Was hilft wirklich bei Schlafstörungen?

Man liegt wach und wälzt sich unruhig hin und her, die Gedanken kreisen und man kann nicht wieder einschlafen. Der Blick auf den Wecker verrät: Es ist mal wieder Wolfstunde, der Zeitraum zwischen drei und vier Uhr morgens, in dem besonders viele Menschen ungewollt wach werden.

Laut Weltgesundheitsorganisation leidet 40 Prozent der Weltbevölkerung unter Schlafproblemen. Entweder können sie nicht ein- oder durchschlafen, oder werden morgens viel zu früh wach.

Welche Auswirkungen hat häufiger Schlafmangel?

Chronischer Schlafmangel führt zu:

•           Konzentrationsschwierigkeiten

•           Gereiztheit

•           Verminderter Leistungsfähigkeit

•           Kopfschmerzen

•           Geschwächter Immunabwehr

•           Übergewicht

•           Herz-Kreislauf-Erkrankungen

•           Psychischen Erkrankungen bis hin zur Depression

Wer braucht wie viel Schlaf?

Laut Sleep Foundation sollten Kleinkinder 10-13 Stunden schlafen, Grundschüler 9-12 Stunden, Teenager 8-10 Stunden und Erwachsene mindestens 7 Stunden.

Anonymisierte Analysen von Schaftrackern zeigen, dass Menschen weltweit immer weniger und schlechter schlafen. Samsung zum Beispiel hat insgesamt 716 Millionen Nächte von erwachsenen User*innen solcher Schlaftracker ausgewertet. Demnach nahm die Schlafzeit 2023 weltweit gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere vier Minuten ab, auf durchschnittlich 6:59 Stunden.

Am kürzesten schlafen die Asiaten mit durchschnittlich 6:34 Stunden, die Nordamerikaner schlafen eine halbe Stunde und die Europäer eine Dreiviertelstunde länger.

Mit durchschnittlich 49 Minuten sind die Schlafdefizite bei jungen Menschen in den Zwanzigern am größten. Außerdem zeigen die Schlaftracker, dass viele nachts wachliegen, im Durchschnitt 50,1 Minuten. Das sind ebenfalls fast zwei Minuten länger als im Vorjahreszeitraum. Vor allem Frauen schlafen weniger tief und damit weniger erholsam.

Was führt zu Schlafstörungen?

Während der Wolfstunde oder auch frühmorgens befindet sich der Körper häufig in einer REM-Phase (Rapid Eye Movement), in der wir träumen und der Schlaf nicht sehr tief ist. Dann reichen störende Geräusche, Lichtquellen oder eine unangenehme Raumtemperatur, um wachzuwerden.

Häufig sind psychische Belastungen wie Stress, Probleme oder bevorstehende Aufgaben für Schlafprobleme verantwortlich. Ist man erst einmal wach und beginnt zu grübeln, schläft man so schnell nicht wieder ein. Denn beim Grübeln schüttet der Körper das Stresshormon Cortisol aus, das uns wach macht. 

Viele Faktoren wie Schicht- oder Nachtdienst, Jetlag oder Wechseljahre können unseren Schlaf-Wach-Rhythmus stören. Normalerweise wird das Schlafhormon Melatonin abends ausgeschüttet und macht uns müde. Zwischen drei und vier Uhr schüttert der Körper normalerweise am meisten Melatonin aus. Dann kommt der Körper zur Ruhe, das Gehirn wird weniger stark durchblutet und die Körpertemperatur sinkt.

Ist der Melatonin-Spiegel aber nachts zu niedrig, werden wir wach. Melatonin erzeugt der Körper nur, wenn der Serotonin-Spiegel ausreichet. Ohne das Glückshormon gibt es ebenfalls keinen erholsamen Schlaf.

Was hilft bei Durchschlafproblemen?

Wer regelmäßig nachts wachliegt, sollte möglichst nicht auf die Uhr schauen, dass erhöht den Druck nur noch mehr. Lieber ruhig liegen bleiben und sich ablenken, indem man an etwas Schönes denkt oder eben Schäfchen zählt.

Wenn aber die Gedanken immer weiter kreisen und die Unruhe zu groß ist, sollte man lieber aufstehen, die Gedanken aufschreiben oder etwas beruhigendes tun. Nicht fernsehen oder auf dem Smartphone YouTube Videos schauen, sondern lieber etwas lesen. Und sobald man wieder müde wird, möglichst umgehend zurück ins Bett gehen.

Vier Tipps für guten Schlaf

Was verbessert den Schaf?

Auch bei Schlafstörungen neigen viele Menschen dazu, sich eher um Symptome als die Ursachen für ihre Schlafprobleme zu kümmern: Müdigkeit bekämpfen sie z.B. mit viel Koffein und die Einschlafprobleme mit Alkohol. Das ist allerdings weder hilfreich, noch gesund. Kurze Nickerchen können zwar gut tun, nicht aber abends vor dem Fernseher einzuschlafen. 

Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)hat einige einfache Tricks:

  • Regelmäßige Schlafzeiten

Für einen gesunden Schlaf sollte man auf seineinnere Uhr hören . Die ist bei jedem unterschiedlich. Manche bleiben lieber länger wach, andere stehen gerne früh auf. Wichtig ist aber, möglichst immer zur gleichen Zeit zu Bett zu gehen und auch aufzustehen.

  • Einschlafrituale

Viele lesen noch ein paar Seiten, andern notieren noch etwas im Tagebuch oder kuscheln sich zusammen. Natürlich helfen Entspannungstechniken wie leichtes Yoga oder eine Meditation besonders gut. Egal was hilft: Jeder weiß, was ihm das Einschlafen erleichtert.

  • Angenehmes Schlafumfeld

Für die meisten ist es wichtig, dass der Raum ruhig, dunkel, durchlüftet und kühl ist. Als ideale Raumtemperatur gilt 16 bis 18 Grad, manche mögen es aber auch deutlich kühler.

  • Frühzeitiger Verzicht auf Wachmacher

Die anregende Wirkung von Koffein kann bis zu elf Stunden anhalten. Wer stark reagiert, sollte entsprechend früh am Tag darauf verzichten. Alkohol macht zwar zunächst müde, weil er die Hirnaktivitäten reduziert, aber Alkohol sorgt für einen leichten, unruhigen Schlaf. Ähnliches gilt auch für schwere Mahlzeiten.

  • Bildschirme frühzeitig abschalten

Nicht nur jungen Menschen nutzen abends zu viel und zu lange ihre Smartphones oder Tablets. So verschiebt sich ihr Schlafrythmus immer weiter in die Nacht. Blaulichtfilter können diese Wirkung vielleicht abschwächen. Gegen übermäßigen Konsum helfen sie aber auch nicht. Also besser rechtszeitig die Geräte ausschalten und weit weglegen.

 

Quellen: 

Have We Been Sleeping Well? Samsung Answers the Age-Old Question With the Global Sleep Health Study

https://news.samsung.com/global/have-we-been-sleeping-well-samsung-answers-the-age-old-question-with-the-global-sleep-health-study

How Much Sleep Do You Need?

https://www.sleepfoundation.org/how-sleep-works/how-much-sleep-do-we-really-need

DGSM-Patientenratgeber Ein- und Durchschlafstörungen

https://www.dgsm.de/fileadmin/patienteninformationen/ratgeber_schlafstoerungen/2021-09-21_Ein-_und_Durchschlafstoerungen.pdf

 

Luzides Träumen: Nie wieder Albträume?

Wie ein Vogel fliegen oder den Albtraum kontrollieren - was wie eine Superkraft klingt, macht luzides Träumen möglich. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Realität: eine schlafende Person träumt, ist sich dieser Situation aber vollkommen bewusst. Oft kann sich der Träumende auch frei entscheiden und aktiv in den Traum eingreifen. Die Erfahrung heißt deshalb auch Klartraum.

Luzides Träumen lernen

Nicht jeder hat dieses sonderbare Erlebnis oder kennt den Fachbegriff dafür: Wie eine Meta-Analyse zeigt, meint jeder Zweite, schon einmal einen Klartraum erlebt zu haben. Etwa ein Viertel aller Erwachsenen erlebt luzide Träume auch regelmäßig.

Wer nie oder nur selten luzid träumt, kann das ändern. Im Internet finden sich zahlreiche Lernmethoden. Deren wissenschaftliche Begutachtung falle jedoch nüchtern aus, beurteilt Psychologe Daniel Erlach. Da es bei Online-Kursen nicht wirklich eine Qualitätssicherung gibt, lässt sich oftmals schwer beurteilen, welche Kurse seriös sind.

Luzides Träumen lässt sich trainieren. Die einfachste Lerntechnik ist der Realitätscheck: Hier stellt man sich mehrmals am Tag die Frage: "Träume ich, oder bin ich wach?" Der Trick ist, diese Frage zur Gewohnheit zu machen, sodass sie auch im Traum auftaucht.

Am Tag und im Traum beantwortet man sich diese Frage mit einem Selbsttest, zum Beispiel sich selbst spürbar zu kneifen. Im wachen Zustand spürt man den Schmerz, im Traum jedoch misslingt der Test. Alternativ kann man sich auch Mund und Nase zuhalten. Wenn man trotzdem nach wie vor atmen kann, dann weiß man, dass man träumt.

Auch ein Traumtagebuch kann für luzides Träumen helfen. Wer häufiger mit Albträumen zu kämpfen hat, sollte sich aber nicht ohne therapeutische Begleitung an das luzide Träumen wagen.

Von den Träumen der Tiere

Was passiert bei luziden Träumen?

Die Schlafforschung nimmt das Phänomen seit den 1980er Jahren stärker in den Fokus. (Traumforschung: Träum ich oder wach ich? - Spektrum der Wissenschaft).

Forschende konnten zeigen, dass Klarträume kurz vor dem Aufwachen in der REM (Rapid-Eye-Movement) -Phase stattfinden. Von außen kann man die REM-Phase an den raschen Augenbewegungen unter den Augenlidern erkennen. Anders als in der Tiefschlaf-Phase ist das Gehirn hier wieder aktiver.

Einige Hirnregionen sind beim luziden Träumen auffallend aktiv: "Dazu zählt zum Beispiel ein Hirnbereich, der im Wachzustand aktiv ist, wenn wir über uns selbst nachdenken", sagt Neurowissenschaftler Martin Dresler von der Radboud Universität in Nimwegen. 

Bei Personen, die häufig luzid träumen, zeigt das Gehirn eine weitere Auffälligkeit: Bei ihnen ist das vordere Stirnhirn größer. Diese Region ist wichtig für die Selbstreflektion.

Klarträume können auch helfen, Bewegungsabläufe im Wachzustand zu verbessern, wenn sie vorher im Klartraum geübt wurden. Die Übungen im Traum sind ähnlich effektiv wie mentales Training.

Luzide Träume in der Psychotherapie

In der Therapie nehmen Klarträume an Bedeutung zu. Dr. Brigitte Holzinger ist Psychotherapeutin und eine Pionierin in der Schlaf- und Traumforschung. "Es ist gelungen zu zeigen, dass luzides Träumen für Albtraumbewältigung wirklich hervorragend geeignet ist", berichtet Holzinger.

Der Kampf gegen Albträume ist besonders wichtig für Personen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden. Betroffene haben eine extreme Belastung oder Bedrohung erlebt. In Albträumen müssen sie diesem traumatisierenden Ereignis immer wieder begegnen.

Das luzide Träumen kann PTBS-Patienten Selbstwirksamkeit, also ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schenken: "Meine Erfahrung ist, dass die Personen, die mit einer Traumatisierung die Albträume entwickelt haben, erst einmal eine riesige Erleichterung erfahren, wenn sie nicht mehr so hilflos sind", beschreibt Holzinger den Effekt.

Wie man sich richtig erholt

Träumer mildern Traumata selber ab

In der Therapie gibt die Psychotherapeutin den Betroffenen keine strikte Lösung für den Albtraum vor: "Wir besprechen Möglichkeiten und was dann der Träumer, die Träumerin kreativ in den eigenen Träumern unternimmt, überlassen wir den Träumenden."

Im luziden Traum können die Patienten das traumatische Erlebnis mit eigenen Vorstellungen abmildern. Indem die Person sich zum Beispiel eine Gruppe von Menschen vorstellt, die sie beschützt oder unterstützt, so Holzinger.

Sie freut sich über die Fortschritte der Patienten im luziden Traum: "Zum Beispiel, dass sie gelernt haben, jemandem zu sagen 'Geh weg!'. Oder dass sie überhaupt gelernt haben, sich zu wehren."

Auch bei der Therapie von Schizophrenie können Klarträume helfen. Hier ist das Bewusstsein der Erkrankten gestört. Klarträume helfen, ihr Bewusstsein zu trainieren.

Risiken und Nebenwirkungen von luziden Träumen

Luzides Träumen ist für jeden attraktiv, der im Traum das Unmögliche möglich machen will. Doch die Psychotherapeutin rät, dem luziden Traum mit Respekt zu begegnen. Die Traumwelt habe auch ihre Schattenseiten: "Manche steigern sich da so rein, dass sie versuchen jede Nacht klar zu träumen", beschreibt Brigitte Holzinger. Klarträume könnten helfen, dürften aber keine Ersatzwelt werden.

Eine professionelle Begleitung der luziden Träume sei bei Personen mit starken Albträumen besonders wichtig. "Da muss man schrittweise arbeiten, man darf die Leute nicht überfordern", betont Holzinger.

Wer zu schnell und ohne Begleitung luzide Träume erfährt, könnte ungewollt das Gegenteil bewirken. "Dann kann man erst recht eine psychische Erkrankung entwickeln", warnt Holzinger.

 

Quellen:

Metacognitive Mechanisms Underlying Lucid Dreaming, https://www.jneurosci.org/content/35/3/1082

Lucid dreaming incidence: A quality effects meta-analysis of 50 years of research, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27337287/

Effectiveness of motor practice in lucid dreams: a comparison with physical and mental practice, https://doi.org/10.1080/02640414.2015.1030342

Das Phänomen Klartraum, https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-58132-2_6

Ernährungsmythen überprüft: Hilft Alkohol beim Schlafen?

So viel ist tatsächlich wahr: Alkohol kann definitiv beim Einschlafen helfen. Je nachdem, mit wie vielen Feierabendbieren die Probleme des Tages heruntergespült werden, kann sich die erste Hälfte der Nacht wie ein komatöser Zustand anfühlen.

Über den Magen gelangt der Alkohol ins Blut und nimmt dort zwei Wege: in die Leber und ins Gehirn. Im Gehirn bewirkt Alkohol zunächst die Ausschüttung von Serotonin und Dopamin - Gefühle von Belohnung und Entspannung sind spürbar. Über andere Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, entfaltet Alkohol seine beruhigende, einschläfernde Wirkung.

Damit ist allerdings nach etwa vier bis fünf Stunden Schluss. Ab diesem Zeitpunkt schlafen wir merklich schlechter oder wachen sogar auf und mit der Nacht ist es ganz vorbei. "Das liegt daran, dass der Alkohol im Körper zu Acetaldehyd abgebaut wird", erklärt der Gastroenterologe und Alkoholforscher Helmut Seitz.

Acetaldehyd sorge im Gehirn dafür, dass Adrenalin und das Stresshormon Kortisol freigesetzt werden, so Seitz. "All das sorgt dafür, dass wir wach werden und wach bleiben."

Alkohol schlechter Qualität verschlechtert auch den Schlaf

Ob Wein, Bier oder Gin-Tonic - es ist egal, welches Getränk wir uns abends genehmigen, der darin enthaltene Alkohol stört unseren Schlaf. Alkoholische Getränke schlechter Qualität können die Sache aber durchaus schlimmer machen.

"Ein billiger Wein kann zusätzliche Stoffe wie Aromastoffe, Fuselöle und langkettige Alkohole enthalten", sagt Alkoholforscher Seitz. Diese können Übelkeit und Kopfschmerzen verursachen und den nächsten Tag zusätzlich schwer machen.

Die Alkoholdosis ist entscheidend

Doch selbst der hochwertigste und reinste Wodka wird zum giftigen Acetaldehyd verstoffwechselt. Die darauffolgende Flut von Adrenalin und Kortisol macht uns nicht zwingend wach, aber sie stört die sogenannten REM-Schlafphasen.

Wie sehr, das hängt weniger von der Qualität des Alkohols ab als von der Menge. "Je höher die Alkoholdosis, desto größer die Störung der REM-Schlafphasen in der zweiten Nachthälfte", erklärt Henrik Oster, Professor für Neurobiologie an der Universität Lübeck. In der Regel verschlechtere sich die Schlafqualität spürbar ab etwa 0,2 bis 0,3 Promille, so Oster.

Die besten Tipps für guten Schlaf

Wann diese Blutalkoholwerte erreicht sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Geschlecht, Körpergröße und -gewicht, einem leeren oder vollen Magen oder der Einnahme von Medikamenten. So viel lässt sich jedoch sagen: 0,2 Promille sind schnell erreicht, zwei Gläser Wein können bereits ausreichend sein.

REM-Schlaf für physische und psychische Gesundheit

Die REM-Schlafphasen (Rapid Eye Movement-Schlafphasen) gelten als aktive Schlafphase. Wir träumen und bewegen dabei nicht nur unsere Augen, sondern unseren ganzen Körper. Wie und warum wir träumen, ist nach wie vor ein ungelöstes wissenschaftliches Rätsel.

Als sicher gilt allerdings, dass REM-Schlafphasen für unsere körperliche und geistige Gesundheit von entscheidender Bedeutung sind. Bei Babys macht der REM-Schlaf einen Großteil ihres Schlafes aus - und das ist wichtig für die Entwicklung des Gehirns der Kleinen. Während dieser Phasen sind andere Teile des Gehirns aktiviert als im wachen Zustand.

"Alkohol unterdrückt die REM-Schlafphasen", sagt Oster. Menschen, deren REM-Schlaf regelmäßig gestört wird, können sich schlechter konzentrieren und leiden unter Gedächtnisstörungen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 ist gestörter REM-Schlaf zudem mit einer höheren Sterblichkeitsrate assoziiert.

Schlaf sei etwas, was sich als erstes spürbar verbessert, wenn jemand auf Alkohol verzichtet, so der Alkoholforscher Seitz. "Sie sind erholter, ausgeglichener und können den Tag besser meistern. Und das wird Ihnen gefallen."

Wird Wetter durch KI genauer vorhersagbar?

Warum sind Wetterprognosen ungenau?

Im Laufe der Jahre sind die Wetterprognosen viel präziser geworden, weil Messstationen, Satelliten, Schiffe, Bojen und auch Verkehrsflugzeuge permanent Daten sammeln. Am Boden und in der Luft werden zum Beispiel die Temperatur, der Luftdruck und der Niederschlag gemessen. Die Daten werden dann von Computern auf Grundlage von physikalischen Gesetzen verarbeitet. So lassen sich dann - je nach Wetterlage - sehr präzise Vorhersagen für einen bestimmten Zeitraum erstellen.

Allerdings ist unsere Atmosphäre ein sogenanntes "chaotisches System". Wie beim Schmetterlingseffekt können "selbst kleinste Unterschiede in der Temperatur, im Druck, im Wind an relativ weit entfernten Orten und auch mit einem zeitlichen Verzug eine große Wirkung zeigen", sagt Meteorologe Peter Knippertz vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gegenüber der DW.

Das Messraster ist für solch ein chaotisches System zu grob. "Selbst mit immer größeren Computern und immer besseren Satelliten oder anderen Messsystemen wird immer eine Unsicherheit bleiben", erklärt Knippertz. Da absolute Vorhersagen deshalb unmöglich sind, arbeitet die Meteorologie mit Wahrscheinlichkeiten dafür, ob es Regen, Gewitter oder Sturm gibt.

Warum sind Wetter-Apps oftmals noch unzuverlässiger?

