit. Heute nimmt das Wissen über die NS-Zeit und den Holocaust stetig ab. Vor allem bei Jüngeren sind die Lücken groß, wie eine aktuelle Studie zeigt.
Der 27. Januar ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Er erinnert an die Befreiung von Auschwitz-Birkenau, dem größten Konzentrations- und Vernichtungslagers der Nationalsozialisten im Jahr 1945. Wie wichtig diese regelmäßige Erinnerung an die millionenfache Ermordung von Jüdinnen und Juden ist, unterstreicht eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der Jewish Claims Conference.
Demnach haben zwölf Prozent der jungen Erwachsenen in Deutschland zwischen 18 und 29 Jahren noch nie von den Begriffen Holocaust oder Shoah gehört. In anderen Ländern war der Anteil teils noch höher: In Österreich waren es 14, in Rumänien 15 und in Frankreich sogar 46 Prozent der jungen Menschen. Unter allen Erwachsenen sind die Zahlen niedriger: In Deutschland gaben fünf Prozent eine entsprechende Antwort, in Frankreich 22 Prozent.
Ausmaß des Holocausts oft nicht bekannt
Für die Umfrage wurden jeweils 1000 Personen in acht Ländern befragt: in Deutschland, Frankreich, Österreich, Großbritannien, Polen, Ungarn, Rumänien und den USA. Überall war der Anteil der jungen Menschen, die nicht wussten, wie viele Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit ermordet wurden, hoch. In Deutschland waren es 40 Prozent, wobei 15 Prozent sagten, die Zahl der Ermordeten liege bei zwei Millionen Menschen oder weniger. Tatsächlich waren es sechs Millionen. In den anderen Ländern waren die Kenntnisse noch geringer: So unterschätzten zum Beispiel 65 Prozent der 18- bis 29-Jährigen in Frankreich das Ausmaß und 70 Prozent in Rumänien.
Eine deutlich geringere Anzahl von jungen Menschen leugnete den Holocaust komplett: So stimmten jeweils zwei Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen und Polinnen bzw. Polen der Aussage zu, dass der Holocaust „ein Mythos ist und nicht geschah“. In Rumänien war dieser Wert mit 15 Prozent am höchsten.
Jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland konnte kein einziges Konzentrations- oder Vernichtungslager nennen, das von den Nazis errichtet wurde. Bei allen Erwachsenen waren es 18 Prozent. In den USA kannte fast die Hälfte (48 Prozent) der befragten Amerikanerinnen und Amerikaner kein Lager oder Ghetto mit Namen, in Österreich waren es zehn Prozent und in Polen sieben.
Sorge, dass sich Verbrechen wiederholen
In fast allen erfassten Ländern war eine große Mehrheit der Meinung, dass so etwas wie der Holocaust heute wieder passieren könnte. Am größten war die Sorge dabei in den USA und in Großbritannien, wo ein Anteil von 76 Prozent bzw. 69 Prozent diese Befürchtung äußerte. In Deutschland waren es 61 Prozent.
Eine Rolle bei dieser Einschätzung spielte möglicherweise die Befragungszeit: Die Daten wurden bereits im November 2023 erhoben, also kurz nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem über 1000 Israelis getötet wurden.
Mehr Aufklärung und Bildungsarbeit gefordert
Rüdiger Mahlo, Europa-Repräsentant der Jewish Claims Conference, forderte angesichts der Umfrage-Ergebnisse alle Regierungen in Europa zu mehr Aufklärung über den Holocaust auf. Und auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, betonte: „Der besorgniserregende Anstieg antisemitischer verbaler und körperlicher Gewalt, den wir in Deutschland beobachten, hat seine Wurzeln zu einem großen Teil in der Desinformation und dem Mangel an Informationen über den Holocaust.“ Politik, Bildung und Medien müssten gemeinsam gegensteuern.
Diese Forderung wird von einem Großteil der Befragten unterstützt: In allen erfassten Ländern waren mindestens neun von zehn Erwachsenen der Meinung, dass es wichtig sei, Menschen weiterhin über den Holocaust zu unterrichten, „damit er nicht wieder passiert.“
ip/ist (dpa, epd)