Venedig will keinen Massentourismus mehr
Wegen der Coronakrise ist es in Venedig ungewöhnlich ruhig, doch bald werden die Touristen in die Stadt zurückkehren. Das Problem: Der Massentourismus schadet der Stadt. Deshalb wünschen sich viele Venezianer einen anderen Tourismus. Manche schlagen sogar eine Begrenzung der Touristenzahlen vor. Eine politisch aktive Venezianerin, ein Hotelbetreiber und die Tourismusbeauftragte haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der Tourismus in Zukunft aussehen könnte.
SPRECHER:
Die Wasserstraßen von Venedig in majestätischer Ruhe – ein äußerst seltener Anblick. Die Gondolieri kommen langsam zurück in die Kanäle der Stadt, aber noch sind die Fahrgäste rar. Auf dem Markusplatz, wo es normalerweise von Touristen nur so wimmelt, laufen die Geschäfte schleppend. Mit der Coronakrise kam das Leben in der Stadt regelrecht zum Stillstand. Nun öffnet sich Venedig langsam wieder für Besucher. Aber nicht jeder freut sich auf die Rückkehr der Massen. Jane da Mosto sieht dies als eine Möglichkeit, die Zukunft zu verändern. Die Aktivistin setzt sich für nachhaltigen Tourismus ein, einen, der die Zukunft der Stadt nicht aufs Spiel setzt.
JANE DA MOSTO (Aktivistin „We are Venice“):
Das Problem mit Venedig ist, dass es ein extrem fragiles, empfindliches System ist. Man kann nicht alles damit machen. Man muss sehr vorsichtig damit umgehen. Sonst bleibt in Zukunft nichts mehr übrig von Venedig. Wir müssen verantwortlich mit dem Vermächtnis von Venedig umgehen und daran denken, was es uns gegeben hat. Andere Menschen haben auch das Recht, das zu bekommen.
SPRECHER:
Sie erzählt uns, Venedig habe einen einzigartigen Lebensstil und der drohe zu verschwinden. Jane da Mosto möchte, dass Touristen wieder am Leben in der Stadt teilnehmen, Zeit in den Restaurants und Museen verbringen und nicht in wenigen Stunden hindurcheilen. Obwohl die letzten Monate ohne Gäste für ihn sehr schwer waren, stellt sich auch Nicolo Bortolato für seine Stadt eine andere Zukunft vor. Der Hotelier möchte seinen Gästen ein entschleunigtes, ein, wie er sagt, „wirklich venezianisches“ Erlebnis bieten. Die Touristenströme müsse man mit strenger Regulierung in den Griff bekommen.
NICOLO BORTOLATO (Hotelier):
Wenn an manchen Tagen viel zu viele Menschen hier rumlaufen, dann deshalb, weil die Events in der Stadt falsch organisiert werden. Wie kann man die Regatta im Canale Grande zur gleichen Zeit austragen wie das Filmfest oder die Neueröffnung eines Museums? Ich denke, wir sollten den Tourismus auf das ganze Jahr verteilen und nicht nur auf sechs Monate.
SPRECHER:
Venedig muss seinen Tourismus neu definieren. Das findet auch die Tourismusbeauftragte der Stadt. Aber anstelle von drastischen Maßnahmen möchte sie lieber erst mal weiter Fakten sammeln.
PAOLA MAR (Tourismusbeauftragte Venedig):
Das ist kein Museum. Wir legen keine Obergrenze fest. Kennen Sie eine Stadt in der Welt, die das macht? Na, ich glaube nicht. Viele, viele Menschen sprechen über die Zahl der Touristen: Es sind 50 Millionen, 30 Millionen und so weiter. Aber das ist nicht wahr. Ich will sie zählen. Ich werde wissen, wie viele Menschen jeden Tag kommen.
SPRECHER:
In Europa werden die Reisebeschränkungen allmählich aufgehoben. Viel Zeit haben die Venezianer also nicht mehr, um zu entscheiden, wie die Zukunft ihrer Stadt aussehen soll.