Wetter-Apps auf dem Smartphone suggerieren, dass sie sehr präzise sind und "zehn Tage in die Zukunft, Postleitzahl-genau vorhersagen, wie das Wetter wird", so Knippertz. Dabei liefern Apps stark komprimierte Informationen. "Wenn die App zum Beispiel 21 Grad mit leichter Bewölkung vorhersagt, denkt der Nutzer: Okay, das scheint sehr präzise zu sein." Dabei gelten natürlich auch für die Apps die gleichen Unsicherheiten, aber das wird nach Ansicht des Meteorologen oft nicht wirklich kommuniziert.

Außerdem gibt es keine weltumspannende Qualitätskontrolle für Wetter-Apps. "Das ist ja inzwischen ein offener Markt, jeder kann seine eigene Wetter-App programmieren und an den Markt bringen, und zum Beispiel über Anzeigen Geld verdienen. Woher die Informationen genau kommen und wie sie genau aufbereitet werden, das werden die meisten kommerziellen Anbieter nicht unbedingt der Öffentlichkeit mitteilen", erklärt Knippertz.

Wie funktioniert eine Wettervorhersage?

Wird Künstliche Intelligenz künftig die Prognosen verbessern?

Bisher basieren Wettervorhersagen auf physikalischen Modellen. Vorhersagen von Künstlicher Intelligenz (KI) sind dagegen vor allem Daten-orientiert und somit eher statistisch. Aus vorhandenen Wetterdaten leitet die KI Muster und Strukturen ab und erstellt anhand eines Algorithmus entsprechende Wettervorhersagen. Physikalische Gesetze werden also eher indirekt erlernt.

Zwar seien die Fortschritte der KI auch in der Meteorologie beeindruckend, so Knippertz, aber da KI die Muster aus Daten der Vergangenheit erhebt und von einem Mittelwert ausgeht, komme die KI vor allem bei extremeren Wetterlagen auch an ihre Grenzen. "Deshalb sollten wir in Zukunft immer mehr versuchen, hybride Vorhersagesysteme zu bauen, die konventionelle Methoden mit physikalischen Gleichungen und KI-Methoden verbinden, um das Risiko einer Fehlvorhersage noch weiter zu reduzieren."

Können KI-Vorhersagen in strukturschwachen Gebieten eine Alternative sein?

Da längst nicht alle Regionen weltweit über Daten von Messstationen, Bojen etc. verfügen, ruhen die Hoffnungen für zuverlässige Prognosen auf KI. Meteorologe Knippertz ist da skeptisch: "Wir brauchen in den Regionen der Welt, wo es bisher wenig Beobachtungen gibt, mehr Anstrengungen, auch vielleicht der internationalen Community, diese Lücken zu schließen. Für die Weltmeteorologie wäre es mit Blick auf Wetterextreme wichtig, dass wir auch Wetterbeobachtungskapazitäten in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien ausbauen. Diese Aufgabe kann uns KI meiner Meinung nach nicht abnehmen."

Gestrandete Boote im Hafen von Manaus wegen Dürre im Amazonasbecken
Langanhaltende Dürren am Amazonas - durch den Klimawandel werden Wetterextreme zunehmennull Lucas Silva/dpa/picture alliance

Wie verändert der Klimawandel die Wettervorhersagen?

Auch der Klimawandel ändere nichts an den physikalischen Gesetzen und grundsätzlichen Problem der Wettervorhersage. Allerdings verschieben sich die Klimazonen und damit auch die zum Teil extremen Wetterlagen. "Tornados, Starkregen oder auch Dürren können dann noch heftiger ausfallen, als sie es in der Vergangenheit getan haben, und dadurch ist die Auswirkung auf den Menschen auch entsprechend größer."

Daraus entstehen "neue Herausforderungen in der Vorhersage, im Warnprozess, aber auch in der Bereitschaft der Bevölkerung, dann solche Warnungen ernst zu nehmen und sich entsprechend zu verhalten", so Knippertz. 

Paar steht vor verwüsteten Häusern an der Ahr
Bei der verheerenden Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal in Deutschland wurden Warnungen ignoriert oder erst viel zu spät ausgesprochennull Abdulhamid Hosbas/AA/picture alliance

Warum sind Unwetterwarnungen oftmals so dramatisch?

Bei Starkregen, Gewittern oder Stürmen sind die behördlichen Warnhinweise oftmals dramatischer als das dann lokal auftretende Wetterereignis. Das sorgt zuweilen für Unverständnis oder eine gewisse Abstumpfung. "Wenn Leute evakuiert werden, und es passiert nichts, bricht danach oft in den sozialen Medien und im Internet ein Shitstorm los", sagt Knippertz. "'Was war das jetzt für ein Blödsinn? Sind die eigentlich alle total verrückt? Was für eine Hysterie!'"

Warnungen seinen immer eine schwierige Abwägung, so Knippertz: "Die Kosten einer Evakuierung - ich schlaf mal eine Nacht in der Turnhalle auf der Isomatte - sind in meinen Augen sehr klein gegenüber einem grausamen Ertrinkungstod im eigenen Keller. Aber dafür gibt es in meinen Augen zu wenig Bewusstsein und zu wenig Verständnis in der Bevölkerung."

Kommissar Mikrobe löst Mordfälle

Der Fund einer Leiche mit zahlreichen Stichwunden versetzte vor etwa 800 Jahren ein chinesisches Dorf in Aufruhr. Der mit der Aufklärung des Falls beauftragte Mediziner Song Ci stellte fest, dass die Wunden von einer Sichel stammten. Um den Täter zu überführen, rief er die Dorfbewohner zusammen und forderte sie auf, ihre Sicheln zu zeigen. Die Schmeißfliegen, die an diesem heißen Nachmittag durch die Luft schwirrten, ließen sich in großer Zahl auf einer der blankgeputzten Klingen nieder. Blutspuren des Opfers hatten den Täter überführt. Er wurde verhaftet, der Fall war gelöst.

Es ist der erste bekannte Fall, bei dem ein Mordverdächtiger durch die Beobachtung von Insekten überführt wurde, ein Forschungsfeld, das heute als forensische Entomologie bekannt ist.

Haus-Fliege Musca domestica
Fliegen halfen nicht nur vor 800 Jahren in China bei der Aufklärung von Mordfällennull Creative Touch Imaging Ltd/NurPhoto/IMAGO

Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbiologe, der regelmäßig die Lebenszyklen von Insekten wie Fliegen, Ameisen und Käfern untersucht, die sich auf Leichen und an Tatorten finden. Es mag unappetitlich klingen, aber in Gerichtsverfahren geben seine Untersuchungen oft wertvolle Hinweise darauf, wann und möglicherweise auch wie ein Opfer zu Tode kam.

In einem Fall aus dem Jahr 2017 konnte Benecke zum Beispiel nachweisen, dass ein 80-Jähriger in Italien wegen Vernachlässigung gestorben war. Die Lebenszyklen von Fliegen und Ameisen in der Wohnung des Verstorbenen führten ihn auf die Spur.

"Viele forensische Entomologen gibt es nicht", sagt Benecke, "aber ihre Arbeit kann in schwer lösbaren Fällen den fehlenden Hinweis geben. Wir können dabei helfen, solche Fragen zu beantworten wie 'Befand sich die Leiche jemals an einem Waldrand, ja oder nein?'"

Insekten am Tatort

Doch obwohl Insekten unter bestimmten Bedingungen zur Aufklärung eines Falls beitragen können, ist es oft schwierig, am Tatort die richtigen Informationen zu sammeln, deren Analyse einen Gerichtsfall weiterbringen, erzählt Benecke.

Temperatur, Feuchtigkeit und Licht haben Einfluss auf den Lebenszyklus von Insekten. Besonders schwierig zu bestimmen ist dieser im Winter oder in kälteren Klimazonen, in denen es weniger Insekten gibt.

Insekten: Beweise in Kriminalfällen

Häufig würden am Tatort auch nicht ausreichend Insekten gesammelt oder sie würden falsch gelagert, so Benecke. "Einmal wurde ich gebeten, anhand eines Fotos eines Fotos eines zerquetschten Insekts zu einem Fall beizutragen."

Der Lebenszyklus von Insekten gibt zudem nicht ausreichend präzise Hinweise, um den genauen Todeszeitpunkt zu bestimmen. Doch das sind entscheidende Informationen bei einem Mordverdacht.

Bakterien und Pilze können weiterhelfen

Hier kommen die Mikroben ins Spiel. Wissenschaftler haben in den letzten Jahren untersucht, ob die Analyse von Bakterien und Pilzen dazu dienen könnte, den genauen Todeszeitpunkt und die Todesursache zu bestimmen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie scheinen die Forscher einiges gefunden zu haben, das für diese Hypothese spricht. Sie konnten eine Gruppe von Mikroben identifizieren, die die Verwesung von Leichen unabhängig von Klima oder Jahreszeit vorantreibt.

Bakterium Borrelia burgdorferi
Über Mikroben lässt sich ein Todeszeitpunkt sehr genau bestimmennull Callista Images/imago images

Im Zuge der Studie wurden während aller vier Jahreszeiten Kadaver in verschiedenen Klimazonen der USA untersucht. Die Forscher ließen die Leichen 21 Tage lang an verschiedenen Orten liegen und analysierten dann genetisches Material aus Gewebeproben. So erstellten sie eine detaillierte Karte der Bakterien- und Pilzbesiedelung jeder Leiche. Mit diesen Daten fütterten sie dann einen KI-Algorithmus, der eindeutig den Todeszeitpunkt jeder Leiche feststellte.

Die Forscher fanden 20 Mikroben, die mit der Präzision eines Uhrwerks auf jeder der Leichen erschienen, die sie während dieser 21 Tage untersuchten. Unabhängig von Leichenfundort oder Klima besiedelten die gleichen Mikroorganismen die Leichen mit derselben Geschwindigkeit.

Außerdem konnten die Forscher verschiedene mikrobielle Gemeinschaften identifizieren, die sich in verschiedenen Umgebungen auf den Leichen ansiedelten. So unterschieden sich zum Beispiel einige der Mikroben, die Leichen in der Wüste besiedelten, von denen, die sich auf Leichen im Wald ansiedelten.

Forscher wären so in der Lage, anhand geringfügiger Abweichungen zwischen den Mikrobiomen festzustellen, wo eine Leiche vermutlich verwest ist.

Vieles (noch) nicht nutzbar

Die Untersuchung von Mikroben am Tatort könnte Rechtsmedizinern dabei helfen, Tatverdächtige in Mordfällen zu identifizieren und Alibis zu bestätigen oder zu widerlegen. Das wäre besonders in Fällen hilfreich, in denen der Todeszeitpunkt nicht geklärt ist.

Frankreich | Forensik-Workshop für Jugendliche in Montpellier
Zur Verbrechensaufklärung werden Forensiker gebrauchtnull Guillaume BONNEFONT/IP3/MAXPPP/picture alliance

Im Gegensatz zu Fingerabdrücken, Blutflecken, Zeugen oder einer Ansammlung von Schmeißfliegen auf einer Sichel, sind mikrobielle Beweise an jedem Tatort zu finden. Doch bislang nutzen die Forensiker Mikroben am Tatort noch nicht als Beweismittel. Weitere Daten seien erforderlich, um zu verstehen, welche Faktoren sich auf ihr Wachstum auswirken, meint Benecke: "Im Moment befinden wir uns noch in der Forschungsphase. Aber es ist immer sinnvoll, alle [am Tatort] verfügbaren Informationen zu nutzen."

"Massendaten und auf Grundlage künstlicher Intelligenz erstellte Statistiken können nicht nur eine gute Schätzung des Intervalls zwischen Tod und Leichenfund ermöglichen, sondern vieles mehr. Dafür ist aber eine Menge Arbeit nötig. Die Leute müssen das Thema lieben, aber das tun nicht viele", fügt Benecke hinzu.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Burn On - wenn ständiger Stress zur Depression führt

Viele Menschen stehen permanent unter Strom. Sie brennen für ihren Job: Das Handy ist ihr ständiger Begleiter, immer sind sie erreichbar, auch abends oder am Wochenende. Die Arbeit macht ihnen Spaß, aber es wird immer mehr. Termine hier, Probleme da. Dazu die Familie, Kinder, die Freunde - allen wollen sie gerecht werden. Auch den eigenen Ansprüchen: trotz der Hektik wollen sie noch Sport machen und Veranstaltungen besuchen.

Aber wenn jemand ständig "on fire" ist, kann das gefährlich werden. Dauerstress ohne echte Verschnaufpausen macht krank. Diese chronische Überlastung beschreibt der vergleichsweise neue Begriff "Burn On".

Was ist der Unterschied zwischen Burn Out und Burn On?

Den Begriff "Burn On" haben die Psychologen Timo Schiele und Bert te Wildt von der psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee, in der Nähe von München geprägt. Sie behandeln Patientinnen und Patienten mit Burn Out-Syndrom.  

Burn Out-Symptome sind:

  • Erschöpfung 
  • verringertes Leistungsvermögen 
  • Zynismus/eine mentale Distanz zur Arbeit 

Beim Burn On sind die Symptome anders, so Timo Schiele gegenüber der DW: "Stattdessen beschrieben Betroffene eine zu enge und begeisterte Verbindung zu ihrer Arbeit, teilweise eher eine Hyper-Erregung. Daraus entstand die Beschreibung des Burn On-Syndroms."

Mann in Blauem T-Shirt fühlt Verzweiflung bei Überstunden im hellen Büro
Der permanente Stress kann Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Frust und auch Depressionen auslösennull Pond5 Images/IMAGO

Wie sind die Symptome bei Burn On?

Betroffene brennen für ihre Arbeit, aber der permanente Stress führt zu einer Daueranspannung. Viele leiden zunächst unter:

  • Nackenschmerzen
  • Rückenschmerzen
  • Kopfschmerzen
  • Zähneknirschen (Bruxismus)

Das erschöpfende Leben im Hamsterrad lässt sie verzweifeln, sie verlieren die Hoffnung auf eine Besserung, sie können sich nicht mehr recht freuen und stellen sich die Sinnfrage.

"Neben psychischen Begleit- und Folgeerkrankungen wie Depressionen, Angst- oder auch Suchterkrankungen, gehen wir auch davon aus, dass Betroffene möglicherweise vermehrt an psychosomatischen Phänomenen wie beispielsweise Bluthochdruck und dessen möglichen Folgen leiden", so Schiele. Durch Bluthochdruck steigt die Gefahr von Herzinfarkten und Schlaganfällen deutlich an.

Was sind die häufigsten Ursachen von Burn On?

Unser Alltag wird immer hektischer. Beruflicher Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung sind von zentraler Bedeutung. Starke Konkurrenz, wirtschaftliche Krisen oder hohe Kosten können den Stress verstärken. Zahlen gibt es bislang eher zum Burn Out: Bei der Krankenkasse Pronova hatte die Zahl der Burn Out-Fälle 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zugenommen, ein Fünftel der Beschäftigten fürchtet einen Burn Out. 

Wer im hektischen Alltags nicht nur besonders viel erledigen will, sondern dies auch noch möglichst gut machen möchte, neigt besonders zum Burn On, so Schiele: "Wir gehen davon aus, dass viele Betroffene eine hohe Leistungsmotivation in sich tragen, sich eher schwer damit tun, Fehler zu machen oder Dinge nicht perfekt zu gestalten."

Betroffene glauben durch gewisse (Sach-)Zwänge nur wenig Handlungsspielräume zu haben, so Schiele. "Oftmals erleben wir aber auch Menschen, die sich selbst viele Zwänge auferlegen, zum Beispiel durch Perfektionismus."

Wie kann man Burn On behandeln?

Um dem Hamsterrad und der chronischen Daueranspannung zu entkommen, muss das Problem zunächst erkannt werden, so Schiele: "Erster Schritt einer Behandlung ist wie so oft die Bewusstwerdung eines Problems. Betroffene eines Burn Ons scheinen ja oftmals nach Außen hin noch zu funktionieren, weshalb sie häufig auf Rückmeldungen von Familienangehörigen oder anderen nahestehenden Personen angewiesen sind. Ebenfalls wichtig ist eine Besinnung auf eigene, persönliche Werte."

Gerade wenn jemand für die Arbeit brennt, neigt er im stressigen Alltag dazu, persönliche Bedürfnisse zu vernachlässigen. "Wenn das zum Dauerzustand wird, werden wir unzufriedener. Daher erscheint es wichtig, immer wieder innezuhalten und sich zu fragen – wie wichtig sind mir die Dinge, mit denen ich meinen Alltag fülle? Setze ich meine Energie in den für mich richtigen Bereichen ein? Wenn nein, gilt es etwas zu verändern und zu prüfen, welche inneren wie auch äußeren kleinen Freiräume ich mir dafür schaffen kann. Damit ist oftmals schon ein großer Schritt getan", so Schiele.

Tipps zur Entspannung

Wie kann man permanenten Stress abbauen?

Welche Art der Entspannung jemandem gut tut, hängt von den individuellen Vorlieben ab. Das können Wanderungen, Meditationen oder Yoga sein. Entscheidend ist, den Alltag zu entschleunigen und runterzukommen.

Es kann auch sinnvoll sein, sich professionelle Hilfe zu suchen, etwa durch eine ärztliche oder eine psychotherapeutische Betreuung.

Warum ist die Benennung der Erkrankung wichtig für Betroffene?

Lange galt Burn Out als Modekrankheit. Bislang sind weder Burn Out noch Burn On als eigenständige psychische Krankheiten definiert, auch wenn der gravierende Einfluss auf die Gesundheit anerkannt wird.

Die Symptome variieren sehr stark, das erschwert eine einheitliche Klassifikation nach der ICD. In dieser "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch alle psychischen Erkrankungen aufgelistet.

Trotzdem sei es für Betroffene extrem wichtig, einen Begriff wie "Burn On" zu haben, der ihre Beschwerden beschreibe, so Schiele: "Sich in einem beschriebenen Phänomen wiederzufinden ist für viele Betroffene sehr entlastend und der erste Schritt zur Veränderung. Betroffene fühlen sich dadurch nicht mehr so alleine mit ihrem Problem. Sie können Hoffnung schöpfen, wenn sie erleben, dass es auch andere Menschen gibt, die darunter leiden."

 

Hochwasser: Wie aus Regen zerstörerische Fluten entstehen

Nach einem schneereichen Winter fällt das Frühjahrshochwasser im geografischen Grenzgebiet zwischen Europa und Asien in diesem Jahr besonders stark aus. In Russland, Kasachstan und Afghanistan traten viele Flüsse über die Ufer, Dämme brachen, riesige Gebiete wurden meterhoch überflutet. Hunderttausende mussten evakuiert werden, Menschen kamen ums Leben, ganze Existenzen wurden zerstört.

Immer wieder beweist uns die Natur mit ihren gewaltigen Elementen, wer hier die Oberhand hat. Die Menschen sind es jedenfalls nicht. Aber wie kann das Wasser eine solche Kraft entfalten? Genau diese Frage beantwortet Dr. Michael Dietze von der Sektion Geomorphologie am Helmholtz-Zentrum Potsdam auf der Webseite des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ

Dafür ist es zunächst wichtig zu wissen, dass ein Kubikmeter Wasser eine Tonne wiegt. Das ist also schon mal nicht ohne! Und das heißt: "Wasser kann einen enormen Druck aufbauen, wenn es direkt auf ein Hindernis trifft. In Bewegung gebracht, ergibt das ungeheure Kräfte, die auf Autos oder Container wirken und diese einfach vor sich herschieben können, wenn sie nicht sehr fest verankert sind", sagt Dietze.

"Dazu kommt dann das Phänomen der Erosion, das vermeintlich stabile Oberflächen zerstören kann: (Erd-)Oberfläche wird durch schnell fließendes Wasser abgetragen." 

Am GFZ Potsdam wird unter anderem untersucht, wie genau Wasser Sediment mobilisiert, wie sich Flutwellen bewegen, und mit welcher Wucht sie sich ihren Weg durch die Landschaft bahnen.

