Manuskript

Arbeitsalltag von Menschen mit Sehbehinderungen

Michaela Resa arbeitet als Physiotherapeutin, Pamela Pabst als Anwältin und Regina Vollbrecht ist Beauftragte für Menschen mit Behinderung. Das Besondere daran ist: Die drei Frauen sind sehbehindert. Sie berichten, wie sie in ihrem Arbeitsalltag zurechtkommen und welche Herausforderungen das Leben in der Großstadt mit sich bringt.

MICHAELA RESA (Physiotherapeutin):
Zeigen Sie mir mal, wann der Schmerz kommt. Können Sie noch reden?

Ich hab RP, Retinitis pigmentosa. Das ist eben ’ne Erbkrankheit, die zu einem Tunnelblick führt. Also, ich hab noch, sag ich mal, bis zu meinem 30., 35. Lebensjahr noch recht gut gesehen, bin auch noch Fahrrad gefahren. Die meisten Patienten, die ich hier habe, wissen’s gar nicht. Wenn ich ihnen sage: „Ja, ich bin sogar vom Gesetz her blind“, dann sagen sie, das glauben sie nicht.

REPORTER:
Ja, au! Das ging schnell.

MICHAELA RESA:
Man kann sehr, sehr vieles überspielen. Also, man wird Weltmeister im Überspielen. Ich hab natürlich meine Mitarbeiter geschult und hab gesagt, ihr dürft nicht irgendwas verstellen. Dann werde ich wahnsinnig, wenn ich irgendwie stundenlang dann nach was suchen muss. Wenn man einfach nur mal so nach hinten greift, wo immer die Rolle liegt, und die liegt dann da nicht, und dann fängt man da an, zu suchen. Also das ... Wuh!

Meine Eltern haben mich darin immer unterstützt. Die haben nie gesagt: „Ne, das kannst du nicht, das schaffst du nicht.“

Ich hätte meinen Mann nicht kennengelernt, wenn ich … wenn ich die Sehbehinderung nicht hätte. Also, ich hab schon immer gerne Fußball gespielt. Und hab mich dann zu ’nem Blindenfußball-Workshop hier in Berlin angemeldet. Und den hat damals mein Mann organisiert … wo ich jetzt auch mit meinem Sohn halt auch Fußball spielen kann, ja, halt mit ’nem Klingelball.

Berlin an sich ist sehr laut, sehr voll, sehr ellenbogenbezogen. Das ist … ist echt ’ne Herausforderung hier in Berlin.

PAMELA PABST (Anwältin):
Ich sehe also hell und dunkel und grobe Umrisse. Also, wenn ich jetzt hier in der Halle mich umschaue, dann sehe ich die Fenster, ich sehe die kugeligen Lampen sozusagen als helle Flecken. Und da kann man sich schon auch ganz gut orientieren. Die Stufen an sich, die ertaste ich mit meinem Stock. Und ansonsten kenne ich natürlich dieses Gebäude hier einfach auch ziemlich gut mit den ganzen Gängen und Winkeln. Und die Sehenden verlaufen sich hier immer sehr gern und finden auch nicht wieder alleine hier raus.

Bereits im Alter von 11 Jahren, als ich selbst beim Rechtsanwalt war, war ich so begeistert davon, dass es nie ’n Thema war, etwas anderes zu machen als Jura.

Es ist ja so, dass Justitia ja immer mit einer Augenbinde gezeigt wird. Und bei mir ist es so, dass – natürlich auch durch das nicht vorhandene Sehvermögen – ich die Leute auf jeden Fall nicht nach dem Äußeren beurteilen kann, dadurch eben auch mich nicht ablenken lassen kann und sehr fokussiert bin auf das, was die Leute mir sagen. Aber ich bin natürlich trotzdem nicht ganz frei von Vorurteilen. Also, blinde Menschen bilden sich, wenn sie Vorurteile haben, die natürlich dann einfach auf anderer Ebene, wenn einem jetzt die Stimme nicht gefällt oder einem der Händedruck nicht gefällt.

Also, ich bin kein lebender Lügendetektor oder so was. Aber ich hab schon auch ’n Gespür dafür, ja, ob das, was die Leute mir sagen, ob das stimmt oder ob das gelogen ist.

REGINA VOLLBRECHT (Beauftragte für Menschen mit Behinderung):
Solange man sich nicht vorstellen kann, dass ’n Blinder auch Treppen steigen kann, wie soll ich mir dann vorstellen, dass ein Blinder und Sehbehinderter sich in der Arbeitswelt zurechtfinden kann.

Ich bin von Geburt an blind. Wenn ich unterwegs bin und ich sag als Beispiel: „Ich fahr zur Arbeit.“ Und dann kommt der Satz: „Ach, fahren Sie jetzt in die Werkstatt?“ Und es müsste eigentlich der Satz kommen: „Was arbeiten Sie denn?“ Daran merkt man eigentlich, wieviel[e] Vorurteile noch abgebaut werden müssen.

COMPUTERSTIMME:
Nachricht. Eingabefeld. Sehr – geehrter – Herr – Schmidt – Komma – Eingabe ...

REGINA VOLLBRECHT:
Die Braillezeile dient im Grunde nur der Korrektur, sag ich mal. Und … über die … Hauptsache [hauptsächlich] höre ich, wenn Wörter falsch geschrieben sind, über die Sprachausgabe. Und jetzt habe ich Ihnen einfach diese Zeile ausgewählt.

REPORTER:
Ah, das ist „Mitarbeiterin“ hier.

REGINA VOLLBRECHT:
Das hier, hier …Warten Sie, ich bring Sie mal ... Hier, das merken Sie, hier ist nichts. Die Lücke ist immer frei.

REPORTER:
Genau. Das ist „Corinna“.

REGINA VOLLBRECHT:
Er … er kann’s schon lesen!

REGINA VOLLBRECHT:
In der digitalen Welt ist es so, die Technik ist Fluch und Segen zugleich. Natürlich gibt’s auch schon einige Webseiten, die für uns gut bedienbar sind, aber auch immer noch viel zu viele, die nicht barrierefrei sind.

REPORTER:
Wann … wann kommt der [Bus] 221?

REGINA VOLLBRECHT:
Genau und dafür … hol ich mir jetzt die App „Abfahrt“ ran.

REPORTER:
Jetzt kommt die 121 [221], die ist jetzt da.

REGINA VOLLBRECHT:
Ja, aber das ist dann schon für den nicht mehr hier zu erkennen. Und er zeigt mir hier verspätet in 10 Minuten den nächsten [Bus]. Das heißt, der, der jetzt gerade ankommt, den … den zeigt er mir schon gar nicht mehr an.

REPORTER:
Oh!

REGINA VOLLBRECHT:
Ich bin jetzt nun mal in der Stadt, ja, weil hier die Anbindung des öffentlichen Personennahverkehrs gegeben ist. Und das ist ja das, was mich flexibel macht. Ich meine, sollten wir eines Tages die autonomen Autos haben, und dann kann ich mir eins leisten, dann kann ich mehr …

REGINA VOLLBRECHT:
Also, für mich wär das super. Dann kann ich mir überlegen, ob ich aufs Land ziehen kann.

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