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Bundestag billigt umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes

Für die Gesetzesänderung stimmten die Abgeordneten der Fraktionen des rot-grün-gelben Regierungsbündnisses. Die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag votierten gegen die Reform. Die Gesetzesnovelle kam vor allem auf Verlangen der Regierungspartei FDP zustande. Ebenso wie auch Umweltverbände warfen Rednerinnen und Redner von CDU/CSU und Linkspartei der Koalition ein Aufweichen der Klimavorgaben vor. Der Bundesrat, also Deutschlands Länderkammer, muss der Neuregelung noch zustimmen.

Die Reform des Klimaschutzgesetzes sieht grundlegende Änderungen vor. Bisher gilt: Wenn einzelne Sektoren wie der Verkehrs- oder Gebäudebereich gesetzliche Vorgaben zum Kohlendioxid-Ausstoß verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien im nachfolgenden Jahr Sofortprogramme vorlegen. Im vergangenen Jahr verfehlten der Verkehrs- sowie der Gebäudebereich die Vorgaben.

Made in Germany: Scheitert die Energiewende am Geld?

Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte mit drastischen Maßnahmen bis hin zu Fahrverboten am Wochenende gedroht, sollte der Bundestag die Reform des Klimaschutzgesetzes nicht bis Sommer beschließen - dann hätte der FDP-Politiker ein Sofortprogramm vorlegen müssen, damit der Verkehrssektor die Klimaziele einhält.

Entscheidend ist künftig das große Klimaziel

Mit der Reform soll die Einhaltung der Klimaziele nun nicht mehr rückwirkend nach Sektoren kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Entscheidend ist, dass Klimaziele insgesamt erreicht werden. Wenn sich in zwei aufeinander folgenden Jahren abzeichnet, dass die Bundesregierung bei ihrem Klimaziel für das Jahr 2030 nicht auf Kurs ist, muss sie nachsteuern. Dies wird 2026 erstmals geprüft, sodass die jetzige Regierung keine neuen Klimaschutzbeschlüsse mehr fassen muss.

Deutschland insgesamt hatte für 2023 zwar sein Klimaziel unter anderem wegen der Wirtschaftsflaute erreicht. Mit Blick auf kommende Jahre gilt dies aber angesichts des fortschreitenden Klimawandels keinesfalls als sicher.

Vertreter der Regierungskoalition verteidigten die Reformschritte. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr sagte, das alte Klimaschutzgesetz sei planwirtschaftlich gewesen. Dem Klima sei es vollkommen egal, ob CO2-Emissionen im Energie-, Industrie- oder Verkehrssektor eingespart werden.

Die Fraktionschefin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katharina Dröge
Die Fraktionschefin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katharina Drögenull Martin Schutt/picture alliance/dpa

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge sagte: "Das Klimaschutzgesetz schaut in Zukunft nach vorne." Die Emissionsziele blieben. "Kein Gramm CO2 darf in Zukunft mehr emittiert werden." Dröge räumte aber ein, die Grünen hätten sich eine noch klarere Verantwortung der einzelnen Sektoren gewünscht.

Scharfe Kritik von der Opposition

Der CDU-Energiepolitiker Andreas Jung sprach im Parlament von einer Entkernung des Klimaschutzgesetzes und einem Rückschritt für den Klimaschutz. Jung kritisierte, die Ampel stelle sich einen Freibrief aus. Mit der Aufweichung der verbindlichen Sektorziele werde dem Gesetz sein Herzstück entrissen.

Bis 2030 muss Deutschland laut Gesetz seinen Treibhausgas-Ausstoß um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Bis 2040 sollen die Treibhausgase um 88 Prozent sinken und bis 2045 soll Treibhausgasneutralität erreicht werden - dann dürften also nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als auch wieder gebunden werden können.

kle/AR (dpa, rtr, afp)

Deutsch-französisches Projekt: Der Kampfpanzer der Zukunft

Gut sieben Jahre ist es her, dass sich Deutschland und Frankreich darauf geeinigt haben, bei zwei Rüstungsprojekten zusammenzuarbeiten. Es geht sowohl um die gemeinsame Entwicklung eines modernen Kampfjets als auch um einen neuen Kampfpanzer. Bei den anschließenden Verhandlungen traten jedoch immer wieder unterschiedliche Interessen zutage - Streit war die Folge.

Während es beim Kampfjet schon 2021 eine Einigung gab, hat es beim neuen Panzer bis zu diesem Montag gedauert alle Unstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen. Doch nur vier Tage später ist Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius jetzt nach Paris gereist, um an diesem Freitag mit seinem französischen Kollegen Sébastien Lecornu eine entsprechende Vereinbarung zu unterzeichnen.

Entstehen soll der "Kampfpanzer der Zukunft", wie beide Minister sagten. Es gehe nicht um die Weiterentwicklung der aktuellen Panzer, sondern um "etwas völlig Neues", das mehrere "miteinander vernetzte Gefechtsfahrzeuge" umfasse und mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet sei.

Kampfpanzer mit unbemannter Unterstützung

Das als "Main Ground Combat System" (MGCS) bezeichnete Waffensystem ist das Gegenstück zu dem Luftkampfsystem der Zukunft (FCAS). Das MGCS soll einen Panzer mit Drohnen, Künstliche Intelligenz oder auch neuartigen Laserwaffen in einem Datennetz verbinden.

Pistorius sagte, es seien noch einige Fragen zu klären. Die Unterzeichnung einer Grundsatzvereinbarung sei aber bereits ein "Meilenstein". Die Aufteilung der Aufgaben zwischen Deutschland und Frankreich bei dem Panzer-Projekt sei spiegelbildlich zu den parallel laufenden Planungen für das Luftkampfsysteme FCAS.

Neuer Höchststand bei Rüstungsausgaben

Beide Seiten hätten sich auf eine hälftige Aufgabenverteilung geeinigt, betonten die Minister. Grundsätzlich soll Frankreich die Federführung bei FCAS haben, Deutschland bei MGCS. Der Vertrag soll Ende des Jahres fertig sein und im kommenden Jahr den Parlamenten vorgelegt werden, wie Pistorius sagte. Er habe keinen Zweifel, dass das Panzerprojekt im Deutschen Bundestag eine breite Mehrheit erhalten werde.

Spannungen durch industrielle Verteilungskämpfe

Industrielle Verteilungskämpfe hatten zu Verzögerungen und zu Spannungen zwischen den Regierungen in Berlin und Paris geführt. Ein Problem: mögliche Einschränkungen, die beiden Hightech-Produkte in andere Länder zu verkaufen. Frankreich sieht die striktere Exportpolitik Deutschlands bei Rüstungsausfuhren seit jeher mit Skepsis.

Im Mai 2021 hatten Deutschland, Frankreich und Spanien nach einem industriepolitischen Ringen schon eine "grundsätzliche Einigung" über das milliardenschwere Luftkampfsystem FCAS erzielt.

Das Bodenkampfsystem MGCS ist als Nachfolger der Leopard- und Leclerc-Panzer beider Länder gedacht und soll im Laufe des kommenden Jahrzehnts einsatzfähig sein. Das Luftkampfsystem FCAS soll von 2040 an den in die Jahre gekommenen Eurofighter ablösen. Auch FCAS soll im Verbund mit unbewaffneten und bewaffneten Drohnen fliegen und ist insofern ebenfalls mehr als ein Kampfflugzeug.

AR/sti (dpa, afp, rtr)

Keine Pässe mehr für Ukrainer im Ausland - und nun?

"Gut, dass ich meinen Reisepass letztes Jahr in Köln bekommen habe und nicht mehr zum Konsulat muss", sagt Oleh aus Kiew, der heute mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Deutschland lebt. So reagiert er auf die Erklärung des Außenministers der Ukraine, Dmytro Kuleba, Staatsbürgern im wehrfähigen Alter, die sich im Ausland aufhalten, konsularische Dienstleistungen nicht mehr in vollem Umfang zu erbringen. Dies soll vor allem für diejenigen gelten, die sich nicht beim Militär registrieren lassen.

"Im Ausland zu leben, befreit einen Bürger nicht von den Pflichten gegenüber seinem Heimatland", betonte Kuleba am Dienstag auf der Online-Plattform X und fügte hinzu, Maßnahmen angeordnet zu haben, um eine "faire Behandlung von Männern im mobilisierungsfähigen Alter in der Ukraine und im Ausland" zu gewährleisten.

Inzwischen hat Kiew die Ausgabe von Reisepässen an im Ausland befindliche Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren gestoppt. Somit können ukrainische Männer im wehrfähigen Alter Reisepässe nur noch im Land selbst erhalten. Ausgenommen ist nur die Ausgabe von Personalausweisen zur Rückkehr in die Ukraine.

Meldepflicht, mögliche Strafen und erwartete Klagen

Die Maßnahme steht im Zusammenhang mit dem jüngst verabschiedeten Gesetz zur Verstärkung der Mobilmachung und zielt darauf ab, Männer zur Rückkehr in ihr Heimatland zu drängen. Das Gesetz soll am 18. Mai in Kraft treten.

Gemäß den neuen Bestimmungen müssen sich auch die männlichen ukrainischen Staatsbürger, die im Ausland leben, beim Militär melden. "Wie das im Ausland geschehen soll und welche Papiere vorgelegt werden müssen, ist unklar", sagt die Kiewer Anwältin Hanna Ischtschenko. Das habe die Regierung noch nicht festgelegt. Klar sei bisher nur, dass das Gesetz ausnahmslos für alle männlichen Bürger gelte - sowohl für die, die nach der großangelegten Invasion Russlands im Jahr 2022 die Ukraine verlassen haben, als auch für solche, die seit ihrer Geburt im Ausland leben.

Die Bestimmungen zur Meldepflicht sehen vor, dass ukrainische Staatsbürger im Ausland erst dann Konsulardienste in Anspruch nehmen können, wenn geklärt ist, ob sie sich beim Militär haben registrieren lassen. Ist dies nicht der Fall, droht ihnen neben der Verweigerung konsularischer Dienstleistungen eine Geldbuße von 510 bis 850 Hrywnja (ca. 12 bis 20 Euro) und bei wiederholtem Verstoß bis zu 1700 Hrywnja (ca. 40 Euro).

Anwältin Ischtschenko rechnet mit Klagen gegen die Behörden. Gerichte würden klären müssen, ob die behördlichen Entscheidungen im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz stehen. "Es muss eine Vereinbarkeit zwischen den Folgen für die Bürger und den Zielen bestehen, die mit den Bestimmungen erreicht werden sollen", erläutert sie. Ihrer Ansicht nach entsprechen die Maßnahmen der Staatsmacht trotz der Kriegssituation nicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Ukrainische Flüchtlinge Deutschland, eine Gruppe von Frauen und Kindern
Erst kamen Frauen und Kinder aus der Ukraine nach Deutschland, dann Männernull Waltraud Grubitzsch/picture alliance/dpa

Oleksandr Pawlitschenko von der Ukrainischen Helsinki-Union für Menschenrechte spricht sogar von Diskriminierung. Er befürchtet, dass die ukrainischen Behörden den betroffenen Personen künftig auch in Notsituationen Hilfe verweigern könnten. Als Folge würden die Menschen eine andere Staatsbürgerschaft anstreben, über einen Flüchtlingsstatus oder andere Verfahren, um aus der für sie "unbequemen" ukrainischen Staatsbürgerschaft herauszukommen. Auch Pawlitschenko rechnet damit, dass Ukrainer unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention gegen die neuen Bestimmungen klagen werden.

Hoffnung auf Schutz und Hilfe seitens Deutschlands

Oleg will sich nicht beim Militär melden. Er fürchtet einen Einsatz im Krieg, obwohl er als Vater einer kinderreichen Familie nach jetzigen Vorschriften von der Dienstpflicht befreit ist. "Ich werde meine Frau mit drei Kindern doch nicht allein lassen", betont er.

Bohdan, der seinen Nachnamen ebenfalls nicht nennen möchte, hat die Ukraine unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal verlassen. Er sei über die Republik Moldau nach Deutschland gekommen, wo er vorübergehend einen Schutzstatus genießt. Bohdan will auf keinen Fall zurück, er fühlt sich in Deutschland wohl und lernt Deutsch.

Strafmaßnahmen gegen Männer, die sich nicht beim Militär melden, könnten diejenigen, die die Ukraine im Krieg bewusst verlassen haben, nicht zu einer Heimkehr bewege, meint Bohdan. "Wenn ich im Jahr 2032 einen neuen Pass beantrage, dann werde ich hoffentlich eine andere Staatsbürgerschaft haben, vielleicht die deutsche", sagt er.

 Auf die Frage, was er tun würde, sollte er unerwartet ein ukrainisches Konsulat brauchen, sagt Bohdan: "Nichts, absolut nichts." Er rechne nicht mit Problemen. "Ich bin zu fast 90 Prozent sicher, dass Deutschland es so einrichten wird, dass wir alle nötigen Papiere hier bekommen, ohne ukrainische zu brauchen. Wir werden die Ukraine nicht kontaktieren müssen", glaubt er.

Der Pressesprecher des deutschen Innenministeriums, Maximilian Kall, sagte auf der Regierungspressekonferenz am Mittwoch, er sehe das Vorgehen der ukrainischen Behörden "als konsularrechtliche Frage, die allein in der Hand der ukrainischen Stellen ist". Kall betonte, dies werde sich nicht auf den Schutzstatus für Geflüchtete aus der Ukraine auswirken, "ganz gleich, ob es Frauen oder Männer sind".

Vor allem Frauen kehren in die Ukraine zurück

Im Februar 2024 suchten laut Statistischem Bundesamt etwa gleichviel Männer und Frauen aus der Ukraine im Alter von 18 bis 60 Jahren in Deutschland Asyl: 5.597 beziehungsweise 5.772 Personen. Zwei Jahre zuvor waren zwei Drittel der Kriegsflüchtlinge Frauen, die zweitgrößte Kategorie waren Kinder.

Andererseits sind 39 Prozent derjenigen, die derzeit in die Ukraine zurückkehren, Frauen im erwerbsfähigen Alter. Der Anteil der Männer im wehrfähigen Alter, die aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren, beträgt dagegen nur 23 Prozent.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

EuGH: Türkischer Pass kann EU-Aufenthaltsrecht kosten

Türkische Staatsangehörige, die nach ihrer Einbürgerung in Deutschland erneut einen türkischen Pass beantragen, müssen mit dem Verlust der EU-Bürgerschaft rechnen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden.

Demnach steht der automatische Verlust der Staatsangehörigkeit, den das deutsche Recht für solche Fälle vorsieht, dem EU-Recht nicht entgegen. Wenn damit auch der Verlust der Unionsbürgerschaft einhergehe, seien aber bestimmte Anforderungen zu beachten, so das Gericht.

Konkreter Anlass war der Fall von fünf Menschen in Nordrhein-Westfalen, die zwischen den 1970er- und den 1990er-Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen waren. Sie gaben im Zuge ihrer Einbürgerung ihre türkische Staatsangehörigkeit auf, erwarben sie aber kurze Zeit später wieder.

Nach einer Anhörung stellten die zuständigen Stadtverwaltungen in Wuppertal, Krefeld und Duisburg fest, dass die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr bestehe. Hierdurch fiel auch die Unionsbürgerschaft weg und somit das Recht der Betroffenen, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten. Dagegen klagten sie vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf, das sich mit der Bitte um Auslegung des geltenden Rechts der Europäischen Union an den EuGH in Luxemburg wandte.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten dafür zuständig seien, die Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit festzulegen. Wenn jedoch wie im vorliegenden Fall der Verlust der Staatsangehörigkeit auch den Verlust der Unionsbürgerschaft nach sich ziehe, seien bestimmte Anforderungen des Unionsrechts und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzuhalten.

Das Unionsrecht lasse zu, dass jemand, der freiwillig die Staatsangehörigkeit eines Nicht-EU-Staats wie der Türkei erwerbe, mit der Staatsangehörigkeit des EU-Mitgliedstaats automatisch auch die Unionsbürgerschaft verliere. Die betroffene Person müsse jedoch die Möglichkeit haben, sich an nationale Behörden und Gerichte zu wenden, um prüfen zu lassen, ob der Verlust des Unionsbürgerstatus unverhältnismäßige Folgen für sie habe. Wenn dies der Fall sei, müsse sie ihre EU-Staatsangehörigkeit beibehalten oder rückwirkend wiedererlangen können.

Passverlust möglicherweise vermeidbar?

Laut Luxemburger Gericht hätten die Betroffenen im vorliegenden Fall einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit allerdings vermeiden können, wenn sie vor Beantragung der türkischen Staatsangehörigkeit die Genehmigung der deutschen Behörden zur Beibehaltung der deutschen Nationalität beantragt und erhalten hätten. Das entsprach der Rechtslage zum fraglichen Zeitpunkt im Jahr 2000.

Der Besitz mehrerer Staatsbürgerschaften ist in Deutschland bislang nur in wenigen Fällen gestattet. Ende Juni tritt allerdings hierzulande ein neues Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft, dass auch diese Möglichkeit vorsieht.

Neues Einbürgerungsgesetz

kle/AR (kna, afp)

Steinmeier in der Türkei: Am Ende ein Lächeln mit Erdogan

Am dritten und letzten Tag des Türkei-Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lag der Fokus auf dem Treffen der beiden Präsidenten. Die Journalistinnen und Journalisten warteten mehr als zwei Stunden, bis Steinmeier und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Pressekonferenz erschienen. Beide traten mit einem Lächeln vor die Kameras. Von einem - durchaus möglichen - Eklat war nichts zu spüren. Sichtlich entspannt scheinen die Konsultationen vonstatten gegangen zu sein. Was war passiert? Keine kontroversen Diskussionen zu Gaza? Keine Einordnung der Hamas? Kein Fingerzeig, was die Deutsche Staatsräson angeht?

Erdogan: "Der Krieg im Nahen Osten muss beendet werden"

In seinem Statement wurde Erdogan deutlich: "Der israelische Ministerpräsident verlängert den Krieg in Gaza, um politisch am Leben zu bleiben. Das Leid der Palästinenser muss beendet werden." In der Vergangenheit hatte der türkische Staatschef den israelischen Premier Benjamin Netanjahu schon oft beschimpft, ihm sogar Nazi-Methoden unterstellt. Auf meine Frage, weshalb die Türkei trotz allem noch immer intensive wirtschaftliche Beziehungen mit Israel unterhalte, antwortete Erdogan einsilbig: "Das ist vorbei!"

Türkische Kolleginnen und Kollegen sagten mir später: "Er lügt, ohne rot zu werden." Erdogan könne gar nicht auf den Wirtschaftspartner Israel verzichten. Seine Worte sollten nur die Bevölkerung in der Türkei besänftigen.

