Manuskript

Ein Archiv für die Ewigkeit

In einer Zeit, in der die meisten Menschen ihre Informationen digital speichern, ist Martin Kunze misstrauisch. Der Österreicher arbeitet deshalb an einer Methode, um Daten wirklich für alle Zeiten haltbar zu machen. Dafür hat er sich in den Bergen Oberösterreichs tief unter der Erde ein Archiv gebaut. Er nennt es das „Gedächtnis der Menschheit“. Statt Computer verwendet Kunze gebrannte Tafeln, auf denen Texte und Bilder zu sehen sind. Was für die Zukunft wichtig ist, entscheidet er selbst. Gegen Bezahlung sichert Kunze aber auch Dokumente von anderen.

SPRECHER:
Martin Kunze ist unterwegs zu seiner Schatzkammer tief im Berg – seinem Tresor aus Fels und Salz. Er nennt den Ort „das Gedächtnis der Menschheit“.

MARTIN KUNZE (Archivar):
Wir sind jetzt da im Salzberg von Hallstatt, dem ältesten Salzbergwerk der Welt, und fahren jetzt mit diesem alten Grubenzug in den Berg hinein, circa 500 Meter.

SPRECHER:
Hirlatz heißt die Berggruppe in Oberösterreich. Seit Jahrhunderten ist die Gegend berühmt für das Salz aus dem Fels.  Die alten Gruben und Gänge bieten Martin Kunze den Schutz für sein Archivprojekt. Allerdings sieht man noch nicht mehr als einige tönerne Kisten. In denen ruhen die eigentlichen Datenträger: Keramikkacheln aus dem Baumarkt, in die Kunze Texte und Bilder brennt. Und er hat eigene Kriterien, was erhaltenswert ist. 

MARTIN KUNZE:
Wir haben jetzt eine Handvoll Tafeln wieder mit in den Berg gebracht, und die kommen jetzt in diese Kiste hinein. Das ist Teil eines Ausbildungstagebuches von einer Schlosserlehre in den 1950er-Jahren. Das ist sicher anders, als das heute gemacht wird, und darum finde ich das auch erhaltenswert.

SPRECHER:
Kunze wählt aber nicht allein aus. Gegen eine Gebühr lagert er auch private Texte und Bilder von jedermann ein – Berichte aus dem Covid-Lockdown zum Beispiel. Oder eine Doktorarbeit eines pakistanischen Altertumsforschers, der sich nicht auf digitale Clouds und Server verlassen will.

MARTIN KUNZE:
So haltbar, wie wir meinen, ist unser Internet oder unsere Informationsaufbewahrung leider nicht. Und das ist ja mit ein Grund, warum ich diese Idee hatte, dieses Archiv anzulegen, um Informationen sehr viel dauerhafter auch aufzubewahren für die nächsten Generationen, damit die einen Einblick in deren eigene Vergangenheit haben können.

SPRECHER:
Schon jetzt werden rund zwei Prozent der elektrischen Energie weltweit nur für die Speicherung von Daten verbraucht. Und dauerhaft sicher sind die Daten nicht, sie können jederzeit gelöscht werden oder nicht mehr lesbar sein. Kunzes Kacheln hingegen seien unzerstörbar, sagt er. Der gebürtige Wiener ist kein engagierter Laie. Kunze ist ausgebildeter Keramiker, kennt sich mit Werkstoffen aus. Er hat sogar ein spezielles Verfahren entwickelt, um Bilder und Texte in möglichst feiner Auflösung auf die Fliesen zu brennen. Das geschieht bei ihm zu Hause in der Werkstatt und zieht sich über Stunden, manchmal Tage.

MARTIN KUNZE:
Diese weiße Glasur der Fliese verbindet sich mit den Farbkörpern, und dann kühlt es wieder aus, und dann ist das eine glatte Oberfläche, und deswegen ist das so haltbar.

SPRECHER:
Immer wenn ein Schwung Kacheln fertig ist, fährt Martin Kunze Richtung Salzbergwerk, Richtung Hallstatt. Der pittoreske Ort ist ein Touristenmagnet, nicht zuletzt, seit er als Kulisse für Filmproduktionen diente. Was die Gäste aus aller Welt nicht ahnen: Über ihnen wächst tief im Fels seit zehn Jahren das Archiv – Tafel um Tafel. Dieses Exemplar ist Martin Kunze besonders wichtig: Es zeigt, wie ein Gletscher im Laufe weniger Jahrzehnte abschmilzt.

MARTIN KUNZE:
Das ist ein zentrales Element des Archives, nämlich die Dokumentation des Klimawandels. Weil wenn die Rohdaten der Klimabeobachtung nicht dauerhaft festgehalten sind, können zukünftige Generationen unter Umständen gar nicht erkennen, dass es einen Klimawandel gab, und schon gar nicht die Ausmaße.

SPRECHER:
Bei den Kacheln soll es nicht bleiben. Wissenschaftler arbeiten mit Kunze schon an neuen Speichermaterialien. Das Ziel: deutlich mehr Daten auf viel kleinerem Raum. Denn die Interessenten stehen Schlange. Selbst die Universität Wien hat Daten eingelagert. Ein gigantisches Projekt für die Ewigkeit – und Martin Kunzes Mission.