Manuskript

Waldsterben als Chance?

In vielen Teilen Deutschlands stirbt der Wald. Das liegt auch daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg wurden vor allem Fichten gepflanzt wurden. Sie vertragen Trockenheit nicht gut und sind in Zeiten des Klimawandels besonders anfällig für Schädlinge. Doch das Sterben kann auch Erneuerung bringen. Expertinnen und Experten überlegen, wie ein nachhaltiger Wald in Zukunft aussehen kann.

SPRECHERIN:
Große Teile deutscher Wälder sahen früher so aus. Heute sehen sie so aus. Dieser Wald ist nicht mehr wiederzuerkennen. Aber um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir in der Zeit zurückgehen. Der Zweite Weltkrieg ist gerade zu Ende. Ein großer Teil der Welt liegt in Trümmern und muss wiederaufgebaut werden. Die Alliierten wollen Reparationen von Deutschland, aber das Land ist pleite. Also einigen sich die Parteien darauf, dass das Land einen Teil in Form von Holz zahlt. Und zwar eine ganze Menge Holz - schätzungsweise zehn Prozent der deutschen Wälder. Die Förster mussten also so schnell wie möglich große Flächen wieder bepflanzen. Und dabei fiel die Wahl in vielen Teilen des Landes auf die Fichte - was rückblickend vielleicht nicht die beste Entscheidung war. Aber damals schien es eine gute Idee zu sein.  Um herauszufinden warum, fahren wir nach Thüringen, um Försterin Fanny Hurtig zu treffen.

FANNY HURTIG (Försterin):
Die Fichte ist schnellwüchsig, sie bringt häufig gerades und qualitativ hochwertiges Holz, [d]as sich dann auch gut durch die Sägewerke verarbeiten lässt zu Möbeln, zu Fußböden, fürs Papier etc. Also sie ist eigentlich sehr weiträumig einsetzbar.

SPRECHERIN:
Deshalb ist die Fichte auch ein sehr lukrativer Baum. Deutsche Förster haben große Flächen damit bepflanzt - in geraden Reihen, damit man leichter hineingehen und ernten kann. Die Fichte ist der häufigste Baum in Deutschland und macht circa ein Viertel aller Wälder aus.  Aber das könnte sich bald ändern, weil diese Monokulturen profitabel,   aber gleichzeitig auch sehr verwundbar sind. Wälder auf der ganzen Welt leiden unter langen Dürreperioden, Waldbränden und Stürmen. Deutschland ist da keine Ausnahme. Die längeren Sommer aufgrund des Klimawandels führen dazu, dass die Wälder zu trocken sind und die Bäume Durst haben. Fichten sind an höhere Berglagen angepasst und brauchen vergleichsweise viel Wasser, aber durch ihr flaches Wurzelsystem kommen sie kaum an tiefer liegende Wasserspeicher ran.  Das alles ist nicht gerade gut für die Wälder - aber es gibt ein kleines Lebewesen, das sich über die aktuelle Situation sehr freut: der Borkenkäfer. Dieses winzige Insekt knabbert sich gerade durch viele deutsche und europäische Wälder. Der Borkenkäfer bohrt Löcher in den Baum und setzt dann Pheromone frei, um Artgenossen ins Innere zu locken. Dort pflanzen sie sich fort und legen Eier ab.  Ein gesunder Baum produziert normalerweise Harz, um sich vor den Käfern zu schützen. Aber durstige, schwache Bäume können das nicht. Deshalb feiert der Borkenkäfer gerade ein Festmahl.    

FANNY HURTIG:
Also vor fünf Jahren war die Fläche noch voll bewaldet.    

SPRECHERIN:
Die Käfer fressen die Schichten ab, die Nährstoffe und Wasser transportieren. Die Fichten sterben dann an Durst und Unterernährung. Der Käfer breitet sich in Deutschland und Europa immer weiter aus. Und je wärmer es wird, desto öfter  können sich die Käfer vermehren. Wir sind unterwegs in den Nationalpark Harz, der besonders unter dem Borkenkäfer gelitten hat. Hier sind etwa 90 Prozent aller Fichten tot. Zurück bleibt eine Region, die einfach nur schockierend aussieht. Wir treffen Roland Pietsch, den Leiter des Nationalparks Harz.  Der Harz ist so stark betroffen, weil dort besonders viele Fichten standen. Aber für Pietsch und viele andere ist dieses postapokalyptisch anmutende Szenario keine Katastrophe, ganz im Gegenteil.  Für ihn ist der Borkenkäfer nicht der Bösewicht; er ist eigentlich ein Segen.  

ROLAND PIETSCH (Leiter des Nationalparks Harz):
Die Frage ist ja, was passiert hier. Und was hier passiert – die ollen Fichten sind weg, ja? Und hier kommt jetzt der Wald, der hier hingehört. Wenn Sie sehen, was für eine Kraft, was für ein Leben drin ist, finde ich das schön. Ich find‘ das hier supertoll und superspannend.

SPRECHERIN:
Und die Natur macht in der Tat ihr Ding. Nico Frischbier ist Wissenschaftler und sucht nach dem richtigen Wald der Zukunft. Hier sind einige der Kandidaten: Zuerst kommen Buche, Eiche und Bergahorn. Sie können niedrigere Höhenlagen ab, haben tiefgehende Wurzeln und kommen deswegen besser mit Trockenheit klar. Dann gibt es Neuankömmlinge wie die Douglasie aus Nordamerika. Sie verträgt auch größere Hitze und Trockenheit. Heizen wir aber den Planeten weiter auf, brauchen wir noch ein paar Joker aus wärmeren Regionen.  

NICO FRISCHBIER:
Also es ist aufwendiger, schon mal, weil man sich mit mehreren Baumarten in Mischbeständen beschäftigen muss. Aber aus unserer Sicht lohnt es sich, weil man eben das Risiko reduziert. Also man hat vielleicht mehr Ausgaben und ‘nen geringeren Ertrag, der kommt aber weniger risikobehaftet tatsächlich beim Waldbesitzer an. 

SPRECHERIN:
Diese Ansätze zeigen, wohin sich viele europäische und auch internationale Wälder entwickeln könnten.  

ROLAND PIETSCH:
Das ist aus den Aspekten Klimakrise, Widerstandsfähigkeit gut, das ist für die Artenvielfalt gut.

SPRECHERIN:
Es mag katastrophal aussehen, aber ein neuer, widerstandfähiger Wald beginnt bereits zu wachsen. Einer, der hoffentlich den Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte gewachsen ist.