Steinmeier: "Wir müssen gemeinsam humanitäre Hilfe leisten"

Bei Steinmeiers Rede zeigten sich dann doch die Unterschiede in den Positionen zum Nahost-Konflikt. Erdogan sprach nur das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen an und wiederholte mehrfach die Zahl der Toten und Verletzten Palästinenser. Der deutsche Gast hingegen machte deutlich, dass die militant-islamistische Hamas am 7. Oktober den Krieg begonnen hat. Die Palästineserorganisation Hamas wird von Israel, Deutschland, der Europäischen Union, der USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.

Doch Steinmeier betonte auch, dass die humanitäre Unterstützung der leidenden palästinensischen Bevölkerung nur gemeinsam mit der Türkei und Erdogan erfolgen könne. Bereits zum Auftakt hatte er vom "Ernst" seiner Reise gesprochen, und dass bei Erdogan "alle Themen auf den Tisch" kommen müssten. Wie kontrovers diese Themen diskutiert wurden, wird ein diplomatisches Geheimnis bleiben.

Onay: "Wir haben die ersten Samen gesät"

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, der zur Delegation des Bundespräsidenten gehörte, zieht ein positives Reisefazit: "Ich denke, wir haben kleine Schritte gemacht, um die seit sehr langer Zeit belasteten Beziehungen unserer Länder zu verbessern. Wir haben die ersten Samen säen können, um eine deutsch-türkische Freundschaft, wie sie einmal war, ernten zu können."

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler spricht ebenfalls von einer erfolgreichen Reise - und verweist dabei auf die Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Oppositionspolitikern in Istanbul und Ankara. Auch der Austausch zwischen Erdogan und Steinmeier sei eine gute Basis, so Güler: "Erdogan war erstaunlicherweise sehr mild." Dies habe wohlmöglich viel mit der Person Steinmeier zu tun.

Lindner: "Die Türkei ist sehr potentialreich"

Lindner: "Hoffnung für die türkische Wirtschaft"

Bundesfinanzminister Christian Lindner wertet die Reise ebenfalls als Erfolg. Unter anderem traf der FDP-Politiker mit seinem türkischen Kollegen Mehmet Simsek zusammen und bei einer Fahrt über den Bosporus mit Vertretern deutscher Unternehmen (Bosch, Siemens, DHL, Mercedes), die in der Türkei aktiv sind: "Wenn sich die türkische Wirtschafts- und Finanzpolitik mittelfristig erholt, werden die Ergebnisse auch einen Einfluss auf deutsche Unternehmer haben, die dann wieder in eine starke Türkei investieren werden", sagte Lindner der DW. Die Aussagen von Simsek weckten Hoffnungen für die türkische Wirtschaft, denn die angekündigten Bemühungen der türkischen Regierung seien vielversprechend.

300 Millionen Euro Kredit für Erdbebengebiet

Zu erwähnen bleibt noch der Tagesbesuch der vom Erdbeben schwer zerstörten südostanatolischen Provinzhauptstadt Gaziantep und der sich in der Nähe befindenden Stadt Nurdagi. Mehrere 10.000 Menschen verloren dort im Februar 2023 ihre Familien, ihre Häuser, ihre Existenzen. Seit mehr als 14 Monaten hausen Überlebende wie Ahmet Atilgan in einem engen Containerdorf. Für ihn sei das Wichtigste, sagt Atilgan, dass er am Leben sei und hoffentlich bald eine Wohnung beziehen könne.

Auch der 90-jährige Abdullah Kapi dankt Gott, dass er noch lebt. Auf eine neue Wohnung müsse er aber noch warten, erzählt er mit zittriger Stimme. Die AKP-Bürgermeisterin von Gaziantep, Fatma Sahin, verkündete, dass mehr als 300 Wohnungen bereits an Mieter und Eigentümer übergeben worden seien. Weitere 2000 sollten binnen Jahresende fertig werden - so Gott will, so wie Abdullah Kapi sagt.

Für weitere Unterstützung der türkischen Regierung, wie etwa zum Wiederaufbau von Bildungseinrichtungen, hat die Bundesregierung einen "ungebundenen Finanzkredit in Höhe von 300 Millionen Euro" bereitgestellt. Ungebunden bedeutet, dass er rein politisch ist. Das Geld wurde, nach Aussage von Beteiligten, bereits vor den Präsidentschaftswahlen in der Türkei im vergangen Jahr in Aussicht gestellt. Am Ende sind Freunde eben doch Freunde.

Nach Ukraine-Milliardenpaket: US-Nachschub rollt an

Jetzt soll alles schnell gehen: US-Munitionslieferungen werden über Polen und auch Deutschland und anderen Ländern Europas in die Ukraine gebracht. Das US-Verteidigungsministerium hat bereits in den vergangenen Monaten Vorbereitungen für den "Tag X" getroffen. Also der von der Ukraine seit Monaten erhofften positiven Entscheidung im US-Repräsentantenhaus über das neue Ukraine-Hilfspaket über 60 Milliarden US-Dollar (56 Milliarden Euro). An der Front in der Ost-Ukraine sind Kiews Truppen unter massivem russischem Artilleriebeschuss, den die ukrainischen Soldaten Mangels Munition kaum noch erwidern können.

"Ich denke, dass das Verteidigungsministerium in den letzten Wochen hart gearbeitet hat, um bereit zu sein", sagt der frühere Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte für Europa, Ben Hodges, im DW-Interview. "Das heißt man hat von Seiten des Pentagon die Dinge schon verpackt, abfahrbereit verstaut in die richtigen Richtungen gebracht, so dass das jetzt ganz schnell geht, dass im Grunde sofort die Dinge über die Grenze können", sagt auch der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange im Gespräch mit der DW.

Dezentrale Logistik in der Ukraine

Ab der ukrainischen Grenze stehe dann ein ausgeklügeltes Transport-System bereit, um den Nachschub vor russischem Angriff aus der Luft zu schützen. Seit Beginn von Russlands Großinvasion vor zwei Jahren habe das Land eine "dezentrale Logistik" für die westlichen Rüstungsgüter aufgebaut, so Lange. "Der Nachschub wird nicht alles auf einen Zug geladen, damit der dann womöglich ein lukratives Ziel ist, sondern das wird verteilt auf unterschiedliche Züge, die häufig auch bei Nacht verkehren und dann an die entsprechenden Einsatzorte gebracht fahren." Der Ukraine steht mittlerweile auch eine Flotte von westlichen Schwerlasttransportern für den Weg über die Straße zur Verfügung. In der Ukraine herrscht Ausgangssperre in der Nacht – das macht es der Moskauer Ziel-Aufklärung, besonders mit Spionen am Boden, schwerer die Versorgungsrouten zu lokalisieren.

Das Bild zeigt Ben Hodges im Portrait im Fernsehstudio der Deutschen Welle in Berlin während der Aufzeichnung der Talksendung "Auf den Punkt"
Der US-Generalleutnant Ben Hodges war bis zu seinem Ruhestand 2017 Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa. Hodges lebt in Deutschlandnull DW

"Die russische Luftwaffe, die in Bezug auf Anzahl und Qualität der Flugzeuge einen enormen Vorteil hat, war bislang nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Zug oder Konvoi zu zerstören, der Munition oder Ausrüstung von Rzeszow in Polen in die und durch die Ukraine brachte", sagt der frühere US-Generalleutnant Hodges.

Von Deutschland nach Rzeszow in Polen

Auf polnischer Seite der ukrainischen Grenze ist der Regionalflughafen der Kleinstadt Rzeszow im Südosten Polens das wichtigste Drehkreuz für die westlichen Hilfen. Er gehe davon aus, dass dort US-Flugzeuge aus Deutschland kommend landen, so Hodges. "Egal ob mit der Bahn oder mit C-17-Flugzeugen, die sie nach Polen fliegen und dann in Rzeszow absetzen" – die Logistik der US-Streitkräfte könne schnell handeln.

Auf dem Bild ist der Landungspier der US-Streitkräfte in Deutschland im Hafen von Bremerhaven zu sehen
Militärfahrzeuge der USA am Pier in Bremerhaven in Norddeutschland. Der Hafen gehört seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu den wichtigsten Logistik-Stützpunkten der US-Streitkräfte in Europanull Jochen Tack/dpa/picture alliance

Für die US-Lieferungen in die Ukraine sei Deutschland das wichtigste Drehkreuz "aufgrund seiner geografischen Lage und auch wegen seiner ausgereiften Infrastruktur und schließlich wegen der fast 80-jährigen Präsenz der USA und der Zusammenarbeit mit unserem Gastland Deutschland", so Hodges.

Im Südwesten Deutschlands, im Bundesland Rheinland-Pfalz, befindet sich auch das größte Munitionslager der US-Streitkräfte außerhalb der USA. Das "Miesau Army Depot" liegt in unmittelbarer Nähe der größten US-Luftwaffenbasis in Europa in Ramstein.

ATACMS mit 300 Kilometer Reichweite

Teil des neuen Hilfspakets sollen erstmals auch Artilleriegeschosse vom Typ ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern sein, so Hodges. Das sei ihm von Gesprächspartnern in Washington versichert worden. Bislang hatte US-Präsident Biden die Waffe nur mit einer Reichweite von 150 Kilometern liefern lassen. Ähnlich wie Skalp oder Storm Shadow aus Frankreich und Großbritannien.

Das Bild zeigt den Blick durch einen Stacheldrahtzaun am Flughafen von Rzeszow im Südosten Polens auf eine Militärmaschine. Der Regionalflughafen hat sichzum zum wichtigsten Flughafen für die Versorgung der Ukraine mit Waffen und Munition aus dem Westen entwickelt
Der Regionalflughafen Rzeszow im Südosten Polens hat sich während zwei Jahren russischer Großinvasion in der Ukraine zum wichtigsten Flughafen für die Versorgung der Ukraine mit Waffen und Munition aus dem Westen entwickeltnull Laine Nathan/abaca/picture alliance

Mit dem neuen Nachschub könne die Ukraine gezielt Kommandostrukturen und Munitions- und Waffenlager der Russen angreifen, glaubt Hodges. Mehr noch als bislang: "Anstatt darauf zu warten, dass russische Raketen und Flugzeuge gestartet werden, und dann zu versuchen, sie abzufangen oder abzuschießen, ist es viel effektiver, wenn man den Ort zerstören kann, von dem aus diese Dinge kommen."

Vorarbeiten bis zur Kertsch-Brücke

"Wenn man sich die Lage im Süden anguckt, dann ist das unverändert so, dass die drei Zugänge zur Halbinsel Krim zu den wichtigsten militärischen Zielen gehören", sagt Nico Lange, der auch für die Münchner Sicherheitskonferenz arbeitet. Er gehe davon aus, dass die Ukraine in den nächsten Monaten versuchen werde immer mehr neuralgische Punkte der russischen Versorgung auf der Krim auszuschalten – bis hin zur wichtigsten Versorgungsroute, die Kertsch-Brücke, die Russland mit der Krim verbindet. "Es gibt eine ganze Reihe von Munitionstypen, die kann im Moment nur die USA liefern", so Lange. Vor allem weil das Hochfahren der Munitionsproduktion in Europa so lange dauere.

Das jetzt vom US-Senat freigegebene Hilfspaket erkaufe den Europäern vor allem Zeit, ist Christian Mölling überzeugt, der Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung beim deutschen Think Tank DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Er denke, dass die neuerliche US-Hilfe in diesem Umfang "das Ende der Fahnenstange ist". Monatelang hatten die Unterstützer von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump im US-Senat die Ukraine-Hilfe blockiert. "Die Amerikaner kaufen uns Zeit, dann muss die europäische Hilfe einsetzen", so Mölling zur DW. Europa müsse selbst aufrüsten – für sich in Anbetracht der Bedrohung durch Russland und für die Ukraine.

Russische Luftangriffe: Vorbereitung für die Großoffensive?

Sunak und Scholz sichern Ukraine weitere Unterstützung zu

Der britische Premierminister Rishi Sunak hat bei einem Besuch in Berlin die deutsche Unterstützung für die Ukraine gelobt. "Man kann die Tatsache nicht übersehen, dass Deutschland neben Großbritannien der wichtigste Unterstützer der Ukraine ist", sagte der konservative Politiker bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Hinblick auf die europäischen Verbündeten Kiews.

Auf die Frage nach der zuvor bekräftigten Weigerung des sozialdemokratischen Kanzlers, Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine zu liefern, ging Sunak nicht direkt ein. Er betonte aber, jedes Land leiste einen unterschiedlichen Beitrag. Sunak hob besonders Deutschlands Entscheidung hervor, ein weiteres Patriot-Luftabwehrsystem an die Ukraine zu liefern. Scholz habe dafür nichts als Lob verdient. 

Scholz: US-Entscheidung zeigt, "dass Putin sich verrechnet"  

Scholz seinerseits wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der US-Kongress nun die Gelder zur Unterstützung der Ukraine freigegeben habe. "Diese Entscheidung zeigt, dass (Russlands Präsident Wladimir) Putin sich verrechnet, wenn er glaubt, die Staaten in Europa und den USA, all die anderen Unterstützer würden die Ukraine irgendwann im Stich lassen. Wir werden das nicht tun", sagte Scholz. Nach einer monatelangen Hängepartie hatte der US-Kongress am Dienstag mit der Zustimmung des Senats Ukraine-Hilfen im Umfang von rund 61 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro) gebilligt. Mit dem Geld könnte die Lieferung von ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern ermöglicht werden. Bisher hat die Ukraine nur Raketen mit einer Reichweite von 165 Kilometern aus den USA erhalten. 

Kooperation bei Rüstungsprojekten

Deutschland und Großbritannien wollen auch in der Rüstung enger zusammenarbeiten. Beide Länder würden gemeinsam die Radhaubitze Howitzer 155mm "erwerben, bewerten und optimieren", heißt es in einem gemeinsamen Papier zu dem Artilleriesystem. Man wolle bei der Entwicklung auf der Kooperation beim Radpanzer Boxer aufbauen. Zudem solle der Kampfjet Eurofighter/Typhoon modernisiert werden. Scholz betonte, dass Großbritannien zudem bei dem von Deutschland angestoßenen Luftverteidigungssystem European Sky Shield Initiative mitarbeiten wolle. 

Die Visite in Berlin ist für den seit Oktober 2022 amtierenden Sunak der Antrittsbesuch in Deutschland. Vor dem Treffen mit Scholz hatte Sunak die Julius-Leber-Kaserne im Berliner Ortsteil Wedding besucht und sich mit Bundeswehrangehörigen unterhalten. 

Der britische Regierungschef Rishi Sunak (r.) und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Warschau
Der britische Regierungschef Rishi Sunak (r.) und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Warschaunull Henry Nicholls/AP/picture alliance

Militärhilfen für Ukraine in Höhe von 500 Millionen Pfund

Der Premierminister war am Dienstag bereits zu Besuch in Warschau, um den polnischen Regierungschef Donald Tusk und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu treffen. Er kündigte dabei weitere Militärhilfen für die Ukraine in Höhe von 500 Millionen Pfund (rund 580 Millionen Euro) an. Das Vereinigte Königreich ist neben Deutschland der wichtigste europäische Waffenlieferant der Ukraine. Zudem teilte Sunak mit, dass Großbritannien sein Verteidigungsbudget bis 2030 auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen werde. Die NATO hat bislang zwei Prozent als Zielmarke für die Mitgliedsstaaten ausgegeben. 

sti/kle (afp, dpa)

Spionage in Deutschland aus China und Russland boomt

In der Pressestelle des Generalbundesanwalts herrscht dieser Tage Hochbetrieb: "Festnahme wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit" wird eine Mitteilung vom 23. April überschrieben. Exakt die gleiche Überschrift hat eine Pressemeldung vom Tag zuvor. In beiden Fällen sollen die insgesamt vier Beschuldigten - drei Männer und eine Frau - für China spioniert haben.

Und in einer Nachricht vom 18. April geht es um zwei Männer, die im Auftrag Russlands Anschläge auf militärische Ziele in Deutschland geplant haben sollen. In der Titelzeile heißt es: "Festnahmen u. a. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung 'Volksrepublik Donezk' (VRD)".

Geheimdienst-Kontrolleur sorgt sich um Sicherheit

In Politik und Medien führen die Festnahmen zu besorgten Kommentaren. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz ist alarmiert: "Wir müssen endlich verstehen, dass es hier um eine maximal ernste und durchaus reale Bedrohung unserer Sicherheit geht", betont der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste. "Als wehrhafte Demokratie müssen wir sowohl in der Strafverfolgung, aber auch bei der Aufdeckung der Strukturen und Netzwerke durch alle Sicherheitsbehörden schnell und entschlossen agieren."

Haldenwang: "Bedrohungssituation wie im Kalten Krieg"

Dass genau dies gerade geschieht, macht der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, im DW-Interview deutlich: "Wir haben diese Ermittlungen initiiert. Und nachdem die Beweislage dann eindeutig war, konnten wir diesen Fall an die Polizei und die Staatsanwaltschaften abgeben." 

Verfassungsschutz skizziert Chinas globale Ziele

Für den Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes ist die aktuelle Entwicklung keine Überraschung. Was seine Behörde China zutraut, ist im 2023 veröffentlichten Verfassungsschutzbericht nachzulesen: "Die globalen Ambitionen Chinas werden mit einem generellen Streben nach immer mehr Macht zur Ausgestaltung des eigenen Gestaltungs- und Führungsanspruchs verfolgt und lassen eine weitere Intensivierung der Spionageaktivitäten wie auch der Ein­flussnahmeaktivitäten durch staatliche Akteure erwarten."

Über das Gefährdungspotenzial sprach der BfV-Präsident auch auf einem Symposium des Verfassungsschutzes in Berlin, das am Tag der Festnahme von drei mutmaßlichen Spionen stattfand. China habe Zeit, antwortete Haldenwang auf die Frage der DW, welche Strategie das Land bei der Spionage verfolge: "Bis 2049 will man die politische, militärische, wirtschaftliche Macht Nummer eins auf dem Globus sein. Dieses Ziel verfolgt man kontinuierlich - mit legalen Mitteln, aber eben auch mit illegalen Mitteln."

China: Zur Spionage gezwungen

Klassische Spionage-Felder Chinas: Universitäten und Unternehmen

Beispielhaft sei der Einsatz von chinesischen Gastwissenschaftlern und Studierenden an deutschen Universitäten. "Diese Personen sind verpflichtet, Informationen an den Staat weiterzugeben", sagte Haldenwang. Diese Warnung nimmt auch die deutsche Ministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, ernst: Im Umgang mit China dürfe man nicht naiv sein, meint die Freidemokratin (FDP). Notwendig sei eine "noch kritischere Abwägung von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit gerade auch in Wissenschaft und Hochschulen". 

