Zunahme von häuslicher Gewalt in der Corona-Zeit
Häusliche Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das etwa jede vierte Frau in Deutschland im Laufe ihres Lebens betrifft. Opfern und potentiellen Opfern soll mit verschiedenen Angeboten geholfen werden. Dazu gehören auch Selbstverteidigungskurse. Besonders wichtig sind jedoch Beratungsstellen und Frauenhäuser als Anlaufstellen für Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht sind. Die Nachfrage ist während der Corona-Pandemie stark gestiegen. Die Einrichtungen waren dadurch überlastet.
SPRECHERIN:
Selbstverteidigungstraining für Frauen: Hier ins Chohwa-Zentrum in Berlin kommen Frauen aus der ganzen Stadt, lernen Taekwondo und Techniken zur Selbstverteidigung. Die Nachfrage ist groß, und für viele Kurse gibt es lange Wartelisten. Ganz wichtig zur Selbstverteidigung, sagt Trainerin Heike Mohaupt-Wonnemann, ist das Schreien. Das müssen viele erst lernen.
HEIKE MOHAUPT-WONNEMANN (Trainerin im Berliner Chohwa-Zentrum):
Man weiß, dass 60 Prozent der Täter ihre Tat abbrechen, wenn die Frau oder das Mädchen schreit. Deswegen ist das Schreien mit das Wichtigste, was wir in den Kursen vermitteln wollen, weil es erregt auch Aufmerksamkeit. Es sorgt dafür, dass ich meine Energie kriege, dass ich viel stärker bin als normal. Und das versuchen wir, durch verschiedene Übungen halt aus den Frauen rauszukitzeln. Die meisten Frauen trauen sich nicht, sagen, sie können es nicht. [Das] sieht unser Rollenbild nicht vor, sieht unsere Sozialisation nicht vor. Aber es ist halt sehr wichtig.
SPRECHERIN:
Und die Stimme, sagt sie, hat jeder als Waffe immer dabei. In den letzten Jahren kommen immer mehr Frauen hierher.
HEIKE MOHAUPT-WONNEMANN:
Häusliche Gewalt ist eine Spirale, die sich aufbaut. Und da ist es wichtig, von Anfang an zu sagen, hier bei der ersten Grenzüberschreitung, wenn der Mann mir das erste Mal sagt: „Du darfst dich nicht mit deiner Freundin treffen!“, dann zu sagen: „Das lass ich mir nicht bieten!“, und: „Hier [ist] Stopp, hier ist meine Grenze!“, und dann die Beziehung abzubrechen, weil so fängt das an und so baut sich das auf.
SPRECHERIN:
Und wer weiß, was hinter diesen Fenstern passiert. Laut Statistik ist jede vierte Frau in Deutschland im Laufe ihres Lebens von Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner betroffen. Und das geht durch alle sozialen Schichten. In Zeiten von Lockdown und Homeoffice hat die Gewalt noch zugenommen. Das belegen jüngste Studien. Dementsprechend verzeichnen auch Frauenberatungsstellen seit der Pandemie einen enormen Anstieg an Hilfesuchenden.
UTE HELMSTÄDT (Mitarbeiterin im Frauenraum, Berlin):
Bei den ersten Lockdowns war es so, dass es auch erst mal weniger wurde, weil die Frauen natürlich überwiegend viel mehr unter der Kontrolle ihrer gewalttätigen Partner standen und deshalb … die Kinder waren zu Hause, also dass es schwieriger war, Kontakt zu Hilfeeinrichtungen aufzunehmen. Aber nach Beendigung des ersten Lockdowns ging es dann auch spürbar nach oben. Und in vielen Familien hat es sich dann auch noch mal zugespitzt. Und wir haben vor allem bemerkt, dass wir viel mehr intensive Begleitung anbieten müssen.
SPRECHERIN:
Ute Helmstädt weiß, dass sie in der Beratungsstelle nur die Spitze des Eisbergs zu sehen bekommt. Denn viele Frauen trauen sich nicht, über ihre erlebte Gewalt zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Und noch weniger erstatten Anzeige. Hier geht es oft erst einmal darum, die Frauen mit ihren Kindern in ein geschütztes Umfeld zu bringen. Aber schon das wird inzwischen immer schwieriger.
UTE HELMSTÄDT:
Wir haben sieben Frauenhäuser in Berlin; in fünf gab es Aufnahmestopps Anfang des Jahres immer wieder durch Corona – mal in sechs Frauenhäusern, mal in fünf. Und das bedeutet, dass dann gar keine Frauen dort in diese entsprechenden Häuser vermittelt werden können. Also, generell haben wir ein Platzproblem für niedrigschwellige Schutzplätze.
SPRECHERIN:
Die Pandemie hat das Problem häusliche Gewalt wie unter einem Brennglas verstärkt. Viele Anlaufstellen fordern jetzt dringender denn je mehr Aufmerksamkeit und weniger Bürokratie, damit Gewalt gegen Frauen schnell ein Ende findet.