Starkregen gehört zu einer der meist unterschätzten Gefahren, warnt der Deutsche Wetterdienst (DWD). Er kann nur schwer vorhersagt werden und tritt bezogen auf einen Ort nur selten auf. Die Meteorologen können zwar die Region vorhersagen, aber nicht genau, wann oder wie viel es an einem bestimmten Ort regnen wird.

So kann es auch in den Regionen zu schweren Schäden kommen, in denen man es zuerst nicht vermuten würde – auch abseits von größeren Flüssen oder engen Tälern. 

"Die starken Niederschläge bringen so große Wassermengen auf die – oft bereits durch vorherige Niederschläge gesättigten – Böden, dass sie dort nicht mehr versickern können", erklärt der Geomorphologe Dietze.

Infografik: Entstehung von Hochwasser

Lehm, Ton, Sand, trocken, feucht: Bodentypen nehmen Wasser unterschiedlich auf

Dabei kommt es nicht ausschließlich auf die Wassermenge an, auch die spielt eine große Rolle oder vielmehr die Wasserführung des Bodens. Das heißt: Wie gut kann der Boden das Wasser aufnehmen, speichern oder versickern lassen?

Hier spielen Faktoren wie die Porengröße der Bodenteilchen oder sogenannte Bodenkolloide eine Rolle. Bodenkolloide sind Teilchen mit einem Durchmesser von unter zwei Mikrometern (0,002 mm).

Diese Partikel sind so klein, dass sie mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Obwohl sie so winzig sind, erreicht eine große Anzahl an Bodenkolloiden auch eine gigantische Oberfläche, an der Wassermoleküle binden.

Ton- und Lehmböden enthalten viele solcher Bodenkolloide, an denen Wasser als sogenanntes Haftwasser festgehalten wird und nicht abfließen kann. Diese Böden enthalten wenig Poren und können daher, wenn sie erst einmal richtig durchweichen, mehr Wasser speichern als Sand.

Sand hingegen hat aufgrund seiner großen Korngröße viele große luftgefüllte Poren und enthält nur wenig Kolloide. Das Wasser kann daher kaum als Haftwasser festgehalten werden. Es fließt schnell ab.

Infografik: Wasserführung des Bodens

Außerdem ist wichtig: In welchem Zustand war der Boden vor dem Regen?

Gesunde, humusreiche Böden - das heißt: sie sind nicht versiegelt, verkrustet oder verdichtet - können grundsätzlich mehr Regenwasser aufnehmen, große Mengen davon speichern, sodass es später Pflanzen und Bodentieren zur Verfügung steht. Der Rest versickert gereinigt und trägt zur Grundwasserbildung bei. 

Wenn es allerdings nach einer längeren Dürreperiode plötzlich stark regnet, können Böden nicht so viel Wasser auf einmal aufnehmen. Ein ausgetrockneter Boden hat eine sogenannte "Benetzungshemmung". Die Folge: Das Wasser versickert nicht, sondern fließt an der Oberfläche ab. Dazu tragen auch Pflanzenreste im Boden bei, da sich aus ihnen Fette und wachsartige Substanzen lösen, wenn es trocken ist.

Wasser bahnt sich seinen Weg

Ist der Boden nach langen Regenperioden gesättigt, bleibt dem Wasser ebenfalls nichts anders übrig als oberflächlich abzufließen. Dann bahnt es sich seinen Weg bis in Bäche und Flüsse. "Einmal in diesen Gerinnen angekommen, kann es sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen", sagt Dietze. 

"Je höher nun die Geschwindigkeit, je höher das Gefälle – speziell an lokalen Stufen wie Böschungen und Geländekanten – und je tiefer der Fluss, desto mehr Kraft kann das Wasser am Untergrund entfalten: Dort, wo es entlang strömt, zieht es quasi mit der Kraft eines Gewichts von mehreren Kilogramm. Das reicht aus, um Sand, Steine und auch Schutt wegzureißen", erläutert Dietze weiter.

Mehr als nur Wasser: Eine fatale Mischung

Das allein reicht allerdings noch nicht aus, um Häuser und Straßen mitzureißen. Aber dabei spielt auch nicht allein das Wasser eine Rolle – sondern auch die mitgeführten Partikel. Diese schlagen in Boden, Straßen und Hauswände ein und entfalten dabei eine enorme Erosionsleistung. 

"Sobald Teile davon erst einmal angegriffen sind, kann das darunter liegende Material viel leichter davongetragen werden", erklärt Dietze. Es entstehen Unterhöhlungen, da Straßen und Häuser oft auf nicht verfestigtem Grund gebaut seien. Weiteres Material kann dann leicht nachbrechen. "Dieses Zusammenspiel von mitgeführtem Material und der Kraft, freigelegtes weiteres Material einfach wegzuführen, verleiht dem schnell fließenden Wasser die Kraft, solch enorme Schäden in kurzer Zeit herbeizuführen."

Dabei betont Michael Dietze vom Helmholtz-Zentrum Potsdam, solche Fluten entstünden überall, wo Starkniederschläge auftreten könnten. Besonders gefährlich seien derartige Niederschlagsereignisse im Hochgebirge, wo in der Folge plötzlich versagende Dämme ganze Seen zum Auslaufen bringen oder Bergstürze gewaltige Eismengen schmelzen, und damit Flutwellen in den engen Tälern erzeugen. 

Bevor das Wasser kommt

In den betroffenen Gebieten beklagen Einwohner, dass die Behörden seit Jahren zu wenig getan hätten, um sich gegen das Frühjahrshochwasser zu rüsten. Dämme seien gebrochen, weil zu wenig in die marode Infrastruktur investiert wurde. Zudem hätten die Behörden Warnungen von Experten vor einem gefährlichen Frühjahrshochwasser ignoriert und die Bevölkerung zu spät über die drohende Gefahr informiert.

Dabei gibt es Möglichkeiten, um vor solchen Extremwetterereignissen zu warnen.

"Aus Wettervorhersagen lassen sich Warnhinweise ableiten", sagt Dietze. "Zum Beispiel können Wettervorhersagen in hydrologische Modelle gespeist werden, um Vorhersagen zum Auftreten und zur Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen zu machen." 

Problematisch seien dagegen immer noch die Erosionsprozesse. "Sie vorherzusagen ist schwierig, vor allem weil diese Ereignisse sehr schnell ablaufen und ihre Intensität schwer genau einzuschätzen ist", so der Geomorphologe. 

Mithilfe von Satellitenbildern und vor allem Seismometern versuchen die Forschenden seit einigen Jahren, die Flutwellen nahezu in Echtzeit zu verfolgen und deren Intensität zu berechnen.

Der Artikel ist ursprünglich am 19.07.2021 erschienen und wurde am 07.08.2023 und am 15.04.24 aktualisiert.

Eingefrorene Embryos: Vorteile und Risiken von Kryotransfers

Irgendwann müssen sich Paare mit unerfülltem Kinderwunsch eingestehen: "Mist, irgendwie klappt das mit dem Kinderkriegen nicht. Wir brauchen Hilfe."

Unfruchtbarkeit betrifft laut WHO eines von sechs Paaren weltweit. Kein Wunder, dass in vielen Ländern Kinderwunschkliniken wie Pilze aus dem Boden schießen. Mit künstlicher oder assistierter Befruchtung zum Elternglück, so lautet das Versprechen.  

Im Labor erschaffene Embryos werden entweder unmittelbar nach ihrer Erzeugung "frisch" in die Gebärmutter eingesetzt. Oder aber – tiefgefroren und dann aufgetaut – erst später. Manchmal sehr viel später.  

Wird da wirklich ein Embryo eingefroren? 

Gewöhnlich reift im menschlichen Eierstock jeden Monat eine Eizelle heran. Nach einer Hormonbehandlung in der Kinderwunschklinik sind es deutlich mehr. Mit weiteren Hormonen wird auch der Eisprung der Patientin künstlich ausgelöst. Im Körper kann eine Eizelle innerhalb von 24 Stunden befruchtet werden.

Bei der assistierten Befruchtung hingegen werden die Eizellen zunächst unter Vollnarkose "geerntet" (Punktion). Im Labor werden sie dann entweder für eine spätere Schwangerschaft aufbewahrt. Oder in einer Petrischale direkt mit einer Samenzelle zusammengebracht.  

Deutlich sichtbare Aufteilung von Zellen. Äußere und innere Reihen erkennbar.
Die Zellteilung einer erfolgreich befruchteten Eizelle schreitet sehr schnell voran wie an diesem drei Tage altem Embryo sichtbar ist.null picture-alliance/ dpa/dpaweb

Eine große Anzahl von Eizellen ist von Vorteil, da die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle außerhalb des Körpers nicht immer reibungslos verläuft. Einige befruchtete Eizellen entwickeln sich nicht gut, andere können gar nicht erst befruchtet werden.

Mit etwas Glück und viel Wissenschaft erhält das Paar am Ende des ersten Versuchs mehrere lebensfähige Embryos. 

Mit Embryo ist hier allerdings zunächst nur ein Einzeller gemeint. Er muss noch viele Zellteilungen durchlaufen, bevor er menschliche Züge annimmt. Am fünften oder sechsten Tag nach der Befruchtung – dem Zeitpunkt also, an dem die Embryos in der Regel eingefroren werden – lässt sich der Embryo noch immer am besten als ein sich schnell teilender Zellhaufen beschreiben.

In diesem so genannten Blastozystenstadium werden die Embryos mit den besten Entwicklungschancen ausgewählt und eingefroren.

Wie läuft ein Kryotransfer ab?  

Wenn ein oder zwei Embryos direkt vom Labortisch in die Gebärmutter übertragen werden, nennt sich das "Frischtransfer". Oft bleiben dabei noch weitere lebensfähige Embryos übrig. Sie können für eine spätere Verwendung eingefroren werden.  


1978 wurde Louise Joy Brown als erster Mensch mit Hilfe assistierter Reproduktionstechniken geboren. Seither sind ihr schätzungsweise 12 Millionen Menschen gefolgt
. Auch die Kryokonservierung von Embryos wird seit Jahrzehnten praktiziert.  

Und stetig verbessert: Bei der sogenannten Vitrifikation werden die Embryos mit viel Kälteschutzmittel sehr schnell eingefroren. Diese Technik verhindert, dass spitze Eiskristalle die Zellen schädigen. 

Kryotransfers werden inzwischen sogar etwas häufiger durchgeführt als Frischtransfers, zumindest in Europa. Kinderwunschkliniken werben damit, dass diese Methode eine höhere Erfolgsrate bei der Schwangerschaft aufweise.

Studien konnten dies bisher noch nicht bestätigen.

Ein schwarz-weiß Foto von einem Baby, eingepackt in einer Art Folienrettungsdecke. Nur das Gesicht des Babys ist sichtbar. Der Finger einer erwachsenen Person ist sichtbar und hält die Folie fest.
Das erste offizielle Kryo-Baby wurde 1984 geboren. Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass ein indischer Arzt die gleiche Technologie bereits fünf Jahre zuvor erfolgreich angewendet hat. null AP Images/picture alliance

Welche Vorteile haben Kryotransfers?

Gesundheitlich: Bei der assistierten Reproduktion werden in der Regel zahlreiche Hormone eingesetzt. Das kann das sogenannte ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS) zur Folge haben. Diese Überstimulation kann zu einer Vergrößerung der Eierstöcke und im Extremfall zu Atemnot und Kreislaufkollaps führen. Kryotransfers verringern dieses Risiko, da sie dem Körper  eine Pause von den Hormongaben gönnen.

Zeitlich: Untersuchungen an Embryos, zum Beispiel auf genetische Erbkrankheiten, nehmen einige Zeit in Anspruch. Durch den Kryotransfer können Entscheidungen über die Verwendung solcher Embryos aufgeschoben werden. 

Finanziell: Nach einem fehlgeschlagenen Versuch kann sofort im Folgemonat ein neuer Versuch mit eingefrorenen Embryos derselben Charge gestartet werden. Das ist kostengünstiger und für die Patientin weniger belastend als eine erneute Hormonbehandlung mit Punktion und erneuter Befruchtung im Labor. 

Kinderwunschklinik: Doch ein eigenes Baby?

Wie lange können Embryos eingefroren werden? 

Technisch können Embryos auf unbestimmte Zeit eingefroren werden. Rekordverdächtig war die Geburt eines Zwillingspaares im Jahr 2022, das nach 30 Jahren Kryokonservierung zur Welt kam. Kuriose Konstellationen wie die von fast gleichaltrigen Müttern und Kindern heizen die ethische Diskussion um den Umgang mit eingefrorenen Embryos weiter an. 

Noch unklar ist, welche Langzeitfolgen Krykonservierung hat. Doch Studien häufen sich, die auf Risiken hindeuten. 

Wie gefährlich sind Kryotransfers für Schwangere und Kind? 

Es gibt Studien, die ein erhöhtes Krebsrisiko bei Kindern gefunden haben wollen, die als Embryo gefroren waren. Vorsichtshalber wird von einer medizinisch nicht begründeten Kryokonservierung aller Embryos abgeraten. 

Auch die Risiken für die Gebärende scheinen erhöht zu sein: Laut einer französischen Studie treten bei Geburten von Kryo-Babys vermehrt sogenannte postpartale Hämorrhagien (PPH) also schwere Blutungen auf. 

Im Vergleich zu Schwangerschaften mit Embryos aus Frischtransfers oder aus natürlicher Befruchtung, ist das Risiko für Schwangerschaftshochdruck (Präeklampsie) nach einem Transfer gefrorener Embryos deutlich erhöht.

Was bedeutet das nun für Paare, die mit medizinischer Hilfe eine Familie gründen wollen oder müssen? Sie haben heute zwar viel mehr Möglichkeiten, aber einfacher geworden ist es deshalb nicht. 

Quellen: 

European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE): Factsheet on ART (Nov 2023) https://www.eshre.eu/Press-Room/Resources/Fact-sheets

Human Reproduction Update: Fresh versus frozen embryo transfer: backing clinical decisions with scientific and clinical evidence (2014) https://doi.org/10.1093/humupd/dmu027

PLoS Medicine: Cancer in children born after frozen-thawed embryo transfer: A cohort study. (2022) https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1004078 

BJOG: An International Journal of Obstetrics and Gynaecology: Major postpartum haemorrhage after frozen embryo transfer: A population-based study (2023) https://doi.org/10.1111/1471-0528.17625

Ernährungsmythen überprüft: Macht Gluten krank?

Pizza, Kuchen, Brot, Nudeln - üblicherweise enthalten all diese Leckereien Weizen, Gerste oder Roggen. Und damit Gluten. Für die meisten Menschen ist das einfach lecker. Für andere folgt nach dem Verzehr die Qual: Bauchschmerzen, Übelkeit und andere unschöne Symptome. Die Zahl der Menschen, die Gluten nicht vertragen, nimmt zu.

Darauf weisen nicht nur Daten aus einzelnen Ländern wie Finnland hin. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2020 zeigt ebenfalls: Im Verlauf der letzten Jahrzehnte sind immer mehr Menschen an Zöliakie erkrankt - einer besonders schlimmen Form der Glutenunverträglichkeit.

Es muss nicht gleich Zöliakie sein: Auch eine Weizenallergie oder die sogenannte Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität können Ursachen für schmerzhafte Symptome sein. Ist Gluten ein Teufelszeug, um das wir alle am besten einen großen Bogen machen sollten?

Was ist Gluten eigentlich?

Gluten ist nichts anderes als eines von mehreren Eiweißen, die in Getreiden vorkommen. Es sorgt beispielsweise bei Weizenprodukten dafür, dass ein Teig dehnbar ist und sich kneten und ausrollen lässt. Neben Weizen, Roggen und Gerste enthalten auch deren Abstammungen und Kreuzungen Gluten:

  • Dinkel
  • Hartweizen
  • Emmer
  • Einkorn
  • Kamut
  • Grünkern
  • Triticale

"Gluten ist so spannend, weil es tolle funktionelle Eigenschaften hat und aus Weizen ein tolles Brot macht", sagt Katharina Scherf. Sie ist Professorin für Lebensmittelchemie am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München. Gluten ist eines ihrer Hauptforschungsgebiete. "Andererseits ist Gluten Auslöser für gewisse Krankheiten."

Was kann Gluten im Körper auslösen?

"Es gibt drei große Weizenunverträglichkeiten", erklärt Scherf. Die Weizenallergie sei eine klassische Nahrungsmittelallergie, die sich durch bestimmte Antikörper im Blut nachweisen lasse. Diese sogenannten Immunglobuline E (IgE) bilden sich im Körper von Menschen, die auf eines oder mehrere Eiweiße im Weizen allergisch reagieren. 

Laut der Harvard School of Public Health können die Symptome einer solchen Allergie Juckreiz und Schwellungen von Mund, Rachen oder Augen sein. Bei schwereren allergischen Reaktionen kann es zu Kurzatmigkeit, Übelkeit, Krämpfen bis hin zum Kreislaufzusammenbruch kommen. "Die Weizenallergie kommt bei Kindern häufiger vor als bei Erwachsenen", sagt Scherf. Sie könne sich im Laufe der Jahre "verwachsen" und wieder verschwinden.

Ein Irrtum des Immunsystems

Im Gegensatz zur Weizenallergie sei der Nachweis der sogenannten Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität schwieriger, so Scherf. Bauchschmerzen durch Blähungen oder Verstopfung, Durchfall und Müdigkeit gehören zu den Symptomen. Erwachsene sind häufiger betroffen als Kinder. Einen Marker zur Diagnose einer Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität gibt es bisher jedoch nicht.

Was ist Zöliakie?

Die Zöliakie ist die am besten erforschte Erkrankung im Zusammenhang mit einer Glutenunverträglichkeit. Laut der Deutschen Zöliakie Gesellschaft ist Zöliakie selbst allerdings weder eine Allergie noch eine Unverträglichkeit gegen Weizen oder Gluten. Stattdessen löst Gluten eine Autoimmunreaktion aus: Antikörper greifen körpereigenes Gewebe an.

Bei einer Zöliakie bedeutet das, dass sich die Dünndarmschleimhaut entzündet und abgebaut wird. "Die Oberfläche des Dünndarms verkleinert sich dadurch", sagt die Lebensmittelchemikerin Scherf. Das sei nicht nur sehr schmerzhaft, sondern könne in der Folge auch zu starken Mangelerscheinungen führen. Zöliakie hat zumindest teilweise einen genetischen Ursprung. Aber: "Viele Menschen haben die entsprechende genetische Voraussetzung, aber nicht alle entwickeln eine Zöliakie", sagt Katharina Scherf. 

Wie teste ich eine Glutenunverträglichkeit oder Zöliakie?

Zöliakie und Weizenallergie lassen sich durch Antikörpertests im Blut nachweisen. Oft dauere es dennoch sehr lange, bis Betroffene die Diagnose Zöliakie erhalten, so Scherf. "Gerade bei Erwachsenen sind die Symptome häufig keine typischen Magen-Darmbeschwerden." Stattdessen eher Müdigkeit und Erschöpfung, die sich durch die zerstörte Darmschleimhaut und den daraus entstehenden Nährstoffmangel erklären ließen.

"Die Diagnostik hat sich allerdings deutlich verbessert", sagt Katharina Scherf. Möglicherweise sei das ein Grund dafür, dass die Zahl der Zöliakie-Patienten steige. 

Bei der Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität gibt es bisher keine spezifischen Antikörper, die die Krankheit anzeigen. Im Zweifel hilft nur der Verzicht auf alle glutenhaltigen Produkte. "Bislang gibt es keine Alternative zur glutenfreien Diät", sagt Scherf. Glutenfrei sind beispielsweise:

  • Mais
  • Reis 
  • Hirse 
  • Buchweizen 
  • Quinoa  
  • Amaranth 
  • unkontaminierter Hafer 

Eine glutenfreie Ernährung klingt einfacher als sie ist. "Man muss sich sehr stark mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen", sagt die Lebensmittelchemikerin. Denn Gluten versteckt sich als Bindemittel oder Emulgator auch in vielen Fertiggerichten. 