So sieht es der Verfassungsschutz auch beim Blick auf die Wirtschaft. Bei jeden Joint Venture, bei jedem Direktinvestment kämen auch Manager und anderes Personal aus China nach Deutschland, sagte Präsident Haldenwang, der damit ein potenzielles Einfallstor für Spionage benannte: "Geschäftsgeheimnisse können auch nach China gelangen."

Spion im Vorzimmer eines AfD-Politikers?

In dieses Szenario könnte der zuletzt festgenommene mutmaßliche Agent passen. Besonders pikant: Er ist ein enger Mitarbeiter von Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der Alternative für Deutschland (AfD) bei der Europawahl im Juni 2024.

Der festgenommene Krah-Mitarbeiter ist mittlerweile in Untersuchungshaft. Ein Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof habe den Haftbefehl in der Nacht zum Mittwoch in Vollzug gesetzt, Der Vorwurf laute auf Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall.

Spion bei der Bundeswehr enttarnt

Der vom Verfassungsschutz bundesweit als rechtsextremer Verdachtsfall beobachteten AfD werden auch immer wieder enge Kontakte nach Russland nachgesagt. Die aus Moskau gesteuerten Spionage-Aktivitäten konzentrieren sich jedoch im Unterschied zu China nach Geheimdienst-Erkenntnissen oft auf kurzfristige Ziele. Diese Einschätzung gilt aus Haldenwangs Sicht mehr denn je seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine: "Angesichts eines heißen Krieges mit enormer Gewaltanwendung durch Russland, wäre es fahrlässig, nicht von der Fähigkeit und dem Willen seiner Nachrichtendienste zu komplexen Operationen in Europa auszugehen."

Auf der Suche nach pro-russischen Frauen und Männern

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz rechnet damit, dass russische Spionage weiter zunehmen wird. Dafür müsse auch neues Personal rekrutiert werden. Kurz nach Kriegsbeginn hatte Deutschland bereits rund 40 mutmaßliche Agenten ausgewiesen, die an der Russischen Botschaft in Berlin akkreditiert waren. Das sei inzwischen aber kompensiert worden, heißt es.

Russlands Präsident Wladimir Putin nimmt für seine Ziele auch in Deutschland lebende Menschen mit russischem Migrationshintergrund ins Visier. "Bisher hat sich die Community sehr resilient gezeigt", betont Haldenwang. Man nehme in diesem Kreis aber vereinzelt auch Leute wahr, die hohe Sympathien für Putin und Russland hätten. "Insofern steht hier möglicherweise ein Reservoir von Personen zur Verfügung, die dann auch bereit sind, im Sinne Russlands zu agieren."

Innenministerin Nancy Faeser (r.) und Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang halten jeweils ein Exemplar des Verfassungsschutzberichtes in ihren Händen.
Innenministerin Faeser (r.) und Verfassungsschutz-Chef Haldenwang präsentieren 2023 den Jahresbericht des Inlandsgeheimdienstes null Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser lobt Sicherheitsbehörden

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser zieht nach der beispiellosen Festnahme von sechs mutmaßlichen Spionen innerhalb von sechs Tagen eine positive Bilanz: "Unsere Sicherheitsbehörden, allen voran das Bundesamt für Verfassungsschutz, haben die Spionageabwehr massiv verstärkt. So schützen wir uns gegen die hybriden Bedrohungen des russischen Regimes, aber auch vor Spionage aus China. Die aktuellen Ermittlungserfolge zeigen das."

Dieser Artikel wurde am 24. April  2024 aktualisiert. 

Beethovenfest 2024: ein Plädoyer für Demokratie

Sich mit den aktuellen Themen der jeweiligen Zeit auseinanderzusetzen - das passt zu einem Festival, das Beethovens Namen trägt. War der große Sohn Bonns doch selbst ein leidenschaftlich politischer Mensch. Nach Themen wie Diversität, Vielfalt und Umwelt in den vergegangenen Jahren widmet sich das Team des Intendanten Steven Walter nun der "Demokratie" - im Bonner Regierungsviertel, der Geburtsstätte bundesdeutscher Demokratie.

Miteinander und Teilhabe

Als Miteinander und Teilhabe dekliniert Steven Walter das diesjährige Motto. Und dieses Miteinander muss "jeden Tag neu erprobt werden". Unter anderem mit Mitteln eines Festivals, das mit 95 Konzerten, Talks und anderen Veranstaltungen in allen möglichen traditionellen und innovativen Formen zwischen dem 5. September und 3. Oktober 2024 in Bonn und Umgebung stattfindet.

Musiker mit Blumen auf der Bühne
Musik ist Kommunikation: wie hier beim Beethovenfest 2023null Nekame Klahsom

Es geht los mit einem großen Volksfest zur Eröffnung: Wenn es heißt "Bühne frei für Beethoven", dann treffen sich tausende Bonner und Festspielgäste von nah und fern unter hoffentlich klarem Himmel und bei freiem Eintritt, um gemeinsam der Musik zu lauschen. Orchester wie die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung der jungen Dirigentin Elim Chan sind dabei, aber auch die Techno-Marching-Band Meute, ein elfköpfiges Blechbläser-Combo mit viel Bühnenpräsenz und dem klaren Aufruf, das Tanzbein zu schwingen.

Jubilare des Jahres: Missa Solemnis und Neunte Sinfonie

Etwas gezügelter geht es weiter im Schatten und in der Umgebung des Beethoven-Denkmals am Marktplatz (übrigens dem ersten weltweit, das dem Maestro gewidmet wurde).

Einen zentralen Programmschwerpunkt bilden zahlreiche Konzerte mit Aufführungen von zwei Meisterwerken Beethovens: der Missa solemnis und der Neunten Sinfonie. Beide Kompositionen wurden 1824 uraufgeführt - was für ein triumphales Jahr für den damals 54-Jährigen, der zwei Jahre später - viel zu früh - starb.

Junger Mann mit Mikrofon
Intendant Steven Walter: Es ist die dritte Ausgabe des Beethovenfestes unter seiner Regie.null Bjorn Kietzmann/DW

Es ist den Festivalmachern wichtig, die Beethoven-Blockbuster nicht nur traditionell und klassisch mit großen Orchestern und namhaften Solisten zu besetzen. So erklingt die Neunte schon zu Beginn des Festivals im Rahmen des Campus-Projektes der DW und des Beethovenfestes, gespielt von jungen Menschen aus der ganzen Welt - dem Bundesjugendorchester und dem Weltjugendchor unter der Leitung des chinesischen Komponisten Tan Dun.

Auch die Missa solemnis, neben der Neunten Sinfonie Beethovens musikalische Botschaft an die Nachwelt, wird unterschiedlich interpretiert: einmal mit Originalinstrumenten in einer penibel recherchierten Fassung des Dirigenten René Jacobs mit seinem B'Rock Orchestra und der Zürcher Sing-Akademie, aber auch mit dem Berliner BIPoC-Vokalkollektiv "A Song For You", begleitet vom Beethoven-Orchester Bonn unter Dirk Kaftan.

25 Jahre DW beim Beethovenfest

Es gibt noch einen Grund zum Feiern: Die DW ist seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert Gesellschafterin und Medienpartnerin des Beethovenfestes. "Das macht uns glücklich und stolz", sagte Barbara Massing, DW-Verwaltungsdirektorin und Aufsichtsrätin des Festivals.

Fünf Personen stehen in einer Reihe, hinter ihnen das Plakat "Beethovenfest Bonn"
Starkes Team: Barbara Massing von der DW (Mitte), Bonns Oberbürgermeisterin Katja Dörner, Intendant Steven Walter (rechts im Bild) und Mitarbeiter des Festivalsnull Patrick Essex

Der deutsche Auslandssender und das Festival sind einen langen gemeinsamen Weg gegangen. Formate und Formen der Zusammenarbeit und der Berichterstattung veränderten sich, etwa von klassischen Konzertübertragungen im Radio zu Streamings auf dem YouTube-Kanal DW Classical. Zentral blieb aber, dass die DW Beethovens Botschaft in die Welt trägt.

Campus-Projekt: ein großes Fest

Herzstück der Kooperation ist (bereits seit 2001) das gemeinsame Campus-Projekt. Jedes Jahr aufs Neue geht es darum, junge Musikerinnen und Musiker aus Deutschland mit Musikern aus einem nahen oder fernen Gastland in Kontakt zu bringen, damit sie gemeinsam musizieren.

Nach einem hochpolitischen Campus-Projekt 2023 mit den Schwerpunktländern Iran und Afghanistan trägt es diesmal maßgeblich zur Feier des 200. Jubiläum von Beethovens Neunter Sinfonie bei. Am 7. September kommen in der Bonner Oper junge Musiker aus der ganzen Welt zusammen.

Das Bundesjugendorchester (ständiger Partner des Campus-Projektes seit 2015) hat zusammen mit dem Weltjugendchor ein Programm erarbeitet. 93 Sängerinnen und Sänger aus 45 Nationen sind aus fast 200 Bewerbern ausgewählt worden. Alle wichtige Senderegionen der DW sind dabei vertreten: ob der afrikanische Kontinent, Nord- und Südamerika, Asien oder Osteuropa, speziell auch aus die Ukraine.

Junge Musizierende halten ihre Instrumente in die Höhe
Immer politisch: 2017 stand die Ukraine im Mittelpunkt des Campus-Projektesnull Serhiy Horobets

Gemeinsam werden sie nicht nur die berühmte "Ode an die Freude" anstimmen, sondern auch ein neues Werk des renommierten chinesischen Kompositen Tan Dun interpretieren, dass in Anlehnung an das große Vorbild entstanden ist: "Nine. Ode to Compassion".

Tan Dun: ein Oscar-Preisträger beim Campus-Projekt

Die DW gehört (neben der Beethoven-Jubiläumsgesellschaft und weiteren internationalen Partnern) zu den Auftraggebern des Werkes. Tan Dun wird das Konzert auch dirigieren.

Er gehört zu den bedeutendsten lebenden Komponisten der Welt und wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter ein Oscar für die Filmmusik zu "Tiger und Dragon". 2020 begleitete ihn die DW in der preisgekrönten DW-Dokumentation "Beethovens Neunte: Eine Symphonie für die Welt". Für das Campus-Projekt erarbeitet er mit den jungen Menschen in einer längeren Probephase sein neues Werk.

Am 3. September wird das Programm dann in der Gedächtniskirche im Rahmen des diesjährigen Berlin-Konzertes vorgestellt - als eine Art Prolog zum Bonner Festival, aber auch als dessen Visitenkarte für die Hauptstadt. 

Filmemacher Michael Verhoeven ist tot

Der bekannte Filmregisseur und -produzent Michael Verhoeven starb bereits zu Wochenbeginn, wie sein Sohn Simon Verhoeven am Freitag mitteilte. "Eine Welt ist verlorengegangen. Es ist unvorstellbar schmerzhaft", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Verhoeven war über ein halbes Jahrhundert mit der Schauspiellegende Senta Berger verheiratet. Er setzte sich in seinen Filmen mit dem Nationalsozialismus oder dem Vietnamkrieg auseinander und wurde damit international erfolgreich.

Karriere als Arzt geplant

Verhoeven kam 1938 in Berlin zur Welt und wuchs in München auf. Sein Vater war der bekannte Regisseur Paul Verhoeven, die Mutter die Schauspielerin Doris Kiesow. Die Filmwelt war ihm quasi in die Wiege gelegt, schon als Kind trat er auf die Bühne, spielte unter anderem in der Verfilmung des Kinderbuchklassikers "Das fliegende Klassenzimmer" (1954) von Erich Kästner mit.

Ein junger Mann guckt in die Kamera
Michael Verhoeven in jungen Jahrennull Sentana Film/dpa/picture alliance

Dass er Medizin studierte und Arzt wurde, gefiel den künstlerisch ambitionierten Eltern gar nicht. Doch so ganz gab er die Welt des Films nicht auf: In den 1950er- und 1960er-Jahren trat er weiter regelmäßig als Schauspieler vor die Kamera, Ende der 1960er-Jahre begann er, auch als Filmregisseur zu arbeiten.

Preisgekrönte Werke und ein beleidigter Juror 

Sein früher Film "Paarungen" erhielt 1968 den Bundesfilmpreis. Später drehte er etwa "Gefundenes Fressen" mit den deutschen Starschauspielern Heinz Rühmann und Mario Adorf. Einen weiteren Bundesfilmpreis bekam 1971 Verhoevens viel diskutierter experimenteller Anti-Vietnamkriegs-Film "o.k.", der 1970 bei der Berlinale gezeigt wurde. Der US- amerikanische Jurypräsident George Stevens verließ beleidigt das Kino, weil er das Werk als antiamerikanisch empfand. 

Standbild aus dem Film "Die weiße Rose" (1982)
In "Die weiße Rose" verfilmte Verhoeven die Geschichte der Geschwister Scholl, die gegen das NS-Regime kämpften und schließlich zum Tode verurteilt wurdennull United Archives/picture alliance

Immer wieder setzte sich Verhoeven mit dem Faschismus auseinander. Sein Film "Die weiße Rose" erzählte 1982 die Geschichte des Widerstands der Studentengruppe um die Geschwister Scholl gegen das Nazi-Regime. Sieben Jahre später kam dann "Das schreckliche Mädchen" ins Kino. Die Geschichte einer Schülerin in Bayern, die an einem Aufsatzwettbewerb zum Thema "Meine Heimatstadt im Dritten Reich" teilnimmt und mit ihren Fragen unliebsame Erinnerungen weckt, wurde 1991 für den Auslands-Oscar nominiert und erhielt 1992 den British Academy Award. 

Filmplakat: Ein Mädchen küsst einen Mann an einem Baum an dem Bilder hängen
"Das schreckliche Mädchen" stellte Fragen zur NS-Vergangenheit ihres Umfelds, die keiner hören wollte null United Archives/picture alliance

Verhoeven drehte auch eine Reihe von Fernsehfilmen wie das Polit-Drama "Schlaraffenland" (1990) über DDR-Flüchtlinge oder "Mutters Courage" (1994), ein Drama aus der NS-Zeit. Er schuf  auch Unterhaltungsformate wie die Fernsehserie "Die schnelle Gerdi" (1989) mit seiner Ehefrau Senta als Münchner Taxifahrerin. 2016 war er Co-Produzent der erfolgreichen Komödie "Willkommen bei den Hartmanns", bei der sein Sohn Simon Regie führte. Auch sein jüngster Sohn Luca Verhoeven ist als Schauspieler und Produzent tätig. 

Senta Berger und Michael Verhoeven auf dem roten Teppich umarmend lachend
Verhoeven war über ein halbes Jahrhundert mit der Schauspielerin Senta Berger verheiratetnull Sven Simon/picture-alliance

Verhoeven lebte zuletzt mit seiner Ehefrau Senta Berger im Münchner Vorort Grünwald.

kt/suc (mit AFP/dpa)
 

"Das andere Berlin": Reiseführer und Videoguide

Zu Berlin ist alles geschrieben und gesagt? Das geht schon deshalb nicht, weil die Stadt sich ständig verändert. Sie auch noch im Buch festzuhalten wäre aussichtslos, weil alles nur Momentaufnahme bliebe?

Dem Autor Oliver Kiesow und dem Berliner Videocontent-Creator Kai Steinecke ist mit dem Buch ein Balanceakt zwischen klassischem Sightseeing und dem Einblick in eine schnelllebige Szene gelungen. Denn natürlich führt das Buch zu den wichtigen Sehenswürdigkeiten der Stadt, vors Brandenburger Tor, zum Reichstag und auf die Museuminsel. So schnell wird sich deren Status als Must-See auch nicht ändern. Die Stationen gehören zum Tagesprogramm.

Das andere Berlin: Die Museumsinsel

"Berliner Nächte sind lang"

Und dann wird es Nacht. Mit dem ersten Kapitel ist der Ton gesetzt: "Berliner Nächte sind lang" heißt es in Anlehnung an den Song "Kreuzberger Nächte sind lang" aus den 1970er-Jahren: "Hier steppt der Bär." Womit der Reiseführer über das andere Berlin schnurstracks in der Clubszene angekommen ist. Mit Clubs wie Berghain, Tresor und Bunker erlangte Berlin Weltruhm. Leser erfahren, dass rund 1,4 Milliarden Euro Umsatz in Hotelgewerbe und Gastronomie auf den Clubtourismus zurückzuführen waren, zumindest bis kurz vor der Pandemie. Sie lesen aber auch, wo Tanzen abseits der Touristenpfade möglich ist, wo Livemusik gespielt wird, welche Kneipentouren sich anbieten, wo die besten Biergärten liegen. "Partylocation ist die ganze Stadt", sagt DW-Host Kai Steinecke dazu. Die Szene verändert sich schnell, aber wer die "Kieze", wie die Berliner ihre Stadtteile nennen, so detailreich mit ihren Schleichwegen und Geheimtipps vorgestellt bekommt, ist gerüstet für eigene Entdeckungen.

Das andere Berlin: Der Kulturdachgarten „Klunkerkranich”

Ein Mann mit grüner Jacke und weißen Shirt lächelt in die Kamera
Kai Steinecke gibt Insider-Tipps für Berlin null Moritz Ortjohann

Für Steinecke ist Berlin die "Stadt im permanenten Umbau". Sie war durch die Jahrhunderte Experimentierfeld für architektonische Visionen. Das Buch beschreibt und bebildert die historischen Brüche, die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, den Nachkriegsaufbau in der geteilten Stadt und die fast 35 Jahre seit dem Mauerfall

Das andere Berlin: Vom Mauerbau bis zum Mauerfall

Best of Currywurstbuden

Und dann ist es immer wieder das Schräge, Skurrile und Sinnliche, von dem sich dieser Berlinführer leiten lässt. Mehrere Kapitel widmen sich dem kulinarischen Angebot der Stadt: den besten Adressen für die Currywurst, für den in Berlin erfundenen Döner, das Fleisch vom Spieß, das mit Salat in ein aufgeschnittenes im Brot gepackt wird, das urberlinerische deftige Eisbein. Selbst die Blutwurstmanufaktur in Neukölln wird gewürdigt, mit Adresse und U-Bahn-Haltestelle.

Das andere Berlin: Die Currywurst

Da müssen Vegetarier und Veganer einen Moment lang stark bleiben, bis sie ihre Tipps fürs fleischlose Glück bekommen. Nach London gilt Berlin als zweitgrößte vegane Metropole der Welt. Vom Streetfood bis zum Fine Dining der Sterneküche bietet der Reiseführer Dutzende Adressen und Kurzporträts. Der alte Vorwurf, Berlin sei eine kulinarische Steppe, preußisch, protestantisch und karg, wurde in den vergangenen Jahrzehnten häufig widerlegt, und dazu haben die Einwanderer aus fast allen Nationen der Welt beigetragen. Auch ihrem Platz in der Berliner Kulinarik ist ein Kapitel gewidmet.

