Manuskript

Über den Müßiggang

In einem durchorganisierten Arbeitsleben bleibt kaum Zeit für Muße. Das war nicht immer so. In der Antike und im vorindustriellen Zeitalter gehörte Müßiggang zum Leben dazu. Müßiggänger aber waren nicht gut angesehen.

„Faul sein ist wunderschön, / Denn die Arbeit hat noch Zeit / Wenn die Sonne scheint und die Blumen blüh’n / Ist die Welt so schön und weit. / Faul sein ist wunderschön / Liebe Mutter glaub es mir / Wenn ich wiederkomm, will ich fleißig sein. / Ja, das versprech ich dir.“

Eigentlich wollen alle so sein wie die kleine Pippi Langstrumpf, Hauptfigur in Astrid Lindgrens gleichnamiger Kinderbuchreihe: frech, faul und frei von allen gesellschaftlichen Konventionen. Doch kaum einer entscheidet sich für dieses Lebensmodell. Man geht in die Schule, dann vielleicht zur Universität und später ins Büro, arbeitet zu Hause am eigenen Computer weiter, um dann wieder zur Arbeit zu gehen. Nur die wenigsten nutzen ihre freie Zeit zum zweckfreien Nichtstun. Stattdessen gehen sie Beschäftigungen nach, die entweder dem Kopf oder dem Körper etwas abverlangen. Zeit für Muße, also die Zeit, die man sich nimmt, um in Ruhe und ohne Eile etwas zu tun, bleibt in einem so durchorganisierten Leben kaum noch. Das war nicht immer so. Die antike Welt hatte eine klare Vorstellung von Arbeit und von Muße: Arbeit war Sache der Sklaven und der Frauen, die Muße hingegen war allein den freien Männern vorbehalten, weiß der Historiker und Publizist Eberhard Straub:

„Natürlich muss der Mensch ja das Recht haben, sich mal auf die faule Haut zu legen. Denn der Mensch ist ja nicht zum Arbeiten geboren. Es genügte immer, dass jeder das erreicht oder sich erarbeitet, was er eigentlich braucht, um anständig leben zu können. Ein Gewinnstreben war eigentlich immer verpönt. Schon Aristoteles oder Plato oder Cicero haben das als unsittlich verworfen. Und insofern war es schlichtweg immer ein Gebot gewesen, dass der Mensch auch faul sein dürfe und faul sein müsse. Denn er muss sich ja schließlich erholen und ablenken, und seine Freiheit besteht unter anderem auch da drin, dass er sich unter ‘n Apfelbaum setzt, ein Glas Wein trinkt und in den Himmel starrt, ohne an Vieles zu denken. Das muss nun auch zu seiner Freiheit gehören.“

In der Antike war es unerwünscht, verpönt, nach Gewinn zu streben, also zu arbeiten, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Nicht verpönt war es, sich auch mal auf die faule Haut zu legen, nichts zu tun. Die umgangssprachliche Wendung geht vermutlich zurück auf die veraltete Wendung „auf der faulen Bärenhaut liegen“. Muße zu haben, war im Sprachgebrauch früher ein erstrebenswerter Zustand. Das Wort „Muße“ kommt aus dem Althochdeutschen und meint hier eine angemessene Gelegenheit, etwas zu tun. Bereits im Neuhochdeutschen wandelt sich die Bedeutung dieses Wortes auch zum Negativen hin:

Muße bedeutet nunmehr nicht nur Freizeit, sondern auch Bequemlichkeit oder Untätigkeit. Und Müßiggang, also das Nichtstun, sowie Müßiggänger waren nicht sehr angesehen, sagt Eberhard Straub:

„Der Müßiggang hat ja eigentlich immer einen schlechten Ruf gehabt. Der Müßiggänger ist ja der, der sich mit Kartenspiel und mit Weibern und mit Rotwein nächtlich lärmend in den Straßen des alten Roms herumtreibt oder in den Gassen Europas. Der Müßiggänger selber ist eigentlich etwas nicht unbedingt Empfehlenswertes, zumindest nach dem allgemeinen Sprachgebrauch. Aber Muße soll ja eine sinnvolle Beschäftigung sein. Also, man liest Bücher, man denkt nach, man pflegt seinen Garten oder spielt Klavier, oder was man sonst so an schönen Dingen tun und treiben kann, und das ist ja eigentlich was Empfehlenswertes.“

