Kaum gehört: Junge Stimmen in der Politik
Die Interessen der jungen Generation werden in der Politik wenig vertreten. Im Deutschen Bundestag sind nicht einmal ein Prozent der Abgeordneten unter 30 Jahre alt. Auch die meisten Wählerinnen und Wähler sind älter. Vor der Bundestagswahl sind viele junge Menschen von den Parteien enttäuscht. Daher versuchen sie, anderweitig Einfluss auf die Politik zu nehmen.
SPRECHERIN:
Konzentriert und vorausschauend, sich Schritt für Schritt nach oben arbeitend – das ist es, was Pierre Zissel am Klettern fasziniert. Und genau so wünscht er sich eigentlich die deutsche Politik. Deshalb ist wählen gehen für den 22-Jährigen ein Muss. Jede junge Stimme ist wichtig, findet Pierre. Die Jungen seien ohnehin zu wenig vertreten.
PIERRE ZISSEL (Student):
Unsere Generation hat keine Lobby. Das ist, denke ich, das Problem. Also, natürlich hat jetzt auch nicht die ältere Generation irgendwie eine Lobby, aber letztendlich sind aber doch die Interessen vieler älterer Menschen in Deutschland institutionell besser repräsentiert als die Interessen junger Menschen.
SPRECHERIN:
Tatsächlich sind im Deutschen Bundestag nicht mal ein Prozent der Abgeordneten unter 30. Auch die Wähler sind meist älter – und stimmen öfter für konservative Parteien. In Erfurt, wo Pierre wohnt, ist jeder fünfte Bewohner über 65 – Tendenz steigend. Pierre hat oft das Gefühl, dass es in der Politik zu wenig darum geht, was junge Leute brauchen. Gemerkt hat der Student das etwa in der Pandemie, als viele seiner Kommilitonen plötzlich Existenzängste hatten.
PIERRE ZISSEL (Student):
Auch ich habe meinen Nebenjob verloren zum Beispiel in der Gastronomie. Da kenne ich auch einige … viele Menschen, die dadurch, dass sie den Nebenjob verloren haben, dann auch im Bildungsweg dann ‘nen erheblichen Einschnitt bekommen haben. Viele haben sogar das Studium unterbrochen oder gar abgebrochen, und da wird eben sehr wenig drüber gesprochen.
SPRECHERIN:
In den vergangenen 18 Monaten war Pierre viel zu Hause. Das Studium fand meist nur übers Internet statt, seine Band tritt nicht mehr auf. Stattdessen: Gitarren-Übungen im WG-Zimmer. Pierre sagt, viele seiner Freunde seien jetzt vor der Bundestagswahl enttäuscht von der Politik und den Parteien.
PIERRE ZISSEL (Student):
Das nehme ich zumindest in meiner Generation sehr viel wahr, dass sehr viel Politikverdrossenheit stattfindet. Da sehe ich die Rolle meiner Generation gerade auch so ein bisschen, dass wir von außen Druck ausüben, denn die Parteien sind innerhalb sehr statisch. Also, man muss ‘nen sehr langen Weg gehen, von Ortsverein über Plakate kleben, bis man wirklich auch selbst merkt, dass man Entscheidungen mit beeinflussen kann – und das frustriert viele junge Menschen.
SPRECHERIN:
Seinen Platz sieht Pierre deshalb außerhalb der Parteien. Seit zwei Jahren engagiert er sich bei Fridays for Future. Jede Woche treffen sich die Klima-Aktivisten. Gerade bereiten sie eine Demonstration vor, die kurz vor der Wahl stattfinden soll.
PIERRE ZISSEL (Student):
Die Bundestagswahl 2021 wird auf jeden Fall ‘ne richtungsweisende Wahl sein, das ist ganz klar. Die nächste Legislatur wird ohne Zweifel darüber entscheiden, ob Deutschland die selbst gesetzten Klimaziele aus dem Pariser Klimaabkommen einhalten kann – sprich ob wir unseren Teil dazu beitragen können, dass das 1,5-Grad-Ziel eingehalten wird.
SPRECHERIN:
Die Zeit dränge. Die Politik habe noch immer nicht verstanden, was junge Klimaschützer wie ihn umtreibt.
PIERRE ZISSEL (Student):
Ich würde fast sagen: ein Stück weit Panik. Denn wir haben … wir sehen auf der ganzen Welt Überflutungskatastrophen, nicht erst seit diesem Jahr. Wir sehen Hitzewellen, Dürreperioden, Waldbrände, auch nicht erst seit diesem Jahr. Wir sehen unzählige Tierarten, die nacheinander aussterben und irgendwie juckt es dann doch keinen. Und wir rasen gerade wirklich mit ‘nem lachenden Gesicht auf den Abgrund zu.
SPRECHERIN:
Dass die nächste Regierung das Ruder noch herumreißt, glaubt Pierre nicht. Er rechnet damit, auch nach der Wahl fürs Klima auf die Straße gehen zu müssen.