Berlins queere Geschichte

"Das andere Berlin" zeigt aber auch, was an Berlin anders ist als an anderen Städten. Kaum sonst wo gibt es eine so vielfältige und so traditionsreiche schwul-lesbische und queere Szene wie in der deutschen Hauptstadt. Sie ist verbunden mit dem politischen Kampf um Gleichstellung und Freiheitsrechte, der vor mehr als 150 Jahren begann. Im damaligen Deutschen Reich wurde der Strafrechtsparagraf 175 eingeführt, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Das Kapitel „Der lange Weg zur Freiheit" führt zu den Stätten Berlins, die an die Verfolgung, etwa in der NS-Diktatur, erinnern. 

Heute ist Berlin nicht nur Party-, sondern auch LGBTQ+-Metropole. Mit dutzenden Tipps zum Ausgehen in der Szene endet der knapp 200 Seiten starke Reiseführer.

Das andere Berlin: Queer Life um den Nollendorfplatz

Das Gute ist: Selbst wer nur wenig Deutsch beherrscht, wird sich in diesem Reiseführer schnell zurechtfinden. Die Fotos, die Adressen, alle mit den S- und U-Bahnhaltestellen versehen, springen ins Auge. Und wer sich die Highlights im Video ansehen möchte, scannt mit seinem Smartphone den QR-Code und schaut sich einen der kurzen Infofilme an.

Oliver Kiesow: Das andere Berlin. Mit Insidertipps zu Kunst und Kultur, Architektur, Hotspots, Food, Nightlife, Queer Life. Fotografiert von André Götzmann. 192 Seiten, 115 Fotos 

Arabisches Filmfestival in Berlin fokussiert sich auf palästinensische Stimmen

"Um in Deutschland über Palästina zu sprechen, sollte man nicht mutig sein müssen", erklärten die Organisatoren des ALFILM (Arabisches Filmfestival Berlin) bereits bei der Veranstaltung 2023. Ein Jahr später, vor dem Hintergrund des Krieges in Gaza, ist es eine umso größere Herausforderung, ein Festival durchzuführen, das seinen Fokus auf palästinensische Stimmen legt. "Es fühlt sich eher wie eine unlösbare Aufgabe als ein Akt der Courage an," sagt Festivalchefin Pascale Fakhry. "Ehrlich gesagt fühlt es sich eigentlich wie Selbstmord an."

Das Team aber nimmt das Risiko auf sich. Das ALFILM-Festival fand zum ersten Mal 2009 statt und hat sich inzwischen, so Fakhry, als die "größte Plattform für arabische Kultur in Deutschland" etabliert. Es findet vom 24. bis zum 30. April 2024 in Berlin statt.

Eine Frau, Pascale Fakhry, steht vor einem bunten Wandbehang mit der Aufschrift "ArabFilmFestival" und lächelt
Pascale Fakhry leitet das ALFILM-Festivalnull Elizabeth Grenier/DW

"Alle sind extrem nervös", so Fakhry im DW-Gespräch. Zu dieser angespannten Atmosphäre haben im Vorfeld des Festivals eine Reihe von Vorfällen beigetragen.

So berichtet Fakhry, dass sich die Polizei bei einem der Veranstaltungsorte über das Event erkundigte, bevor das Programm im Kino ausgehängt wurde. Nachdem sie gehört hatten, dass dort ein arabisches Filmfestival stattfinden sollte, unterstellten die Behörden, dass an einer Veranstaltung, von der sie nichts wussten, etwas Verdächtiges sein müsse, so Fakhry.

Als der Kinobetreiber die Polizei darüber aufklärte, dass fünf andere Berliner Veranstaltungsorte ebenfalls Teil des Filmfestivals sind, dass es seit 15 Jahren stattfindet und dass das gesamte Programm im Internet zu finden ist, sei die Polizei "extrem verlegen" gewesen, so die Festivalchefin.

Ein Mann und eine Frau liegen in einer Badewanne.
Gezeigt werden 50 verschiedene Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme, darunter "Dirty Difficult Dangerous" (Bild), eine Liebesgeschichte zwischen einem äthiopischen Hausmädchen und einem syrischen Flüchtling in Beirutnull METROPOLISCINEMA

Arabische Filmemacher haben Angst, nach Deutschland zu kommen

Viele internationale Nachrichtenmedien, darunter auch die "New York Times", haben darüber berichtet, dass der deutsche Kultursektor von Absagen und Verschiebungen von Veranstaltungen betroffen ist, bei denen Teilnehmer Palästinenser unterstützen oder sich antisemitisch im Bezug auf den Krieg zwischen Israel und der militant-islamistische Terrororganisation Hamas geäußert haben.

Antisemitismusvorfälle haben in Deutschland zugenommen, was die Alarmbereitschaft erhöht. In diesem Zusammenhang sind die deutschen Politiker gefordert, zu reagieren und eine strikte Linie gegen Antisemitismus zu ziehen, insbesondere in Anbetracht der historischen Verantwortung Deutschlands infolge der Verbrechen des Holocaust.

Bei den Berliner Internationalen Filmfestspielen im Februar 2024 sorgten einige Dankesreden für Aufruhr unter deutschen Politikern. Einer der Preisträger, der israelische Regisseur und Aktivist Yuval Abraham, sagte, dass er aufgrund der Medienberichterstattung, in der seine Rede als "antisemitisch" bezeichnet worden war, in seinem Heimatland Morddrohungen erhielt.

In einem Bekleidungsgeschäft stehen ein Mann und ein Kind und sprechen mit dem Verkäufer hinter der Ladentheke.
Ein Highlight des Festivals ist der preisgekrönte Film "The Burdened" von Amr Gamal - der erste jemenitische Film, der bei der Berlinale gezeigt wurdenull ALFILM

Fakhry weist darauf hin, dass in einem solchen Kontext viele der Gäste des ALFILM-Festivals "Angst haben, nach Deutschland zu kommen ... Ich meine, keiner von ihnen will in einen Konflikt geraten und des Antisemitismus beschuldigt werden."

Umstrittene Begriffe in Deutschland

Die Organisatoren des ALFILM-Festivals haben die internationalen Filmemacherinnen und Filmemacher im Vorfeld des Festivals gebrieft, um von vornherein einige Reizwörter zu vermeiden. "Aber wir haben ihnen auch gesagt, dass dies immer noch ein freier Raum ist und dass wir sie nicht zensieren werden", so Fakhry.

Umstrittene Begriffe wie "Völkermord", "Apartheid" und "Siedlerkolonialismus" im Zusammenhang mit israelischer Politik haben in Deutschland einen Aufschrei ausgelöst. Der Ausdruck "From the river to the sea" hat das deutsche Innenministerium unter Strafe gestellt. "Vom Fluss bis ans Meer wird Palästina frei sein" ist eine politische Parole der Palästinenser, die unter dem Verdacht steht, Israel das Existenzrecht abzusprechen.

Das zentrale Thema jedes ALFILM-Festivals ist eine Reaktion auf aktuelle Konflikte, und so lautet das diesjährige Motto: "Here is Elsewhere: Palästina im arabischen Kino und darüber hinaus". Laut Fakhry haben die Programmgestalter dieses Motto gegenüber ihren Geldgebern, die dem Team ihr Vertrauen schenken, transparent gemacht. So konnten sie sich in gewisser Weise "sicher fühlen".

Im offenen Kofferraum eines Krankenwagens steht ein Monitor, auf dem ein Mann zu sehen ist. Davor stehen drei Frauen und schauen hin.
In "Das Leben ist schön" erzählt der palästinensische Filmemacher Mohamed Jabaly von seinem Exil in Norwegen. Er saß dort jahrelang ohne Arbeitsvisum festnull ALFILM

Die Zukunft der Veranstaltung bleibt jedoch ungewiss, da die Berliner Landesregierung, die auch ALFILM finanziert, im Januar versucht hat, eine sogenannte Antidiskriminierungsklausel einzuführen. Danach darf niemand, der "antisemitische Äußerungen" getätigt hat, finanzielle Unterstützung von der Stadt erhalten.

Definition von Antisemitismus

Diese Klausel folgt der Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Die wird allerdings oft dafür kritisiert, dass sie als "antisemitisch" bezeichnet, was andere als legitime Kritik an Israel ansehen. Nach der IHRA-Definition ist "das Vergleichen zwischen der gegenwärtigen israelischen Politik und der Politik der Nazis" ebenso antisemitisch wie "das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z. B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen".

Auch wenn die umstrittene Klausel verworfen wurde, ist die Debatte in der deutschen Hauptstadt und im ganzen Land noch sehr präsent. "Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass das, was wir tun, für viele politische und kulturelle Akteure in Deutschland nicht akzeptabel ist", sagt Fakhry, aber für das ALFILM-Team sei es "existenziell", eine unzensierte Plattform für den Dialog zu bieten. 

"Jede palästinensische Geschichte ist politisch"

Das Festival wurde am Mittwoch (24. April 2024) mit dem Dokumentarfilm "Bye Bye Tiberias" von der französisch-palästinensisch-algerischen Filmemacherin Lina Soualem eröffnet. Dass sie den Film in Berlin präsentiert habe, habe sie nicht nervöser gemacht, als wenn er anderswo gezeigt worden wäre, sagte sie der DW. "Es ist immer schwer, über solche Dinge zu sprechen." Ihr Dokumentarfilm basiert auf der persönlichen Geschichte ihrer Familie. Diese "Lebenserfahrungen sind real und verdienen es, gezeigt zu werden", so Soualem.

Im Mittelpunkt von "Bye Bye Tiberias" stehen vier Generationen starker palästinensischer Frauen. In dem Film, der private Videos, Archivaufnahmen, Fotos und Familientreffen kombiniert, erfahren wir, dass Soualems Urgroßmutter ihre acht Kinder allein aufzog. Ihre Familie war 1948 während des Krieges, den die arabischen Staaten nach Gründung des Staates Israel begonnen hatten, aus ihrem Haus in Tiberias vertrieben worden. Die Flucht und Vertreibung hunderttausender Palästinenserinnen und Palästinenser aus dem ehemaligen britische Mandatsgebiet Palästina wird auf arabischer Seite als "Nakba", "Katastrophe", bezeichnet.

Eine weitere zentrale Figur in Soualems Dokumentarfilm ist ihre Mutter, die gefeierte palästinensische Schauspielerin Hiam Abbass. Sie verließ ihr Dorf Deir Hanna, um ihre Schauspielkarriere in Europa fortzusetzen - eine weitere Form des Exils, die sich auf die Identität ihrer Tochter auswirkte. Soualem wuchs in Frankreich auf und sehnte sich danach, ihre Herkunft besser zu verstehen.

Für Soualem führt die Erforschung intimer Beziehungen innerhalb einer palästinensischen Familie automatisch zur kollektiven Geschichte ihres Volkes: "Jede palästinensische Geschichte ist per se politisch", betont sie, da sie "nicht nur überlebten, sondern auch weiterlebten, nachdem sie massive Enteignungen und den Entzug ihrer Identität als Palästinenser erlebt hatten - was bei jedem Palästinenser der Fall ist, insbesondere seit 1948".

Eine Frau mit langen dunklen Haaren schaut in die Kamera
Lina Soualem möchte mehr über ihre Herkunft erfahrennull Vianney Le Caer/Invision/AP/picture alliance

Die Geschichten der Ausgeschlossenen erzählen

Ihr Film wurde bereits vor den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober, die zu den israelischen Vergeltungsschlägen im Gazastreifen führten, fertig gestellt. Er feierte im vergangenen September bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Außerdem wurde er als palästinensischer Beitrag für die Oscar-Verleihung 2024 ausgewählt.

Doch schon vor und während der Dreharbeiten "gab es die Entmenschlichung der Palästinenser, die Beraubung ihrer Identität, die Unterdrückung. All das war bereits Realität", sagt die Regisseurin.

"Wir sprechen immer von den Palästinensern als Masse, als wären sie ein abstraktes Volk. Wir sprechen über Gaza als Abstraktion. Aber in Wirklichkeit geht es um Leben, es geht um Menschen." Und sie fügt hinzu: "Ich war motiviert, diesen Film zu machen, um den Palästinenserinnen und Palästinensern durch meine persönliche Geschichte Komplexität zurückzugeben, weil sie so entmenschlicht, so stigmatisiert wurden."

Soualems Dokumentarfilm spiegelt auch das diesjährige Motto des Arabischen Filmfestivals wider: "In einem Kontext, in dem Geschichten unsichtbar gemacht und marginalisiert werden, sind Bilder und das Erzählen von Geschichten von entscheidender Bedeutung. Denn wenn wir unsere Geschichten nicht erzählen, wird die Geschichte ohne uns geschrieben", betont sie. "Die Fähigkeit, unser Wissen zu teilen, ist auch eine Art zu überleben. Vor allem in einem Kontext, in dem Leben verschwinden, wird das Kino immer da sein, um an diese Menschen zu erinnern, deren Leben ausgelöscht werden."

Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch.

Decoding China: Innovationsbedarf umschifft die Politik

Als die weltgrößte Industrieschau ist die Hannover Messe der Trendsetter. Hier erfährt die ganze Welt, wie die industrielle Zukunft aussieht und was die wegweisenden Themen sind. Dass China dabei ein unentbehrlicher Akteur ist, lässt sich direkt an der Zahl der Aussteller ablesen. Fast jeder Dritte der circa 4.000 Teilnehmenden kommt dieses Jahr aus Fernost. Dass die Bundesregierung in ihrer Chinastrategie vom Sommer 2023 das Reich der Mitte als "Partner, Wettbewerber", aber auch "systemischen Rivalen" definiert, schreckt die Aussteller nicht ab.

"Mir ist die Position Deutschlands nicht bekannt", sagt der chinesische Unternehmer Jiang, der auf seinem Standardmessestand von neun Quadratmetern in der Halle 4 Kugellager unterschiedlicher Größen ausstellt. "Das macht aber nichts. Wir wollen Geschäfte machen. Und meine Produkte sind gut, preiswert und für die Industrie unverzichtbar."

Eine kleine Zahl von Ständen bleibt in der Halle 4 leer. Die an der Außenwand angeklebten Firmennamen deuten darauf hin, dass auch diese für Unternehmen aus China vorgesehen waren. Vermutlich haben die Geschäftsleute kein Visum für Deutschland erhalten, murmelten die Nachbarn. Ansonsten spürt man auf dem Gemeinschaftsstand für den chinesischen Mittelstand deutliche Aufbruchsstimmung. Der Messeauftritt in Hannover gibt den Unternehmen die Möglichkeit für mehr Exportgeschäfte, um die nachlassende Nachfrage im chinesischen Inland auszugleichen. "Wir hoffen auf große Bestellungen aus dem Ausland", sagt Jiang. Er räumt aber ein, dass es "überall schwierig" sei.

Zukunft mit KI-getriebener Industrie "Made in China"

Das Logo des Chinastands Make Things Better (Mach die Dinge besser) liest sich dabei wie ein selbstbewusster Slogan. In einigen Bereichen haben sich chinesische Unternehmen schon heute weltweit an die Spitze gesetzt. Themen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) wären ohne chinesisches Engagement nicht denkbar. Die Zukunft liegt in der so genannten "Industrie 4.0" - der vernetzten Produktion mit automatisierter Zuteilung der Ressourcen durch KI.

Die Zukunftsfabriken, auch Smart Factories genannt, brauchen dafür schnelle Funknetze und Cloud-Services. Über diese "Daten-Wolken" werden sämtliche Industriedaten in Echtzeit von der Produktion an den Server übermittelt. Nach vorgegebenen Rechenmodellen, den Algorithmen, ermittelt die künstliche Intelligenz über Cloud-Computing die bestmöglichen Lösungen und erteilt den Maschinen die Anweisungen für die nächsten Schritte.

China | Smart Factory in Huzhou
"Smart Factory" in Huzhou, Chinanull Costfoto/NurPhoto/picture alliance

Beim Messerundgang am Montag (22.04.24.) betonte Bundeskanzler Olaf Scholz noch die Stärke Deutschlands, "um die Zukunft für unsere Volkswirtschaft und für gute, sichere Arbeitsplätze auch in 10, 20, 30 Jahren und für die weitere Zukunft zu gewährleisten." Das gehe nur mit technologischen Innovationen, für die Unternehmen aus Deutschland und viele andere, die in Hannover dabei sind, besonders geeignet seien, so Scholz weiter.

Symbiose durch Globalisierung

Wichtige Innovationen kommen dabei aus China. "Wir sind von den Fortschritten durch die Globalisierung überzeugt", sagt Zhiqiang Tao, Vize-Präsident von Huawei Cloud. Der chinesische Telekommunikationsausrüster baut in Europa den Cloud-Service kräftig aus und betreibt Server für europäische Kunden in Irland und der Türkei. "In Deutschland bieten wir unseren Industriekunden zum Beispiel über die Deutsche Telekom zuverlässigen Cloud-Service an. Nur durch Zusammenarbeit werden wir künftig vom Erfolg gekrönt bleiben."

China - der mächtige Konkurrent

Allein in China nutzten laut Tao schon mehr als 8.000 Industrieunternehmen mit globalem Footprint den Cloud-Service von Huawei. Diese dann mit den internationalen Partnern zu vernetzen, würde dann die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette beschleunigen. "Wir schaffen für alle einen Mehrwert. Und es entsteht eine Symbiose."

Aber genau mit dieser Symbiose hat Deutschland ein Problem. Zwar fordert die deutsche Chinastrategie keine komplette Entkopplung, aber eine Diversifizierung und ein "De-Risking".

"Wir halten es für nachvollziehbar, wenn Deutschland bei wichtigen Vorprodukten und Rohstoffen versucht, zu große Abhängigkeiten zu reduzieren", sagt Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Hannover. "Das ist ein normales kaufmännisches Gebot. Das füllt den Begriff des De-Riskings etwas mit Inhalten. In China sind weiterhin die Themen wie der Schutz geistigen Eigentums und der erzwungene Technologietransfer noch nicht ganz von der Tagesordnung verschwunden."

Investitionsrekord trotz De-Risking-Strategie

Die Statistiken sprechen aber eine andere Sprache. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank investierte die deutsche Wirtschaft 2023 trotz De-Risking mit knapp zwölf Milliarden Euro in China - inklusive der Sonderverwaltungszone Hongkong - so viel wie nie zuvor. Laut der Geschäftsklimaumfrage der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) wollen 54 Prozent der deutschen Firmen ihre Investitionen in China erhöhen, um dort wettbewerbsfähig zu bleiben.

Abkoppeln von China? - Lieber nicht ganz

"Das zeigt, dass trotz der bestehenden Herausforderung eben doch ein Vertrauen in die Stabilität und in das Potenzial des chinesischen Marktes besteht," sagt Thomas Scheler, Geschäftsführer der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung (DCW) in Düsseldorf. Die Komplementarität der beiden Volkswirtschaften sei "ein wesentlicher Treiber" in dem gegensätzlichen Phänomen von politischer Lenkung und wirtschaftlichem Handeln.

