Allergien: Wenn das Immunsystem überreagiert
Wer unter einer Allergie leidet, kennt das: Schnupfen, Niesen, Hautausschlag. Das Immunsystem reagiert auf bestimmte Umweltreize – meist zu Unrecht, denn Pollen oder Tierhaare sind eigentlich harmlos. Klimawandel und Umweltverschmutzung tragen dazu bei, dass die Zahl der Allergikerinnen und Allergiker weltweit steigt. Was kann man tun, um gegenzusteuern?
PROF. DR. TORSTEN ZUBERBIER (Direktor Institut für Allergieforschung, Charité Berlin):
Eine Allergie ist im Grunde genommen nur ein kleiner Irrtum eines besonders guten Immunsystems. Das muss man sich so vorstellen wie die Polizei, die versehentlich den Steckbrief von dem Falschen herausgegeben hat.
SPRECHER:
Torsten Zuberbier gehört zu den weltweit führenden Medizinern in der Allergieforschung. Das Immunsystem von Allergikern reagiert besonders sensibel auf Fremdstoffe. Die Folgen: tropfende Nasen, juckende Augen, Hautausschlag oder Atembeschwerden. Auslöser sind unter anderem Blütenpollen. In den Wohnungen sind es Hausstaubmilben, die sich gern in Matratzen aufhalten.
Auch Tierhaare lösen Allergien aus. Im Körper läuft das so ab: Eigentlich harmlose Eindringlinge – wie zum Beispiel Katzenhaare – empfindet das Immunsystem als Gefahr. Es setzt verschiedene Hebel in Gang, um die Störenfriede wieder loszuwerden, und löst damit eine Überreaktion aus. Dies führt zu den bekannten Beschwerden. Zu den schlimmsten Allergenen weltweit gehören Pollen von Bäumen. Eine Birke beispielweise setzt pro Saison rund 22 Milliarden Pollen frei.
Das Immunsystem stuft solche Pollen als gefährlich ein. Die Information gelangt an eine Zelle, die diese Pollen schon einmal bekämpft hat. Und die schickt völlig übertrieben eine ganze Armee an Antikörpern los. Der Botenstoff Histamin wird freigesetzt, der die Blutzufuhr steigert. Das verursacht Kratzen, Niesen oder Ausschlag. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge haben rund 1,7 Milliarden Menschen allergischen Schnupfen und 300 Millionen sind Asthmatiker. Die Zahlen sind in den letzten Jahrzehnten gestiegen.
PROF. TORSTEN ZUBERBIER:
In Asien, in tropischen Gebieten, sind Hausstaubmilben, Schimmelpilze die wichtigsten Allergene; in Singapur sind 60 Prozent der Bevölkerung bereits allergisch gegen Hausstaubmilben. In nördlichen Regionen Baumpollen wie die Birke, in Amerika, Nordamerika, ist es der sogenannte Ragweed – Ambrosia-Pollen – und in Südamerika wiederum je nach Klimazone die Milben, die Schimmelpize oder aber auch Gräserpollen.
SPRECHER:
Für die steigenden Zahlen wird unter anderem der Klimawandel verantwortlich gemacht. In nördlichen Regionen ist es wärmer geworden, dadurch verlängert sich der Pollenflug. Die Luftverschmutzung in Ballungszentren verändert außerdem die Pollen.
PROF. TORSTEN ZUBERBIER:
Aus Sicht des Immunsystems sind einige Substanzen wie Pollen aber gar nicht mehr so harmlos, weil sie zum Beispiel mit Rußpartikeln besetzt sind. Aus Sicht des Immunsystems in unserer modernen Lebensweise in Innenräumen kommen andere Schadstoffe hinzu, die das Immunsystem reizen, und dann werden versehentlich beispielsweise auch die Hausstaubmilben ins Visier genommen.
SPRECHER:
Auch viele Kinder leiden unter Allergien. Die Veranlagung wird auch vererbt. Daher stellen sich viele Eltern die Frage: Wie kann ich mein Kind davor schützen, Allergikerin oder Allergiker zu werden?
PROF. TORSTEN ZUBERBIER:
Was man machen kann, ist: nicht rauchen in der Schwangerschaft, kein Rauch in der frühen Kindheit dem Kind aussetzen und frühzeitig Beikost zuführen. Früher hat man gesagt: „Nein, lieber bestimmte Nahrungsmittel meiden!“ Wir wissen inzwischen ganz genau: Das Gegenteil ist der Fall – möglichst vielfältig ernähren von Anfang an.
SPRECHER:
Worauf können Allergiker im Alltag achten? In den Städten morgens lüften, dann die Fenster geschlossen halten. Die Kleidung im Badezimmer ablegen. Sich selbst und die Haare abduschen und zum Arzt gehen. Weltweit gibt es günstige Medikamente und Therapien gegen Allergien.
PROF. TORSTEN ZUBERBIER:
Allergien werden leider oft trivialisiert. Oft höre ich: „Mensch, das ist ja nur so ein bisschen Schnupfen. Das geht schon.“ Ein Kind mit unbehandeltem Schnupfen in der Schule: 40 Prozent Wahrscheinlichkeit, eine Note abzufallen. Es verändert die Leistungsfähigkeit – ebenso im Beruf. Es macht keinen Sinn, einfach mit den Beschwerden zu leben, zumal wir sehr, sehr gute praktisch nebenwirkungsfreie Möglichkeiten haben, es zu therapieren.