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Manuskript

Früher Grenze, heute Nationalpark

Dort, wo bis 1990 die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten verlief, entstand nach der Wiedervereinigung ein Nationalpark. Der Biologe Gunter Karst zeigt, wie sich die Tier- und Pflanzenwelt in diesem Gebiet entwickelt hat. Doch obwohl die Spuren der deutschen Teilung in der Natur mehr und mehr verschwinden, erinnern Anlagen des ehemaligen Geheimdienstes weiterhin an die DDR-Zeit. Heute hat die Natur mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen: mit Klimawandel und Borkenkäfer.

SPRECHER:
Einst war hier der Todesstreifen zwischen Ost- und Westdeutschland. Heute ist es eines der größten deutschen Naturschutzgebiete: der Nationalpark Harz, entstanden vor 30 Jahren. Genauso lang kümmert sich Biologe Gunter Karste darum, dass hier wieder zusammenwächst, was zusammengehörte.

GUNTER KARSTE (Biologe Nationalpark Harz):
Das Besondere am Nationalpark ist tatsächlich die Tatsache, dass man auf 24.730 Hektar bereit ist, der Natur ihren eigenen Spielraum zu lassen. Dass man also darauf verzichtet im Prinzip, die Fläche zu nutzen, also in Richtung klassische Holzwirtschaft, und dass man also tatsächlich der Natur die Chance gibt, zu zeigen, wozu sie in der Lage ist.

SPRECHER:
Damals mussten die Frauen und Männer des Nationalparks bei Null anfangen, wie hier am ehemaligen Todesstreifen. 1989 patrouillierten hier DDR-Grenzschützer. Eine hunderte Meter breite Schneise sollte jede Flucht aus der DDR verhindern. Die Grenzanlagen: ein fast unüberwindliches Bollwerk aus Stacheldraht und Beton. Drei Jahrzehnte später hat die Natur hier ganze Arbeit geleistet.

GUNTER KARSTE:
Die Birke hat hier also tatsächlich das Rennen gemacht. Dieser Streifen wurde mit Herbiziden, Pestiziden behandelt, und hier war eigentlich kein Leben möglich, und man sieht jetzt hier, hier ist in den letzten 30 Jahren tatsächlich also viel passiert.

SPRECHER:
Doch nicht nur Pflanzen, auch Tiere erobern sich im Harz ihre angestammten Lebensräume zurück. Mit solchen versteckten Kameras wird auch der neue wilde Bewohner des Nationalparks dokumentiert: der Luchs. Vor gut 200 Jahren war die Raubkatze ausgestorben, jetzt sind hier weit mehr als 100 Exemplare wieder heimisch.

GUNTER KARSTE:
Der Luchs ist ’n alter Harzer, der vom Menschen ausgerottet wurde und der es sich verdient hat, also hier auch wieder im Harz unterwegs zu sein. Und vor dem Hintergrund war das also das große Experiment, was der Nationalpark 1994/95 gestartet hat, diesen Luchs wieder einzubürgern.

SPRECHER:
Erfolgsgeschichten, hinter denen harte Arbeit steckt. Tausende Stunden war der Biologe in den Wäldern unterwegs, zehntausende Notizen, wie sich die Natur die Grenzregion zurückerobert. Und doch steht die größte Herausforderung für die Frauen und Männer des Nationalparks noch bevor: tote Bäume, soweit das Auge reicht. Früher waren hier riesige Fichtenkulturen. Trockenheit und steigende Temperaturen haben die Bäume geschwächt, den Rest besorgte der Borkenkäfer. Immer häufiger muss Karste deshalb bei seinen Touren Aufklärungsarbeit leisten.

WANDERIN:
Das ist richtig traurig, wenn man hier hochgeht.

GUNTER KARSTE:
Aber man muss eben auch wissen: Gucken Sie, wenn Sie hier in diese Fläche schauen – da, wo die Fichten also beispielsweise sich schon vor längerer Zeit verabschiedet haben, da entsteht neues Leben.

SPRECHER:
Eine Mammutaufgabe, bei der die Behörden aus Ost und West enger denn je zusammenarbeiten – undenkbar ohne die deutsche Einheit.

OLAF EGGERT (Förster):
Streiten wollen wir uns trotzdem mal, weil ... sonst fehlt uns ja die Grundlage auch für Neues, ne? Also, die Diskussion brauchen wir trotzdem. Also, dann hat man keinen Fortschritt, wenn’s alles nur ’n Einheitsbrei ist.

SPRECHER:
Die Fahrt geht weiter zum höchsten Punkt des Nationalparks: dem Brocken. Auf dem Weg liegt dieses ehemalige Hotel. Gunter Karste geht mit uns hinein. Vor gut 30 Jahren, erzählt er, logierten hier verdiente Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes. Sie machten Urlaub von ihrer Aufgabe, das eigene Volk zu bespitzeln.

GUNTER KARSTE:
Das war schon in einer gewisser Weise Bonzentum, und genau die waren hier drin.

SPRECHER:
In diesen Räumen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Beim ehemaligen DDR-Bürger Karste sorgt sie noch heute für bittere Erinnerungen.

GUNTER KARSTE:
Als Student im sechsten Semester hatte ich also auch ein Zusammentreffen mit der Staatssicherheit. Die wollte, dass ich meinen Studienfreund bespitzele und [ich] hab das abgelehnt – wohlwissend, dass das für mich hätte Konsequenzen haben können. Aber damit hat man gelebt, das war unser Zuhause hier. Der Harz ist unser Zuhause. Nee, das geht jetzt nicht.

SPRECHER:
Dann ist das Ziel erreicht. Auf über 1100 Metern: der Brocken. Einst hermetisch abgeriegelt horchten Sowjets und der DDR-Geheimdienst mit diesen Anlagen tief hinein in den Westen. Jetzt wächst und gedeiht gleich nebenan der ganze Stolz des Botanikers Karste: ein Garten mit hunderten Pflanzen.

GUNTER KARSTE:
Das heißt, der Brocken hat also ein Stückchen seiner Ursprünglichkeit, seiner Naturnähe im Zuge der Zeit in den letzten 30 Jahren zurückerhalten. Und vor dem Hintergrund sind wir wirklich glücklich.

SPRECHER:
Und die Aufgabe, sagt Gunter Karste, gehe weiter. So lange, bis eines Tages endgültig wieder das zusammengewachsen ist, was zusammengehört.

Was passt wo?

Im heutigen Nationalpark Harz befand sich 30 Jahre lang die Grenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland. Mitten durch den Wald hatte man eine breite medium geschlagen. Dort lag der so genannte medium. Die medium dort schossen auf jeden, der versuchte, ihn zu überqueren. Die Anlage bestand aus Beton, Zäunen und medium. Dieses medium sollte verhindern, dass jemand die DDR ohne Erlaubnis verließ.

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