Die Chance liege nun darin, dass die Globalisierung weg vom Warenhandel in Richtung Dienstleistungshandel, Dienstleistungsexporte und vor allem auch in Richtung Direktinvestitionen voranschreite, sagt Wirtschaftsjournalist Dieter Beste. "Direktinvestitionen bedeuten, dass man marktnah produziert, und zwar im Markt für den jeweiligen Markt. Das sind Tendenzen, die sich weltweit abzeichnen, insbesondere auch im Verhältnis zwischen Deutschland und China."

Berichte über Wirtschaftsspionage

Die Debatten, ob eine Innovationspartnerschaft mit chinesischen Firmen sinnvoll ist, werden während der Messewoche von Berichten über chinesische Wirtschaftsspionage überschattet.

Eine deutsche Firma soll im Auftrag des chinesischen Sicherheitsministeriums bei deutschen Universitätseinrichtungen Technologien abgefasst haben, die in China militärisch genutzt werden könnten. Zwei Deutsche sitzen seit Dienstag in Untersuchungshaft. Seit der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste 1989 auf dem Tiananmen-Platz darf aufgrund des EU-Waffenembargos grundsätzlich keine Ausfuhrgenehmigung für Waffen an China ausgestellt werden.

"Ganz offen gesagt: Die Beziehungen waren schon mal besser", sagt Volker Treier von der Industrie- und Handelskammer. "Die volatile Weltlage hat sich auch auf die wirtschaftspolitische Beziehung zu China ausgewirkt. Trotz starken Gegenwinds: Wir müssen Kooperationsfelder ausbauen und systematisch weiterentwickeln", fordert Treier.

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.

 

Gefälschte Euro-Münzen aus Spanien vermutlich in ganz Europa

Das Geld, mit dem wir bezahlen, ist nur bedrucktes Papier oder geprägtes Metall. Ist es elektronisch, wie zunehmend üblich, ist es nicht mehr als eine elektronische Datei. Der eigentliche Wert des Geldes besteht in dem Vertrauen, das ihm entgegen gebracht wird: Jeder Mensch soll sich darauf verlassen können, dass das Papier oder das Metall genau den Gegenwert hat, der ihm aufgedruckt oder eingeprägt ist.

Durch das Fälschen von Zahlungsmitteln entsteht ein gesamtwirtschaftlicher Schaden, der alle Menschen betrifft. Jene, die durch einen Zufall mit Falschgeld bezahlt werden oder es als Wechselgeld erhalten, kostet es auch: Denn Falschgeld wird eingezogen und man hat kein Recht auf einen finanziellen Ausgleich. Beim Geldfälschen versteht ein Staat keinen Spaß: Falschmünzerei ist kein Kavaliersdelikt.

Altstadt von Toledo mit königlichen Palast über der Flussschleife des Tejo
In Toledo, der alten Hauptstadt Spaniens, wurden über Jahre hinweg Euro-Münzen gefälschtnull Rudolf Ernst/Zoonar/picture alliance

Bedeutender Ermittlungserfolg in Spanien

Am Mittwoch meldet die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die Policía Nacional in Spanien habe eine Geldfälscherbande zerschlagen, die in ganz Europa falsche Zwei-Euro-Münzen in Umlauf gebracht haben soll. Mit Hilfe der über Staatsgrenzen hinweg agierenden Polizeiorganisation EuropoI sei es gelungen, in der Provinzhauptstadt Toledo eine Fälscherwerkstatt auszuheben - "die wichtigste der vergangenen zehn Jahre in Europa", so die Polizei.

Die Bande habe fast 500.000 gefälschte Münzen "von hoher Qualität" auf den europäischen Markt gebracht. Zehn Menschen, die ausnahmslos chinesische Staatsbürger sein sollen, seien festgenommen worden. Die Policía Nacional teilte mit, sie ermittle bereits seit sechs Jahren in diesem Fall. Die Ermittlungen, zitierte die dpa die Beamten "waren äußerst schwierig und langwierig, nicht zuletzt wegen der Geheimhaltung innerhalb der Organisation sowie wegen der praktisch nicht vorhandenen Rückverfolgbarkeit, die für Falschmünzen charakteristisch ist".

Auch wenn der volkswirtschaftliche Schaden in diesem konkreten Fall nicht sehr groß gewesen sein dürfte (eine halbe Million falscher Zwei-Euro-Münzen hat lediglich einen "Gegenwert" von einer Million Euro), ist der Erfolg der Polizei nicht gering zu schätzen. Wer unbehelligt über einen langen Zeitraum hinweg gefälschte Münzen erfolgreich in Umlauf bringt, kann seine Energie und Expertise auch erweitern. Vor allem ist hier der psychologische Aspekt, den Bürgern versichern zu können, ihr Geld sei sicher und behalte seinen Wert, wichtig.

2-Euro-Gedenkmünze „1275. Geburtstag Karl der Große“
Die ist echt: Eine 2-Euro-Gedenkmünze zum 1275. Geburtstag von Karl der Große

Auch Münzen sind in Europa relativ sicher

Gefälschte Geldscheine kann man relativ einfach erkennen. Die Sicherheitsvorkehrungen, die die Notenbanken getroffen haben, sind ausgeklügelt und gut kommuniziert. Beinahe jeder weiß um ihre "Sicherheitsfeatures" - um den Sicherheitsfaden, die eingearbeiteten Hologramme, die nur schwer zu kopierenden Hintergründe, die Qualität des Papiers. Bei Münzen sieht das zwar anders aus, denn bei ihnen gibt es keine Hologramme oder Sicherheitsfäden. Aber es gibt auch beim "Kleingeld" Dinge, die ein Fälscher oft nicht hinbekommt und auf die es sich zu achten lohnt.

Wie erkenne ich falsche Münzen?

In Deutschland ist die Bundesbank für die deutschen Euro-Münzen verantwortlich. Sie gibt auf ihrer Internetseite "Leitfaden Münzen" Hinweise zur Sicherheit der Geldstücke. "Um Fälschungen von echten Münzen unterscheiden zu können, braucht man kein Münzfachmann zu sein", erfährt man dort. Die Bundesbanker geben konkrete Hinweise, wie man Geldstücke beurteilen kann. Für Profis ist das kein Problem, denn "für Münzprüfgeräte" gebe es einen europaweit einheitlichen Test. "Die erfolgreich getesteten Geräte sind auf der Internetseite der Europäischen Kommission zu finden."

Andrej Plenkovic, Ministerpräsident von Kroatien, und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, begutachten kroatische Euro-Münzen.
Und die ist echt? Aber ja doch! EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Kroatiens Premier Andrej Plenkovic. Kroatien ist jüngstes Mitglied der Euro-Zone. null Darko Bandic/AP/dpa/picture alliance

Dem Laien hilft das natürlich nicht, ihnen empfehlen die Währungshüter, "auf den ersten Eindruck" zu achten. So hebe sich normalerweise "das Münzbild deutlich von der übrigen Münzoberfläche ab." Alle Konturen seien "klar erkennbar". Vorsicht, wenn das nicht zutrifft: Bei Fälschungen "wirkt das Münzbild oft unscharf und weich ausgeprägt. Die Oberfläche ist narbig und weist Flecken, Sprenkeln, Linien oder Einkerbungen auf."

Auf einen anderen Umstand sollte man auf jeden Fall achten: Zur Sicherheit und auch um blinden Personen das Erkennen von Münzen zu erleichtern, ist der Münzrand charakteristisch eingekerbt. "Im Gegensatz zu Falschmünzen, bei denen die Randschrift oft nur undeutlich eingeprägt ist und von der Riffelung im Münzrand überdeckt wird, ist bei echten Zwei-Euro-Münzen die Randschrift deutlich zu erkennen. Auch die Abstände zwischen den einzelnen Symbolen und Wörtern weichen bei Falschmünzen häufig von denen echter Münzen ab."

Der Trick mit dem Magneten

In der Bundesbank-Zentrale scheint man davon auszugehen, dass jeder Mensch einen Magneten mit sich herumträgt: "Aufgrund eines speziellen Sicherheitsmaterials ist der Mittelteil der Ein- und Zwei-Euro-Münzen leicht magnetisch, das heißt: Die Münzen werden von einem Magneten leicht angezogen und fallen bei leichtem Schütteln wieder vom Magneten ab."

Aber: "Der äußere Münzring der echten Ein- und Zwei-Euro-Münzen sowie der echten 10-, 20- und 50-Cent-Münzen ist nicht magnetisch", wissen die Fachleute und fügen hinzu: "Echte Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen aus kupferbeschichtetem Stahl sind stark magnetisch."  Doch neben einem Magneten sollte man auch einen Zettel einstecken, auf dem man sich alle physikalischen Parameter notiert. Dann wird man auch nicht übertölpelt, denn "die gefälschten Ein- und Zwei-Euro-Münzen sind entweder nicht magnetisch oder werden von einem Magneten stark angezogen. Häufig ist auch das Material des Münzrings magnetisch."

Automesse Peking: Letzte Chance für deutsche Hersteller?

In keinem anderen Land werden so viele Elektroautos verkauft wie in China. Und in keinem anderen Land tobt derzeit ein vergleichbar erbitterter Preiskampf, um dabei die Nase vorn zu haben oder vorn zu halten. "Im April haben wir eine weitere Runde von Preissenkungen gesehen, der heftige Preiswettbewerb wird in den nächsten Jahren anhalten", sagte VW-Vorstandsmitglied Ralf Brandstätter vor der am Donnerstag beginnenden Automesse in Peking.

Dabei will sich Volkswagen laut Brandstätter in den kommenden beiden Jahren auf den anhaltenden Preiswettbewerb vorbereiten – und das Geschäft mit seinen E-Autos mit den nach wie vor gut laufenden Verkäufen von Verbrenner-Autos finanzieren. Das bedeute für Volkswagen allerdings auch zwei schwere Jahre. Dem stimmt der unabhängige Auto-Analyst Jürgen Pieper zu. "Der Volkswagen-Konzern steht in China gewaltig unter Druck und wird sich diesem sehr harten Preiswettbewerb stellen müssen. In rund zwei Jahren sollte man die Kurve kriegen. Aber das ist im Moment mehr Hoffnung als fester Glaube."

VW-Chef Oliver Blume auf der Automesse 2024 in Peking
VW-Chef Oliver Blume: Entscheidet sich in China das Schicksal des Konzerns? null Johannes Neudecker/dpa/picture alliance

BYD verkauft in China mehr Autos als VW

China ist der wichtigste Absatzmarkt der deutschen Autohersteller Volkswagen, Mercedes und BMW. Ein Absatzmarkt, den sie in der Vergangenheit mit ihren Verbrennern dominiert haben. Chinesische Hersteller konnten nie mit der historisch langen Tradition und der ausgereiften filigranen Technik von Autos "Made in Germany" mithalten. Nur sieht die Sache bei E-Autos nun anders aus. So hat etwa BYD Volkswagen als den Konzern, der im Reich der Mitte die meisten Autos verkauft, abgelöst.

BYD steht für "Build Your Dreams". Erwachsen sind die Träume auf der grünen Wiese der E-Mobilität. Ausgemalt und vergrößert wurden die Träume auch mithilfe staatlicher Subventionen. Doch mit mindestens ebenso viel Erfindergeist haben sich die Träume mittlerweile tatsächlich auf Chinas Straßen materialisiert. Softwareentwicklung und Technik treffen offenbar den Geschmack: BYD hat mittlerweile einen Marktanteil von 25 Prozent bei Elektroautos. Zum Vergleich: Der E-Auto-Pionier Tesla bringt es auf knapp 12 Prozent, Volkswagen bringt es nicht einmal mehr auf fünf Prozent. Und BYD hat technologisch mit seinen Batterien einen deutlichen Vorsprung.

Besucher betrachten einen Denza D9 am Stand des chinesischen Herstellers BYD auf der Automesse IAA 2023 in München
Wollen Europa und Deutschland erobern: Fahrzeuge von BYD, hier auf der Automesse in München im September 2023null Matthias Balk/dpa/picture alliance

Dabei ist diese Entwicklung in ihrer Brisanz kaum zu unterschätzen. Denn bereits in diesem Jahr erwartet man in China, dass der Anteil von E-Autos an allen verkauften Fahrzeugen bei rund 40 Prozent liegen wird. Im kommenden Jahr soll jedes zweite Auto, das in China verkauft wird, bereits ein Stromer sein.

Schwache Nachfrage nach E-Autos weltweit

Nicht nur für deutsche Autohersteller kommt erschwerend hinzu, dass in jüngster Zeit auch der vorher boomende Automarkt in China an Fahrt verloren hat. Dabei treffen die Auswirkungen dieser Entwicklungen die deutschen Hersteller unterschiedlich. Während Volkswagen derzeit am meisten zu kämpfen hat, sind Hersteller wie BMW oder Mercedes weniger betroffen. Sie sind eher im Markt für hochpreisige Modelle unterwegs - und da können sie, soweit abzusehen, mit anderen Herstellern mithalten.

Besucher drängen sich in den Hallen der Automesse Peking.
Gut besucht: Besucher drängen sich in den Hallen der Automesse Peking. null Johannes Neudecker/dpa/picture alliance

Beim E-Auto-Pionier Tesla warten dagegen mittlerweile viele produzierte Autos auf den Höfen auf Kaufinteressenten. Die vergleichsweise schwache Nachfrage in China und die Konkurrenz chinesischer Autobauer, die auch preiswertere Modelle in ihrem Angebot haben, führt zu Rabattschlachten bei den Herstellern, was die Margen stark eingrenzt.

Dabei schwächelt aber auch in Deutschland der Verkauf von Elektroautos. Im Nachgang der hohen Inflation halten sich Verbraucher mit dem Kauf von Neuwagen zurück, die Ladeinfrastruktur ist gelinde gesagt lückenhaft und dann sind E-Autos im Vergleich zu Verbrennern noch sehr teuer. Hinzu kommt die zuletzt schwächelnde Konjunktur, die die Nachfrage bremst und vergleichsweise hohe Zinsen, die die Finanzierung neuer Autos erschweren. Nach jüngsten Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) ist die Zahl an Neuzulassungen reiner Elektroautos im ersten Quartal dieses Jahres um mehr als 14 Prozent zurückgegangen.

Der SU7 des chinesischen Handyherstellers Xiaomi steht auf der Automesse in China
Neuester Konkurrent: Xiaomi, eigentlich ein Smartphone-Hersteller, stellte unlängst sein E-Auto vor, den SU7. Er ist auch in Peking ein Blickfang. null Jörn Petring/dpa/picture alliance

Tesla und VW straffen Kosten

Auf den schleppenden Absatz seiner Fahrzeuge hat Tesla in den vergangenen Tagen reagiert: Sein exzentrischer Chef Elon Musk hat angekündigt, weltweit jede zehnte Stelle im Konzern abbauen zu wollen. Am Vorabend der Automesse in Peking hat Tesla den ersten Umsatzrückgang in einem Quartal seit vier Jahren ausgewiesen. Die Gewinne haben sich halbiert. Auch die Auslieferungen an neuen Fahrzeugen lagen im ersten Quartal dieses Jahres um knapp neun Prozent unter dem Vorjahr. Am vergangenen Wochenende hatte Tesla nochmals die Preise für einige seiner Modelle gesenkt.

Auch in Wolfsburg sieht man Handlungsbedarf im Unternehmen. So hat Volkswagen vor wenigen Tagen eine interne Mitteilung verschickt und angekündigt, die Personalkosten in der Verwaltung um 20 Prozent senken zu wollen. Erreichen will man das etwa durch eine Ausweitung von Altersteilzeit oder Abfindungen für jüngere Beschäftigte in der Verwaltung.

Die Neuordnung des Automarktes nimmt weiter Fahrt auf. Nächster Stopp: Die Automesse in Peking.

Anzeichen für konjunkturelle Trendwende mehren sich

Das Bundeswirtschaftsministerium ist trotz struktureller Schwächen zuversichtlich, dass die Konjunktur an einem Wendepunkt steht. Die Anzeichen dafür mehrten sich im Frühjahr, teilte das von Robert Habeck (Grüne) geführte Ministerium am Mittwoch in Berlin mit. Wesentliche Impulse sollten im Jahresverlauf vor allem vom Konsum ausgehen. Insgesamt rechnet die Bundesregierung 2024 mit einem mageren Wachstum der Wirtschaft von 0,3 Prozent. Gegenüber Februar haben sich die Aussichten damit leicht aufgehellt. 2025 dürften es dann 1,0 Prozent werden. Im vergangenen Jahr war die deutsche Wirtschaft noch um 0,3 Prozent geschrumpft. Kein anderes großes Industrieland entwickelt sich derzeit schlechter.

 "Trotz dieser Hoffnungssignale machen mir die strukturellen Probleme des Standorts weiterhin Sorge", erklärte der Wirtschaftsminister. "Wenn wir mittel- und langfristig wieder höheres Wachstum erreichen wollen, brauchen wir daher strukturelle Veränderungen." Dazu gehörten die Stärkung von Innovationen und der Abbau unnötiger Bürokratie, aber auch Arbeitsanreize, "damit mehr Menschen freiwillig mehr und länger arbeiten". 

Geschäftsklimaindex verzeichnet besser Stimmung

Entsprechend hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft im April weiter aufgehellt und ist so gut wie seit fast einem Jahr nicht mehr. Das Ifo-Geschäftsklima stieg überraschend deutlich auf 89,4 Punkte von 87,9 Zählern im Vormonat, wie das Münchner Ifo-Institut am Mittwoch zu seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte. Das Barometer kletterte damit den dritten Monat in Folge, was als Signal für eine Konjunkturwende gilt. Die Firmen beurteilten ihre Geschäftslage und die Aussichten für die kommenden Monate günstiger als zuletzt. "Die Konjunktur stabilisiert sich, vor allem durch die Dienstleister", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Mitarbeiterin an einer sogenannten Ringspinn-Maschine des Unternehmens Spinnerei Mehler im Bundesland Brandenburg
Licht am Ende des Tunnels? Die Anzeichen für eine Trendwende der deutschen Wirtschaft mehren sichnull Patrick Pleul/picture-alliance/dpa

In der Industrie verbesserte sich die Stimmung zwar insgesamt, aber die Betriebe beurteilten ihre Lage schlechter. Der Auftragsbestand sank weiter. "Produktionssteigerungen sind nicht in Sicht", betonte Fuest. Im Dienstleistungssektor hingegen hellte sich das Geschäftsklima merklich auf. Auch im Handel stieg der Index. "Die Geschäftserwartungen verbesserten sich deutlich, bleiben allerdings insgesamt pessimistisch", hieß es. Am Bau ging es das dritte Mal in Folge bergauf - dank weniger pessimistischer Erwartungen. Die Lage wurde jedoch schlechter beurteilt und viele Firmen klagten über Auftragsmangel.