Die gute Nachricht ist: Mit dem Verzicht auf Gluten verschwinden die unangenehmen und schmerzhaften Symptome. Selbst ein durch eine Zöliakie entzündeter Darm erholt sich in den meisten Fällen wieder. 

Für alle Menschen ohne Weizenallergie oder -unverträglichkeit gilt: Gluten ist nicht schädlich.

 

Quellen:

Alimentary Pharmacology and Therapeutics: Increasing prevalence of coeliac disease over time (2007) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1365-2036.2007.03502.x

The American Journal of Gastroenterology Incidence of Celiac Disease Is Increasing Over Time: A Systematic Review and Meta-analysis (2020) https://journals.lww.com/ajg/abstract/2020/04000/incidence_of_celiac_disease_is_increasing_over.9.aspx

Deutsche Zöliakie Gesellschaft: Was ist Zöliakie? https://www.dzg-online.de/was-ist-zoeliakie

Harvard School of Public Health: Gluten: A Benefit or Harm to the Body? https://www.hsph.harvard.edu/nutritionsource/gluten/

Was weiß die Wissenschaft über das Havanna-Syndrom?

Das rätselhafte Syndrom wurde erstmals 2016 bekannt. Damals wurden in der kubanischen Hauptstadt dutzende Fälle unter US- und kanadischen Diplomaten sowie ihren Familienangehörigen festgestellt. Laut Medienberichten soll es allerdings bereits 2014 im US-Konsulat in Frankfurt am Main in Deutschland erste Havanna-Syndrom-Fälle gegeben haben. Die Betroffenen litten unter Benommenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Hör- und Sehproblemen. Einige der Betroffenen verloren dauerhaft ihr Gehör.

Seit den Vorfällen in Kuba wurden die Symptome immer wieder von US-Diplomaten und -Geheimdienstmitarbeitern gemeldet, unter anderem in Russland, China, Österreich und zuletzt in Berlin. Die Betroffenen berichteten von Übelkeit, Schwindel, starken Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen und Müdigkeit, einige von ihnen seien arbeitsunfähig, schrieb das Wall Street Journal. 

Auch in anderen europäischen Ländern habe man US-Vertreter mit dem rätselhaften Havanna-Syndrom registriert, berichtete die Zeitung weiter. Einige der Erkrankten hätten sich mit Themen wie Gasexporte, Cybersicherheit oder politische Einmischung befasst. 

Die US-Botschaft in Havanna
Bei Angestellten der US-Botschaft in Havanna tauchten die rätselhaften Symptome das erste Mal aufnull Adalberto/AFP/Getty Images

Symptome wie bei einer Gehirnerschütterung

Die Symptome treten sehr plötzlich auf. Einen Betroffenen in Moskau erwischte es 2017, als er nachts im Bett lag, wie das Magazin GQ berichtete. Aufgrund seiner Übelkeit dachte er zunächst an eine Lebensmittelvergiftung, dann war ihm aber so schwindelig, dass er beim Versuch, ins Bad zu gehen, immer wieder hinfiel.

Es habe sich angefühlt, "als ob ich mich übergeben müsste und gleichzeitig ohnmächtig werden würde", sagte der CIA-Mitarbeiter dem Magazin. Das Ganze traf ihn vollkommen unvorbereitet. Anders als einige amerikanische Staatsangehörige in der Botschaft in Havanna 2016 habe er beispielsweise keinen hohen Ton gehört.

Experten am Center for Brain Injury and Repair an der University of Pennsylvania untersuchten einige der US-Bürger, die in Kuba verletzt wurden, und veröffentlichten 2018 eine Studie in der Fachzeitschrift Journal of the American Medical Association. Darin schreiben die Forscher, die Patienten seien stark beeinträchtigt in ihren Gleichgewichts-, kognitiven, motorischen und sensorischen Fähigkeiten - so wie Menschen, die eine schwere Gehirnerschütterung erlitten.

Aber anders als bei Gehirnerschütterungen verschwanden die Symptome nicht, sondern nahmen nur immer mal ab, um dann mit geballter Kraft zurückzukehren. 

Psychisches Leid der Havanna-Syndrom Patienten

In einer aktuelleren Studie untersuchten Forschende in den Jahren zwischen 2018 und 2022 insgesamt 86 US-Regierungsmitarbeitende und deren Familienmitglieder, die von solchen Symptomen betroffen waren. Im Vergleich mit der gesunden Kontrollgruppe, berichteten Havanna-Syndrom Betroffene signifikant häufiger von Erschöpfung, posttraumatischer Belastungsstörung oder Depressionen.

In den klinischen Tests konnten die Forschenden jedoch keine Veränderungen in Organen und Geweben oder im Blut der Patienten feststellen. Auch in der Gedächtnisleistung sowie in Hör- und Sehtests waren keine signifikanten Unterschiede zu den Teilnehmenden der Kontrollgruppe feststellbar.

Ursache unbekannt

Was die "anormalen Gesundheitsvorfälle" auslösen könnte, bleibt ebenfalls weiterhin unklar. Aber Vermutungen gibt es natürlich.

Eine davon äußerten Experten der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine in den USA bereits im Dezember 2020. Sie vermuten, dass gezielte Impulse von Radio-Frequenz-Energie stecken hinter den Symptomen stecken.

Andere Forscher gehen davon aus, dass Mikrowellen-Waffen hinter dem Havanna Syndrom stecken, die Gegner der USA gezielt gegen Diplomaten, Geheimdienstangestellte und ihre Familien einsetzen. Solche Waffen, die mit hochfrequenter Strahlung arbeiten, wurden bereits entwickelt. 

Infografik elektromagnetisches Spektrum DE

Mikrowellen arbeiten im Bereich von einem bis zu 300 Gigahertz. Die Mikrowelle, die viele zuhause haben, erhitzt Mahlzeiten bei einer Frequenz von 2,5 Gigahertz. Mit zunehmender Frequenz wird die Strahlung energiereicher. Mit entsprechendem Gerät kann sie gezielt auf Menschen gerichtet werden, die Strahlen dringen dann bis zu einer von der Frequenz abhängigen Tiefe in den Körper ein und können dort Schaden anrichten. Das US-Verteidigungsministerium entwickelte beispielsweise ein Waffensystem, das mit Mikrowellen bei einer Frequenz von 95 Gigahertz arbeitet.

Eine weitere Möglichkeit sind Schallwaffen - dafür spräche beispielsweise, dass einige Betroffene in Havanna einen durchdringenden Ton gehört haben, bevor ihre Symptome begannen. Andere Havanna-Syndrom Patienten hörten jedoch nichts.

Zwar könnte es auch Systeme geben, die Angriffe im nicht hörbaren Bereich ermöglichen. Doch über die ist wenig bekannt, außer, dass Militärs daran forschen ließen. Dass sie existieren wurde von Experten bisher als sehr unwahrscheinlich eingestuft.

 

Tote und Verletzte in Taiwan: Wie entstehen Erdbeben?

Die Zahl der Todesopfer und Verletzten nach dem Erdbeben in Taiwan steigt weiter. Laut Agenturberichten gab es die meisten Opfer nahe dem Epizentrum in der Region Hualien, einer bergigen Gegend an der Ostküste des Landes.

Wie stark war das Erdbeben in Taiwan?

Die US-Erdbebenwarte USGS gab die Stärke des Bebens mit 7,4 auf der Richterskala an. Zahlreiche Gebäude stürzten ein oder gerieten in eine bedrohliche Schieflage. Laut Agenturberichten haben strengere Bauvorschriften offenbar eine größere Katastrophe verhindert.

Eine ähnlich starke Erschütterung hatte es in Taiwan zuletzt 1999 gegeben. Damals waren mehr als 2.400 Menschen ums Leben gekommen.

Erdbeben in Taiwan sind keine Seltenheit. Die Insel liegt auf einer sogenannten Verwerfungslinie, zwei Erdplatten treffen hier aufeinander.

Wie entstehen Erdbeben?

Die Erdkruste ist wie eine Art Puzzle aufgebaut, das aus vielen Einzelteilen besteht: aus ein paar gigantischen ozeanischen Platten und mehreren kleinen kontinentalen Krustenplatten. Wie viele kleine und kleinste Erdplatten es tatsächlich gibt, ist in der Wissenschaft umstritten. 

Die verschiedenen Platten "schwimmen" auf dem flüssigen Erdinneren. Durch aufquellendes Magma aus dem Erdkern an einigen Bruchstellen verschieben sie sich und wandern einige Zentimeter pro Jahr.

Das passiert seit Milliarden Jahren, ist also ganz normal. Sie bewegen sich entweder voneinander weg, reiben aneinander oder schieben sich untereinander. Dann bewegt sich der darüber liegende Kontinent. Diese Bewegungen heißen Plattentektonik. 

Die Plattentektonik führt immer wieder dazu, dass sich Platten verhaken. Die Spannungen im Gestein wachsen dann und können sich, wenn sie zu groß werden, ruckartig lösen. Von diesem Epizentrum aus verbreiten sich dann Druckwellen bis an die Erdoberfläche und werden als Erdbeben spürbar.

Besonders gefährdet sind deshalb Regionen, die über sogenannten Verwerfungslinien liegen, also wo zwei tektonische Platten der Erdkruste aufeinandertreffen. Ab 5,0 auf der sogenannten Richterskala, mit deren Hilfe Seismologen die Stärke eines Erdbebens angeben, kann es zu sichtbaren Schäden beispielsweise an Gebäuden kommen.

Kommt es zu einem Beben unterhalb eines Ozeans, können Tsunamis entstehen. Diese sich mit hoher Geschwindigkeit verbreitenden Wellen können zu verheerende Überflutungen führen, wenn sie auf Festland treffen. Aufgrund der ständigen seismischen Aktivität in Regionen an den Plattenrändern sei es sehr schwierig, schwerere Beben vorauszusagen, sagt Fabrice Cotton, Professor für Seismologie am Geoforschungsinstitut (GFZ) in Potsdam.

Was sind Nachbeben?

Starke Erdbeben ziehen so gut wie immer eine Serie kleinerer Erschütterungen nach sich. Diese Nachbeben entstehen, weil sich die tektonischen Platten am Epizentrum noch hin und her bewegen und erst langsam wieder zur Ruhe kommen. Doch auch die schwächeren Nachbeben können großen Schaden anrichten: Gebäude, die durch das eigentliche Erdbeben nur beschädigt wurden, stürzen schließlich doch zusammen und sorgen für noch mehr tote, verletzte und obdachlose Menschen.

"Die einzige Möglichkeit, Menschen vor Erdbeben zu schützen, ist durch erdbebensicheres Bauen", sagt Cotton.

Erdbebensichere Häuser durch künstliche Intelligenz

 

Impfung gegen Kokainsucht – funktioniert das?

Der Kokainkonsum ist auf einem Rekordhoch: Nach Berechnungen der Vereinten Nationen konsumierten im Jahr 2021 ungefähr 22 Millionen Menschen den Stoff, der aus Cocablättern des Cocastrauchs gewonnen wird. Das sind mehr Menschen als im US-Bundesstaat New York leben. In Europa ist Kokain die zweithäufigste illegale Droge nach Cannabis. Auch in Deutschland gibt es einen hohen Kokain-Konsum, wie Abwasseranalysen zeigen.

Die Droge macht stark abhängig und schädigt lebenswichtige Organe. Der Konsum bringt den Kreislauf an seine Grenzen - vergleichbar mit einem Marathon. Ein Entzug wiederum geht mit großer körperlicher und mentaler Belastung einher. In Brasilien entwickeln Forschende jetzt eine Impfung, die bei der Therapie unterstützen soll.

Wie wirkt Koks?

Die meisten Konsumenten ziehen Kokain oder Koks als Pulver durch die Nase. Alternativ wird es mit einer Pfeife als Crack geraucht. Die Substanz gelangt über das Blut ins Gehirn. Dort regt die Droge den Körper dazu an, verschiedene Botenstoffe auszuschütten - darunter Dopamin. Das alles beherrschende Gefühl: intensive Euphorie. 

Der Körper ist hyperaktiv und gereizt. Das Herz pumpt bereits auf voller Leistung, während sich die Arterien verengen. Der Blutdruck steigt ebenso wie die Körpertemperatur. Bedürfnisse wie Hunger und Durst werden unwichtig. Im schlimmsten Fall kann der Trip zu Krämpfen führen oder im Koma enden - bis hin zum Atem- und Herzstillstand. 

Der Rausch dauert zwischen fünf und dreißig Minuten. "Es fühlt sich an, als seien alle Ampeln auf Grün gestellt", beschreibt Hanspeter Eckert den Rausch. Er ist Therapeut bei einem Berliner Verein für Drogentherapie. 

Das Gehirn prägt sich ein: Das war intensiv und großartig, das will ich wieder erleben! Der Körper speichert den Konsum als "überlebenswichtig", so Eckert. Das Verlangen nach mehr Kokain dominiert die Gedanken. Die inneren Stimmen, die vor den Folgen warnen, werden leiser. Gesundheit, soziale Kontakte und Beruf werden vernachlässigt. Eine Sucht entwickelt sich.

Impfung gegen Kokainsucht als Lösung?

Die Anti-Kokain-Impfung kann bei der Behandlung der Sucht helfen. Nach der Impfung bilden sich Antikörper im Blut. Diese Antikörper binden gezielt an das Kokain. Der Stoff ist damit zu groß, um die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. So kann das Gehirn nicht stimuliert werden. Der Rausch bleibt aus. 

Die Hirnreaktionen, die normalerweise das Verlangen nach der Droge auslösen, werden unterbunden. Dadurch nimmt der Patient die Droge anders wahr, sagt Frederico Garcia von der brasilianischen Universität UFMG, in einem Interview mit DW Brasil. Sein Forschungsteam hat Versuche mit dem Impfstoff an Ratten durchgeführt.

Garcia glaubt, dass die Ergebnisse aus den Tierversuchen auf den Menschen übertragbar sein könnten. Es wäre der erste Anti-Kokain-Impfstoff weltweit, der zur Therapie eingesetzt würde. Weitere Forschungsteams in den USA arbeiten ebenfalls an Impfstoffen. Derzeit stehen klinische Studien am Menschen noch aus, und es ist daher ungewiss, wann und ob es eine Impfung für Kokainsüchtige tatsächlich geben wird.

Kann die Impfung vor Sucht schützen? 

Therapeut Eckert begrüßt die Impfstoff-Forschung grundsätzlich: Bleibt der Rausch aus, darf der Kopf zur Ruhe kommen. Der Körper kann sich von der permanenten Reizung befreien. Der Mensch kann positive Erfahrungen machen und merkt: Das gute Gefühl liegt an mir selbst und nicht an der Droge.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Skeptisch ist Eckert dennoch, denn eine Therapie sei harte Arbeit. Er braucht für die Behandlung mindestens ein Jahr. Süchtige lernen, ihren Körper und ihre Psyche zu verstehen. Sie sprechen über ihre Gefühle und Probleme - und müssen schwierige Entscheidungen treffen. Von welchen Freunden sollte ich mich fernhalten? Wie ertrage ich die körperlichen Schmerzen? Durch diesen Prozess erarbeiten sie sich mehr Kontrolle über ihr Leben.

Zur Vorsorge oder für Gelegenheits-Konsumierende ist die Impfung nicht gedacht. Eckert warnt, dass bei Geimpften die Gefahr einer Überdosierung bestehe. Denn aufgrund der Impfung "kickt" der Rausch nicht. Die Person greift eventuell nach einer höheren Dosis, die den Kreislauf überlasten kann - Herz- und Atemstillstand können die Folge sein.

Marica Ferri von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) hat weitere Bedenken: "Die Substanz selbst ist kein isoliertes Problem." Nur weil nicht mehr gekokst werde, seien nicht automatisch alle Probleme gelöst. Körperliche Schäden müssten heilen, ebenso wie die mentale Gesundheit. In einer Therapie werde auch an der Psyche gearbeitet und am sozialen Umfeld. "Das braucht Zeit", sagt Ferri. 

Sie strebt nach umfassenderen Lösungen. Als Expertin für öffentliche Gesundheit kämpft sie für mehr Therapieplätze. Die Impfung sei für einen kleinen Teil der Menschen geeignet, die bereits in Therapie sind, so Ferri.

Quellen:

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoactive substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023/new-psychoactive-substances_en

Safety and immunogenicity of the anti-cocaine vaccine UFMG-VAC-V4N2 in a non-human primate model. Published in the National Library of Medicine by Brian Sabato, Augusto PSA et al 2023: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36822966/ 

Global report on Cocaine 2023 – Local dynamics, global challenge: https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/cocaine/Global_cocaine_report_2023.pdf

Wem gehört der Milliarden-Schatz der San José?

Gold, Silber, Smaragde - mehrere Milliarden Euro soll der Schatz der San José heute wert sein. Das Wrack liegt in 600 Metern Tiefe vor der kolumbianischen Küste. Kolumbien will den Schatz nun bergen, obwohl noch gar nicht geklärt ist, wem der Schatz eigentlich gehört. Die Rechtslage ist kompliziert. Und da noch viele Wracks mit großen Kostbarkeiten an Bord auf ihre Entdeckung warten, ist der Rechtsstreit richtungsweisend. 

Viele Verlierer an einem Tag

Um im "spanischen Erbfolgekrieg" den seit 1701 tobenden Krieg mit England, zu finanzieren, wollen die Spanier im Juni 1708 insgesamt 344 Tonnen Gold- und Silbermünzen sowie 116 Kisten mit Smaragden ins Mutterland bringen. Diese Kostbarkeiten hatten die Spanier in ihren amerikanischen Kolonien zusammengerafft.

Sicherheitshalber wurde der gewaltige Schatz auf mehrere Schiffe verteilt, so auch auf die mit 64 Kanonen bestückte Galeone San José, das Hauptschiff der spanischen Silberflotte. Eskortiert wurde die San José von zwei weiteren Galeonen und mehr als einem Dutzend Kriegsschiffen. Schließlich wurden voll beladene spanische Schiffe regelmäßig von englischen oder niederländischen Freibeutern überfallen.

Rund 30 Kilometer vor dem Hafen von Cartagena, das heute zu Kolumbien gehört, lauerten vier britische Kriegsschiffe den Spaniern auf. In der fast zehnstündigen Seeschlacht fing die San José Feuer. Bevor die Engländern die wertvolle Fracht rauben konnten, explodierte die Pulverkammer und in kürzester Zeit sank das Schiff mitsamt der kostbaren Ladung und Besatzung. 578 Menschen kamen ums Leben, es gab nur elf Überlebende. Der Schatz war für alle verloren. Eine Galeone konnten die Engländer kapern, die andere kehrte in den Hafen Cartagena zurück.

Das Gold der San José: verschollen, aber nicht vergessen

Die Erinnerung blieb, aber der kostbare Schatz lag mehr als 270 Jahre lang irgendwo vor der kolumbianischen Küste verborgen. Kolumbien selber war nicht in der Lage, nach dem Schatz zu suchen. Und so finanzierte 1979 ein US-amerikanischer Geschäftsmann eine private Schatzsuche. Vorab schloss seine private Firma Sea Search Armada (SSA) einen Vertrag mit dem kolumbianischen Staat, der ihnen im Erfolgsfall einen satten Anteil an dem Schatz zusichern sollte.

Und tatsächlich konnten die Schatzsucher das Wrack bald lokalisieren und erste, qualitativ noch bescheidene Filmaufnahmen machen. Doch statt Ruhm und Geld gab es nur Verhaftungen und Ärger. Kolumbien erkannte den Fund nicht an, die Firma habe illegal nach dem Schatz gesucht und überhaupt sei ja nicht klar, ob es sich bei dem Wrack auch tatsächlich um die San José handele.

