Manuskript

Schwere Vorwürfe deutscher Turnerinnen

Naomi und Ruby van Dijk turnen seit ihrer Kindheit. Mit zehn Jahren gingen die Zwillingsschwestern an ein Elitetrainingszentrum. Dort erlebten sie Einschüchterungen und Demütigungen, wenn ihr Trainer mit ihren Leistungen nicht zufrieden war. Sie wechselten an ein anderes Trainingszentrum – doch auch hier machten sie ähnliche Erfahrungen. Die Turnerinnen wurden gezwungen, unter Schmerzen zu trainieren. Lange haben sich Naomi und Ruby van Dijk nicht getraut, sich zu wehren.

SPRECHERIN:
Naomi und Ruby van Dijk lernen wieder, das Turnen zu lieben. Viele Jahre lang war ihre Liebe zu diesem Sport verschwunden. Im Alter von zehn Jahren – bereit für große Erfolge – zogen die Zwillinge in ein Elitetrainingszentrum in der Nähe von Köln. Doch als ihre Leistungen nachließen, wurden sie von ihrem Trainer als fett und faul beschimpft.

RUBY VAN DIJK:
Das Schlimmste fand ich eigentlich, dass er dann teilweise auch bei Wettkämpfen gesagt hat: „Nein, ich fahre nicht mit, weil ihr blamiert mich.“ Und das ist eben … Wenn man 14 Jahre alt ist oder 15, braucht man, finde ich, einen Trainer, der eben hinter einem steht, egal wie schlecht man turnt. Bei jedem Wettkampf, wo wir dann hingefahren sind … Um dann entweder kurz vor dem Wettkampf zu sagen: „Na ja, ihr seid zu schwer.“ Oder: „Ihr blamiert mich.“

SPRECHERIN:
Bei einer Barrenübung wurde Naomi nach eigenen Angaben absichtlich auf den Kopf fallen gelassen, um ihr eine Lektion zu erteilen.

NAOMI VAN DIJK:
Der hat mich vorher halt zwei-, dreimal aufgefordert, ich soll tiefer runtergehen, tiefer runtergehen. Aber ich wusste ja, dass er mich eh nicht hält. Deswegen bin ich nicht tiefer runtergegangen. Und dann hat er es halt … Beim dritten Mal bin ich tiefer runtergegangen, da hat er losgelassen. Und dann war es so nach dem Motto: „Ja, siehst du?“

SPRECHERIN:
Sie beschwerten sich beim regionalen Turnverband. Dort habe man sie nicht ernst genommen oder ihnen nicht geglaubt und ihnen das Gefühl gegeben, sie seien das Problem.

NAOMI VAN DIJK:
Also, ich weiß noch, dass ich mit 14 dann auch einfach keinen Turnanzug mehr anziehen wollte. Und habe immer halt gedacht, das ist ja … Alles an mir ist falsch: also mein Aussehen, wo ich herkomme, wie ich turne, wie ich rede, wie ich bin. Also, das hat einfach so meine Persönlichkeit schon verletzt.

SPRECHERIN:
Der Rheinische Turnerbund zeigte sich in einer Stellungnahme – Zitat – „überrascht“ von den Vorwürfen und ergänzt: „Der RTB nimmt die erhobenen Vorwürfe sehr ernst und wird die Sachverhalte schnellstmöglich aufklären.“ Damals wurde Ruby und Naomi van Dijk gesagt, sie sollten sich entweder mit dem Trainer abfinden, den Sport aufgeben oder – was sie schließlich taten – in das Elitetrainingszentrum nach Chemnitz wechseln. Vor einigen Wochen wurden Probleme dort vom Magazin „Der Spiegel“ aufgedeckt. Mehr als ein Dutzend anderer Turnerinnen warf der Chemnitzer Cheftrainerin Gabriele Frehse vor, sie gemobbt und trotz Verletzungen zum Training gezwungen zu haben. Ruby und Naomi van Dijk sagen, dass Schmerzmittel und Injektionen ohne Rezept frei verteilt wurden – und ohne das Wissen der Eltern. Aber die Zwillinge hatten wegen ihrer Vorgeschichte das Gefühl, nichts dagegen sagen zu können.

NAOMI VAN DIJK:
Weil halt es immer hieß: „Ihr seid so lästig!“ und „Ihr seid das Problem!“, hieß es dann … Also wollten wir einfach nicht lästig sein. Also, wir wollten einfach zeigen, dass wir eben eigentlich fleißig sind und dass wir selber turnen … gerne turnen möchten, und haben auch deswegen auch viele Sachen gar nicht erst angesprochen.

SPRECHERIN:
Das hatte seinen Preis. Ruby van Dijk musste ihre ständigen Rückenschmerzen ignorieren. Eine Trainerin sagte ihr, das seien nur die Nerven vor dem Wettkampf.

RUBY VAN DIJK:
Dann gab’s noch eine Nebentrainerin in Chemnitz und die hat mir eben häufig gesagt, das wäre Einbildung, die Rückenschmerzen, und ob ich den Unterschied zwischen Muskelkater und richtigen Schmerzen überhaupt kennen würde. Und das ging eben anderthalb Jahre lang so. Und dann habe ich das irgendwann auch geglaubt, dass es natürlich nur Einbildung ist.

SPRECHERIN:
Aber es war nicht nur Einbildung: Ruby, der der Zugang zu ihren MRT-Bildern verwehrt wurde, brauchte schließlich eine Operation. Trainerin Frehse, die während der Prüfung der Vorwürfe suspendiert ist, hat alle Anschuldigungen als „haltlos“ bezeichnet und sagt, dass sie nie Grenzen überschritten habe. Dieses klare Dementi hat die Zwillinge dazu veranlasst, ihre Geschichte zu erzählen.

RUBY VAN DIJK:
Aber wir können auf jeden Fall bestätigen, dass es nicht haltlose Vorwürfe sind, die die Mädchen vorgebracht haben. Also, zwei, drei von den Mädchen waren ja auch gleichzeitig mit uns damals in Chemnitz. Und da waren wir ja quasi Zeugen dann dabei, wie die anderen dann schlecht behandelt wurden zum Beispiel. Und da können wir einfach sagen, dass es nicht haltlos war.

SPRECHERIN:
Aktuell treten Ruby und Naomi van Dijk nur national an und träumen nicht mehr vom internationalen Erfolg. Aber zumindest können sie jetzt wieder mit einem Lächeln auf dem Gesicht turnen.

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