"Im tiefen Schacht geht die Lampe an"

Ökonomen erwarten nun eine allmähliche Erholung der Konjunktur. "Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich aus ihrer Schwächephase heraus", sagte Ifo-Konjunkturfachmann Klaus Wohlrabe der Nachrichtenagentur Reuters. "Das sieht nach Trendwende aus", betonte LBBW-Experte Jens-Oliver Niklasch. Einiges spreche dafür, "dass wir im Winter das Konjunkturtief gesehen haben". Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer sieht den Ifo-Index als recht klares Aufwärtssignal. "Von nun an sollte die deutsche Wirtschaft wieder wachsen, nachdem sich die Unternehmen an die höheren Leitzinsen gewöhnt haben und die Energiekosten wieder gefallen sind." Die Phase fallender Konjunkturprognosen dürfte vorüber sein. "Im tiefen Schacht geht die Lampe an", sagte Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.

Die Wirtschaft steckt derzeit wegen sinkender Investitionen und einer Flaute am Bau im Konjunkturtal und schrumpfte Ende 2023 um 0,3 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte laut Bundesbank im ersten Quartal 2024 allerdings "leicht zugenommen haben". Damit bliebe Deutschland eine Rezession erspart. "Die Konjunktur in Deutschland hat sich etwas aufgehellt, eine durchgreifende Belebung ist aber noch nicht gesichert", erklärte die Bundesbank jüngst.

Auch eine am Finanzmarkt viel beachtete Umfrage unter Einkaufsmanagern zeigte, dass die Wirtschaft die lange Durststrecke langsam hinter sich lassen könnte. 

hb/bea (rtr)

Was hilft wirklich bei Schlafstörungen?

Man liegt wach und wälzt sich unruhig hin und her, die Gedanken kreisen und man kann nicht wieder einschlafen. Der Blick auf den Wecker verrät: Es ist mal wieder Wolfstunde, der Zeitraum zwischen drei und vier Uhr morgens, in dem besonders viele Menschen ungewollt wach werden.

Laut Weltgesundheitsorganisation leidet 40 Prozent der Weltbevölkerung unter Schlafproblemen. Entweder können sie nicht ein- oder durchschlafen, oder werden morgens viel zu früh wach.

Welche Auswirkungen hat häufiger Schlafmangel?

Chronischer Schlafmangel führt zu:

•           Konzentrationsschwierigkeiten

•           Gereiztheit

•           Verminderter Leistungsfähigkeit

•           Kopfschmerzen

•           Geschwächter Immunabwehr

•           Übergewicht

•           Herz-Kreislauf-Erkrankungen

•           Psychischen Erkrankungen bis hin zur Depression

Wer braucht wie viel Schlaf?

Laut Sleep Foundation sollten Kleinkinder 10-13 Stunden schlafen, Grundschüler 9-12 Stunden, Teenager 8-10 Stunden und Erwachsene mindestens 7 Stunden.

Anonymisierte Analysen von Schaftrackern zeigen, dass Menschen weltweit immer weniger und schlechter schlafen. Samsung zum Beispiel hat insgesamt 716 Millionen Nächte von erwachsenen User*innen solcher Schlaftracker ausgewertet. Demnach nahm die Schlafzeit 2023 weltweit gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere vier Minuten ab, auf durchschnittlich 6:59 Stunden.

Am kürzesten schlafen die Asiaten mit durchschnittlich 6:34 Stunden, die Nordamerikaner schlafen eine halbe Stunde und die Europäer eine Dreiviertelstunde länger.

Mit durchschnittlich 49 Minuten sind die Schlafdefizite bei jungen Menschen in den Zwanzigern am größten. Außerdem zeigen die Schlaftracker, dass viele nachts wachliegen, im Durchschnitt 50,1 Minuten. Das sind ebenfalls fast zwei Minuten länger als im Vorjahreszeitraum. Vor allem Frauen schlafen weniger tief und damit weniger erholsam.

Was führt zu Schlafstörungen?

Während der Wolfstunde oder auch frühmorgens befindet sich der Körper häufig in einer REM-Phase (Rapid Eye Movement), in der wir träumen und der Schlaf nicht sehr tief ist. Dann reichen störende Geräusche, Lichtquellen oder eine unangenehme Raumtemperatur, um wachzuwerden.

Häufig sind psychische Belastungen wie Stress, Probleme oder bevorstehende Aufgaben für Schlafprobleme verantwortlich. Ist man erst einmal wach und beginnt zu grübeln, schläft man so schnell nicht wieder ein. Denn beim Grübeln schüttet der Körper das Stresshormon Cortisol aus, das uns wach macht. 

Viele Faktoren wie Schicht- oder Nachtdienst, Jetlag oder Wechseljahre können unseren Schlaf-Wach-Rhythmus stören. Normalerweise wird das Schlafhormon Melatonin abends ausgeschüttet und macht uns müde. Zwischen drei und vier Uhr schüttert der Körper normalerweise am meisten Melatonin aus. Dann kommt der Körper zur Ruhe, das Gehirn wird weniger stark durchblutet und die Körpertemperatur sinkt.

Ist der Melatonin-Spiegel aber nachts zu niedrig, werden wir wach. Melatonin erzeugt der Körper nur, wenn der Serotonin-Spiegel ausreichet. Ohne das Glückshormon gibt es ebenfalls keinen erholsamen Schlaf.

Was hilft bei Durchschlafproblemen?

Wer regelmäßig nachts wachliegt, sollte möglichst nicht auf die Uhr schauen, dass erhöht den Druck nur noch mehr. Lieber ruhig liegen bleiben und sich ablenken, indem man an etwas Schönes denkt oder eben Schäfchen zählt.

Wenn aber die Gedanken immer weiter kreisen und die Unruhe zu groß ist, sollte man lieber aufstehen, die Gedanken aufschreiben oder etwas beruhigendes tun. Nicht fernsehen oder auf dem Smartphone YouTube Videos schauen, sondern lieber etwas lesen. Und sobald man wieder müde wird, möglichst umgehend zurück ins Bett gehen.

Vier Tipps für guten Schlaf

Was verbessert den Schaf?

Auch bei Schlafstörungen neigen viele Menschen dazu, sich eher um Symptome als die Ursachen für ihre Schlafprobleme zu kümmern: Müdigkeit bekämpfen sie z.B. mit viel Koffein und die Einschlafprobleme mit Alkohol. Das ist allerdings weder hilfreich, noch gesund. Kurze Nickerchen können zwar gut tun, nicht aber abends vor dem Fernseher einzuschlafen. 

Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)hat einige einfache Tricks:

  • Regelmäßige Schlafzeiten

Für einen gesunden Schlaf sollte man auf seineinnere Uhr hören . Die ist bei jedem unterschiedlich. Manche bleiben lieber länger wach, andere stehen gerne früh auf. Wichtig ist aber, möglichst immer zur gleichen Zeit zu Bett zu gehen und auch aufzustehen.

  • Einschlafrituale

Viele lesen noch ein paar Seiten, andern notieren noch etwas im Tagebuch oder kuscheln sich zusammen. Natürlich helfen Entspannungstechniken wie leichtes Yoga oder eine Meditation besonders gut. Egal was hilft: Jeder weiß, was ihm das Einschlafen erleichtert.

  • Angenehmes Schlafumfeld

Für die meisten ist es wichtig, dass der Raum ruhig, dunkel, durchlüftet und kühl ist. Als ideale Raumtemperatur gilt 16 bis 18 Grad, manche mögen es aber auch deutlich kühler.

  • Frühzeitiger Verzicht auf Wachmacher

Die anregende Wirkung von Koffein kann bis zu elf Stunden anhalten. Wer stark reagiert, sollte entsprechend früh am Tag darauf verzichten. Alkohol macht zwar zunächst müde, weil er die Hirnaktivitäten reduziert, aber Alkohol sorgt für einen leichten, unruhigen Schlaf. Ähnliches gilt auch für schwere Mahlzeiten.

  • Bildschirme frühzeitig abschalten

Nicht nur jungen Menschen nutzen abends zu viel und zu lange ihre Smartphones oder Tablets. So verschiebt sich ihr Schlafrythmus immer weiter in die Nacht. Blaulichtfilter können diese Wirkung vielleicht abschwächen. Gegen übermäßigen Konsum helfen sie aber auch nicht. Also besser rechtszeitig die Geräte ausschalten und weit weglegen.

Quellen: 

Have We Been Sleeping Well? Samsung Answers the Age-Old Question With the Global Sleep Health Study

https://news.samsung.com/global/have-we-been-sleeping-well-samsung-answers-the-age-old-question-with-the-global-sleep-health-study

How Much Sleep Do You Need?

https://www.sleepfoundation.org/how-sleep-works/how-much-sleep-do-we-really-need

DGSM-Patientenratgeber Ein- und Durchschlafstörungen

https://www.dgsm.de/fileadmin/patienteninformationen/ratgeber_schlafstoerungen/2021-09-21_Ein-_und_Durchschlafstoerungen.pdf

 

Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gestiegen

Im vergangenen Jahr hat es 106.000 Fälle von Abtreibungen in Deutschland gegeben und damit 2,2 Prozent mehr als 2022, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das entspricht 63 Abtreibungen umgerechnet auf 100.000 Frauen. Höher war die Gesamtzahl zuletzt 2012 mit 107.000 Fällen. Zwischen den Jahren 2014 bis 2020 lag sie zwischen rund 99.000 und 101.000 Fällen. "Anhand der vorliegenden Daten lässt sich keine klare Ursache für die weitere Zunahme im Jahr 2023 erkennen", so das Statistische Bundesamt. Um die Zahlen zu ermitteln, befragte es Kliniken und Arztpraxen, in denen grundsätzlich Abbrüche vorgenommen werden.

Rückgang bei Jüngeren, Anstieg bei Über-30-Jährigen

Im Zehnjahresvergleich hat es deutlich weniger Schwangerschaftsabbrüche in jüngeren Altersgruppen und deutlich mehr Abbrüche bei Frauen ab 30 Jahren gegeben. Nach Angaben des Bundesamtes waren sieben von zehn Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen, zwischen 18 und 34 Jahren alt. 19 Prozent der Frauen waren im Alter von 34 bis 39 Jahren. Die Gruppe der über 40 Jahre alten Frauen machte rund acht Prozent aus, etwa drei Prozent waren jünger als 18 Jahre.

Rund 42 Prozent der Frauen hatten vor dem Schwangerschaftsabbruch noch kein Kind zur Welt gebracht. Die weitaus meisten Abtreibungen wurden nach der sogenannten Beratungsregelung vorgenommen. Wenn eine Beratung stattgefunden hat, bleibt ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei.

Regierung erwägt Gesetzesänderung

Derzeit sind Abtreibungen in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hatte in der vergangenen Woche eine Reform des Abtreibungsrechts empfohlen. Das Gremium rät, Abtreibungen im frühen Stadium der Schwangerschaft zu erlauben und nicht mehr im Strafrecht zu regulieren.

Die Bundesregierung ließ offen, ob sie noch in der laufenden Legislaturperiode eine Gesetzesänderung in Angriff nimmt. Sie strebt einen breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsens an.

aa/kle (dpa, epd, afp, Statistisches Bundesamt)

Wird Wetter durch KI genauer vorhersagbar?

Warum sind Wetterprognosen ungenau?

Im Laufe der Jahre sind die Wetterprognosen viel präziser geworden, weil Messstationen, Satelliten, Schiffe, Bojen und auch Verkehrsflugzeuge permanent Daten sammeln. Am Boden und in der Luft werden zum Beispiel die Temperatur, der Luftdruck und der Niederschlag gemessen. Die Daten werden dann von Computern auf Grundlage von physikalischen Gesetzen verarbeitet. So lassen sich dann - je nach Wetterlage - sehr präzise Vorhersagen für einen bestimmten Zeitraum erstellen.

Allerdings ist unsere Atmosphäre ein sogenanntes "chaotisches System". Wie beim Schmetterlingseffekt können "selbst kleinste Unterschiede in der Temperatur, im Druck, im Wind an relativ weit entfernten Orten und auch mit einem zeitlichen Verzug eine große Wirkung zeigen", sagt Meteorologe Peter Knippertz vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gegenüber der DW.

Das Messraster ist für solch ein chaotisches System zu grob. "Selbst mit immer größeren Computern und immer besseren Satelliten oder anderen Messsystemen wird immer eine Unsicherheit bleiben", erklärt Knippertz. Da absolute Vorhersagen deshalb unmöglich sind, arbeitet die Meteorologie mit Wahrscheinlichkeiten dafür, ob es Regen, Gewitter oder Sturm gibt.

Warum sind Wetter-Apps oftmals noch unzuverlässiger?

Wetter-Apps auf dem Smartphone suggerieren, dass sie sehr präzise sind und "zehn Tage in die Zukunft, Postleitzahl-genau vorhersagen, wie das Wetter wird", so Knippertz. Dabei liefern Apps stark komprimierte Informationen. "Wenn die App zum Beispiel 21 Grad mit leichter Bewölkung vorhersagt, denkt der Nutzer: Okay, das scheint sehr präzise zu sein." Dabei gelten natürlich auch für die Apps die gleichen Unsicherheiten, aber das wird nach Ansicht des Meteorologen oft nicht wirklich kommuniziert.

Außerdem gibt es keine weltumspannende Qualitätskontrolle für Wetter-Apps. "Das ist ja inzwischen ein offener Markt, jeder kann seine eigene Wetter-App programmieren und an den Markt bringen, und zum Beispiel über Anzeigen Geld verdienen. Woher die Informationen genau kommen und wie sie genau aufbereitet werden, das werden die meisten kommerziellen Anbieter nicht unbedingt der Öffentlichkeit mitteilen", erklärt Knippertz.

Wie funktioniert eine Wettervorhersage?

Wird Künstliche Intelligenz künftig die Prognosen verbessern?

Bisher basieren Wettervorhersagen auf physikalischen Modellen. Vorhersagen von Künstlicher Intelligenz (KI) sind dagegen vor allem Daten-orientiert und somit eher statistisch. Aus vorhandenen Wetterdaten leitet die KI Muster und Strukturen ab und erstellt anhand eines Algorithmus entsprechende Wettervorhersagen. Physikalische Gesetze werden also eher indirekt erlernt.

Zwar seien die Fortschritte der KI auch in der Meteorologie beeindruckend, so Knippertz, aber da KI die Muster aus Daten der Vergangenheit erhebt und von einem Mittelwert ausgeht, komme die KI vor allem bei extremeren Wetterlagen auch an ihre Grenzen. "Deshalb sollten wir in Zukunft immer mehr versuchen, hybride Vorhersagesysteme zu bauen, die konventionelle Methoden mit physikalischen Gleichungen und KI-Methoden verbinden, um das Risiko einer Fehlvorhersage noch weiter zu reduzieren."

Können KI-Vorhersagen in strukturschwachen Gebieten eine Alternative sein?

Da längst nicht alle Regionen weltweit über Daten von Messstationen, Bojen etc. verfügen, ruhen die Hoffnungen für zuverlässige Prognosen auf KI. Meteorologe Knippertz ist da skeptisch: "Wir brauchen in den Regionen der Welt, wo es bisher wenig Beobachtungen gibt, mehr Anstrengungen, auch vielleicht der internationalen Community, diese Lücken zu schließen. Für die Weltmeteorologie wäre es mit Blick auf Wetterextreme wichtig, dass wir auch Wetterbeobachtungskapazitäten in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien ausbauen. Diese Aufgabe kann uns KI meiner Meinung nach nicht abnehmen."

Gestrandete Boote im Hafen von Manaus wegen Dürre im Amazonasbecken
Langanhaltende Dürren am Amazonas - durch den Klimawandel werden Wetterextreme zunehmennull Lucas Silva/dpa/picture alliance

Wie verändert der Klimawandel die Wettervorhersagen?

Auch der Klimawandel ändere nichts an den physikalischen Gesetzen und grundsätzlichen Problem der Wettervorhersage. Allerdings verschieben sich die Klimazonen und damit auch die zum Teil extremen Wetterlagen. "Tornados, Starkregen oder auch Dürren können dann noch heftiger ausfallen, als sie es in der Vergangenheit getan haben, und dadurch ist die Auswirkung auf den Menschen auch entsprechend größer."

Daraus entstehen "neue Herausforderungen in der Vorhersage, im Warnprozess, aber auch in der Bereitschaft der Bevölkerung, dann solche Warnungen ernst zu nehmen und sich entsprechend zu verhalten", so Knippertz. 

Paar steht vor verwüsteten Häusern an der Ahr
Bei der verheerenden Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal in Deutschland wurden Warnungen ignoriert oder erst viel zu spät ausgesprochennull Abdulhamid Hosbas/AA/picture alliance

Warum sind Unwetterwarnungen oftmals so dramatisch?

Bei Starkregen, Gewittern oder Stürmen sind die behördlichen Warnhinweise oftmals dramatischer als das dann lokal auftretende Wetterereignis. Das sorgt zuweilen für Unverständnis oder eine gewisse Abstumpfung. "Wenn Leute evakuiert werden, und es passiert nichts, bricht danach oft in den sozialen Medien und im Internet ein Shitstorm los", sagt Knippertz. "'Was war das jetzt für ein Blödsinn? Sind die eigentlich alle total verrückt? Was für eine Hysterie!'"

Warnungen seinen immer eine schwierige Abwägung, so Knippertz: "Die Kosten einer Evakuierung - ich schlaf mal eine Nacht in der Turnhalle auf der Isomatte - sind in meinen Augen sehr klein gegenüber einem grausamen Ertrinkungstod im eigenen Keller. Aber dafür gibt es in meinen Augen zu wenig Bewusstsein und zu wenig Verständnis in der Bevölkerung."

Kommissar Mikrobe löst Mordfälle

Der Fund einer Leiche mit zahlreichen Stichwunden versetzte vor etwa 800 Jahren ein chinesisches Dorf in Aufruhr. Der mit der Aufklärung des Falls beauftragte Mediziner Song Ci stellte fest, dass die Wunden von einer Sichel stammten. Um den Täter zu überführen, rief er die Dorfbewohner zusammen und forderte sie auf, ihre Sicheln zu zeigen. Die Schmeißfliegen, die an diesem heißen Nachmittag durch die Luft schwirrten, ließen sich in großer Zahl auf einer der blankgeputzten Klingen nieder. Blutspuren des Opfers hatten den Täter überführt. Er wurde verhaftet, der Fall war gelöst.

Es ist der erste bekannte Fall, bei dem ein Mordverdächtiger durch die Beobachtung von Insekten überführt wurde, ein Forschungsfeld, das heute als forensische Entomologie bekannt ist.