Überwucherte Spanische Galeone San Jose im Karibischen Meer
Mehr als 300 Jahre gehört das Wrack der San José den Algen und Muschelnnull COLOMBIAN PRESIDENCY/AFP

Juristisches Tauziehen um einen Schatz auf dem Meeresgrund

Die US-Firma klagte wegen Vertragsbruchs, ein jahrelanger Rechtsstreit folgte. Im Jahr 2007 gab zunächst ein kolumbianisches Gericht der Bergungsfirma SSA recht. Allerdings klagte Kolumbien in den USA gegen das Urteil und gewann 2011 den Prozess. Denn laut internationalem Seerecht gehören alle Schätze bis zu 12 Seemeilen vor der Küste dem jeweiligen Land. Aber war dieses US-Gericht überhaupt zuständig?

Laut UNESCO-Konvention zum Schutz von Gütern auf dem Meeresgrund gehört ein solcher Fund eigentlich dem Herkunftsland, in diesem Fall also dem Schiffbesitzer Spanien. Eigentlich. Aber Kolumbien hat diese UNESCO-Konvention nicht unterzeichnet.

2015 beauftragte Kolumbien seinerseits eine US-amerikanische Bergungsfirma, die Ende November das Wrack nahe der Halbinsel Barú orten und anhand der markanten Kanonen auch zweifelsfrei identifizieren konnte. Auf den Video-Aufnahmen sind zwischen den Wrackteilen sehr deutlich die mit Delfinen und Pferden geschmückten Kanonen, Gold- und Silbermünzen und andere Kostbarkeiten wie chinesisches Porzellan zu sehen.

Viele erheben Anspruch auf den Schatz

Kolumbiens Staatspräsident Santos reklamierte den Fund für sein Land, nach der Bergung solle der Schatz in einem Museum in Cartagena ausgestellt werden. Aber auch Spanien und die Bergungsfirma SSA beanspruchen die Kostbarkeiten weiterhin für sich. Zudem fordert auch Bolivien einen Teil des Schatzes für das indigene Volk der Qhara Qhara, denen das Gold und Silber sowie die Smaragde einst geraubt worden seien.

Detail einer Kanone der Spanischen Galeone San Jose im Karibischen Meer
An den markanten Pferden und Delphinen auf den Kanonen wurde das Wrack identifiziertnull COLOMBIAN PRESIDENCY/AFP

Sehr viel Geld, sehr viele Interessen. Aber was steht wem zu? Hat Spanien nur Anspruch auf die Wrackteile, also auf das Holz und die Kanonen, oder auch auf die zusammengeraffte Ladung? Spielt es eine Rolle, dass das geraubte Gold und Silber zu Münzen verarbeitet wurde? Ändert dies etwas an dem Anspruch, den Kolumbien oder die Indigenen auf das geraubte Gold oder Silber erheben?

Was ist außerdem mit dem chinesischen Porzellan, das ursprünglich sicherlich nicht aus den spanischen Besitzungen stammt? Und was ist mit dem Vertrag zwischen der Bergungsfirma SSA und Kolumbien?

Komplizierte Rechtslage

Das Sprichwort "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" soll verdeutlichen, dass Verlauf und Ausgang eines Gerichtsverfahrens oftmals unkalkulierbar sind. Denn selbst wenn man Recht hat, bedeutet dies nicht, auch Recht zu bekommen.

Aus heutiger moralischer Sicht scheint es unverständlich, warum Spanien für seine einstigen Plündereien in Südamerika auch noch belohnt werden sollte. Oder warum Kolumbien möglicherweise einen Vertrag gebrochen hat oder internationale Abkommen einfach nicht anerkennt, gleichzeitig aber andere internationale Gesetze für sich in Anspruch nimmt.

Chinesisches Porzellan der Spanischen Galeone San Jose im Karibischen Meer
Das feine chinesische Porzellan hat die Jahrhunderte unter Wasser unbeschadet überstandennull COLOMBIAN PRESIDENCY/AFP

Aber vor Gericht geht es eben nicht um Moral, sondern um Recht. Gerichte entscheiden in jedem einzelnen Fall auf der Grundlage der vorgelegten Beweise, Zeugenaussagen, Argumente und des geltenden Rechts. Und da der vorliegende Fall kompliziert ist und es um sehr viel Geld geht, wird der Rechtsstreit vermutlich noch Jahre weitergehen. Zumal nicht wirklich klar ist, welches Recht denn nun gilt und welche Instanz den Fall letztendlich entscheiden kann. Der Internationale Seegerichtshof (International Tribunal for the Law of the Sea, ITLOS) offenbar nicht.

Entscheidet Den Haag über den Schatz der San José?

Die US-Bergungsfirma SSA hat deshalb den Ständigen Schiedshof in Den Haag, den Permanent Court of Arbitration angerufen. Diese Schiedsinstanz ist aber kein internationales Gericht, sondern bietet nur die Strukturen, um eine Streitigkeit durch ein Schiedsgericht beizulegen. 

Ebenfalls in Den Haag ist der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice, ICJ), das wichtigste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. Allerdings ist der ICJ für Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten zuständig. Und beim San José-Schatz handelt es sich nicht um einen Rechtsstreit zwischen Staaten. Deshalb kann der Internationale Gerichtshof möglicherweise auch keinen Fall verhandeln, der auch zwischen privaten Unternehmen oder nichtstaatlichen Akteuren wie Bergungsfirmen und indigenen Völkern stattfindet. 

Es liegt noch viel Gold auf dem Meeresgrund 

Während alle Beteiligten gespannt auf ein Urteil warten, schafft Kolumbien mit der Bergung neue Fakten. Es könnten noch Jahre vergehen, bis es ein verbindliches Urteil gibt, das dann auch für viele andere Wracks und Schiffe gelten könnte.

Nötig wäre es, denn mittels neuer Ortungsmethoden ist die Schatzsuche heutzutage deutlich sicherer, effizienter und lukrativer geworden. Und alleine vor der kolumbianischen Küste sollen noch mehr als zweihundert Wracks liegen.

Dieser Artikel wurde erstmals am 22.03.2024 veröffentlicht und am 28.03. aktualisiert.

WHO warnt vor Mangel an Cholera-Impfstoff

Durch den extremem Cholera-Impfstoffmangel steigen die Fälle rasant an. Laut WHO wurden im vergangenen Jahr 72 Millionen Dosen von Ländern nachgefragt, aber nur 36 Millionen Dosen wurden produziert.

In den Jahren 2021 bis 2023, so die Weltgesundheitsorganisation, seien damit mehr Impfdosen von den Ländern nachgefragt worden wie im ganzen Jahrzehnt davor. Laut WHO ist die Firma EuBiologics in Südkorea die einzige, die überhaupt noch Cholera-Impfstoff herstellt.

Im Jahr 2022 gab es 473.000 Cholerafälle. Das sind doppelt wo viele wie noch 2021, und die Lage spitzt sich weiter zu. Vorläufigen Daten von 2023 zufolge könnte die Zahl für das vergangene Jahr auf 700.000 Fälle steigen.

Um die Lage etwas zu beruhigen, hatte es bereits im Oktober 2022 seitens der Koordinierungsgruppe die Empfehlung gegeben, nicht mehr wie üblich jeweils zwei Impfdosen zu verabreichen, sondern nur noch eine. So sollte die benötigte Menge an Impfstoff reduziert werden, allerdings hält dann auch der Impfschutz nicht so lange vor.

Am schwersten betroffen sind meist Konfliktregionen, in denen schlechte Hygieneverhältnisse herrschen, denn dort kann sich das Bakterium Vibrio cholerae schnell verbreiten. Zu den von Cholera betroffenen Ländern gehören die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Haiti, Somalia, der Sudan, Syrien, Sambia und Simbabwe.

Auf lange Sicht sei es nötig, den Hygienestandard zu verbessern und für mehr und bessere Abwassersysteme zu sorgen sowie in sauberes Trinkwasser zu investieren.

Bakterium Vibrio cholerae verseucht Wasser

"Eigentlich ist die Krankheit Cholera sehr gut in den Griff zu kriegen", sagt Daniel Unterweger, Mikrobiologe an der Universität Kiel und am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Denn das Cholera-Bakterium Vibrio cholerae schwirrt nicht durch die Luft und infiziert Menschen über die Atemwege, wie es Viren wie Influenza oder SARS können. Vibrio Cholerae wird oral - also über den Mund - aufgenommen. Das passiert meistens über mit den Bakterien verunreinigtes Trinkwasser.

So gelangen die Bakterien in den menschlichen Körper, wo sie oft unbemerkt bleiben und der infizierten Person keine Symptome bescheren. Diese scheidet die Bakterien dennoch aus und infiziert damit potenziell weitere Menschen. Cholera kann allerdings auch zu schweren Durchfällen bis hin zum Tod führen.

Doch dazu müsste es in vielen Fällen erst gar nicht kommen, denn "die Cholera-Erkrankung ist sehr gut zu behandeln", sagt Unterweger. Infizierte können mit einer Flüssigkeit, die Salze und Zucker enthält, und intravenös oder oral verabreicht wird in den meisten Fällen erfolgreich behandelt werden.

Es gibt auch Impfungen, die oral verabreicht werden und zumindest ein paar Jahre lang einen guten Schutz bieten. Dennoch sterben nach Schätzungen der WHO jedes Jahr zwischen 21.000 und 143.000 Menschen an der bakteriellen Infektion. Denn Cholera mag leicht zu verhindern und zu behandeln sein, allerdings nur dann, wenn die Umstände es zulassen.

Cholera durch Krieg, Katastrophen und Flucht

"An Cholera erkrankt man dadurch, dass man die Cholera-Bakterien oral aufnimmt. Das heißt, es müssen zwei Faktoren gegeben sein: Zum einen muss das Bakterium in der Umwelt vorhanden sein, beispielsweise in einem Fluss. Und zum anderen muss der Mensch mit dem Fluss in Kontakt kommen, indem er beispielsweise Wasser aus dem Fluss trinkt", erklärt Unterweger.

Sauberes Trinkwasser ist die wichtigste Voraussetzung, um Cholera-Erkrankungen vorzubeugen. Naturkatastrophen wie die Fluten in Libyen oder wie das Erdbeben in Marokko zerstören jedoch die Wasserinfrastruktur und erhöhen das Risiko, das mit Fäkalien verunreinigtes Abwasser ins Trinkwasser gerät - und damit auch das Cholera-Bakterium.

Kriege können einen ähnlich zerstörerischen Effekt haben und den Menschen nicht nur den Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehren, sondern auch eine rechtzeitige Behandlung der Cholera-Erkrankung unmöglich machen.

Klimakrise hat Effekt auf Cholera

Die Klimakrise ist gleich ein zweifacher Treiber für die Verbreitung des Bakteriums, erklärt der Mikrobiologe Unterweger. "Je wärmer Gewässer werden, desto stärker vermehren sich die Cholera-Bakterien." Das erhöhe auch das Risiko für Infektionen. 

Außerdem trägt das sich aufheizende Klima dazu bei, dass immer mehr Menschen ihre Lebensräume verlassen, weil Dürren oder andere Extremwetterlagen sie zur Migration zwingen. "Diese Menschen gelangen dann leicht an Orte ohne ausreichende lokale Hygieneinfrastruktur und infizieren sich dort", sagt Unterweger. Laut WHO sind Flüchtlingscamps besonders anfällig für Cholera-Ausbrüche.

Wie sich die globale Cholera-Situation in den kommenden Jahren entwickeln wird, darüber kann Unterweger nur spekulieren. Die WHO möchte der Infektion bis 2030 den Garaus gemacht haben. Die Klimakrise und dadurch häufiger auftretende Extremwetterereignisse, die wiederum Infrastruktur zerstören und Menschen zur Flucht zwingen, lassen Unterweger jedoch vermuten, dass wir Cholera nicht so schnell loswerden und noch viele Menschen an der Infektionskrankheit sterben werden.

 

Quelle: 

Millions at risk from cholera due to lack of clean water, soap and toilets, and shortage of cholera vaccine, https://www.who.int/news/item/20-03-2024-millions-at-risk-from-cholera-due-to-lack-of-clean-water-soap-and-toilets-and-shortage-of-cholera-vaccine

 

Die Bachelors: Wissenschaft nimmt Datingshows unter die Lupe

Eine neue Staffel "Der Bachelor“. Mal wieder. Obwohl: Diesmal sind es sogar ZWEI Bachelors in einer Sendung, die sich in der neuesten Ausgabe der Datingshow auf die Suche nach der Liebe ihres Lebens begeben.

Und wieder stellt sich die Frage, wer die letzte Rose bekommt. Die Bachelors werden es wissen, vielleicht die Produzenten und - die Biologie. 

"The Bachelor" ist seit der Produktion der ersten US-Staffel im Jahr 2002 ein Erfolgsformat - egal ob mit Bachelor oder Bachelorette als Protagonist bzw. Protagonistin.

2023 startete in den USA die 27. Staffel der Sendung, in Deutschland sind wir derzeit bei der 14. Ausgabe. Doch auch international wird man der Bachelors und Bacherlorettes nicht müde: Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien, Japan, Vietnam, Schweiz, Finnland, Norwegen, Schweden, Rumänien, Russland, Ukraine, Frankreich, Polen, Israel - überall gab oder gibt es Junggesellen oder Jungesellinnen, die in dem Format ihr Glück suchen.

Partnerwahl: Der Bachelor als Studiengrundlage

Forschende des Instituts für Psychologie an der Universität Würzburg haben die TV-Show genauer unter die Lupe genommen und meinen, in dem Format Beweise für evolutionäre Theorien bei der Partnerwahl wiederzuerkennen. Sie gingen der Frage nach, wie der Beginn einer Beziehung und ihre Dauer vom Geschlecht der Person abhängt, die ihren gewünschten langfristigen Partner aus einem Pool potenzieller Kandidaten auswählt. Also: Wie sich der Mikrokosmos Bachelor/Bachlorette aufs echte Leben übertragen lässt. Die Forschung wurde in "Frontiers in Psychology" veröffentlicht

Um die Frage zu beantworten, analysierten die Forschenden 169 Bachelor- und Bachelorette-Staffeln, die zwischen 2002 und 2021 in 23 Ländern ausgestrahlt worden waren. Die erforderlichen Daten entnahmen sie Wikipedia, Nachrichtenartikeln oder anderen Onlineressourcen. Wichtig waren unter anderem Alter und Geschlecht des Protagonisten bzw. der Protagonistin und des gewählten Partners oder der Partnerin. Berücksichtigt wurden auch die Anzahl der Teilnehmenden und der Beziehungsstatus bzw. die Länge der Beziehung nach der Sendung.

Das Ergebnis in Kürze: Wenn Frauen den Partner auswählten, kamen mehr Beziehungen zustande. Während die Männer in der Regel jüngere Partnerinnen wählten, entschieden sich Frauen für Partner, die näher an ihrem eigenen Alter lagen. Wenn es beim Bachelor oder bei der Bachelorette zu einer Beziehung kam, wurde die Dauernicht durch das Geschlecht des Protagonisten beeinflusst.

Evolutionstheorien im Reality-TV

Die Forschenden sehen in den Ergebnissen alte Theorien bestätigt, etwa evolutionäre Muster bei den Alterspräferenzen, wonach Männer durchweg jüngere - also vermeintlich fruchtbarere - Partnerinnen bevorzugten.

Oder etwa die Theorie der elterlichen Investition. Diese besagt, dass das Geschlecht mit der höheren Mindestinvestition in den Nachwuchs - in der Regel die Frau - bei der Partnerwahl eine größere Vorsicht an den Tag legt. Die minimale Investition des Mannes in die Nachkommen besteht aus ein paar Minuten Zeit für den Geschlechtsverkehr, die minimale Investition der Frau hingegen ist eine Schwangerschaft und das Großziehen des Nachwuchses.

Für die Frau ist es demnach von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen, dass diese hohe Anfangsinvestition nicht umsonst getätigt wurde. Frauen bevorzugen nach diesem evolutionspsychologischen Ansatz Partner, die Macht, Status und Ressourcen, wie Vermögen, besitzen, also Voraussetzungen, die für das Aufziehen der Nachkommen nützlich sind. Na klar!

Ergebnisse nach Drehbuch?

Doch ist es wirklich so leicht und vor allem noch zeitgemäß? Die Schlussfolgerungen haben auch Schwächen, schreiben die Forschenden. Sie räumen unter anderem ein, dass Entscheidungen in den Sendungen bezüglich der Finalisten und Finalistinnen nicht von den Protagonisten selbst, sondern von den Produzenten getroffen sein könnten. Es geht um die ewige Frage der "scripted reality", einer vermeintlichen Wahrheit also mit fiktiven Elementen und Handlungen.  

Auch die von den Forschenden analysierten Sendungen, also der Umfang der Stichproben, oder der Cast generell könnten das Ergebnis beeinflusst haben. So sind die teilnehmenden Frauen beim Bachelor laut Bachelordata primär zwischen 25 und 26 Jahren alt, also noch recht jung. Dem Bachelor bleibt keine andere Wahl als sich für eine solch jüngere Partnerin zu entscheiden. Die teilnehmenden Männer bei Bachelorette sind 29 bis 30 Jahre.

Auf der sozialen Nachrichtenseite "Reddit" wird die Studie oder vielmehr das Format "Bachelor" diskutiert, das nach Ansicht der Nutzenden auf hetero-patriarchalische Beziehungen ausgerichtet ist. Auch den Drang, menschliches Handeln mit der Evolution zu rechtfertigen, sehen Leser kritisch. So schreibtein User, der sich mit Evolutionsbiologie beschäftigt: "Ich sehe durchaus den theoretischen Wert der Übertragung von evolutionären Perspektiven auf die Erforschung des menschlichen Verhaltens, aber in der Praxis scheint es zu oft darauf hinauszulaufen, die Art und Weise, […] wie Menschen handeln, mit der Behauptung zu rechtfertigen, es sei alles biologisch angeboren." Dies sei in der heutigen Zeit, in der sich kulturelle Normen und Praktiken so schnell verbreiten, nicht mehr beweisbar.

Nichtsdestotrotz ein Happy End: Laut Studienautoren haben sich acht Prozent der Paare tatsächlich für eine Heirat entschieden. 

Doch was fasziniert uns so am Bachelor?

Trotz der Kritik sind Dating-Shows wie der Bachelor oder Reality-TV allgemein nicht mehr aus der Fernsehlandschaft wegzudenken. Sie laufen zur Prime Time oder On-Demand - wann auch immer der Voyeurist in uns das Verlangen nach Flirts, Streitereien und Schadenfreude hat.

Ehrlichkeit in der Liebe: Ein Charakterzug ist entscheidend

Lügen sind doof, Ehrlichkeit ist gut. Dieser Einordnung würden wahrscheinlich viele Menschen erstmal zustimmen. Aber Moment! Habe ich nicht gestern erst "Du siehst super aus, Schatz!" zu meiner Partnerin gesagt, obwohl ich ihre neue Frisur nicht besonders mag? Und neulich als er gekocht hatte behauptet, das Essen habe richtig gut geschmeckt, obwohl es höchstens mittelgut war?

Lügen folgen einer Kosten-Nutzen-Rechnung, erklärt die Sozialpsychologin Dr. Nina Reinhardt von der Universität Kassel. In vielen Alltagssituationen erscheint uns der Nutzen dieser kleinen Unwahrheiten groß, weil sie uns selbst und die andere Person vor Konflikten bewahren.

Wer lügt denn da?

Forschende gehen davon aus, dass jeder Mensch mehrfach in der Woche lügt. Allerdings gibt es Menschen, die ehrlicher sind als andere. Bei diesen Personen ist ein Persönlichkeitsmerkmal besonders stark ausgeprägt: Ehrlichkeit-Bescheidenheit (engl. Honesty-Humility). Menschen mit diesem Persönlichkeitsmerkmal lügen weniger. Zu diesem Ergebnis gelangten Studien, die die Ehrlichkeit zwischen Menschen untersucht haben, die sich nicht kannten.

