Manuskript

Schweizer Käse in der Türkei

Hoch oben im türkischen Bergdorf Bogatepe sind die Bedingungen für die Käseproduktion ideal. Das fand vor über hundert Jahren der Deutsche Alexander Kaiser heraus und ließ zusammen mit einem Schweizer Freund eine Käserei bauen. Noch heute produzieren die Bewohnerinnen des Dorfes Käse nach ihren Rezepten. Im Dorf haben sie deshalb das Sagen. Ihr Käse ist nicht nur im eigenen Land beliebt und bekannt, sondern wird bereits bis nach Hongkong verkauft.

SPRECHER:
Willkommen in Bogatepe, einem kleinen Dorf in über 2000 Metern Höhe unweit der armenischen Grenze. Hierticken die Uhren ein wenig anders als im Rest der Türkei. Denn hier haben die Frauen das Sagen – ob draußen auf dem Feld oder im Stall. Dahinter steht eine lange Geschichte, die mit Schweizer Käse begann. Zümran Ömür, die Vorsitzende der landwirtschaftlichen Kooperative von Bogatepe, erzählt Besuchern im Museum des Dorfes gern von dem Deutschen Alexander Kaiser – dem Mann, der vor mehr als hundert Jahren erkannte, dass auf diesem Hochplateau mit seinen saftigen Wiesen ideale Bedingungen für die Herstellung des berühmten Emmentalers bestehen.

ZÜMRAN ÖMÜR (Landwirtschaftliche Kooperative Bogatepe):
Dieses Dorf hat Alexander Kaiser viel zu verdanken, auch seiner Tochter. Die hat das Erbe ihres Vaters fleißig weitergeführt. Sie haben uns viele Käserezepturen hinterlassen, die auch ich erst lernen musste.

SPRECHER:
Ömür und die anderen Frauen der Kooperative stellen hier nicht irgendeinen Käse her: Ihre Spezialität ist der türkische Kars-Gravyer. Gravyer klingt nicht von ungefähr nach der Schweizer Käsesorte Gruyere. Wie es dazu kam, das weiß Ilhan Koculu, Urenkeldes deutschen Pioniers und heute einer der wenigen Männer, die in Bogatepe etwas zu sagen haben.

ILHAN KOCULU (Molkerei Bogatepe):
Mein Urgroßvater kam mit dem Schweizer Freund auf seiner Reise aus dem Kaukasus hierher, nach den Wirren der russischen Oktoberrevolution. Sie ließen eine Käserei nach Schweizer Vorbild errichten. Auch das Gebäude hat er selbst entworfen. Hier wurde dann zum ersten Mal der Kars-Gravyer-Käse hergestellt.

SPRECHER:
Doch später verfiel die Käserei, das Erbe geriet in Vergessenheit. Viele Männer des Dorfes zogen in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf der Suche nach Arbeit weg. Aber die Frauen besannen sich auf das Erbe der beiden Käsepioniere. Zümran Ömür baute die alte Käserei wieder mit auf. Und ihr Mann unterstützte sie ganz selbstverständlich.

ZÜMRAN ÖMÜR:
Liebling, sagte er, wenn du dir diese Aufgabe zutraust und an dich glaubst, dann glaube ich auch an dich. Dann stehe ich hinter dir.

SPRECHER:
Heute ist die 46-Jährige so etwas wie die Käsebotschafterin des Ortes. Ihr Mann geht ihr zur Hand – eine ungewöhnliche Konstellation, muss er zugeben.

KAZIM ÖMÜR (Molkerei Bogatepe):
Na ja, unsere Gesellschaft ist ja schon recht patriarchalisch geprägt. Die Männer bestimmen. Aber hier haben die Frauen meiner Meinung nach den Platz bekommen, den sie verdienen.

SPRECHER:
Die Frauen von Bogatepe haben ihren Gravyer zu einem Verkaufsschlager gemacht – als gäbe es keine türkische Wirtschaftskrise. Nicht nur im Dorfladen drängeln sich die Besucher. Der Käse wird im ganzen Land verkauft und neuerdings sogar bis nach Hongkong exportiert.

ZÜMRAN ÖMÜR:
12.000 Besucher hatten wir allein im vergangenen Jahr. Das freut uns, denn es hilft der Entwicklung unseres Dorfes. Und es bringt die Frauen hier voran.


BESUCHERIN:
Das Beispiel sollte Schule machen auf dem Land in der Türkei. Denn die Provinz ist immer noch abgehängt. Aber das können, wie wir sehen, Frauen mit kreativen Ideen ändern.

SPRECHER:
Dann bringt Zümran Ömür die Besuchergruppe noch zum Bus, um gleich danach wieder die Kühe hinaus auf die Weiden zu treiben. Die Frauen von Bogatepe, so scheint es, haben nicht nur das Sagen, sondern auch die ganze Arbeit.

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