Haus-Fliege Musca domestica
Fliegen halfen nicht nur vor 800 Jahren in China bei der Aufklärung von Mordfällennull Creative Touch Imaging Ltd/NurPhoto/IMAGO

Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbiologe, der regelmäßig die Lebenszyklen von Insekten wie Fliegen, Ameisen und Käfern untersucht, die sich auf Leichen und an Tatorten finden. Es mag unappetitlich klingen, aber in Gerichtsverfahren geben seine Untersuchungen oft wertvolle Hinweise darauf, wann und möglicherweise auch wie ein Opfer zu Tode kam.

In einem Fall aus dem Jahr 2017 konnte Benecke zum Beispiel nachweisen, dass ein 80-Jähriger in Italien wegen Vernachlässigung gestorben war. Die Lebenszyklen von Fliegen und Ameisen in der Wohnung des Verstorbenen führten ihn auf die Spur.

"Viele forensische Entomologen gibt es nicht", sagt Benecke, "aber ihre Arbeit kann in schwer lösbaren Fällen den fehlenden Hinweis geben. Wir können dabei helfen, solche Fragen zu beantworten wie 'Befand sich die Leiche jemals an einem Waldrand, ja oder nein?'"

Insekten am Tatort

Doch obwohl Insekten unter bestimmten Bedingungen zur Aufklärung eines Falls beitragen können, ist es oft schwierig, am Tatort die richtigen Informationen zu sammeln, deren Analyse einen Gerichtsfall weiterbringen, erzählt Benecke.

Temperatur, Feuchtigkeit und Licht haben Einfluss auf den Lebenszyklus von Insekten. Besonders schwierig zu bestimmen ist dieser im Winter oder in kälteren Klimazonen, in denen es weniger Insekten gibt.

Insekten: Beweise in Kriminalfällen

Häufig würden am Tatort auch nicht ausreichend Insekten gesammelt oder sie würden falsch gelagert, so Benecke. "Einmal wurde ich gebeten, anhand eines Fotos eines Fotos eines zerquetschten Insekts zu einem Fall beizutragen."

Der Lebenszyklus von Insekten gibt zudem nicht ausreichend präzise Hinweise, um den genauen Todeszeitpunkt zu bestimmen. Doch das sind entscheidende Informationen bei einem Mordverdacht.

Bakterien und Pilze können weiterhelfen

Hier kommen die Mikroben ins Spiel. Wissenschaftler haben in den letzten Jahren untersucht, ob die Analyse von Bakterien und Pilzen dazu dienen könnte, den genauen Todeszeitpunkt und die Todesursache zu bestimmen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie scheinen die Forscher einiges gefunden zu haben, das für diese Hypothese spricht. Sie konnten eine Gruppe von Mikroben identifizieren, die die Verwesung von Leichen unabhängig von Klima oder Jahreszeit vorantreibt.

Bakterium Borrelia burgdorferi
Über Mikroben lässt sich ein Todeszeitpunkt sehr genau bestimmennull Callista Images/imago images

Im Zuge der Studie wurden während aller vier Jahreszeiten Kadaver in verschiedenen Klimazonen der USA untersucht. Die Forscher ließen die Leichen 21 Tage lang an verschiedenen Orten liegen und analysierten dann genetisches Material aus Gewebeproben. So erstellten sie eine detaillierte Karte der Bakterien- und Pilzbesiedelung jeder Leiche. Mit diesen Daten fütterten sie dann einen KI-Algorithmus, der eindeutig den Todeszeitpunkt jeder Leiche feststellte.

Die Forscher fanden 20 Mikroben, die mit der Präzision eines Uhrwerks auf jeder der Leichen erschienen, die sie während dieser 21 Tage untersuchten. Unabhängig von Leichenfundort oder Klima besiedelten die gleichen Mikroorganismen die Leichen mit derselben Geschwindigkeit.

Außerdem konnten die Forscher verschiedene mikrobielle Gemeinschaften identifizieren, die sich in verschiedenen Umgebungen auf den Leichen ansiedelten. So unterschieden sich zum Beispiel einige der Mikroben, die Leichen in der Wüste besiedelten, von denen, die sich auf Leichen im Wald ansiedelten.

Forscher wären so in der Lage, anhand geringfügiger Abweichungen zwischen den Mikrobiomen festzustellen, wo eine Leiche vermutlich verwest ist.

Vieles (noch) nicht nutzbar

Die Untersuchung von Mikroben am Tatort könnte Rechtsmedizinern dabei helfen, Tatverdächtige in Mordfällen zu identifizieren und Alibis zu bestätigen oder zu widerlegen. Das wäre besonders in Fällen hilfreich, in denen der Todeszeitpunkt nicht geklärt ist.

Frankreich | Forensik-Workshop für Jugendliche in Montpellier
Zur Verbrechensaufklärung werden Forensiker gebrauchtnull Guillaume BONNEFONT/IP3/MAXPPP/picture alliance

Im Gegensatz zu Fingerabdrücken, Blutflecken, Zeugen oder einer Ansammlung von Schmeißfliegen auf einer Sichel, sind mikrobielle Beweise an jedem Tatort zu finden. Doch bislang nutzen die Forensiker Mikroben am Tatort noch nicht als Beweismittel. Weitere Daten seien erforderlich, um zu verstehen, welche Faktoren sich auf ihr Wachstum auswirken, meint Benecke: "Im Moment befinden wir uns noch in der Forschungsphase. Aber es ist immer sinnvoll, alle [am Tatort] verfügbaren Informationen zu nutzen."

"Massendaten und auf Grundlage künstlicher Intelligenz erstellte Statistiken können nicht nur eine gute Schätzung des Intervalls zwischen Tod und Leichenfund ermöglichen, sondern vieles mehr. Dafür ist aber eine Menge Arbeit nötig. Die Leute müssen das Thema lieben, aber das tun nicht viele", fügt Benecke hinzu.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Formel 1: Nico Hülkenberg wechselt zu Audi

Für Nico Hülkenberg ist es gleichzeitig eine Rückkehr, aber auch ein Start in neue Gefilde: Der 36-jährige Formel-1-Pilot wechselt zur Saison 2025 vom US-amerikanischen Haas-Team zum Sauber-Rennstall, der ab 2026 offiziell als Audi-Werksteam an den Start gehen wird. Er erhält, wie Audi mitteilte, einen "mehrjährigen Vertrag".

Hülkenberg kennt das Sauber-Team bereits, auch wenn es lange her ist. Er fuhr in der Saison 2013 für Sauber in der Formel 1. In 18 Rennen sammelte er damals 51 WM-Punkte und belegte in der Fahrerwertung Rang zehn. Ein Jahr später wird das Sauber-Team dann zum Audi-Werksteam, das den Schweizer Rennstall übernimmt und 2026 in seine Premieren-Saison geht. In der laufenden Saison hat Hülkenberg für Haas in fünf Rennen vier WM-Punkte gesammelt.

Hülkenberg: "Einmalige Chance"

"Die Perspektive, für Audi an den Start zu gehen, ist etwas ganz Besonderes", sagte Hülkenberg, der mit 208 Grand-Prix-Teilnahmen einer der erfahrensten Piloten in der Formel 1 ist. Allerdings ist er auch der Fahrer mit den meisten Rennen, der niemals einen Platz auf dem Podium ergattern konnte.

"Wenn ein deutscher Hersteller mit einer solchen Entschlossenheit in die Formel 1 einsteigt, dann ist das eine einmalige Chance. Das Werksteam einer solchen Automobilmarke mit einer Power Unit [einem Motor, Anm.d.Red.] made in Germany zu repräsentieren, ist für mich eine große Ehre", so Hülkenberg.

Die Verpflichtung Hülkenbergs sei "ein nächster Meilenstein für das Formel-1-Projekt von Audi. Mit seinem Speed, seiner Erfahrung und seinem engagierten Teamwork wird er schon 2025 einen wichtigen Beitrag für den Einstieg von Audi in der Saison 2026 leisten", sagte Andreas Seidl, Geschäftsführer des künftigen Werksteams. Es habe "auf Anhieb großes gegenseitiges Interesse" gegeben.

Sainz als zweiter Audi-Pilot?

Für das zweite Cockpit soll Audi bereits Carlos Sainz im Blick haben. Der Spanier fährt noch bis Ende des Jahres für Ferrari, verliert seinen Platz dort aber in der kommenden Saison an den siebenfachen Weltmeister Lewis Hamilton, der von Mercedes zum italienischen Traditionsrennstall wechseln wird.

In der laufenden Saison sind der ehemalige Vize-Weltmeister Valtteri Bottas aus Finnland und der Chinese Zhou Guanyu die Sauber-Piloten. Das Team ist noch ohne Punkt und Letzter der Konstrukteurs-WM. Die beste Saison-Platzierung eines Saubers war der elfte Platz Guanyus im Auftaktrennen in Bahrain.

Audi - Marke des Volkswagen-Konzerns

Die Audi AG ist ein deutscher Automobilhersteller mit Sitz in Ingolstadt im Bundesland Bayern. Das Unternehmen wurde 1909 gegründet, gehört aber seit 1965 zur Volkswagen AG. Es sorgt bei den VW-Marken, zu denen unter anderem auch Skoda, SEAT, Porsche, Bentley und Lamborghini zählen, für den zweitstärksten Zahlen bei Umsatz und Absatz. Auf deutschen Straßen fahren derzeit laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) rund 3,3 Millionen Audi-Fahrzeuge.

FC Bayern: Ralf Rangnick als Antwort auf die Trainerfrage?

"Wir wollen einen Trainer haben, der ein Stück weit Bayern München längerfristig begleitet", so formuliert es Max Eberl. Der Sportvorstand des FC Bayern sondiert gemeinsam mit Sportdirektor Christoph Freund den Trainermarkt. "Wir wollen eine Kontinuität aufbauen. Das ist ein entscheidender Fakt, um erfolgreich zu sein", so Eberl.

Nach den Absagen von Leverkusens Meistercoach Xabi Alonso und Bundestrainer Julian Nagelsmann ist nun Ralf Rangnick der Wunschkandidat. Er muss im Grunde nur noch "Ja" sagen und einen Vertrag unterschreiben. Aktuell bereitet sich Rangnick als Nationaltrainer Österreichs auf die Teilnahme an der Fußball-EM in seinem Heimatland Deutschland (14. Juni bis 14. Juli) vor. Doch auch ein Job beim Rekordmeister sollte ihn reizen, zumal es für den 65-Jährigen gegen Ende seiner Karriere wohl die einmalige Gelegenheit sein dürfte, das Traineramt in München zu bekommen.

System-Innovator und Fußball-Professor

Rangnick hat den deutschen Fußball in den vergangenen 25 Jahren als Trainer, Manager und Funktionär verändert wie kaum ein anderer. Ende der 1990er Jahre trat er als Trainer erstmals ins Licht der Öffentlichkeit, als er mit dem SSV Ulm erfolgreich in der 2. Bundesliga spielte und dort dank seines neuartigen Spielsystems Erfolg hatte: eine Viererkette in der Abwehr und ein konsequentes Pressing der gesamten Mannschaft Richtung Ball.

Ralf Rangnick als Trainer des SSV Ulm 1846 sitzt vor Blatt mit taktischen Anweisungen
Nickelbrille, Taktiktafel und den vollen Durchblick, wie das System funktioniert: "Fußball-Professor" Ralf Rangnick beim SSV Ulm null Herbert Rudel/Pressefoto Rudel/picture alliance

Rangnick war ein echter Fußball-Nerd mit dem Hang zum Perfektionismus, aber ohne eigene Erfahrung als Fußballprofi. Seine Detailversessenheit und die akribische, fast wissenschaftliche Herangehensweise brachten ihm den Spitznamen "Fußball-Professor" ein. Manifestiert wurde dieser "Ehrentitel" durch einen Fernsehauftritt Rangnicks im Dezember 1998. Der junge Trainer mit Nickelbrille, damals mit Ulm überraschend Tabellenführer der 2. Bundesliga, verschob an der Taktiktafel Spieler und Gegner und erklärte sein System innerhalb von wenigen Minuten für jeden verständlich.

Dabei war "Fußball-Professor" oft auch abwertend gemeint. Viele der etablierten Trainer, Funktionäre und Experten - meist ehemalige Topspieler - störten sich daran, dass ein völlig Unbekannter, noch dazu ein studierter Lehrer, der selbst nie Profi war, daherkam und ihnen erklärte, wie es besser geht.

Meist erfolgreich, dann Abschied in Unfrieden

Der Erfolg gab Rangnick jedoch recht: Zwar trat er in Ulm zurück, kurz bevor der Bundesliga-Aufstieg geschafft war. Er etablierte sich aber anschließend beim VfB Stuttgart (1999-2001), bei Hannover 96 (2001-2004) und Schalke 04 (2004-2005) in der Fußball-Bundesliga. Überall hatte er im Rahmen der Möglichkeiten Erfolg. Überall eckte er jedoch auch an: mit seiner Art, seinen Ideen und dem Anspruch, im sportlichen Bereich eine möglichst weitreichende Entscheidungshoheit zu besitzen. Alle Engagements endeten vorzeitig mit Rangnicks Entlassung.

Schalkes Trainer Ralf Rangnick beim Autokorso in Gelsenkirchen mit DFB-Pokal
Seinen bislang einzigen großen Titel als Trainer gewann Ralf Rangnick 2011 im DFB-Pokal mit dem FC Schalkenull Volker Essler/SvenSimon/picture alliance

Im Sommer 2006 überraschte Rangnick damit, dass er bei der TSG Hoffenheim anheuerte, einem Drittligisten. Das war zwar ein sportlicher Rückschritt, bot Rangnick aber die Möglichkeit, im Grunde alles nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Der Klub wurde von Mäzen Dietmar Hopp großzügig finanziell unterstützt. Zweimal in Folge gelang der Aufstieg, nach der ersten Halbserie als Bundesliga-Neuling feierte die TSG sogar die Herbstmeisterschaft vor den Bayern. Rangnick blieb viereinhalb Jahre in Hoffenheim, ging dann Anfang 2011 aber vorzeitig - wegen Meinungsverschiedenheiten mit Hopp, dem einflussreichsten Mann im Verein.

Burnout auf Schalke als Türöffner bei Red Bull

Seine Rückkehr zum FC Schalke im März 2011, drei Monate nach seinem Abschied aus Hoffenheim, verlief mit dem Erreichen des Halbfinals in der Champions League und dem Sieg im DFB-Pokal sportlich erfolgreich, endete aber bereits nach einem halben Jahr wieder. Der Grund: Rangnick konnte nicht mehr. Wegen Burnouts trat Rangnick ohne Vorankündigung zurück. "Ich habe keine Kraft mehr, euch das zu geben, was ihr von mir als Trainer braucht", sagte er damals den Spielern. "Die Entscheidung ist mir unheimlich schwergefallen, doch ich brauche eine Pause."

Dieser Schritt sollte Rangnicks weitere Karriere nachhaltig beeinflussen. Wer weiß, ob er ein gutes Jahr später überhaupt bei Red Bull gelandet wäre, hätte er zuvor auf Schalke weitergemacht. Von 2012 bis 2020 arbeitete Rangnick bei Red Bull, zunächst als Sportdirektor bei Red Bull Salzburg, dann ab 2015 als Cheftrainer und Sportdirektor von RB Leipzig. 2019 übernahm er die Aufgabe als Head of Sport and Development Soccer und war damit für alle Red-Bull-Fußballklubs zuständig.

Fußballtrainer Ralf Rangnick schaut ernst
Gedanken darüber, wie viel Tradition ein Verein hat, machte sich Rangnick nie - er wollte die besten Bedingungennull Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Wie zuvor in Hoffenheim sah Rangnick die Möglichkeiten, die der RB-Kosmos bot und nicht die negativen Seiten, die Traditionalisten über die neureichen Klubs die Nase rümpfen ließen. RB Leipzig wurde dank ihm zu einem Bundesliga-Spitzenteam, das sich seit seinem Bundesliga-Aufstieg im Jahr 2016 bislang nur einmal am Ende der Saison nicht für die Champions League qualifizieren konnte.

Rangnicks Ruf war auch international gut: Bei der AC Mailand wollte man ihn 2020 als Cheftrainer und Sportdirektor verpflichten. Nach langen Verhandlungen scheiterte der Deal allerdings. Stattdessen wurde Rangnick im Dezember 2021 für den Rest der Saison Trainer beim kriselnden englischen Topklub Manchester United. Danach sollte er den Verein weiter beraten und gleichzeitig als Nationaltrainer Österreichs arbeiten. Doch aus der Beratertätigkeit Rangnicks wurde dann doch nichts. Mal wieder war ein Streit um die Kompetenzen Schuld. Diesmal mit seinem Nachfolger als United-Trainer Erik ten Hag.

Rangnick: "Kann ich etwas bewirken?"

Beim FC Bayern kennen sie die Vergangenheit Rangnicks. Sie wissen, dass sie sich mit ihm einen Mann ins Haus holen, der angeknackste Systeme wieder ins Lot bringen und aus dem Kurs geratene Mannschaften wieder erfolgreich machen kann - wenn man ihn auf seine Art und Weise arbeiten lässt. Der aber auch schnell unzufrieden wird, wenn er das nicht darf.

Österreichs Nationaltrainer Ralf Rangnick bei der Hymne untergehalt mit seinen Assistenten Lars Kornetka und Peter Perchtold
Seine Assistenten Lars Kornetka (l.) und Peter Perchtold (r.) würde Ralf Rangnick (2.v.l.) wohl nach München mitbringennull Ulrich Hufnagel/picture alliance

"Kann ich etwas bewirken? Besteht die Chance, eine Mannschaft zu entwickeln und erfolgreich zu sein? Das treibt mich an”, sagte Rangnick in dieser Woche gegenüber dem österreichischen Fußballportal "90minuten.at" über ein mögliches Engagement in München. Laut Medieninformationen haben Max Eberl und Christoph Freund ihm diese Möglichkeiten weitestgehend eingeräumt haben. Allerdings soll das letzte Wort bei Transferentscheidungen nicht alleine bei Rangnick liegen.

Jetzt könnte alles ganz schnell gehen. Zum einen möchte Rangnicks jetziger Arbeitgeber, der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB), innerhalb der kommenden zwei Wochen Klarheit. Zum anderen läuft auch den Bayern die Zeit davon. Sollte mit Rangnick nach Alonso und Nagelsmann auch Wunschtrainer Nummer drei absagen, würde es wohl noch schwieriger, einen weiteren geeigneten Kandidaten zu finden. Außerdem müsste dieser dann davon überzeugt werden, den Posten bei einem angeschlagenen Spitzenklub zu übernehmen, der seinen Trainern zuletzt nicht gerade gutgetan hat. Und dann würde der neue Coach auch noch mit dem Makel starten, für den Posten nur die vierte Wahl gewesen zu sein.