Nina Reinhardt wollte wissen, ob dasselbe für Liebesbeziehungen gilt. Denn: "Es ist ein Unterschied, ob ich fremden Menschen gegenüber unehrlich bin, die ich nicht kenne und vielleicht nie wiedersehe", erklärt Reinhardt. Den Partner oder die Partnerin zu belügen, ist viel gravierender. Je nach Schwere der Lüge oder des Betrugs sind die Konsequenzen groß und haben unmittelbare Auswirkungen auf das eigene Leben. 

Reinhardt testete das Lügenverhalten in Paarbeziehungen von insgesamt 5.677 Probanden und Probandinnen. Das Ergebnis: Auch in Partnerschaften ist es vor allem das Persönlichkeitsmerkmal Ehrlichkeit-Bescheidenheit, das für weniger Lügen sorgt.

Persönlichkeitsstruktur im HEXACO-Modell

Dieses Persönlichkeitsmerkmal ist eines von sechs Faktoren, die Teil des sogenannten HEXACO-Modells sind. Weitere sind Emotionalität, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen.

"Jeder Mensch nimmt auf jedem dieser Faktoren eine ganz individuelle Ausprägung an", erklärt Nina Reinhardt. Aus diesem Grund sei das Modell für die  psychologische Forschung gut geeignet und könne das Verhalten von Menschen gut voraussagen. 

Woran erkenne ich einen ehrlichen Menschen?

"Menschen mit einem hohen Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert sind insgesamt fairer", sagt Reinhardt. Sie hätten kein Interesse daran, andere auszubeuten, um einen möglichst großen eigenen Nutzen daraus zu ziehen. "Sie sind aufrichtiger in persönlichen Beziehungen. Das heißt, sie spielen anderen nicht vor sie zu mögen, nur weil das eventuell nützlich für sie sein könnte", so Reinhardt weiter.

Außerdem hätten diese Menschen kein Interesse daran, sich durch Statussymbole und Luxus von anderen abzuheben. "Und sie sind bescheiden, weil sie sich an Regeln halten. Sie nehmen sich nicht heraus, sich über andere zu erheben, indem sie ihre eigenen Regeln aufstellen", sagt die Sozialpsychologin.

Ehrliche und bescheidene Traumpartner

Aus diesen Persönlichkeitsfacetten entsteht eine bestimmte Denkweise, so Reinhardt: Menschen mit hohem Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert begegnen anderen Menschen vertrauensvoller. "So wie ich bin, glaube ich auch, dass mein Umfeld ist", sagt Nina Reinhardt. "Soziale Projektion" nennt die Psychologin das.

Mann oder Frau - wer lügt besser?

Der Faktor Bescheidenheit in Beziehungen ist laut Reinhardt ein relativ neuer Forschungsgegenstand. "Bescheidenheit bedeutet, dass sich jemand weniger egoistisch verhält, sondern eher so, dass sein Verhalten dem anderen zugutekommt", sagt Reinhardt. Bescheidene Menschen könnten sich außerdem besser selbst einschätzen, weil sie sich weniger selbst überhöhen. "Sie haben einen realistischeren Blick auf sich selbst, was sich in einer Beziehung positiv auf die Kommunikation des Paares auswirkt", erklärt die Sozialpsychologin. 

Zumindest dann, wenn es sich um sogenannte "wertschätzende" Bescheidenheit handelt. Laut einer amerikanischen Studie können Menschen mit dieser Form der Bescheidenheit andere feiern, ohne sich selbst abzuwerten und unterwürfig zu verhalten. 

Augen auf bei der Partnersuche

Es gibt ein paar Warnsignale, die darauf schließen lassen könnten, dass es mit der Ehrlichkeit und Bescheidenheit des Gegenübers nicht weit her ist. "Die sind natürlich mit Vorsicht zu genießen", gibt Reinhardt zu bedenken. Nur weil sich jemand einmal unehrlich oder wenig bescheiden verhalte, spreche das nicht automatisch für ein unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal.

Reinhardt listet in ihrer Studie dennoch ein paar Hinweise auf, die die Alarmglocken schrillen lassen sollten: Menschen, die grundsätzlich nur dann höflich und freundlich zu anderen sind, wenn es ihnen nützt, sind auch in Partnerschaften eher weniger aufrichtig. Wer ständig Gesetze oder Regeln bricht, bricht auch eher die Regeln einer Partnerschaft.

Sexuelle Untreue in früheren Partnerschaften ist ebenfalls ein Warnsignal. Menschen, die großen Wert auf Luxus und teure Statussymbole legen, könnten ebenfalls einen eher niedrigen Ehrlichkeit-Bescheidenheit-Wert haben. 

Nun ist der Pool an ehrlichen und bescheidenen potentiellen Partnern nicht unendlich groß. Eine Lösung gibt es: Menschen, die selber weniger ehrlich und bescheiden sind, suchen sich Gleichgesinnte. Dann passt es wieder.

 

Quellen:

Journal of Personality and Social Psychology: Honesty-Humility Negatively Correlates With Dishonesty in Romantic Relationships. Reinhardt, N. & Reinhard M.-A. (2023) https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fpspp0000456

Journal of Research in Personality: Trust in me, trust in you: A social projection account of the link between personality, cooperativeness, and trustworthiness expectations. Thielmann, I. & Hilbig, B. (2014) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0092656614000245?via%3Dihub

Psychology Today: HEXACO Six-Factor Model https://www.psychologytoday.com/us/basics/hexaco

Journal of Personality and Social Psychology: The psychological structure of humility. Weidman, A., Cheng, J., Tracy, J. (2018): https://psycnet.apa.org/record/2016-36396-001

Haben Aliens den mysteriösen Monolithen in Wales errichtet?

Vom Weltraum aus betrachtet, erscheint Wales im Westen des Vereinigten Königreichs wie eine mystische Landschaft. Weite Wiesenhügel, dunkle Moore und schroffe Berge. Wenige Erdlinge wohnen dort. Ein roter Drache ziert die walisische Flagge und die Sprache verstehen nur Waliser.

Irgendwo im dortigen Nirgendwo entdeckt ein Wanderer im walisischen Hay-on-Wye in der Grafschaft Powys einen mysteriösen Monolithen aus Metall. Der erstaunte Wanderer postet ein Bild von sich vor dem etwa drei Meter hohen glänzenden Objekt.

Es dauert nicht lange, dann springen die Medien in Großbritannien auf das Thema an. Es sei auf den ersten Blick schon ein bisschen unheimlich, sagt der Finder der Zeitung The Guardian: "Es sieht aus wie ein UFO."

Wo könnte es nur herkommen? "Das Objekt sieht nicht so aus, als habe es jemand da abgeworfen, das hat jemand gezielt dort in den Boden gedrückt", analysiert der Wanderer.

Ein wandernder UFO-Experte

Der Finder und die Zeitung haben alles richtig gemacht: Sie haben ein Mysterium um die Herkunft geschaffen und die wichtigsten Schlagworte verwendet: "unheimlich" und "UFO", schon geht die Meldung um die Welt.

Gegenüber der altehrwürdigen "New York Times" sagt der 37-jährige Entdecker: "Man kann schnell glauben, dass es von einem UFO oder ähnlichem abgeworfen wurde." Der perfekte Monolith sei einer "wie man sie aus Ägypten kennt" (wer kennt sie nicht?) und der Stahl zeige "keine Schweißnaht".

Da der Entdecker nun zufällig in einer Schweißerfamilie aufgewachsen ist und selbst viel mit Metall arbeitet, lautet sein professionelles Urteil: Bei diesem Objekt habe "jemand eine verdammt gute Arbeit gemacht".

Aliens als Antwort - was sonst?

Auch in Wales sind gute Handwerker nur sehr schwer zu finden. Ein weiterer, vermeintlich guter Grund dafür, dass Aliens diesen Monolithen aufgestellt haben müssen: Wer sonst würde das in dieser menschenleeren Gegend tun?

Sind sie also längst unter uns, die Aliens? Vermessen sie die Erde bereits? Oder was will uns dieses Objekt sagen?

Es ist schon auffallend, dass die Aliens sich vor allem für sehr ursprüngliche, abgelegene Gegenden zu interessieren scheinen. Die Gegend in Wales ist sogar so abgelegen - oder rückständig, je nach Auffassung -, dass der Monolithen-Unfug erst vier Jahre nach den ersten Monolithen-Funden endlich auch in Wales angekommen ist.

Weltweite Nachahmung

Denn bereits 2020, als die Erdenmenschen gerade weltweit gegen ein kleines Coronavirus kämpften, entdeckten US-Beamte beim Schäfchenzählen (nicht vor dem Einschlafen, sondern aus einem Hubschrauber heraus) den ersten Monolithen im Red Rock County in Utah. Eine Sensation! Alle berichteten über das seltsame Gebilde im Nichts.

Bald danach wurden ähnliche Objekte in Kalifornien, Rumänien, Großbritannien, den Niederlanden, der Türkei und im deutschen Bundesland Hessen entdeckt. Häufig an Orten, wo es vor allem eines gibt: fast nichts!

Die Faszination des Unbegreiflichen

Das Unerklärliche, Mysteriöse, Unentdeckte zieht uns seit Urzeiten in den Bann. Mystische Orte und Dinge, die wir (zunächst) nicht erklären können, wecken unsere Neugier. 

Der US-amerikanische Psychologe W. McDougall sagte Anfang des 20. Jahrhunderts, Neugier sei der wesentliche Kern von jeder Art von Motivation. Und damit auch die Grundlage für die besonderen wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen des Menschen. Neugier sei ein Instinkt und deshalb bei Kleinkindern schon vor dem Auftreten der Sprache zu beobachten.

Je abgelegener, je unerreichbarer, desto größer die Neugier. Die sagenumwobene Insel Atlantis, das Schiffe verschlingende Bermuda-Dreieck im westlichen Atlantis, UFOs und Aliens, Astrologie, übernatürliche Kräfte oder gigantische Kornkreise - je unerklärlicher, desto anziehender.

“Es ist die Faszination des Außergewöhnlichen. Wenn uns Gewöhnliches genauso faszinieren würde, kämen wir gar nicht mehr dazu, unsere alltäglichen Anforderungen wahrzunehmen. So negativ die Auswirkungen dieser Begeisterungen auch sein mögen: sie sind keinesfalls `eine Panne der Natur´“, so der Psychologe Dr. Günter Molz von der Bergischen Universität Wuppertal. “Weiterer Vorzug des Außergewöhnlichen: Diejenigen, die außergewöhnliche Thesen vertreten, sind `nicht normal´ im Sinne von unauffällig, langweilig. Sie vertreten eine exklusive Position, fühlen sich unter Umständen narzisstisch gratifiziert“, so Molz gegenüber der DW. Diese Personen haben also möglicherweise ein übertriebenes Bedürfnis nach Bewunderung.

Wir Menschen wollen Dinge nicht nur wahrnehmen, sondern auch verstehen. Wir sind darauf konditioniert, Dinge untersuchen, "begreifen" und erklären zu wollen. Was für uns ein Geheimnis bleibt, was "unfassbar" ist, bezeichnen wir als "mysteriös".

Dann suchen wir nach mehr oder eben auch weniger plausiblen Erklärungen - zum Beispiel in der Wissenschaft, in der Para- oder Pseudowissenschaft, in der Esoterik, im Aberglauben oder in Religionen. Alle Bereiche neigen dazu, einen gewissen Absolutheitsanspruch für sich zu beanspruchen. “Nicht-wissenschaftliche Erklärungen haben zudem halt eben den oben angesprochenen Exklusivitätsvorteil“, so der Psychologe Molz. 

Gibt es Aliens?

Aufmerksamkeit statt Aliens

Mag sein, dass eine außerterrestrische Lebensform ein gesteigertes Interesse an der walisischen, rumänischen oder hessischen Provinz hat. Allerdings entpuppten sich die Monolithen in der Vergangenheit als vergleichsweise plumpe Versuche, Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Denn unmittelbar nach Bekanntwerden eines Monolithen strömen Heerscharen an Touristen, Schaulustigen und Sinnsuchern zu den Objekten. Und in ihrem Gefolge Souvenirhändler, Imbissbuden und andere Glücksritter.

Verantwortlich für den ersten Monolithen in Utah war der Künstler Matty Way. Als der Hype seinen Höhepunkt erreichte, gab er sich als "The Most Famous Artist" zu erkennen. Über sein Künstlerkollektiv konnte man Repliken des Monolithen für 45.000 US-Dollar bestellen.

Tolle Geschäftsidee, dachten sich vier Hobbykünstler aus Kalifornien und errichteten ebenfalls Monolithen im Sonnenstaat. Weitere Trittbrettfahrer folgten, so begann das Monolithen-Phänomen.

Die Monolithen in Rumänien, Spanien und Hessen waren allerdings so schlecht geschweißt, dass sich Aliens dafür vermutlich schämen würden. 

Die Schattenseiten des Hypes

Ist die Aufmerksamkeit erst einmal geweckt, was durch Sozial Media natürlich noch viel einfacher geworden ist, dann wollen alle den Ort oder das Objekt sehen oder daran verdienen. Wer weiß, wie lange es zu sehen ist. 

Darauf wies auch der findige Entdecker aus Wales gleich hin: "Ich kann nicht sagen, wie lange das Objekt da stehen wird, ganz ehrlich", sagte er. "So wie ich unsere Nationalparks kenne, die finden das nicht witzig, wenn jemand einfach was aufstellt."

Da hat er vermutlich recht. Denn nach der kurzen Freude über den unverhofften Geldsegen folgt in der betroffenen Region sehr schnell die Wut der Anwohner oder Naturschützer, die miterleben müssen, wie die bis dahin unberührte Landschaft durch den Andrang vermüllt und verwüstet wird.

"Wir möchten alle Besucher darauf hinweisen, dass die Nutzung, Besetzung und Entwicklung öffentlicher Ländereien und ihrer Ressourcen illegal ist - egal, von welchem Planeten Sie kommen", scherzte das Bureau of Land Management auf Twitter. 

Viele der Monolithen wurden bald zerstört oder von den Behörden wieder entfernt. Vorsorglich hatte das Utah Department of Public Safety den genauen Standort des Monolithen verheimlicht, damit sich die Touristenströme gar nicht erst in Bewegung setzen und nicht weitere Objekte in der unberührten Natur errichtet werden.

Tiere weltweit von tödlicher Vogelgrippe bedroht

Es war nur eine Frage der Zeit, bis hochaggressive Vogelgrippevirenauch das antarktische Festland erreichen. Im Herbst 2023 war der Erreger bereits von der Polarforschungsorganisation British Antarctic Survey (BAS) im Südpolarmeer nachgewiesen worden. Infizierte Tiere wurden jetzt vom chilenischen Antarktis-Institut (INACH) auch auf dem antarktischen Festland gefunden.

Über Wildtiere gelangen die Erreger in Gebiete, wo es bislang noch keine Vogelgrippe gab. Das Virus trifft so auf Tiere, die noch nie Kontakt mit dem Virus hatten und entsprechend auch keine Abwehrkräfte dagegen haben.

Das führt vielerorts zu einem gewaltigen Massensterben, nicht nur bei Vögeln, sondern auch bei Säugetieren. An den Pazifikküsten in Chile und Peru wurden bereits tausende tote Robben, Meeresotter und Seelöwen gefunden.

Problematische Geflügelproduktion

Die hochansteckenden Virenstämme H5N1 und H5N8 entstanden wahrscheinlich in Geflügelfarmen in Ostasien, so die "Wissenschaftliche Arbeitsgruppe Vogelgrippe und Wildvögel", die von den Vereinten Nationen (UN) gegründet wurde.

"Durch die enorme Expansion der Geflügelproduktion weltweit, aber vor allem in China und Südostasien, kam es zu der dramatischen Ausbreitung des aktuellen hochpathogenen, also besonders aggressiven Erregers", so Prof. Timm Harder, vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Greifswald. Er leitet dort das Nationale Referenzlabor für Aviäre Influenza, wie die Geflügelpest wissenschaftlich heißt.

Zugvögel tragen das Virus in die Welt

Wenn die Vogelgrippe früher in Geflügelbetrieben entdeckt wurde, war die Folge, dass abertausende Tiere gekeult, also getötet wurden. So wurden die hochpathogenen Viren ausgemerzt und konnten zumindest nicht in die Wildvogel-Populationen gelangen.

Aber das habe sich spätestens seit dem Sommer 2021 geändert, sagt Timm Harder im Gespräch mit der DW: "Durch die speziellen Haltungsformen in Asien, wenn zum Beispiel die Enten auf abgeerntete Reisfelder getrieben werden, kommt es immer wieder zu großen Schnittstellen zwischen Wildvogel-Populationen und infizierten Nutztiervögeln. Das hat zum Übertritt des Virus auf Wildtiere geführt, das dann mit den Zugvögeln weiterverbreitet wird." 

Gänse in einem Stall  in Indien
Auch in Indien verursacht die Vogelgrippe gewaltige wirtschaftliche Schädennull Soumyabrata Roy/NurPhoto/picture alliance

Gefährliche Vermischung

Grundsätzlich sind im Wasser lebende Wildvogel-Populationen das Reservoir für niedrig pathogene Influenza A-Viren, die eigentlich keine Krankheiten auslösen und auch bei Geflügel keine Symptome hervorrufen.

"Aber wenn sich diese harmlosen Influenza A-Viren mit den hochpathogenen H5N1-Varianten vermischen, dann kommt es zu sehr gefährlichen Varianten, die aus dem Nichts ein erweitertes Wirtsspektrum generieren können oder eine neue Pathogenität", erklärt Harder, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am FLI. Durch Kombinationen mit niedrigpathogenen Aviären Influenza-A-Viren entwickelte sich so auch die aktuell grassierende Erregerlinie.

Die Saisonalität gibt es nicht mehr

Früher trat die Vogelgrippe meistens nur im Herbst und Winter auf. Die Vogelgrippe kam mit den Zugvögeln aus Nordosten und verschwand auch wieder, wenn die Tiere im Frühjahr zurückflogen.

Aber diese Saisonalität gibt es nicht mehr: "Dieses Virus hat es geschafft, sich sehr gut an im Wasser lebende Wildvogel-Populationen anzupassen und ist dort jetzt ganzjährig anzutreffen. Das ist mittlerweile in Nordamerika der Fall, und das wird sich auch in Südamerika dahingehend weiterentwickeln", so Harder.

Schutzlose Wildtierpopulationen

Entsprechend wütete die Vogelgrippe in sehr vielen südamerikanischen Ländern. Und es gibt laut Harder keine Hoffnungen, das hochansteckende Virus doch noch ausrotten zu können. "Es ist ein bisschen wie mit dem Flaschengeist: Wenn man den Korken einmal aufgemacht hat und der Geist einmal raus ist, dann kriegen sie ihn nicht mehr in die Flasche zurück. Das Virus ist draußen, entwickelt sich eigenständig in Wildvogel-Populationen und ist von uns nicht mehr beeinflussbar." 

Bisher galt die Antarktis neben Australien und Ozeanien als letzte vom aktuellen Vogelgrippe-Ausbruch verschonte Region der Erde. “Die Vogelgrippe könnte in der Antarktis eine Umweltkatastrophe ersten Grades auslösen“, sagte der Meeresbiologe Ralf Sonntag von der Umweltschutzorganisation Pro Wildlife.

Bis zu 100 Millionen Seevögel haben in der Antarktis ihre Brutgebiete Fünf Pinguin-Arten wie Kaiser- und Adelie-Pinguine kommen nur dort vor. Zudem lebten in der Region Robbenarten wie Weddellrobbe und Seeleopard. Vor allem für einige bedrohten Tierarten wie Albatrosse könnte dies den Todesstoß bedeuten, so Professor Harder.

