In der Berliner Unterwelt
Seit zwei Jahrzehnten erforscht Dietmar Arnold Tunnel, Keller und Brunnen in der Berliner Unterwelt. Sie erzählen die Geschichte des 20. Jahrhunderts aus einer neuen Perspektive.
SPRECHER:
Dietmar Arnold – seit rund 20 Jahren erforscht er Berlins Untergrund und hat 1997 den Verein „Berliner Unterwelten“ mitgegründet. Sein Arbeitsplatz hat keine Fenster und liegt rund acht Meter unter Berlin. Zehntausende Kubikmeter Schutt haben er und sein Team hier über Jahre rausgetragen und damit unterirdische Baudenkmäler freigelegt, zum Beispiel Brauereikeller und Fluchttunnel. Die Idee dazu kam Dietmar Arnold in Paris.
DIETMAR ARNOLD (Gründer Verein „Berliner Unterwelten“):
Als ich 1988 dann Stadt- und Regionalplanung studiert habe, gab’s ’n Austausch mit Pariser Stadtplanern, und ich bin da in eine Gruppe von Kataphilen geraten, die also sozusagen die Katakomben unter Paris erkundet haben. Es gab da drei rivalisierende Gruppen und bei der einen ... ich hab‘ denen dann geholfen, da unten zu vermessen und weiß ich was. Und bin dann so zwei Tage mit denen mal unterwegs [gewesen], und da hab‘ ich mich infiziert. Und dann kam ich zurück nach Berlin und dachte, ich muss mal gucken, was ist eigentlich unter dem Boden der eigenen Stadt los.
SPRECHER:
Dieser neu gebaute Zugang führt zu einem der letzten Fluchttunnel, mit denen Menschen aus der einst geteilten Stadt von Ost nach West gelangen sollten. 17 DDR-Bürgern sollte er den Weg in die Freiheit ermöglichen. Es fehlten nur noch zehn Meter, aber dann flog der Plan auf. Einer der Tunnelgräber war der Westberliner Klaus Köppen. Er wollte so seine schwangere Frau zu sich in den freien Westteil der Stadt holen.
DIETMAR ARNOLD:
Ja, hier gucken wir jetzt in den Originaltunnel aus dem Jahre 1970/71 rein. Das ist der einzige Tunnel, den man tatsächlich jetzt im Original sehen kann aus der Zeit der Berliner Mauer.
SPRECHER:
Auch viele Hilfsmittel und Werkzeuge der Tunnelbauer sind im Original zu sehen. Oberirdisch markieren Platten den Verlauf des Tunnels von West nach Ost. Die Teilung der Stadt hat Dietmar Arnolds Lebengeprägt. Es gab Freunde im Osten der Stadt, die ihn nie besuchen konnten. 1964 wird er im Westteil geboren. Zum Studium zieht er in die Nähe der Grenze an der Bernauer Straße.
DIETMAR ARNOLD:
Wenn ich jetzt aus Westdeutschland Besuch bekommen habe – wie Freunde, Bekannte, Verwandte auch, – dann bin ich nie zum Brandenburger Tor gefahren. Das war so bei uns eigentlich auch verpönt. Wenn, dann immer hier an die Bernauer Straße. Es gab quasi an jeder Straßenkreuzung ... gab’s so Holzpodeste auf der Westseite, die waren so hoch gebaut, dass man von dort aus richtig über die Mauer ganz weit nach Ost-Berlin reingucken konnte.
SPRECHER:
Ganz in der Nähe liegt seine Stammkneipe, der „Biermichel“. Seit seiner Jugend spielt er Akkordeon – heute am liebsten Lieder aus den 1920er Jahren.
DIETMAR ARNOLD:
Ich bin ja ’n echter Berliner, um es mal so auszudrücken, und ich freue mich einfach, dass also auch bei ... auch doch bei den jüngeren Leuten sogar noch ’n Interesse an diesen Liedern da ist, und die sind ja zum Teil richtig brandaktuell, wenn man sich die Texte der 20er Jahre da anguckt. Und es können also hier auch einige mitsingen, und ich find’ also ... ich kämpfe gerne dafür – deswegen sing ich das auch, dass so was nie ausstirbt. Genau wie die Berliner Eckkneipe, die darf auch nie aussterben.
SPRECHER:
Und für die Freilegung von Baudenkmälern unter den Straßen von Berlin will der 54-Jährige auch so lange kämpfen, wie er kann. Dieser Brunnen von 1863 ist eine der letzten Entdeckungen. Er gehörte zu einer Brauerei und führt noch heute Wasser.
DIETMAR ARNOLD:
Für mich ist Berlin die Stadt der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik über die NS-Zeit über die Nachkriegszeit und die deutsche Teilung und dann die Wiedervereinigung. Wir haben hier alles wirklich erlebt. Man kann hier also Geschichte wirklich toll vermitteln.
SPRECHER:
Eben nicht nur über, sondern auch unter der Erde. Das beweist Dietmar Arnold mit seinem Verein „Berliner Unterwelten“.
DIETMAR ARNOLD:
Tschüss.