Manuskript

Das Ruhrgebiet: eine Kohleregion im Wandel

Jahrzehntelang war das Ruhrgebiet im Westen Deutschlands Zentrum der Kohle- und Stahlindustrie. Heute denkt man um: Erneuerbare Energien und Start-ups sollen die Region fit für die Zukunft machen.

SPRECHER:
Industrie, die ausläuft. In den nächsten Jahrzehnten wird sich die globale Industrie fossiler Brennstoffe verändern. Und damit verändern sich: Chancen, Arbeitsplätze und sogar potenzieller Wohlstand. Doch eine Region in Deutschland könnte ein Beispiel dafür sein, wie dieser Übergang gelingen kann.

SALMAN FETTAH (Forscher ZBT):
Wenn ich da Teil davon werden kann, diese Wasserstofferzeugung voranzutreiben, dann bin ich auch extrem stolz ...

DR. VANESSA HÜNNEMEYER (Wirtschaftswissenschaftlerin iW Consult):
Wenn es halt im Ruhrgebiet auch nicht gelingt, dann gelingt es halt auch nirgend[s]wo anders.

SPRECHER:
Das Ruhrgebiet war früher Deutschlands Energiezentrum, mit Kohlezechen und Stahlproduktion. Die Region liegt im äußersten Westen Deutschlands, nahe der Grenze zu den Niederlanden und Belgien. Früher ein Kohlekraftwerk, stellte die Zeche Zollverein Ende der 1980er-Jahre ihren Betrieb ein. Heute wird die ehemalige Zeche als Museum genutzt und beherbergt Büros für Unternehmen.

PROF. DR. HANS-PETER NOLL (Vorsitzender der Stiftung Zollverein):
Das, was hier passiert ist, Erhalt durch Umnutzung und Transformation, das, glaube ich, kann man hier sehr gut sehen. Da kann man gute Erfahrungen herausziehen, und das ist auch übertragbar.

SPRECHER:
Ab den 1960er-Jahren war die Kohle dieser Region nicht mehr wettbewerbsfähig. Und als die Kohleförderung der Region eingestellt werden sollte, organisierten sich die Arbeiter. Gewerkschaften, Politik und Industrie schlossen sich zusammen, um die Bergleute nicht im Stich zu lassen.

FRAU 1:
Wenn mein Mann jetzt auch noch arbeitslos wird, das ist … watt dann?

FRAU 2:
Das Fünkchen Hoffnung, das Licht, was von uns brennt, von uns Frauen an Tor 1, das hält uns aufrecht.

SPRECHER:
Die deutsche Regierung steckte Geld in die Kohleunternehmen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Doch als man erkannte, dass Kohle nicht zukunftssicher ist, riss die Politik das Ruder herum: Sie setzte auf Weiterbildung von Arbeitnehmern und unterstützte Start-ups. Ein Ansatz, der nach Ansicht von Experten gut funktioniert hat. Aber dieses politische Experiment musste in den 1990er-Jahren abgebrochen werden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden öffentliche Gelder in die ostdeutschen Regionen umgeleitet. Noch heute hinkt das Ruhrgebiet dem Rest Deutschlands hinterher. Die Arbeitslosigkeit ist eine der höchsten in Deutschland.
Aber eines hat sich im Ruhrgebiet bewährt: Der Vorstoß in Bildung und Forschung zahlt sich aus. Seit 20 Jahren bringt das Wasserstoff- und Brennstoffzellenzentrum in Duisburg Wissenschaftler, Industrie und Politik zusammen und erforscht neue Technologien. Denn das Ruhrgebiet sucht nach neuer Energie.

DR. PETER BECKHAUS (Geschäftsführer ZBT GmbH):
Wir haben sehr viel Chemieindustrie, wir haben sehr viel Stahlindustrie, wir sind groß geworden mit Industrie, und von daher ist es eben ein Teil unserer Gene, und wir stehen dazu, dass wir eine Industrieregion sind. Und die Chance, diese Technik, diese Industrie jetzt grün zu machen, ist für uns eine große Chance.

SPRECHER:
Hier wird Technik entwickelt, um Wasserstoff als Energiequelle für die deutsche Industrie und Verbraucher zu ermöglichen. Salman Fettah ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und wollte sich schon immer mit erneuerbaren Energien beschäftigen –  wie der Wasserstoff-Brennstoffzelle, weil ...

SALMAN FETTAH:
... dadurch emissionsfreie Stromerzeugung erreicht werden kann. Und wenn ich da Teil davon werden kann, diese Wasserstofferzeugung voranzutreiben, dann bin ich auch extrem stolz auf mich.

SPRECHER:
Das Ruhrgebiet steht in den nächsten Jahren in den Startlöchern, um von Deutschlands Vorstoß in Richtung Wasserstoff zu profitieren. Denn ein Großteil der Infrastruktur ist bereits vorhanden. Die Region soll an ein deutschlandweites Wasserstoffnetz angeschlossen werden. Da Deutschland nicht genug Wasserstoff selbst produzieren kann, wird es das Gas mit Schiffen importieren. Doch während der Bau des Netzes 2024 beginnen soll, sind wichtige Fragen der Finanzierung noch ungeklärt. Dennoch sind Branchenkenner und Politiker zuversichtlich.

DR. VANESSA HÜNNEMEYER:
Diese Euphorie, die gibt es tatsächlich, weil es auch einfach so ist, wenn es halt im Ruhrgebiet auch nicht gelingt, dann gelingt es halt auch nirgend[s]wo anders in Europa oder in Deutschland, und ich glaube, jeder … jede Akteursgruppe, jeder Einzelakteur ist sich dieser … diesem Vorbildcharakter auch bewusst.

SPRECHER:
Aber nicht alle werden bei der Transformation gewinnen. Die Stahlarbeiter, die mit Koks – das aus Kohle hergestellt wird – arbeiten, haben kürzlich einen Tarifabschluss erzielt, der ihre Arbeitszeiten und Löhne senkt. Aber Experten sagen, dass der Wasserstoffboom Tausende neuer Jobs bringt und bestehende Arbeitsplätze im Ruhrgebiet erhält.

DR. VANESSA HÜNNEMEYER:
Die erwarten hier eigentlich, dass die zusätzlichen Beschäftigungseffekte stärker in den Bereich der industriellen Anwendung fallen und gar nicht so besonders stark bei den erneuerbaren Energien.

SPRECHER:
Deutschland ist noch dabei, Kohle hinter sich zu lassen. Und das Ruhrgebiet kämpft noch immer mit seiner mindestens 50-jährigen Transformation. Andere Regionen weltweit, die aus der Kohle aussteigen müssen, werden sich schwertun, das zu tun, was hier funktioniert hat.

PROF. DR. HANS-PETER NOLL:
Was sicherlich viele Regionen nicht haben, ist die Luft, die Energie, die Kraft, die … – auch die finanzielle Potenz. Das hat hier viel Geld gekostet, das muss man klar sagen.

SPRECHER:
Was die politischen Experimente im Ruhrgebiet insgesamt gekostet haben, lässt sich schwer in einer einzigen Zahl festmachen, aber es sind viele Milliarden Euro. Kann das Ruhrgebiet ein Vorbild für andere Regionen sein, die aus der Kohleförderung aussteigen müssen?