Manuskript

Was die Informationsüberflutung mit uns macht

Jeden Tag erreichen uns über Medien viele Informationen. Die Masse an neuen Inhalten beeinflusst unser Verhalten und unsere Gefühle. Um sich vor den negativen Folgen zu schützen, muss man den Umgang damit lernen.

SPRECHERIN:
Jede Minute werden auf YouTube 400 Stunden Videomaterial hochgeladen. 103 Millionen Spam-Mails landen täglich in unseren Postfächern. Und auf Twitter werden rund 500 Millionen Tweets versendet. Das sind 6000 Tweets pro Sekunde. Kein Menschenleben reicht aus, um das alles zu verarbeiten. Im Dauerfeuer an Geschichten, Bildern und verführerischen Angeboten fühlt sich manch einer überfordert – es herrscht Information Overload.

Doch wie kommt die schiere Masse von Informationen überhaupt zustande? Durch die schnelle Taktung, in der neue Informationen hergestellt werden, steigt der Druck auf alle, selbst neue Inhalte zu produzieren. Zeitungen etwa aktualisieren ihre Seiten im Stundentakt. Etwas weltweit zu publizieren, ist leicht geworden. Jeder kann ein Video drehen und hochladen. Außerdem nehmen die Nachrichtenkanäle ständig zu.

Zu viele Informationen, zu viele Wahlmöglichkeiten – darauf reagieren wir auf zwei verschiedene Arten: Zum einen mit dauernder Wachsamkeit und Hypersensibilität. Man hält es ohne ständig neuen Input gar nicht mehr mit sich selbst aus. Der Stresslevel steigt und damit die Angst, etwas Wichtiges zu übersehen oder etwas Interessantes zu verpassen. Andere stumpfen ab, interessieren sich für nichts mehr, überlassen sich der Flut der bunten Bilder.

JAN KALBITZER (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie):
Unter Stress werden wir einerseits vergesslich und unkonzentrierter. Was mir besonders Sorge macht, ist, dass wir anfangen, stärker zu polarisieren. Das heißt, wir unterscheiden mehr in Schwarz-Weiß. Wir nehmen Situationen schneller als bedrohlich wahr. Das heißt, durch die Überforderung, die entsteht, fangen Menschen auch an, in so ’nen Modus zu kommen, wo sie schneller angreifen, schneller streiten.

SPRECHERIN:
Dr. Jan Kalbitzer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er forscht am Zentrum für Internet und seelische Gesundheit der Charité Berlin.

JAN KALBITZER (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie):
Menschen wollen wissen, was in ihrer Umwelt los ist, und durch diesen ständigen Nachrichtenfluss, diesen ständigen Alarmismus in den Nachrichten verstärkt sich eine Angst der Menschen vor dem Internet oder auch vor der Welt da draußen. Es ist schon, als ob wir in der virtuellen Realität leben. Wir gehen durch eine wahnsinnig sichere Stadt und haben dauernd Angst, weil wir überflutet werden mit gefährlichen Nachrichten.

SPRECHERIN:
Im Internet gibt es zu jeder Meinung eine Gegenmeinung. Manchmal ist es fast unmöglich, Fakten von Fake News zu unterscheiden – und weit und breit niemand, der das Chaos für uns durchschaubarer machen kann. Die Suchmaschinen, denen wir uns anvertrauen, suchen uns schließlich nicht die besten, sondern die am besten bezahlten Informationen heraus.

JAN KALBITZER:
Das ist ’n großes Problem, wenn wir alles, was im Internet ist, über Geld regulieren. Das darf nicht mehr stattfinden. Wir müssen als Gesellschaft viel stärker da eingreifen, politisch, aber auch jeder Einzelne.

SPRECHERIN:
Das Internet verändert unser Gehirn, auch strukturell. Es gibt Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass das tägliche Computer-Multitasking zu einer schlechteren Verschaltung im frontalen Cortex führt. Gleichzeitig ist zum Beispiel der Teil des sensomotorischen Cortex’, der zuständig ist für die Daumenbewegung, bei den heute 15-Jährigen doppelt so groß wie bei ihren Eltern. Man kann also nicht einfach behaupten, das Internet würde uns dümmer machen.

JAN KALBITZER:
Als Menschen angefangen haben, im Gegensatz zu den Affen den Daumen der Hand gegenüberzustellen und Werkzeuge zu benutzen, da hat das unser Gehirn auch komplett verändert in seiner Struktur. Auf einmal sind wir viel aufrechter gegangen, um die Hand besser nutzen zu können. Das Gehirn verändert sich permanent, und das muss es auch. Es muss sich ja neuen Umweltveränderungen anpassen.

SPRECHERIN:
Die Frage ist also viel eher, wie wir Wissen besser für uns organisieren können. Ob man sich nun selbst eine Informationsdiät verordnet oder gemeinsam mit Freunden und Familie überlegt, wie man stressfreier durchs Internet kommt – Medienkompetenz brauchen heute alle.