Sechs Dörfer gegen den Braunkohleabbau
Ab 2038 will Deutschland keine Braunkohle mehr abbauen. Doch vorher sollen noch sechs Dörfer im Braunkohlegebiet Garzweiler abgerissen werden. Die Einwohner sollen umziehen – in neu gebaute Wohngebiete. Aber damit sind nicht alle einverstanden. Sie wollen ihre Heimat nicht wegen einer alten, umweltschädliche Energieform aufgeben.
SPRECHERIN:
Er baggert sich immer näher heran an Dorf und Hof. Bedrohliche Aussichten für Norbert Winzen.
NORBERT WINZEN (Initiative „Alle Dörfer bleiben“):
Das ist die Grundstücksgrenze hier. Und da vorne ist schon der Bagger. Das werden so drei-, vierhundert Meter noch sein. Der ist extrem schnell näher gekommen in den letzten Monaten.
SPRECHERIN:
Nur noch 3 Jahre, dann soll sein Zuhause, sein Land verschwunden sein, im Braunkohletagebau Garzweiler. 2038 steigt Deutschland aus dem Abbau von Braunkohle aus. Zu spät für die Winzens. Sie leben als Großfamilie in einem historischen Gehöft mit ihren Tieren auf 8000 Quadratmeter Grund.
NORBERT WINZEN:
Mein Großvater ist hierhin gekommen als Umsiedler, vom gleichen Tagebau übrigens, vor über 60 Jahren. Und da hat man ihm gesagt, hier ist doch so ’n alter Hof, den kannst du übernehmen, hier seid ihr sicher. Und, ja, jetzt sind wir in der vierten Generation schon und müssen jetzt vom gleichen Tagebau noch mal weg, so wie es aussieht. Und das ist natürlich schon ziemlich bitter. Das wollen wir auch nicht.
SPRECHERIN:
Die Winzens wollen sich wehren, doch die meisten ihrer Nachbarn haben aufgegeben, auch wenn es ihnen schwerfällt.
DENNIS JANSEN (Landwirt):
Na ja, also, die Heimat eben verlassen ist blöd eben, weil so ’n Ort hier bekommt man nicht mehr, aber wenn die das so vorschreiben, dass wir wegmüssen, ja, kann man ja in dem Sinne so jetzt nix mehr gegen machen.
SPRECHERIN:
Umsiedlung: von traditionellen, jahrhundertealten Bauerndörfern in halbfertige Neubausiedlungen. Mit 80 Prozent der Dorfbewohner sei man sich handelseinig, sie würden entschädigt, informiert uns der Braunkohleförderer RWE. Viele leiden, andere finden die Umsiedlung gut.
HANS JOSEF DEDERICHS (Schützenverein Kuckum):
Es gibt Leute, die auch Verwandte haben oder die selber bei RWE arbeiten, die gibt’s, die sind natürlich dafür, die haben natürlich Sorge um ihre Arbeitsplätze. Berechtigte Sorge. Jeder ist ja froh, wenn er Arbeit hat. Und es gibt natürlich Leute, die auch, sag ich mal, ihre Vorteile daraus sehen. Ich mein, die finanzielle Seite der Umsiedlung, die ist ja nicht ungerecht, das muss man schon sagen.
SPRECHERIN:
Doch er vermisse sein altes Dorf, das sei viel mehr als ein Neubaugebiet. Die Obstgärten, die Wälder, die Quelle. Deshalb unterstützt er die, die bleiben und kämpfen wollen, wie Marita Dresen.
MARITA DRESEN (Initiative „Menschenrecht vor Bergrecht“):
Meine Eltern sagen halt immer, sie möchten nicht mehr erleben, dass sie hier wegmüssen. Also, meine Mutter sagt das wirklich oft und fängt dann auch oft an zu weinen, dass sie lieber sterben möchte, als mitansehen zu müssen, wie so ’n Kohlebagger hier alles vernichtet und die Heimat weg ist.
SPRECHERIN:
Deshalb haben sie und ihr Sohn die Initiative„Alle Dörfer bleiben“ mitgegründet und stemmen sich gegen den politischen Beschluss, dass im Rheinischen Braunkohlerevier noch sechs Dörfer abgebaggert werden.
DAVID DRESEN (Initiative „Alle Dörfer bleiben“):
Für mich ist das vor allem eine Frage von Gerechtigkeit. Und ich find’s einfach ungerecht, dass Menschen ihr Zuhause verlassen sollen für ’ne Energieform aus dem 19. Jahrhundert.
DEMONSTRANTINNEN UND DEMONSTRANTEN
Alle Dörfer bleiben!
SPRECHERIN:
Unterstützung erhält ihre Initiative von Klimaaktivisten. Und so ist auf einmal richtig was los auf den sonst eher ruhigen und längst abgeschriebenen Dörfern am Rande des Tagebaus. Einige hier befremdet der Protest. Andere, wie die Dresens, sehen in der Unterstützung der Klimaschutzbewegung eine Chance, die Bagger vielleicht doch noch zu stoppen.
MARITA DRESEN:
Das gibt halt viel Kraft, weil man hat schon manchmal so das Gefühl, boah, hoffentlich schaffen wir das. Und ich denke, das ist schon ’n tolles Zeichen.
SPRECHERIN:
Klimaaktivisten campieren seit Wochen am Rande der Dörfer. Ihre Mahnwache ist Treffpunkt unterschiedlicher Welten.
NIVID MÜLLER (Mahnwache Lützerath):
Ich hab auch gelernt, dass es superwichtig ist, aus seiner Blase rauszukommen und irgendwie offen zu sein für verschiedene Protestformen, für verschiedene Menschen, die unterschiedlich am gleichen Strang ziehen.
SPRECHERIN:
Für die Dorfbewohner geht es um Verlust und Zerstörung ihrer Heimat. Sie verstehen nicht, warum sie noch ihre Häuser verlieren sollen. Braunkohle sei nicht mehr mit den Pariser Klimazielen vereinbar, die Maßnahme der Umsiedlung unverhältnismäßig.
NORBERT WINZEN:
Wir werden alle Dörfer versuchen zu halten und wir werden keinen Deut nachgeben, und wenn dann das mit Lützerath oder Keyenberg, was am nächsten an der Kante ist, vielleicht dann zu knapp wird, dann werden wir die anderen erhalten. Und wir werden weitermachen.
SPRECHERIN:
An diesem Wochenende sind rund 1000 Menschen gekommen, aus den Dörfern und von weit her. Sie bilden eine Menschenkette. Symbolischer Schutzwall für die Dörfer, die noch dem Tagebau weichen sollen.