Kaum noch Einflussmöglichkeiten

Es gibt so gut wie keine Möglichkeiten, um Wildtiere wirksam zu schützen. Zwar können verendete Tiere eingesammelt werden, um die Ausbreitung zu verlangsamen, aber Impfungen kommen für Milliarden von Wildtieren so gut wie nicht in Frage.  

"Das Einzige, was wir noch tun können ist, die Geflügelproduktion so gut es geht zu schützen und zu verhindern, dass sich das Virus aus den Wildvögeln dann wieder in Geflügel zurückziehen kann, sich dort weiter vermehrt und dann wieder zurück an die Wildvögel übertragen wird." Aber das funktioniere selbst in Europa nur unzureichend, immer wieder komme es zu Infektionen.

Das hänge auch mit der vermehrten Freilandhaltung in der Geflügelproduktion zusammen, wo es häufig Kontakt mit Wildtieren gibt. Auch deswegen habe die Europäische Kommission seit 2023 die Impfung von Geflügel gegen das hochpathogene Influenza A-Virus erlaubt.

Toter Vogel am Strand in Peru
Vor allem in Südamerika trifft das Vogelgrippevirus auf schutzlose Wildvogelpopulationennull Carlos Garcia Granthon/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Auch Säugetiere sind gefährdet

Wenn infizierte oder verendete Wildvögel von Säugetieren gefressen werden, dann können sich auch Säugetiere mit dem Virus infizieren.

"Gerade wenn es so ein Massensterben bei koloniebrütenden Seevögeln gibt, dann zieht das immer Fleischfresser an, wie Füchse, Marder oder auch Robben und Otter. Für die sind diese Vögel natürlich leichte Beute und bedeuten gutes Futter. Diese Tiere nehmen eine sehr hohe Dosis des Virus auf, und das nutzt das Virus aus, um sich dann auch in diesen Säugetieren weiter zu vermehren."  

Weitergabe des Virus unter Säugetieren?

Bislang gibt es keine klaren Hinweise, ob das Virus von Säugetier zu Säugetier übertragen werden kann. In Lateinamerika allerdings seinen viele zehntausend Seelöwen am Virus verendet und "es besteht der Verdacht, dass es dort zu Übertragungen von Seelöwe zu Seelöwe gekommen sein könnte." 

Sollte sich das Virus tatsächlich entsprechend angepasst haben, dann wäre dies auch eine große Gefahr für den Menschen. Bislang haben sich Menschen nur in sehr seltenen Fällen angesteckt. "Das könnte sich bald ändern", so Timm Harder. 

Besorgniserregende Mutationen

Durch die Vielzahl der Infektionen wachse auch die Gefahr eines säugetieradaptierten Virus mit einer erhöhten Infektiosität für den Menschen", erläutert Harder.

Es gebe bereits einige Varianten, die zahlreiche Mutationen aufwiesen, die eine Infektion zwischen Menschen wahrscheinlicher machten. So könne die in China entdeckte H3N8-Variante laut einer chinesisch-britischen Studie per Tröpfcheninfektion zwischen Säugetieren übertragen werden und sie vermehre sich erfolgreich in menschlichen Zellen aus Bronchien und Lunge, schreiben die Forschenden im Fachblatt Cell.

Die vielen Subtypen wie H3N8, H6N1, H10N8 müssten sehr genau beobachtet werden. Das gilt auch für den Subtyp H5N6, der auf einer südchinesischen Farm für Hunde, die für den Verzehr gedacht sind, aufgetreten ist.   

Sollten sich tatsächlich in Zukunft Infektionen mit Vogelgrippe beim Menschen häufen, werden schnell geeignete Impfstoffe benötigt. Sicherheitshalber hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits für das aktuelle H5N1-Virus geeignete Impfstoffkandidaten entwickelt. Im Bedarfsfall könnte die Impfstoffproduktion mit den entsprechenden Impfstoffkandidaten sofort beginnen.

Der Artikel wurde am 15.03.24 um die neuen Nachweise des Erregers auf dem antarktischen Festland ergänzt.

Küstenstädte sinken - und der Meeresspiegel steigt

Es sind zwar nur ein paar Millimeter pro Jahr, aber die Folgen werden dramatisch sein: Viele Küstenstädte weltweit werden deutlich früher als bisher angenommen mit massiven Überschwemmungen zu kämpfen haben. Das liegt nicht nur an steigenden Wasserpegeln durch den Klimawandel, sondern auch am Absinken der Landmassen in Küstennähe.

Die Gründe für die Subsidenz, also die Landabsenkung, variieren je nach Region. Natürliche Faktoren wie Erdbeben, vulkanische Aktivitäten und der Verdichtung feinkörniger, unverfestigter Sedimente spielen eine Rolle. Aber auch Bebauung, Bergbau sowie Abbau von Erdgas und Erdöl, also durch den Menschen bedingte Faktoren, tragen zur Absenkung bei. Besonders groß ist das Ausmaß in Regionen, in denen dem Boden sehr viel Grundwasser entzogen wird, um Wohngebiete oder Industrieanlagen zu bauen. Dadurch wird der Untergrund instabiler und senkt sich ab. 

Kaum Dämme und Flutmauern an der US-Ostküste

Ein bedrohliches Absinken der nordamerikanischen Ostküste hatte zuletzt ein Forschenden-Team um Leonard Ohenhen und Manoochehr Shirzaei von der Virginia Tech nachgewiesen. Laut der im Fachjournal "Pnas Nexus" erschienenen Studie gibt vor allem der Boden unter den Metropolen New York, Baltimore und Norfolk messbar um ein bis zwei Millimeter pro Jahr nach. In dem auf einer Halbinsel gelegenen Charleston in South Carolina senkt sich der Untergrund sogar um vier Millimeter pro Jahr.

Infografik | Nature Magazin US-Landkarte
Die Studie zeigt die Überflutungsrisiken an der US-Ostküste, im Golf von Mexiko und an der US-Westküste bis zum Jahr 2050.null https://www.nature.com

Wird die Senkungsrate mit dem klimawandelbedingten Anstieg des Meeresspiegels um durchschnittlich 3,1 Millimeter pro Jahr addiert (Wert des Weltklimarats (IPCC) vom April 2022), wird das Bedrohungspotential deutlich: Allein an der nordamerikanischen Ostküste werden laut der Berechnungen bis 2050 hunderttausende Menschen von häufigen schweren Überschwemmungen bedroht. Dabei dürften vor allem sozial benachteiligte Bevölkerungsteile besonders stark betroffen sein. Sozialwohnungen befinden sich häufig in niedrig gelegenen Überflutungsgebieten, weil das Land dort billiger ist. Wohlhabende können sich eher Häuser in höheren Lagen leisten.

In 24 von 32 analysierten US-Küstenstädten könnte der Meeresspiegel bis zum Jahr 2050 um mehr als 30 Zentimeter ansteigen. Von den untersuchten Städten an der Atlantikküste verfügen bislang nur drei über entsprechende Dämme oder Flutmauern. An der Pazifikküste werden die Pegel voraussichtlich langsamer ansteigen.

Asiatischen Millionenmetropolen besonders betroffen

Noch unheilvoller wird sich die Kombination von absinkenden Landmassen und steigenden Meeresspiegeln vor allem in Südostasien, Ostasien und Südasien auswirken.

2022 hatte ein Forschenden-Team um Matt Wei von der University of Rhode Island die Senkungsraten von 99 Küstenstädten weltweit analysiert. Absenkungen um mindestens zwei Millimeter wurden in fast allen Küstenstädten beobachtet. Aber "in 33 der 99 Städte sinkt ein Teil der Stadt um mindestens zehn Millimeter pro Jahr", heißt es in der Studie. Dieser Wert wäre dreimal höher als der durchschnittliche weltweite Anstieg des Meeresspiegels.

Besonders betroffen sind einige dicht besiedelte Ballungsräume wie Tianjin östlich von Peking, Chittagong in Bangladesch und Semarang auf der indonesischen Hauptinsel Java. Dort senkt sich der Boden um 30 Millimeter pro Jahr - das ist zehnmal so viel wie der durchschnittliche weltweite Anstieg des Meeresspiegels.  Auch Shanghai, Hanoi, Bangkok und Mumbai sind betroffen.   

Zwei Milliarden Menschen global bedroht

Wie dramatisch sich Überschwemmungen auswirken können, ist zum Beispiel in der indonesischen Hauptstadt zu beobachten: In Jakarta lag der Senkungswert zeitweise bei 280 Millimeter, also 28 Zentimeter pro Jahr. Schon jetzt liegt ein Großteil unter dem Meeresspiegel, Überschwemmungen sind eine ständige Bedrohung. Unter anderem ist das ein Grund, warum die Hauptstadt nach Nusantara auf der Insel Borneo verlagert werden soll. 

Ein Forschungsteam um Dr. Tsimur Davydzenka von der Colorado School of Mines hat anhand von mehr als 46.000 Senkungsdaten eine globale Berechnung erstellt. Demnach sind auf Grundlage von 23 Umweltparametern mehr als 6,3 Millionen Quadratkilometer der globalen Landfläche von signifikanten Senkungsraten betroffen, schrieb das Team jüngst in den Geophysical Research Letters. Dazu gehören 231.000 Quadratkilometer städtische und dicht besiedelte Gebiete mit einer Bevölkerung von fast zwei Milliarden Menschen.

Landabsenkung lässt sich verlangsamen

Obwohl Landsenkungen ein globales Problem sind, fehlt ein Bewusstsein dafür. "Das Problem des steigenden Meeresspiegels und der Landabsenkung wird auf breiter Ebene kaum wahrgenommen", beklagt Leonard Ohenhen von der Virginia Tech. Das liege vor allem daran, dass es viele nicht mehr direkt betreffen werde, da die Auswirkungen erst in Jahrzehnten massiv spürbar würden. Um ein Bewusstsein zu schaffen haben sich die Forschenden auf einen "viel näher liegenden Zeitraum fokussiert, nur 26 Jahre von jetzt an."

Ein Bewusstseinswandel sei wichtig, denn durch strengere Regeln für die Grundwasserentnahme lasse sich die Bodenabsenkung in einigen Ballungszentren zumindest verlangsamen, meint auch Matt Wei von der University of Rhode Island. Dies habe zum Beispiel in Shanghai und auch in Jakarta funktioniert. "Diese Beispiele zeigen, dass eine solche Regulierung ein effektives Werkzeug für das Stoppen der Subsidenz sein kann."

 

Quellen:

Nature: Disappearing cities on US coasts, 2024, https://www.nature.com/articles/s41586-024-07038-3

PNAS Nexus: Slowly but surely: Exposure of communities and infrastructure to subsidence on the US east coast, 2024, https://doi.org/10.1093/pnasnexus/pgad426

Geophysical Research Letters: Subsidence in Coastal Cities Throughout the World Observed by InSAR, 2022, https://doi.org/10.1029/2022GL098477 

Geophysical Research Letters: Unveiling the Global Extent of Land Subsidence: The Sinking Crisis, 2024, https://doi.org/10.1029/2023GL104497

Motivieren Fitness-Influencer zum Sport? Ja und nein!

Zu viele Menschen bewegen sich zu wenig. Zu diesem Fazit gelangt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Jahr für Jahr. So auch im aktuellsten "Global status report on physical activity 2022". Dort heißt es, dass 81 Prozent der Heranwachsenden und 27,5 Prozent der Erwachsenen Menschen zu viel herumsitzen und zu wenig gehen, joggen oder Radfahren. Laut einer aktuellen Studie, die im Fachblatt "Lancet" veröffentlicht wurde, ist die Zahl der Übergewichtigen auf eine Milliarde Menschen angewachsen.

Gleichzeitig gibt es einen gegensätzlichen, ebenfalls globalen Trend: Die Fitness-Branche wächst wieder. Nach den Verlusten  während der Pandemie erholt sich die Fitnessbranche wieder und setzt Milliarden um. Und auch auf den sozialen Medien wie Instagram, Youtube oder TikTok scharen Fitness-Influencer eine Millionen-Gefolgschaft um sich.

Sie posten Trainingseinheiten zum Mitmachen und Vorher-Nachher-Bilder von sich selbst oder erfolgreich trainierten Klienten. Sie geben Tipps zu Ernährungsweisen, positiven Geisteshaltungen oder Nahrungsergänzungsmittel. Häufig unterstützt von großen Sportartikel-Herstellern, die längst das Potential der Influencer für sich entdeckt haben, um die eigene Marke zu bewerben.

Bewegungslosigkeit und Übergewicht auf der einen und Selbstoptimierung und Fitnesskult auf der anderen Seite - wie passt das zusammen?

Zwei extreme Pole

"Im Mittel nimmt die Sportlichkeit von Menschen tatsächlich ab", sagt auch Lars Donath. Er leitet die Professur für Trainingswissenschaftliche Interventionsforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. "Der Mittelwert ist aber gar nicht so interessant. Viel interessanter ist, was an den Rändern passiert." Diese Ränder würden sich polarisieren, so Donath.

Sein Eindruck: Sport und Bewegung spielen eine zu geringe Rolle in Institutionen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten. Stattdessen würde Fitness immer stärker privatisiert. Mitgliedschaften in Vereinen, Sportausrüstung und - kleidung - all das kann teuer werden. Das kann den Zugang für Menschen aus bildungs- und einkommensschwachen Gruppen erschweren.

"Wer diesen Zugang hat und mit Sport sozialisiert worden ist und sportlich aktive Eltern hat, der bewegt sich auch im späteren Leben", sagt Donath.

Fit für ein langes, gesundes Leben durch Sport

Fitness-Influencer können demotivieren

Menschen, die sich ohnehin schon gerne bewegen seien auch eher diejenigen, die sich durch Fitness-Influencer tatsächlich positiv beeinflussen ließen, so Donath. Auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Fitness-Influencer können einen motivierenden Effekt haben und Begeisterung fürs Training wecken. Allerdings verpuffe diese Motivation häufig schnell wieder, so Donath.

Forschende warnen zudem, dass der Schuss ebenso gut nach hinten losgehen könne. Die Gefahr sei groß, dass die Selbstdarstellung des Influencers nicht inspiriert, sondern lähmt und demotiviert. Zu ideal, zu unerreichbar. "Da helfen dann auch Hashtags wie "Fitspiration" nicht, die dazu aufrufen sollen, einen Transformationsprozess einzuleiten", sagt Donath.

Sportliche Ziele und Motivation seien sehr individuell und von den persönlichen Begleitumständen abhängig, so der Sportwissenschaftler. Aus diesem Grund kann der Vergleich mit Fitness-Influencern so kontraproduktiv sein, weil das eigene Leben im Vergleich keine Berücksichtigung findet.

Was motiviert Menschen Sport zu treiben?

"Fitness-Influencer sind Segen und Fluch zugleich", sagt Donath deshalb. "Wenn ich den Richtigen finde, der mich mit meinen Zielen, meinen Motiven und meinem Kontext abholt, kann das eine Chance sein." Das hält Donath allerdings für nicht sehr wahrscheinlich. "Ich glaube, dass gerade diejenigen, die ohnehin schon übergewichtig und unzufrieden sind, noch übergewichtiger und unzufriedener werden." Die Polarisierung verschärft sich.

Menschen von der Couch auf die Beine zu bekommen, sollte ein gesamtgesellschaftliche Ziel sein, findet Donath. "Eltern müssen wissen, wie wichtig es für die körperliche, geistige und emotionale Entwicklung ist, Kinder draußen spielen und auf Bäume klettern zu lassen." Die Voraussetzungen dafür müssten auch in Kindergärten, Schulen und anderen Institutionen wie Universitäten geschaffen sein.

Aktive Menschen im nahen Umfeld und verschiedene Sportarten zum Ausprobieren inspirieren stärker als jeder Fitness-Influencer, meint Donath. "Wir sind soziale Wesen und richten unser Verhalten oft nach dem Verhalten der Menschen um uns herum."

Ernährung ist zentral im Kampf gegen Übergewicht

Eine aktivere Gesellschaft wäre auch eine gesündere Gesellschaft. Sport stärkt das Herz-Kreislaufsystem, senkt den Blutdruck und kann auch bei Depressionen helfen. Eines kann Sport allein allerdings nicht: die Menschen schlanker machen. "Die Wissenschaft ist ziemlich klar: Das größte Potential, um Gewicht zu verlieren, hat eine Ernährungsumstellung", sagt Lars Donath. 

Natürlich kann Sport den Gewichtsverlust positiv beeinflussen. Wer sich nach dem Sport allerdings mit Pizza, Pommes oder Süßigkeiten belohnt, wird wenige Erfolge auf der Waage sehen. Donath rät: "Fokussiere zuerst auf die Ernährung. Kombiniere Bewegung mit der Ernährung und versuche nach der Gewichtsabnahme den Sport zu nutzen, um dein Gewicht zu halten."

Quellen:

Global status report on physical activity 2022, World Health Organisation. https://www.who.int/teams/health-promotion/physical-activity/global-status-report-on-physical-activity-2022

The Impact of Fitness Influencers on a Social Media Platform on Exercise Intention during the COVID-19 Pandemic: The Role of Parasocial Relationships. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9858650/

Worldwide trends in underweight and obesity from 1990 to 2022: a pooled analysis of 3663 population-representative studies with 222 million children, adolescents, and adults. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(23)02750-2/fulltext

Weltraummüll: Wie groß ist das Risiko getroffen zu werden?

Am 7. März 2024 richtete sich das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit einer Warnung an die Bewohner Deutschlands: In den folgenden Tagen, dem 8. und 9. März, würden Weltraumtrümmerteile über Teile des Landes fliegen und könnten - obwohl wenig wahrscheinlich - auf die Erde fallen.

Sowohl das BBK als auch die Europäische Weltraumorganisation (ESA) halten sich mit genaueren Angaben zu Zeit, Ort und potentieller Gefahr zurück. Sicher ist nur, dass eine Palette von neun Batterien der Internationalen Raumstation (ISS) auf einer unkontrollierten Flugbahn irgendwann in diesem Zeitraum irgendwo wieder in die Erdatmosphäre eintreten wird. 

Die Gesamtmasse des Schrotts soll etwa 2,6 Tonnen betragen - das entspricht 2.600 Kilogramm oder dem Gewicht eines großen Autos. 

Es wird erwartet, dass der größte Teil der Batterien beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglüht. So passiert es normalerweise. Ebenso normal ist jedoch auch, dass einige der größeren Weltraummüllteile den langen Fall überstehen und auf der Erdoberfläche landen - meistens im Meer. 

Wie hoch ist das Risiko durch herabfallenden Weltraumschrott? 

Das ISS-Batteriepaket hat eine "natürliche" Flugbahn zwischen -51,6 Grad Süd und 51,6 Grad Nord. Eine natürliche Flugbahn bedeutet "unkontrolliert" - sie wird nicht von Computern oder durch Menschen gesteuert. Anders als Satelliten oder Raumfahrzeuge können Batterien nicht navigiert werden. Dadurch ist es schwierig vorherzusagen, ob der Schrott auseinanderbricht und wo die Teile letztlich aufschlagen.

Klar ist allerdings, dass das Batteriepaket vor seinem Wiedereintritt in die Atmosphäre mehrmals über Deutschland hinwegfliegt. Doch das gilt auch für viele weitere Regionen: Große Teile Europas und Lateinamerikas, der Nordosten Afrikas, der Nahe Osten, Süd- und Südostasien sowie Australien werden überflogen.

Lässt sich aus der Warnung des BBK ein besonderes Risiko für Deutschland ableiten? "Nein", lautet die schriftliche Antwort des Bundesamtes. Bevor das Ereignis nicht stattgefunden habe, könne man den Anwohnern auch keine weiteren Ratschläge über Schutzmaßnahmen geben, die die Menschen ergreifen könnten.

Müssen Sie sich also Sorgen machen? Die offizielle Antwort des BBK und der Europäischen Weltraumbehörde ESA lautet "Nein" - das Risiko für Menschenleben ist gering. Dennoch werde das Objekt "eng überwacht".