Mount Everest: Klettersaison mit neuen Regeln und vielen Fragezeichen

Nicht umsonst nennen die Bergsteigerinnen und Bergsteiger am Mount Everest die heikle Passage "Ballsaal des Todes". Einem Damoklesschwert gleich bedroht von der westlichen Flanke ein mächtiger Hängegletscher die Route durch den Khumbu-Eisbruch. Vor zehn Jahren, am 18. April 2014, löste sich von dort eine Eislawine. 16 nepalesische Bergsteiger, die Material für die kommerziellen Expeditionen in die Hochlager tragen sollten, kamen bei dem Unglück ums Leben. Seitdem versuchen die "Icefall Doctors" - eine Gruppe von Sherpas, die auf den Eisbruch spezialisiert sind -, die Aufstiegsroute so weit wie möglich von der Westflanke entfernt zu legen. In diesem Frühjahr zwang sie jedoch der Klimawandel in den Ballsaal des Todes.

Es gab einfach keine Alternative. Zwei Versuche, einen weniger risikoreichen Weg zu finden, waren gescheitert. Der schneearme Winter in Nepal hatte in dem Eislabyrinth zu instabilen Eistürmen und Schneebrücken geführt. Außerdem hatten sich so breite Gletscherspalten gebildet, dass sie nicht mit Leitern überquert werden konnten. 

Jahr für Jahr richten die Icefall Doctors die Route durch den gefährlichen Eisbruch ein, sichern sie mit Seilen und halten sie während der Klettersaison bis Ende Mai instand. Erst wenn die Route bis hinauf nach Lager 2 auf 6400 Metern fertiggestellt ist, können die kommerziellen Teams aufsteigen. Die Zeit drängte. Rund zehn Tage später als ursprünglich geplant meldeten die acht Sherpas endlich Vollzug. Die Icefall Doctors warnten jedoch davor, dass es mindestens fünf gefährliche Stellen gebe, die man möglichst schnell passieren sollte. Das erinnert an Russisch Roulette.  

"Berg gewinnt an Dynamik"

Im vergangenen Winter waren sogar zwei über 5800 Meter hohe Pässe im Everest-Gebiet komplett schneefrei. Das sei "besorgniserregend", sagt der nepalesische Glaziologe Tenzing Chogyal Sherpa. "Die Daten zeigen, dass die Zahl der Schneetage, die Schneemenge und die Schneebedeckung abnehmen. Es gibt einen negativen Trend. Diese 'nackten‘ Pässe und Berge veranschaulichen, was gerade passiert." Die Gletscher schmelzen immer schneller, werden dünner und kürzer. Es bilden sich immer größere Gletscherseen, deren natürliche Dämme zu bersten drohen. Das geschah in dieser Woche am Achttausender Manaslu. Die anschließende Flutwelle richtete nur Sachschäden an. Glück gehabt.

Infografik Karte die 14 Achttausender.

Auch im Tal zu Füßen des Everest bilden sich immer mehr Tümpel aus Schmelzwasser. Bis hinauf zum Gipfel auf 8849 Metern sind Schnee und Eis auf dem Rückzug. Die Folge: erhöhte Steinschlaggefahr. Auch das Lawinenrisiko steigt, weil es immer wärmer wird. "Viele Menschen verlieren ihr Leben durch Lawinenabgänge. Der Berg gewinnt immer mehr an Dynamik", warnt Glaziologe Sherpa.

20 Prozent weniger Permits

"Die momentanen Schwierigkeiten am Khumbu-Eisbruch, um zu den höheren Camps zu gelangen, könnten einen Einfluss auf die gesamte Saison haben und womöglich Vorboten eines großen Unheils am Everest sein", fürchtet Norrdine Nouar. Der deutsche Bergsteiger aus dem Allgäu hat gerade - ohne Flaschensauerstoff - die 8091 Meter hohen Annapurna im Westen Nepals bestiegen, seinen zweiten Achttausender. Jetzt will er sich am höchsten Berg der Erde ohne Atemmaske versuchen. "Ich hoffe sehr, dass wir den letztjährigen traurigen Rekord an Toten am Everest nicht erneut brechen", sagt der 36-Jährige gegenüber dem Blog "Abenteuer Berg". Im Frühjahr 2023 waren am Mount Everest 18 Menschen - sechs Nepalesen und zwölf Kunden kommerzieller Teams - ums Leben gekommen, so viele wie noch nie zuvor in einer Saison. Die nepalesische Regierung hatte jedoch auch noch niemals so viele "Permits", Besteigungsgenehmigungen, für den Everest ausgestellt: 478. In diesem Jahr liegt die Zahl der Permits im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt 2023 gut 20 Prozent niedriger.

Basislager auf der tibetischen Nordseite des Mount Everest.
Basislager auf der tibetischen Nordseite des Mount Everestnull Xiao Mi/dpa/picture alliance

Das kann, muss aber nicht auf ein nachlassendes Interesse am Everest hindeuten. Zum einen könnte es daran liegen, dass sich viele Everest-Kandidatinnen und Kandidaten inzwischen daheim in Hypoxie-Zelten vorakklimatisieren und deshalb später anreisen. Zum anderen dürfte auch eine Rolle spielen, dass der höchste Berg der Erde erstmals seit vier Jahren auch wieder von der tibetischen Nordseite aus bestiegen werden kann. Wegen der Corona-Pandemie hatten die chinesischen Behörden die Berge Tibets für ausländische Expeditionen gesperrt. Noch warten die Teams, die in diesem Frühjahr von Norden aus den Everest besteigen wollen, auf ihre Einreisegenehmigungen nach Tibet. Dem Vernehmen nach soll die Grenze erst am 7. Mai geöffnet werden. Die Everest-Saison auf der Nordseite endet am 1. Juni. Die chinesischen Behörden haben die Zahl der Permits auf 300 gedeckelt. Aufstiege ohne Flaschensauerstoff sind ab einer Höhe von 7000 Metern untersagt.

Tracking-Chips und Kotbeutel

Auch auf der nepalesischen Südseite gibt es neue Vorschriften. So müssen alle Bergsteigerinnen und Bergsteiger elektronische Tracking-Chips in ihren Daunenjacken eingenäht haben. Sie sollen die Suche erleichtern, sollte jemand am Berg vermisst werden. Das System hat sich bei Lawinensuchen in den Alpen bewährt. Experten bezweifeln allerdings, dass damit auch im Gipfelbereich des Mount Everest die Sicherheit erhöht werden kann. Bei Eislawinen, so Lukas Furtenbach, Chef des österreichischen Expeditionsanbieters Furtenbach Adventures, reduziere sich die Reichweite des Systems erheblich. "Besser wäre, die Guides [Bergführer - Anm. d. Red.] würden ihre Kunden nicht alleine lassen", sagt Furtenbach. "Dann wäre das Problem gelöst."

Pflicht ist in diesem Jahr erstmals auch, "Poo bags" auf den Berg mitzunehmen, zu benutzen und wieder herunterzubringen. Die speziell für den Outdoor-Bereich entwickelten Kotbeutel sind dicht verschließbar. Ihre Innenseite ist mit einer Mischung aus Geliermitteln, Enzymen und geruchsneutralisierenden Substanzen beschichtet. Diese sorgen dafür, dass die Fäkalien gebunden und der Gestank reduziert wird. Die nepalesische Umweltschutzorganisation Sagarmatha Pollution Control Committee (SPCC), die für das Management des Everest-Basislagers zuständig ist und auch die Icefall Doctors beschäftigt, soll dafür sorgen, dass die Regel eingehalten wird. Das SPCC schätzt, dass zwischen Lager 1 auf 6100 Metern und Lager 4 am Südsattel auf knapp 8000 Metern insgesamt rund drei Tonnen Exkremente liegen - die Hälfte davon am Südsattel, dem letzten Lager vor dem Gipfel des Mount Everest. Da die Schneeauflage zunehmend schwindet, stinkt es dort buchstäblich zum Himmel. Der Südsattel läuft Gefahr, zum "Ballsaal des Kots" zu werden.

Kreuzbandriss - schwere Verletzung mit guter Prognose

Welche Funktion hat das Kreuzband?

In beiden Knien gibt es jeweils ein vorderes und ein hinteres Kreuzband. Sie verbinden den Oberschenkelknochen mit dem Schienbein und stabilisieren das Kniegelenk nach vorne und hinten sowie bei Drehbewegungen. Neben den Kreuzbändern gibt es Außen- und Innenband sowie die Menisken [Anm.d.Red.: halbmondförmige Knorpelscheiben zwischen dem Unter- und Oberschenkelknochen].

Alle Bänder begrenzen gemeinsam die Streckung des Knies, sodass es im Normalfall nicht überstreckt wird. Außerdem schränken sie die Rotation des Kniegelenks ein. Dabei werden sie von der Gelenkkapsel, Sehnen und umgebender Muskulatur unterstützt. Je besser die stabilisierende Muskulatur ausgebildet ist, umso geringer ist die Gefahr, einen Kreuzbandriss zu erleiden.

Wie kommt es zum Kreuzbandriss?

Werden die Kreuzbänder durch eine plötzliche Drehbewegung, eine Überstreckung oder das Wegknicken des Knies zur Seite überlastet, können sie teilweise oder komplett reißen. Das vordere Kreuzband ist dabei zehnmal häufiger betroffen als das hintere, weil es länger und dünner ist. Die meisten Kreuzbandrisse sind sogenannte Non-Contact-Verletzungen. Das bedeutet, sie passieren ohne Fremdeinwirkung oder direkten Kontakt zum Gegner, zum Beispiel bei einem Foul im Fußball.

Spielszene SV Werder Bremen gegen VfB Stuttgart Serhou Guirassy springt mit ausgestreckten Armen und einem abgespreizten Bein in die Luft
Schnelle Richtungswechsel oder eine unkontrollierte Landung führen viel häufiger zu einem Kreuzbandriss als Foulsnull nordphoto GmbH/Kokenge/picture alliance

Vielmehr sind Landungen auf einem Bein, abruptes Abstoppen und plötzliche Richtungswechsel die häufigsten Ursachen für eine Ruptur. Der Patient merkt dabei meist einen stichartigen Schmerz im Knie. Es schwillt in der Regel in den Stunden nach der Verletzung an, weil sich durch den Riss Flüssigkeit im Gelenk sammelt.

Was sind die akuten Folgen?

Man kann das Knie wegen Schmerzen und Schwellung meist nicht mehr gut bewegen und nur noch leicht beugen. Bei Belastung entstehen Schmerzen. Zudem ist das Kniegelenk durch die fehlende Funktion der Bänder instabil - es verrutscht beim Gehen wie eine Schublade. In vielen Fällen ist das Kreuzband nicht die einzige Struktur im Knie, die beschädigt wurde. Außen- und Innenband, Menisken und Knochen können ebenfalls betroffen sein.

Es kann allerdings in seltenen Fällen auch vorkommen, dass ein Kreuzband reißt, ohne dass der Patient etwas davon mitbekommt. Solche Kreuzbandrisse fallen dann oft erst später dadurch auf, dass Schäden an den Menisken oder den Knorpeln im Knie entstanden sind.

Wie werden Kreuzbandrisse behandelt?

Ein gerissenes Kreuzband wird entweder operiert oder konservativ behandelt. Bei der Operation, auch Kreuzbandplastik genannt, werden die gerissenen Teile des Kreuzbands entfernt und durch ein Transplantat aus körpereigenem Sehnenmaterial ersetzt. Es gibt aber auch Transplantate aus Spendermaterial oder synthetischer Herstellung. Normalerweise wird die OP erst Wochen oder sogar Monate nach der Verletzung durchgeführt, weil dann die Schwellung abgeklungen und das Knie wieder gut beweglich ist.

Bei der konservativen Behandlung wird das Knie zunächst für mehrere Wochen ruhiggestellt und mit einer Schiene stabilisiert. Sind die Enden des gerissenen Kreuzbands noch in engerem Kontakt miteinander, kann das Kreuzband in seltenen Fällen sogar von selbst wieder zusammenwachsen. In der Regel funktioniert das beim vorderen Kreuzband allerdings nicht. Beim hinteren, das kürzer und kompakter ist, sind die Chancen größer. Zur konservativen Behandlung gehört immer auch ein gezieltes Training der Muskeln rund um das Knie. Sie sollen das Knie stabilisieren und so die Funktion des fehlenden Kreuzbands übernehmen.

Was sind Langzeitfolgen eines Kreuzbandrisses?

Kreuzbandrisse können in der Folge zu einer veränderten Statik im Kniegelenk führen und damit zu Fehlbelastungen. Das gilt für operierte Kreuzbandrisse genauso wie für unbehandelte, allerdings ist bei den unbehandelten das Risiko höher. Die Belastung der Menisken und Gelenkknorpel nimmt zu. Das kann zu Rissen im Meniskus und zu Arthrose führen, dem irreversiblen Abbau der gelenkschützenden Knorpelflächen im Kniegelenk. Im schlimmsten Fall ist irgendwann ein künstliches Kniegelenk nötig.

Warum haben Frauen ein höheres Risiko, einen Kreuzbandriss zu erleiden?

Frauen haben anatomisch, genetisch und hormonell schlechtere Voraussetzungen als Männer. Weil sie ein breiteres Becken haben, neigen Frauen zur X-Bein-Stellung, die einen Kreuzbandriss bei entsprechender Krafteinwirkung auf das Knie begünstigt. Die weibliche Muskulatur ist in der Regel schwächer ausgeprägt als die männliche, sodass auch die stabilisierende Funktion weniger stark ist.

Fußball-Nationalspielerin Carolin Simon liegt verletzt am Boden, während ein Betreuer per Handzeichen siganlisiert, dass sie ausgewechselt werden muss
Ein Kreuzbandriss ist im Frauenfußball eine häufige Verletzungnull Heiko Becker/HMB Media picture alliance

Und auch die Hormone spielen eine Rolle: In der zweiten Hälfte des Zyklus macht das Sexualhormon Progesteron die Bänder im weiblichen Körper weicher und das Kreuzbandrisiko steigt. Insgesamt ist es für Frauen etwa doppelt so hoch wie für Männer.

Wie lange fällt man mit einem Kreuzbandriss aus?

Das hängt von der Schwere der sonstigen Verletzungen im Kniegelenk ab und von der Sportart, die man betreibt. Bei einem reinen Kreuzbandriss ohne Beteiligung weiterer Bänder, Knochen oder der Menisken dauert es in der Regel sechs bis neun Monate, bevor man wieder wettbewerbsfähig ist. Normalerweise spricht auch nichts dagegen, nach einem ausgeheilten Kreuzbandriss wieder Sport zu trieben.

Bei entsprechender Physiotherapie kann man etwa sechs Wochen nach der OP auf einem Fahrrad-Ergometer trainieren oder schwimmen gehen. Sportarten ohne plötzliche Richtungswechsel und große Krafteinwirkung durch Sprünge und Landungen wie Laufen, Schwimmen und Radfahren sind nach einem halben Jahr wieder möglich. Bei Mannschaftssportarten wie Fußball und Basketball, auch bei Tennis oder Ski alpin dauert es normalerweise zwei bis drei Monate länger bis zum Comeback. Oft spielt auch die psychische Komponente eine große Rolle. Es braucht mitunter Zeit, bevor die Patienten ihrem geheilten Knie wieder vertrauen.

Physiotherapie am Knie mit Bandage
Nach einem Kreuzbandriss wird mit Hilfe von Physiotherapie die Beweglichkeit im Knie wieder hergestelltnull Andriy Popov/PantherMedia/IMAGO

Trotzdem gab es schon Sportler, die schneller wieder fit waren. Ein prominentes Beispiel ist Ex-Fußball-Nationalspieler Sami Khedira, bei dem Mitte November 2013 das Kreuzband riss und der Anfang Mai 2014 wieder auf dem Platz stand. Kurz danach gewann er mit Real Madrid die Champions League und wurde anschließend mit Deutschland Weltmeister.

Funktioniert Leistungssport auch ohne Kreuzband?

Im Schwimmen, Laufen, Radsport oder anderen Sportarten mit geringerer Belastung der Knie ist das sicherlich möglich, bei Sportarten mit hoher Knie-Belastung allerdings eher nicht zu empfehlen - wie einige Bespiele zeigen: US-Skirennfahrerin Lindsey Vonn verzichtete nach einem schweren Sturz im Winter 2013/2014 auf eine Kreuzband-Operation, um die Olympischen Spiele in Sotschi nicht zu verpassen. Sie musste ihren Olympia-Traum einige Wochen später wegen starker Schmerzen und anhaltender Knieschwellung aufgeben, die Saison vorzeitig beenden und sich operieren lassen.

Fußballstar Zlatan Ibrahimovic spielte 2022 ein halbes Jahr lang mit gerissenem Kreuzband weiter und gewann mit der AC Mailand die italienische Meisterschaft. Allerdings konnte er kaum trainieren und, wenn überhaupt, jeweils nur ein paar Minuten mitspielen. "Sechs Monate lang habe ich wegen der Schmerzen kaum geschlafen. Ich habe noch nie so sehr auf und neben dem Spielfeld gelitten", schrieb der Schwede auf Instagram, bevor er sich nach der Saison einer Operation unterziehen musste.

Skirennfahrerin Joana Hählen bei einem Skirennen
Außergewöhnlich: Skirennfahrerin Joana Hählen fehlen beide vorderen Kreuzbändernull Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Deutschlands ehemaliger Fußball-Nationaltorhüter Toni Schumacher zog sich 1972 - noch vor seiner Profikarriere - als 18-Jähriger einen Kreuzbandriss zu, entschied sich aber gegen eine Operation. Seine gesamte Laufbahn (1973 bis 1996) spielte er mit "Wackelknie", bezahlte diese Entscheidung allerdings mit schweren Folgeschäden und Schmerzen, die seine Lebensqualität nach der Karriere deutlich einschränkten.

Sehr ungewöhnlich ist der Fall Joana Hählen: Die Skirennläuferin aus der Schweiz brach Ende Januar 2024 die Weltcup-Abfahrt in Cortina d'Ampezzo mit starken Knieschmerzen ab und wurde mit Verdacht auf Kreuzbandriss in die Klinik gebracht. Dort stellten die Ärzte fest, dass ihr rechtes vorderes Kreuzband tatsächlich nicht mehr intakt war. Wie Untersuchungen zeigten, war es aber bereits zwei Jahre zuvor bei einem Sturz gerissen. Damals war man nur von einem Anriss ausgegangen. Im linken Knie Hählens fehlt das vordere Kreuzband sogar schon seit über sechs Jahren. Sie hatte es sich 2017 gerissen, aber auf eine OP verzichtet. "Es ist sicher viel Arbeit mit Physiotherapie und Knieübungen", sagt Hählen. "Aber ich kann es gut mit meiner Muskelkraft und meiner Größe kompensieren."

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