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Wann wirken die Russland-Sanktionen?

Zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat der Westen Russland mit Sanktionen bestraft. Der wirtschaftliche Druck sollte es der Regierung schwieriger machen, einen Krieg zu führen. Ein Jahr später sind sich Expertinnen und Experten nicht einig, ob und wann die Sanktionen wirken.

SPRECHER:
Russland geht das Geld für den Krieg aus, weil die Sanktionen die russische Wirtschaft schwächen. Das war der Plan des Westens. Unter anderem wurden mehr als tausend Russen mit Sanktionen belegt, das Land weitgehend vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Und wie steht Russlands Wirtschaft heute da? Sie wird wohl dieses Jahr wachsen, sogar stärker als die Wirtschaft in Deutschland, sagt der Internationale Währungsfonds. Wirken die Sanktionen nicht? Experten sind uneins.

JULIA GRAUVOGEL (Leibniz-Institut für globale und regionale Studien):
Jetzt sind wir tatsächlich nach ungefähr einem Jahr oder knapp einem Jahr in dieser Phase, wo dieser Versuch, die Fähigkeit, den Krieg zu finanzieren, wirklich langsam greift.

JANIS KLUGE (Stiftung Wissenschaft und Politik):
Insgesamt ist die Situation zumindest für die nächsten ein, zwei Jahre für die russische Führung nicht kritisch.

SPRECHER:
Eine Schlüsselrolle spielt China dabei – der bedeutendste Sanktionsverweigerer. Es hat ausgebliebene Importe aus dem Westen in großem Stil ersetzt, ein Drittel aller russischen Importe stammt mittlerweile von dort.

JANIS KLUGE:
China war nie ein großer Investor in Russland, im Gegensatz zu den europäischen Staaten beispielsweise. Das heißt, die Chinesen würden gerne mehr nach Russland exportieren, aber ob sie dort eben jetzt in die Bresche springen und die Industrie in Russland aufbauen, da habe ich meine Zweifel. Das heißt, es ist eher eine Möglichkeit, jetzt diese unmittelbaren Auswirkungen zu begrenzen für Russland, aber es ist eben kein Zukunftsmodell und kein Ersatz für den Westen.

SPRECHER:
Und dann gibt es Phänomene wie das armenische Elektronikwunder. Aus dem Land gehen unter anderem Smartphones nach Russland. Seit Beginn der Sanktionen hat sich der Export von Elektronikartikeln verdreifacht – über Handelspartner, die sich nicht an den Sanktionen beteiligen, nicht illegal.

JANIS KLUGE:
Russland ist natürlich eingebunden in ein … ja, eine Welt, die letztlich auch noch größer ist als eben die Koalition der sanktionierenden Staaten. Die sanktionierenden Staaten sind zwar die Hälfte des Bruttoinlandprodukts der Welt, also wirklich schon ein großer Teil der Weltwirtschaft, aber es gibt eben auch die andere Hälfte, und die hat sich teilweise erst mal zurückgehalten. Aber inzwischen wird doch relativ stark geschaut, welche Marktlücken es auch in Russland gibt, in die man stoßen kann.

SPRECHER:
Hightech-Waren wie Mikrochips kommen allerdings kaum noch in Russland an. 

JULIA GRAUVOGEL:
Es ist so, dass Bauteile fehlten. Bei Automobilherstellern standen beispielsweise monatelang die Bänder still. Jetzt werden zum Teil Autos ohne Airbags produziert. Aber es gibt auch einen großen Mangel an Chips, und der scheint dazu zu führen, dass keine gute Munition mehr produziert werden kann, keine Präzisionsmunition. Und es wirkt sich auch auf den Bau von sehr modernen Kampfpanzern aus.

SPRECHER:
Russlands Wirtschaft könnte langsam ausbluten. Auch durch neue Sanktionen wie den Ölpreisdeckel – einen Höchstpreis für Ölexporte aus Russland, dem wichtigsten Exportgut.

JANIS KLUGE:
Das heißt, anstatt die Importe abzuschneiden, versucht man jetzt, das Geld abzuschneiden, mit dem diese Importe bezahlt werden, egal wo sie herkommen. Und das ist langfristig die erfolgversprechendere Strategie. Allerdings muss man auch sagen: langfristig. Denn Russland ist sehr gut aufgestellt in diesen Krieg gegangen, sowohl was die Handelsbilanz angeht, als auch was den Haushalt angeht. Und es wird eben einige Jahre dauern, bis man aus dieser sehr stabilen Situation eine geschaffen hat, in der Russland unter Druck steht.

SPRECHER:
Doch wie lange wird der Westen seine Sanktionspolitik durchhalten, zumal er auch die Ukraine für Jahre mit Milliarden Euro und Dollar am Leben erhalten muss? Ist der Westen mittlerweile sanktionsmüde – angesichts hoher Inflation in den eigenen Ländern?

JULIA GRAUVOGEL:
Ich glaube, die Sanktionsmüdigkeit hat zum Teil tatsächlich damit zu tun, dass anfangs überhöhte Erwartungen an dieses Instrument geweckt wurden. Und wenn sich dann diese scheinbar suggerierten Erfolge nicht einstellen, dann sinkt natürlich auch die Bereitschaft in der Bevölkerung, den Preis für diese Sanktionen zu zahlen. Gleichzeitig muss man sagen, dass die wirtschaftlichen Einschränkungen, die wir hier sehen, immer noch viel geringer sind als das, womit die russische Bevölkerung umgehen muss.

SPRECHER:
Wer ist nach einem Jahr Sanktionen bereit, all das länger durchzustehen: Russland oder der Westen?

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