Manuskript

Erfolgreich – auch mit Migrationshintergrund?

Einwandererkinder haben es meist schwerer als Deutsche, wenn sie einen Ausbildungsplatz, einen Job oder eine Wohnung suchen. Die Ungleichheiten fangen oft schon in der Schule an. Die Eltern können selten helfen, weil sie das deutsche System selbst nicht kennen. Wichtig ist dann die Förderung von außen und ein Arbeitsmarkt, der Vielfalt als Potenzial erkennt.

 

NIHAT SORGEÇ (Verband der Migrantenwirtschaft):
[Ich wurde] immer für Arbeiten aufgeteilt wie Toiletten reinigen, fegen und so weiter (und so viel).

SÜREYYA INAL (Chefin von INAL Unternehmens- und Steuerberatung):
Er möchte bitte eine(n) andere(n) Sachbearbeiterin haben, weil er meinen Nachnamen nicht richtig aussprechen könne.

THU ANH VU (Beraterin bei McKinsey):
Die Quote, dass ich zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen werde, ist definitiv geringer als bei meinem Partner, der einen klar deutschen Namen trägt.

SPRECHER:
Erfahrungen ehemaliger Migrantenkinder wie Süreyya Inal. Davon hat sie sich nicht entmutigen lassen – hier auf dem Bild zwischen ihren Schwestern. Heute ist Inal die Chefin einer Steuerkanzlei mit 20 Mitarbeitern. Sie gründete ihre eigene Firma, weil sie sich als Angestellte oft abgelehnt fühlte.

SÜREYYA INAL:
Wenn man an einem Arbeitsplatz einfach mal so spürt, dass hinter einem auch geredet wird, geflüstert wird, auch die Fragen sich nur noch darauf beziehen: auf die Herkunft beziehen, auf die Heimatstadt beziehen, wo immer signalisiert wird, dein Heimatstaat ist nicht hier, weil deine Heimatstadt ist dort, weil wir sagen immer wieder: Wo kommst du her? Was ist passiert in deinem Heimatstaat? Man… man wird Exot.

SPRECHER:
1980 kommt Inal aus der Türkei in Berlin an. In diesem Arbeiterviertel ist das neue Zuhause der damals 15-Jährigen. Ihre Mutter arbeitet in einer Großküche, der Vater in einer Autowerkstatt. Inal muss in eine Hauptschule gehen, weil sie kaum Deutsch spricht. Sie lernt schnell, ihre Noten sind gut. Trotz dutzender Bewerbungen findet sie keinen Ausbildungsplatz. 

SÜREYYA INAL:
Ich wurde einfach als schlechter oder Nicht-Könner behandelt. Ich war perspektivlos. Irgendwann mal war ich wirklich perspektivlos, und ich wusste gar nicht mehr, wie ich mir helfen soll.

SPRECHER:
Hilfe kommt überraschend von einer Personalerin im Vorstellungsgespräch bei einem Warenhaus. Sie erkennt das Potenzial der jungen Frau.

SÜREYYA INAL:
Sie hat mich dazu aufgemuntert, ein Fachabitur zu machen, was wiederum dazu geführt hat, dass ich im Anschluss mein Studium absolvieren konnte. Und es hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Das ist eigentlich der Start gewesen.

SPRECHER:
Ein Glück, das nur wenige haben, erzählt der Chef des Verbands der Migrantenwirtschaft, Nihat Sorgeç. Er war selbst türkisches Arbeiterkind, leitet heute seine eigene Bildungseinrichtung. In der lernen junge Menschen – die meisten mit Migrationsgeschichte – einen Beruf. Potenzielle Arbeitgeber haben noch immer Vorbehalte, erlebt Sorgeç. 

NIHAT SORGEÇ:
Bei vielen ist das vielleicht nicht bewusst, weil sie sehen ausländisch klingende Namen und sagen: Ja, vielleicht gibt‘s sprachliche Hemmungen. Vielleicht gibt‘s da von der Mentalität her große Unterschiede und vielleicht passen die doch nicht. Aber die sehen viel mehr die Hürden als die Vorteile.

SPRECHER:
Die Unternehmen verzichten auf Potenzial: Jeder vierte Deutsche hat mittlerweile einen Migrationshintergrund. Auch im Bildungssystem sollte sich deshalb einiges verändern, meint Sorgeç. Einwandererkinder bräuchten mehr Förderung, die Eltern könnten das oft nicht leisten.

NIHAT SORGEÇ:
Das ist bei vielen Familien, die Migrationshintergrund haben, so, dass diese Menschen als Elternteil total überfordert sind, um das Schulsystem, um das Ausbildungssystem, um das Wirtschaftssystem in Deutschland ihren Kindern zu vermitteln. Die bräuchten auf jeden Fall eine externe Unterstützung.

SPRECHER:
Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel von Thu Anh Vu. Die 28-Jährige ist Beraterin bei McKinsey. 1993 wird sie in Deutschland geboren. Ihre Eltern kommen aus Vietnam. Der Vater arbeitet im Schlachthof, die Mutter ist Putzfrau. Vu lernt erst in Kita und Schule Deutsch, eine Lehrerin fördert sie.

THU ANH VU:
Aus meiner Sicht ist es ein extrem großer Support gewesen, und ich sag‘ auch der erste Meilenstein, dass ich heutzutage da stehe, wo ich stehe.

SPRECHER:
Im Beruf erlebt Vu keine Ablehnung. Ganz im Gegenteil: McKinsey will Vielfalt im Betrieb, auch weil gemischte Teams meist erfolgreicher sind als homogene

THU ANH VU:
Je diverser die Teams in Bezug auf Kultur, auf Geschlecht, auf Religion, desto erfolgreicher sind wir im Projekt, weil jeder einfach eine ganz andere Sichtweise mitbringt, eine andere Herangehensweise in Bezug auf:  wie man arbeitet, wie man auch mit den Kunden arbeitet, und da würde ich sagen, dass wir definitiv schneller an unser Ziel kommen.

SPRECHER:
Wie McKinsey wollen auch andere Unternehmen mehr Vielfalt in der Belegschaft. Es ist ein Anfang, denn noch immer ist es für Menschen mit Migrationsgeschichte meist schwieriger, eine Ausbildung oder einen Beruf zu finden.

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