Manuskript

Neue Chancen für Geduldete

Wer in Deutschland kein Asyl erhält, muss zwar nicht immer sofort das Land verlassen. Die ständige Drohung, dass man zurückgeschickt werden könnte, sorgt allerdings für schlaflose Nächte – so auch bei Azer Allakhverdiiev, der vor vier Jahren aus der Ukraine geflohen ist. Der deutsche Staat will Menschen wie ihm jetzt die Möglichkeit geben, sich in einem sogenannten Chancenjahr zu beweisen. Doch Allakhverdiiev wird das Gesetz erst einmal nichts nützen.
 

SPRECHER:
Azer Allakhverdiiev ist selbst noch in der Ausbildung, aber er kann anderen schon einiges beibringen: Schülerpraktikantin Emily etwa. Allakhverdiiev ist vor mehr als vier Jahren aus der Ukraine geflohen. Er ahnte, dass es Krieg im ganzen Land geben würde. Asyl bekam er damals nicht in Deutschland, sollte sogar abgeschoben werden. Er war seither immer nur geduldet – eine große Belastung für ihn.

AZER ALLAKHVERDIIEV (Auszubildender):
Man kann nicht so viel schlafen wegen der Abschiebung, Duldung. Alle Koffer [sind] bereit, und man weiß nicht, wann [die] Polizei kommt zum Abholen.

SPRECHER:
Obwohl nie klar war, wie lange er noch geduldet sein würde, begann er in einem Berliner Ingenieurbüro für Energie- und Gebäudetechnik eine Ausbildung: Er wird Technischer Systemplaner. Ein mühsamer Kampf gegen die Bürokratie einerseits, aber für das Unternehmen kam er wie gerufen.

MIRIAM GERLACH (Personalmanagerin):
Wir haben jahrelang nach einem ausbildungsreifen Auszubildenden gesucht, sind also sehr dankbar für unseren jetzigen Azubi, weil jahrelang kein entsprechender Bewerber oder Bewerberin zu finden war bei dem Fachkräftemangel in Deutschland.

SPRECHER:
Das soll jetzt einfacher werden, so plant es die Bundesregierung: Menschen mit einer Duldung sollen ein sogenanntes Chancenjahr bekommen. In dem können sie beweisen, dass sie es schaffen, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, und dass sie gut integriert sind. Der Haken: Das gilt nur für Geduldete, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben.

MIRIAM GERLACH:
Wenn ich das jetzt übertrage auf unseren Auszubildenden, haben wir das Problem: Er ist seit vier Jahren und drei Monaten in Deutschland, für ihn trifft es schon mal gar nicht zu. Und das finde ich wirklich sehr ungerecht, denn er hat von 2018 bis [20]21 jeden Deutschkurs absolviert, hat Sprachniveau B2, er hat seinen deutschen Führerschein gemacht, er hat schon 2020 den Einbürgerungstest gemacht … er ist Mitglied aktiv in einem Sportverein.

SPRECHER:
Trotzdem: Leute wie Oliver Rogmans sehen in den Regierungsplänen auch Gutes. Er begleitet Asylbewerber durch den Paragrafendschungel und begrüßt jede Erleichterung, auch wenn sie fleißigen Auszubildenden wie Allakhverdiiev zunächst wenig bringen.

OLIVER ROGMANS (Asylverfahrensbegleiter):
Des Weiteren ist dieser Chancenaufenthalt natürlich für Menschen insbesondere interessant, die gar keine Arbeitserlaubnis haben zum derzeitigen Stand. Ja, das heißt Leute, die sich nicht irgendwie in irgendwelche Richtungen beruflich entwickeln können, die jetzt nochmal die Chance kriegen, aufgrund eben von ihrem Durchhaltevermögen dann doch irgendwie perspektivisch auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

SPRECHER:
So bitter es klingen mag: Nicht ein deutsches Gesetz, sondern der russische Krieg geben Azer Allakhverdiiev die Sicherheit, dass er erst mal nicht abgeschoben wird, sondern eine Perspektive hat.

AZER ALLAKHVERDIIEV:
Ich mag diese Ausbildung und ich mache [sie] sehr gerne. Und in Zukunft [möchte ich] in diesem Bereich arbeiten und in dieser Firma weiterarbeiten.

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