Manuskript

Der höchstgelegene Bahnhof Europas

Die Jungfrau gehört zu den höchsten Bergen Europas. Wer den Blick von dort oben genießen möchte, hat Glück, denn er muss nicht zu Fuß durch Eis und Schnee nach oben wandern. Schon seit 1912 fährt eine Bahn bis zu einem Bahnhof auf dem Jungfraujoch in etwa 3500 Metern Höhe. Im Restaurant „Crystal“ kann man die Aussicht bewundern und gleichzeitig eine Schweizer Spezialität probieren: das Käsefondue.

HENDRIK WELLING (Reporter):
Das Jungfraujoch in den Schweizer Alpen: Der Bergkamm gilt als Dach Europas. Und genau da will ich hin. Ich werd heute fast bis auf den Gipfel der Jungfrau steigen, aber ohne Eispickel und Kletterseil. Ich fahre mit dem Zug zum höchstgelegenen Bahnhof Europas. Auf Schienen durch die verschneite Alpenlandschaft – davon habe ich schon immer geträumt. Es geht in Richtung des berühmten Dreigestirns aus den Bergen Eiger, Mönch und Jungfrau. Rund 80 Kilometer von der Schweizer Hauptstadt Bern entfernt liegt das Jungfraujoch. Auf den letzten Kilometern der Fahrt überwinden wir mit der Zahnradbahn gut 1400 Höhenmeter. Es ist die Lieblingsstrecke von Zugführer Kurt Klossner. Sie führt größtenteils mitten durch das Bergmassiv. 16 Jahre hat es Anfang des 20. Jahrhunderts gedauert, diesen Tunnel durch den Eiger und den Mönch zu schlagen.

KURT KLOSSNER (Zugführer):
Für mich ist es heute noch ’ne Sensation. Sieh mal: Der ganze Tunnel ist natürlich noch – keine Betonbauten, alles der gehauene Stein. Man sieht Bohrlöcher, man sieht, wo die Dynamitstangen mal drin waren und so.

HENDRIK WELLING:
Nach einer halben Stunde erreichen wir das Jungfraujoch. Im Inneren des Gebirgskamms auf 3454 Metern: der höchstgelegene Bahnhof Europas. 1912 fuhr die Jungfraubahn zum ersten Mal die gesamte Strecke bis nach oben. Heute ist es ist nicht nur der höchstgelegene Bahnhof Europas, sondern auch die Bahnhofshalle mit der vermutlich schönsten Aussicht. Mich zieht es als Erstes nach draußen. Von hier genieße ich den Ausblick auf die Schweizer Berge und den Aletschgletscher – der längste Eisstrom der Alpen und UNESCO-Weltnaturerbe. Wow! Eine Zugstrecke ins Hochgebirge zu bauen, erscheint mir hier wie eine wahnwitzige Idee. In einem Stollen des Gebäudekomplexes erklärt mir Andreas Wyss, warum ich damit gar nicht so verkehrt liege. Er arbeitet hier seit 30 Jahren und kennt das Jungfraujoch wie kein Zweiter – auch seine Geschichte. Der Bau des Bahntunnels war extrem gefährlich. 30 Arbeiter sind dabei ums Leben gekommen.

ANDREAS WYSS (technischer Leiter Jungfraujoch):
Du siehst jetzt hier schön, wie das damals harte Handarbeit war. Nach jedem Schlag hat der den Bohrer eine Vierteldrehung gedreht, und dann hat der Kollege wieder draufgehauen, und so haben sie die Bohrlöcher so etwa 80 Zentimeter in den Felsen reingehauen. Und dann, wenn das tief genug war, konnte Dynamit rein und dann wurde gesprengt.

HENDRIK WELLING:
Das Wetter auf dem Jungfraujoch ist unberechenbar. Innerhalb kürzester Zeit kann es umschlagen. Die jährliche Durchschnittstemperatur liegt bei minus 7,9 Grad Celsius.

ANDREAS WYSS:
Du fühlst dich da schon ein bisschen wie ... wie der König. Du bist hier wirklich über ... über Europa, also auf 3500 Meter[n]. Und bei extremen Winterverhältnissen ist das wie auf einer Polarstation, also mit der Kälte, dem Wind und so. Ja, da brauchst du entsprechend eine dicke Haut und warme Handschuhe et cetera.

HENDRIK WELLING:
Man merkt das auch jetzt schon hier so.
Wesentlich gemütlicher ist es im Restaurant „Crystal“ bei einem typischen Schweizer Käsefondue: geschmolzener Käse mit Brot oder Gemüse. Rainer Hoffer ist für die drei Restaurants und außerdem noch für eine Bar auf dem Jungfraujoch verantwortlich. Jährlich fahren mehr als eine Million Besucher für einen Tagesausflug mit dem Zug hinauf.

RAINER HOFFER (Jungfrau Gastronomie AG):
80 Prozent der Besucher vom Jungfraujoch stammen aus Asien, Arabien, Indien, China. Die Mutigen bestellen Käsefondue, weil sie das auch schon mal gehört haben, sind aber grad – typischerweise wenn sie aus dem japanischen Bereich kommen – schon sehr erstaunt, was dann da kommt. So ein großer Topf mit warmem Käse ist für ’n Japaner ziemlich merkwürdig.

HENDRIK WELLING:
Bevor es für mich mit dem Zug wieder hinuntergeht, will ich noch mal das Schönste genießen: die Aussicht. Wenn man ’n bisschen Glück mit dem Wetter hat, ist es wirklich atemberaubend hier oben. Aber ohne den Zug hätte ich’s hier niemals hochgeschafft.

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