Müßiggang war mit ganz vielen negativen Eigenschaften verbunden, hatte einen schlechten Ruf: Ein Müßiggänger galt und gilt als arbeitsscheu, faul, lasterhaft. Überspitzt könnte man also sagen: Er ist in den Augen der meisten nichts anderes als ein Faulpelz, ein Nichtsnutz. Eberhard Straub meint, dass man den Begriff aber differenziert betrachten sollte:

„Ein Faulpelz, das kann sogar ein sehr edler Mensch sein. Der macht sich seine Gedanken, liegt aber den ganzen Tag im Bett. Ein Faulpelz ist natürlich – wie der Müßiggänger – etwas, was wir nie sonderlich in der europäischen oder in der antiken Geschichte geschätzt haben. Bloß die Leute, die heutzutage arbeitslos sind, sind ja in der Regel keine Faulpelze, sondern ihnen wurde die Arbeit entzogen. Sie stehen nun da und müssen sehen, wie sie sich das Leben arrangieren.“

„Faulpelz“ oder auch „Faultier“ ist eine ausdrucksstarke Bezeichnung für einen trägen oder arbeitsunlustigen Menschen. Im 16. Jahrhundert war die Bezeichnung eines „Faulbetts“ durchaus noch geläufig. Allerdings, so Eberhard Straub, tut man manchen Menschen, die arbeitslos geworden sind und keinen neuen Job gefunden haben, manchmal unrecht, wenn man sie als Faulpelze bezeichnet. Für sie dürfte auch nicht im Allgemeinen das Sprichwort zutreffen: „Wer rastet, der rostet“. Die Wendung spielt mit den nahezu gleichlautenden Wörtern „rasten“ und „rosten“ und meint, dass ein Mensch, der seinen Körper – oder auch seinen Geist – nicht genügend fordert, einrostet, also verkümmert. Allerdings hat, wie Eberhard Straub weiß, auch dieses bekannte Sprichwort einen Bedeutungswandel durchlebt:

„Das ist nun im Grunde natürlich auch ein altes Sprichwort. Also, dynamisch waren die Europäer ja immer. Bloß, sie wussten immer ganz genau, dass neben der ‚vita activa‘, dem Leben als Arbeit, natürlich unbedingt auch die Erholung und die Freizeit und der Feiertag vor allem kommen muss. Denn die alte Welt, also vor der Französischen Revolution und vor dem Industriekapitalismus, war ja eigentlich eine Feiertagsgesellschaft und keine Arbeitsgesellschaft.“

Europa lebte besonders vor der Französischen Revolution, also vor 1789, und vor dem Industriekapitalismus, dem Zeitraum vom späten 18. bis zum späten 19. Jahrhundert, im Geiste einer Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit. Die Menschen der alten Welt, also Europas, lebten dynamisch, sie taten etwas. Gleichzeitig schätzten sie aber Zeiten des Nichtstuns. Wie sehr sich die Menschen aber auch bemühen: Glücklich macht sie die Arbeit allein sicherlich nicht. Auf der anderen Seite stehen die im Abseits, die keine Arbeit haben. In einer Welt, in der die Arbeit nach wie vor über die gesellschaftliche Bedeutung eines Menschen bestimmt, werden die Arbeitslosen zu Außenseitern. Sie verfügen zwar über viel Zeit, doch Zeit für Muße finden sie dabei meist nicht. Ganz ohne Arbeit ist also auch kein Glück zu finden. Deshalb ist es wohl auch nur einem Kind wie etwa Pippi Langstrumpf vorbehalten, ein Loblied auf das Nichtstun zu singen:

„Faul sein ist wunderschön, / Ob mit, ob ohne Geld. / Wer’s nicht glaubt, der soll zur Schule geh’n, / Wir ziehen in die Welt. / Tralla-la-la-la, die Mutter backt den Kuchen. / Der schmeckt dem Faulpelz gut, genauso wie dem Fleiß’gen. / Ja, ja, faul sein ist wunderschön, / Viel schöner als der Fleiß …“