Manuskript

Blind auf dem Surfbrett

Die Spanierin Carmen López kann seit ihrer Kindheit nicht sehen. Trotzdem ist sie eine großartige Surferin. Zusammen mit ihrem Trainer Lucas García übt sie bei jeder Gelegenheit im Atlantik. Schon lange sind die beiden ein gutes Team. Im Wasser verständigen sie sich nach einem bestimmten System. Mit Erfolg: Nach Jahren im Profisport hat Carmen bereits viele Preise gewonnen.

CARMEN LÓPEZ (Surferin):
Surfen bedeutet mir alles: Frieden, Freiheit, wie die anderen zu sein. Im Wasser bin ich nicht anders als die anderen Menschen, aber an Land kennt mich jeder als „das blinde Mädchen“, „das Mädchen mit dem Hund“. Ich bin „die mit der Behinderung“, nur hier im Meer nicht.

SPRECHER:
Carmen López hört und spürt das Meer und die Wellen. Die Sportlerin aus Oviedo in Nordspanien folgt zudem den Tipps und Anweisungen ihres Trainers.

LUCAS GARCÍA (Surflehrer):
Im Wasser bin ich ihre Augen. Ich warne sie vor allen möglichen Gefahren, zum Beispiel: Carmen, da kommt eine Welle! Ich bereite sie immer vor. Denn wenn eine Welle kommt, ohne zu brechen, hört man sie nicht. Um mit Carmen im Wasser zu kommunizieren, haben wir ein Pfeifsystem entwickelt, das auch bei Wind und lautem Wellenrauschen funktioniert.

Ein Pfiff bedeutet: mehr nach rechts.

Zwei Pfiffe: mehr nach links. 

Und bei Gefahr gibt es einen langen Pfiff.

So etwa.

SPRECHER:
Carmen kommt mit einer angeborenen Erkrankung auf die Welt und erblindet schon als Kind. Mit 15 macht sie ihre ersten Surfversuche.

CARMEN LÓPEZ:
Als ich das erste Mal auf dem Brett stand und wieder am Ufer ankam, dachte ich: Oh mein Gott, ist das toll! Das möchte ich weitermachen! Ich wusste zwar noch nicht, wie ich das anstellen sollte und wie ernst es mir damit war, aber ich wusste, dass ich auf jeden Fall weiter surfen wollte.

SPRECHER:
Seit 2018 sind Lucas García und Carmen ein Team. Carmen zu trainieren, war einfacher, als er dachte.

LUCAS GARCÍA:
Am Anfang hatte ich meine Zweifel. Aber dann sagte ich mir, warum nicht? Als ich mit ihr ins Wasser ging, wurde mir sofort klar, dass die Vorurteile und Barrieren bei mir lagen. Aber Carmen machte es mir auch sehr leicht. Mir wurde klar, dass ich ihr einfach das Gleiche beibringen musste wie allen anderen. Bei ihr musste ich nur nach anderen Wegen suchen. Und ich habe das Glück, dass ich mich unglaublich gut mit meiner Schülerin verstehe.

SPRECHER:
2018 tritt Carmen als erste blinde Sportlerin Spaniens bei der „World Adaptive Surfing Championship“ in Kalifornien an. 2020 holt sie dort sogar zwei Goldmedaillen.

CARMEN LÓPEZ:
Für mich war der Sieg bei der Weltmeisterschaft wie ein Traum, denn es war das, was ich mir am meisten gewünscht hatte. Es war wie im Film. Und dass in diesem Moment alle Leute aus dem Team dabei sein konnten, war einfach unglaublich. Ich hatte schon ein paar heftige Stürze, aber ich hatte noch nie Angst oder das Gefühl, dass ich in Gefahr bin und oder nie wieder ins Wasser gehen möchte. Es ist ein riskanter Sport – für mich, aber auch für alle anderen, die surfen.

SPRECHER:
Abgesehen von den Herausforderungen des Sports muss Carmen noch andere Hürden nehmen.

CARMEN LÓPEZ:
Es ist ein Problem, Sponsoren zu finden. Denn Surfen ist eine Randsportart. Außerdem ist es in meinem Fall ein Frauensport und dann noch Adaptive Surfing. Es ist ein Teufelskreis, denn wenn dem Sport für Menschen mit Behinderungen Sponsoren fehlen, wird er weiterhin weniger profitabel sein als konventionelle Sportarten.

SPRECHER:
Um ihre Wettbewerbe zu finanzieren, vertreibt Carmen Accessoires, die vom Meer und vom Strand inspiriert sind. Außerdem verdient sie Geld als Ausbilderin. Carmen trainiert Assistenzhunde für sehbehinderte Menschen. Aber wann immer sie Zeit hat, zieht es sie wieder mit ihrem Trainer in die Wellen.

CARMEN LÓPEZ:
Ich möchte andere Menschen ermutigen, alles auszuprobieren, was sie wollen, denn Träume können dann wahr werden, wenn wir daran glauben, dass sie erreichbar sind. Es gibt keine Grenzen, nur die Grenzen, die wir uns selbst setzen. Jeder sollte für seine Träume kämpfen – und alles ausprobieren!

SPRECHER:
Carmen will ihren Traum leben und noch viele Preise gewinnen. Ihr großes Ziel: 2028 bei den Paralympischen Spielen in Los Angeles dabei zu sein.