Wie viel Weltraummüll fällt jedes Jahr auf die Erde? 

Nach Angaben der ESA dringt fast jede Woche Weltraumschrott auf unkontrollierten Flugbahnen in die Erdatmosphäre ein. 

Seit den 1960er Jahren ist die Zahl der Weltraummüll-Ereignisse stetig gestiegen. Zwischen 1960 und 2000 gingen durchschnittlich etwa 500 Trümmerteile pro Jahr auf die Erde nieder. 

In den letzten Jahren hat der Müllregen aus dem All noch deutlicher zugenommen: Laut ESA fielen im Jahr 2022 fast 2.500 Weltraummüllteile auf die Erde. Im Jahr 2023 war die Zahl wieder auf etwa 1.500 Objekte gesunken.

Wohin mit Weltraumschrott?

Welche Arten von Weltraummüll fallen auf die Erde? 

Weltraumschrottobjekte bestehen hauptsächlich aus Raketenstufen, Teilen von Explosionen, die durch alternde Batterien oder Treibstoffreste ausgelöst werden. Auch die Kollisionen von Satelliten oder Überbleibsel von Anti-Satelliten Test sorgen für eine steigende Anzahl an Trümmern im All.

In den niedrigen Umlaufbahnen bis zu einer Höhe von 2.000 Kilometern tummeln sich die meisten Satelliten, weil sie dort zur Erdbeobachtung genutzt werden können. Hier steigt das Schrottvolumen besonders schnell an. 

Doch nicht nur Unfälle und Kollisionen vermüllen das All. So manches Teil wird absichtlich in den Weltraum entlassen. Teile von Raketen beispielsweise, die ihre Funktion erfüllt haben. Oder verbrauchte Batterien wie die der ISS. Sie wurden vor drei Jahren als Schrott freigesetzt.

Ist Weltraummüll giftig? 

Weltraumschrott kann durchaus giftige Elemente enthalten. Alice Gorman, Weltraumarchäologin und Expertin für Weltraummüll erklärte in einem vergangenen Gespräch mit der DW: "Einige Treibstoffe für Raumfahrzeuge sind giftig - Hydrazin zum Beispiel. Es gibt Metalle wie Beryllium und Magnesium, die normalerweise in Form von Legierungen vorliegen, aber Beryllium ist auf jeden Fall ziemlich unangenehm." 

Da der meiste Weltraummüll im Meer landet, machen sich einige Experten durchaus Sorgen um die Verschmutzung der Meere. Aber die Auswirkungen seien noch nicht umfassend erforscht, so Gorman. 

Wann kommt die Müllabfuhr im Weltall?


Wie groß ist also das Risiko, von Weltraummüll getroffen zu werden?  

Laut Experten ist es 65.000 Mal wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen zu werden, als dass einem ein Stück Weltraummüll auf den Kopf fällt. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall zu Hause zu sterben, ist 1,5 Millionen Mal höher. 

Die Wahrscheinlichkeit, von einem Meteoriten erschlagen zu werden, ist ebenfalls höher als das Risiko durch herabfallenden Weltraummüll verletzt zu werden.

Der ehemalige Präsident der ESA, Jan Wörner, äußerte sich der Deutschen Presseagentur gegenüber ebenfalls sorglos. "Batterien brennen sehr gerne. Ich gehe davon aus, dass das Paket nahezu komplett in der Atmosphäre verglüht. Vielleicht sieht man das Zerlegen ja als schöne Sternschnuppe."

Weniger Fleisch, mehr Pflanzen: Tipps für ein veganes Leben

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre Empfehlungen verändert: mindestens drei Viertel der Ernährung sollten aus Gemüse und Obst bestehen, nur maximal ein Viertel aus tierischen Produkten.

"Wer sich überwiegend von Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und pflanzlichen Ölen ernährt, schützt nicht nur seine Gesundheit. Eine pflanzenbetonte Ernährung schont auch die Umwelt", wie DGE-Präsident Bernhard Watzl in einer Pressemitteilung zu den neuen Empfehlungen mitteilte.

Immer mehr Menschen probieren aus, wie eine vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung funktionieren kann. Davon zeugt die steigende Begeisterung am sogenannten "Veganuary": Die Zahl derer, die sich jeden Januar für einen Monat lang vegan ernährt, steigt.

Schon nach kurzer Zeit ohne Fleisch, Eier und andere tierische Produkte kann einiges im Körper passieren. Britische Forschende beobachteten, dass durch die geringere Aufnahme gesättigter Fettsäuren der sogenannte LDL-Cholesterin-Wert im Körper der Probanden deutlich sank. 

Besonders deutlich zeigte sich das bei den sich normalerweise omnivor ernährenden Teilnehmenden – also denen, auf deren Speiseplan regelmäßig Fleisch, Milchprodukte und Eier stehen. Gesättigte Fettsäuren sind vor allem in Käse, Butter und Wurstprodukten enthalten und ein Risikofaktor für Herz-Kreislauferkrankungen.

Allerdings stellten die Forschenden auch fest, dass es einigen Probanden nach dem Experiment an bestimmten Mikronährstoffen mangelte. Besonders Vitamin B12 und Jod fehlte den omnivoren Probanden nach einem Monat veganer Ernährung.

Wer jetzt denkt, es gehe eben nicht ohne tierische Produkte, irrt allerdings: Bei den Teilnehmenden, die sich ohnehin schon vegetarisch oder vegan ernährten, war der Mangel an Mikronährstoffen geringer ausgeprägt oder gar nicht vorhanden. 

Die Forschenden stellten fest: vegetarisch und vegan lebende Menschen wissen eher, was sie essen müssen, um mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu sein. 

Wie gesund ist vegane Ernährung?

1. Auf Mikronährstoffe achten

Ein für vegan lebende Menschen kritischer Nährstoff ist Vitamin B12. Er kommt vor allem in Fleisch vor. Doch Fleisch, Käse und Eier zu konsumieren, bedeutet nicht automatisch, mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu sein. Auch nicht mit Vitamin B12. "Es gibt viele Nicht-Veganer, die ebenfalls einen Vitamin B12-Mangel haben", sagt Martin Smollich, Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.

"Ich empfehle immer, erst den Blutwert bestimmen zu lassen, bevor man Vitamin B12 supplementiert", sagt Smollich. "So verhindert man Über- und Unterdosierung." Das gilt für alle, Pflanzen- wie Fleischesser. Nicht nur Veganer und Veganerinnen können Vitamin B12 über Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen, sondern jeder, bei dem ein Mangel festgestellt wurde. Wer das nicht möchte, sollte sich klar machen, dass auch viele zum Verzehr gezüchtete Tiere Vitamin B12-Supplemente verfüttert bekommen. 

Grundsätzlich gilt: Mikronährstoffversorgung ist nicht erst dann für Menschen interessant, wenn sie auf tierische Produkte verzichten, so Smollich. "Auch viele Omnivore sind nicht optimal versorgt", sagt Martin Smollich. Er empfiehlt deshalb, sieben bis zehn Tage lang ein Ernährungsprotokoll zu führen, um sich die eigene Nährstoffversorgung bewusst zu machen. Nicht nur an Vitamin B12 mangele es vielen Menschen, auch die Eisen-, Calcium-, Jod- und Zinkversorgung erreiche die Zufuhrempfehlungen oft nicht, so Smollich.

2. Keine Angst vor Fleisch- und Käseersatzprodukten

Kein Fleisch oder Käse mehr? Vielleicht für immer? Hier können Ersatzprodukte eine große Hilfe sein. "Aus ernährungsmedizinischer Perspektive sind Fleischersatzprodukte sicher nicht optimal", sagt Smollich. Denn es handele sich dabei um Produkte, die oft sehr fett- und salzreich sind. Im Vergleich mit Chicken Nuggets oder dem Burger Patty aus Fleisch schneiden die pflanzlichen Alternativen trotzdem immer noch besser ab, so Smollich.  

Tierisches Eiweiß - pflanzliches Eiweiß

Für Käseersatzprodukte gilt Ähnliches. Und selbst wer die Käsealternativen nicht besonders mag – einen Grund, sie zu verteufeln gibt es aus Sicht der Ernährungsmedizin nicht. "Sie sind kalorienreich und enthalten viel pflanzliches Fett, aber pflanzliches Fett ist nicht schlechter als tierisches", sagt Smollich. 

Wer längerfristig vegan leben möchte, sollte es sich so leicht wie möglich machen. "Bei den bisherigen Gerichten das Fleisch oder den Käse einfach ersatzlos wegzulassen, ist eine schlechte Idee", findet Smollich. Nicht nur vegane Alternativen können den Übergang erleichtern: Dank Socialmedia und einer wachsenden Anzahl vegan lebender und kochender Menschen war es nie leichter, an neue Rezeptideen zu kommen.

3. Mit pflanzlichen Proteinquellen beschäftigen

Auf der Suche nach neuen Rezepten und veganen Inspirationen wird eines schnell klar: Auch vegan lebende Menschen können ihren Proteinbedarf decken. Sie können sogar Sport machen und Muskeln aufbauen. Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen oder Sojabohnen, Tofu oder Kürbiskerne und Leinsamen helfen als pflanzliche Proteinlieferanten dabei.

Allerdings lautet ein häufiges Argument, pflanzliche Proteine hätten keine so gute Bioverfügbarkeit. "Es stimmt, dass man von pflanzlichen Proteinen grundsätzlich mehr zu sich nehmen muss als von tierischen Proteinen, damit genau so viel im Körper ankommt", sagt Smollich. 

Vor allem Sportler behelfen sich darum mit Proteinshakes, um ihren Bedarf zu decken. "Da spricht überhaupt nichts gegen", meint Smollich. Und nicht nur das: "Studien zeigen eindeutig: Pflanzliche Proteine sind insgesamt gesünder als tierische Proteine."

Phantomschmerz: Wie tut etwas weh, was nicht existiert?

Die Frage "Wo tut es weh?" ist für Thomas Frey nicht einfach zu beantworten - denn sein schmerzendes Bein existiert nicht mehr.

Vor über 30 Jahren verlor er es bei einem schweren Unfall. Unmittelbar danach spürte er jedoch starke Schmerzen im verlorenen Bein. Mit dieser bizarren Erfahrung ist Thomas Frey nicht allein, im Gegenteil: Über 70 Prozent aller Betroffenen spüren nach einer Amputation Phantomschmerzen.

Neben Armen und Beinen können auch andere Körperteile wie eine entfernte Brust oder ein nicht mehr vorhandener Zahn betroffen sein. Meist treten die Schmerzen unmittelbar nach dem Verlust auf, manchmal aber auch erst Monate später. Wie bei Thomas Frey sind sie oft chronisch und belasten die Betroffenen ihr Leben lang.

Er vergleicht die Schmerzen mit einer Migräne: "Das sind Impulse, die ein paar Sekunden anhalten. Dann ist mal wieder fünf Minuten Ruhe. Das kann über Stunden gehen." Oft sind die Schmerzen unerträglich und die Einschränkungen im Alltag massiv.

"Mit Phantomschmerzen kann ich mich nicht mit Freunden abends zum Essen verabreden, ich kann auch kein Meeting mitmachen," sagt Frey. Für einen Außenstehenden ist diese Belastung schwer zu begreifen, oft traf Frey auf Unverständnis. "Ich weiß noch die Reaktion meines Vaters, der meinte: 'Stell dich nicht so an'", erinnert sich Frey.

Die Ursache der Phantomschmerzen ist komplex

In der Literatur taucht der Begriff Phantomschmerz schon im 16. Jahrhundert auf, doch die Suche nach seiner Erklärung dauert an. Prof. Dr. Thomas Weiß ist Physiologe und hat sich intensiv mit den Ursachen der Phantomschmerzen beschäftigt. "Eine Amputation verändert das gesamte Nervensystem", beschreibt Weiß den heutigen Wissensstand.

Der Schmerz zählt deshalb zu den neurologischen Erkrankungen. Zentral war die Entdeckung, dass sich die Nervenbahnen nicht nur am Stumpf, sondern auch im Rückenmark und im Gehirn verändern.

Besonders auffällig sind Veränderungen im Hirnbereich, den Weiß als primären somatosensorischen Kortex bezeichnet. Dieser Ort nimmt Reize am Körper wie Berührung, Druck oder Temperatur wahr und heißt deshalb auch Tastrinde.

Jedes Körperteil ist in der Tastrinde einem eigenen Bereich zugeordnet. Alle Bereiche der Tastrinde zusammen bilden so eine Art Landkarte des Körpers.

Wenn ein Körperteil plötzlich fehlt, empfängt der ihm zugehörige Hirnbereich zunächst keine Signale mehr. "Dann sind diese Regionen, wenn man so will, wie eine Art arbeitslos", beschreibt Weiß. Doch das bleibt nicht so.

Die Nachbarbereiche übernehmen den verwaisten Bereich und leiten ihre Impulse dort hin. "Man sagt dazu funktionelle Reorganisation, also eine funktionelle Umstrukturierung", erklärt Weiß. Ein lernfähiges Gehirn, in dem sich das neuronale Netz rasch verändern kann, scheint hier ausnahmsweise nicht von Vorteil zu sein: "Personen, die ein besonders lernfähiges Gehirn haben, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie unter Phantomschmerzen leiden", so Weiß. 

Trotz bereits vieler gesammelter Erkenntnisse stellt der Phantomschmerz die Forschung immer wieder vor Rätsel: "Die neueste Entwicklung ist, dass die Erklärung durch den primären somatosensorischen Kortex allein nicht ausreicht", sagt Weiß. Deshalb stehen nun andere Bereiche im Nervensystem und auch die Gene im Fokus.

Die Suche nach der Ursache bleibt komplex, vor allem, weil die Schmerzen bei jedem Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt sind: "Da finden sie welche, die haben überhaupt keinen Phantomschmerz und sie finden welche, da sind die Schmerzen so stark, dass die darüber nachdenken sich umzubringen", erklärt Weiß.

Wie sich Phantomschmerzen behandeln lassen

Um Phantomschmerzen zu lindern, sind häufig starke Schmerzmedikamente im Einsatz. Doch durch die starken Nebenwirkungen stellten sie für Betroffene wie Frey eine weitere Belastung dar. Die Erkenntnisse über den neurologischen Ursprung der Phantomschmerzen konnten die Behandlung jedoch erweitern. Besonderen Erfolg verzeichnet die Spiegeltherapie.

Das passiert bei Schmerzen im Körper

Auch Frey probierte die neue Methode. In der Therapie bewegte er sein noch vorhandenes Bein vor dem Spiegel. "In dem Moment, wo ich das mache, habe ich das Gefühl, dass Energie zu fließen beginnt", beschreibt Frey seine Erfahrung.

Die Reflexion im Spiegel trickst das Gehirn aus. Dort wird die Bewegung mit dem amputierten Bein verknüpft. Die fehlgebildeten und schmerzverursachenden Strukturen in der Tastrinde bilden sich deshalb teilweise zurück, der Phantomschmerz nimmt ab. 

Das klappt sogar, wenn mal kein Spiegel vorhanden ist: Auch speziell entwickelte Apps und Virtual Reality Erlebnisse können diesen Effekt herbeiführen. Dank der Spiegeltherapie konnte Thomas Frey die starken Schmerzmedikamente absetzen. 

Für ihn ist es aber auch entscheidend, mit welcher Einstellung er dem Schmerz begegnet: "Das Problem bei chronischen Schmerzpatienten ist, dass sie sicherlich zu Anfang dem Schmerz den Krieg erklären und ihn zu einem absoluten Feind machen", meint Frey. Doch diese Einstellung habe er durch das Leben mit Phantomschmerzen geändert. Um der Beschwerden Herr zu werden, musste er sie zunächst als Teil seines Lebens akzeptieren: "Ich muss den Schmerz zum Freund machen", erkennt er heute.

Evolution: Hatte ADHS Vorteile für unsere Vorfahren?

ADHS ist in der Regel negativ behaftet. Hyperaktivität, Impulsivität oder Aufmerksamkeitsprobleme - die Symptome der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung werden eher als Schwäche angesehen. ADHS hat aber auch Vorteile, die wissenschaftlich untersucht wurden. Betroffene gelten als kreativ, dynamisch, sie sind sozial-emotional kompetent und haben hohe kognitive Fähigkeiten.  

Forschende der University of Pennsylvania haben nun versucht, dem Ursprung von ADHS nachzugehen. So schreibt David Barack, einer der Studienautoren, auf X: "ADHS und ADHS-ähnliche Merkmale wie Ablenkbarkeit und Impulsivität sind weit verbreitet und werden oft als negativ angesehen. Aber wenn sie wirklich negativ sind, dann gibt ihr Fortbestehen ein Rätsel auf."

Ist ADHS also ein wichtiger Teil der Evolution? Laut der aktuellen Studie könnte man das so sagen. Das Forscherteam glaubt, ADHS habe sich als adaptive Überlebensstrategie unserer Vorfahren entwickelt. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift "The Royal Society" veröffentlicht.

Beeren sammeln mit ADHS

Um der Sache auf den Grund zu gehen, analysierten die Forschenden Daten von 457 Erwachsenen, von denen 206 nach eigener Aussage stärkere ADHS-Symptome bei sich beobachteten. 

Die Probanden sollten in einem Videospiel möglichst viele Beeren von virtuellen Sträuchern absammeln. Die Zeit dafür war begrenzt. Die Teilnehmenden mussten sich immer wieder entscheiden: Sammeln sie am selben Fleck weiter, an dem die Beeren zur Neige gehen oder wechseln sie den Ort, um einen neuen Strauch zu erkunden? Letzteres kostete wertvolle Sekunden.

Diejenigen mit ADHS-Merkmalen neigten dazu, schneller zu wechseln und weniger Zeit an einem einzigen Strauch zu verbringen. Und so sammelten sie mehr Beeren als die andere Gruppe ohne ADHS-Symptome. Diese wiederum neigte dazu, sehr viel mehr Zeit an einem Strauch zu verweilen, in der Hoffnung, die Ausbeute zu optimieren.

Die Forschenden überraschte dieses Ergebnis. Sie gingen davon aus, der schnelle Wechsel der Sträucher würde zu einem schlechteren Ertrag führen. "Doch höhere ADHS-Symptome führen zu einer höheren Belohnungsrate und einer besseren Leistung", so Studienautor Barack.

ADHS als Überlebensstrategie

Die Taktik bringt Vorteile mit sich: Sie verhindert die Ausbeutung von Ressourcen an einem einzigen Ort, gleichzeitig werden neue Gebiete ausgekundschaftet. Eine Strategie, die für Jäger und Sammler früher überlebenswichtig sein konnte.

Auch andere Studien stützen die These des evolutionären Vorteils. Sie zeigten, dass der nomadische Lebensstil mit genetischen Mutationen verbunden ist, die bei ADHS eine Rolle spielen.

All das könnte möglicherweise erklären, warum ADHS heute so weit verbreitet ist. Mit dem Unterschied, dass Eigenschaften, die sich früher bei der Nahrungssuche bewährt haben, in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr ganz so vorteilhaft sind. Vor allem, wenn Ressourcen nicht mehr so begrenzt sind.

Vorfreude ist die schönste Freude

Dopamin wird bei Menschen mit ADHS schneller abgebaut als bei Menschen ohne das Syndrom. Das ständige Streben nach dem wichtigen Botenstoff kann dazu führen, dass Personen mit ADHS ständig zwischen verschiedenen Aufgaben hin- und herpendeln, ohne eine so richtig abzuschließen.

Doch die Forschenden betonen auch die Notwendigkeit von weiteren Untersuchungen, weil die Aussagekraft der Studie begrenzt sei. Insbesondere deshalb, weil die ADHS-Symptome auf Selbsteinschätzungen der Probanden beruhten.

Im nächsten Schritt soll die Untersuchung mit diagnostizierten ADHS-Probanden durchgeführt werden. Zudem sollen reale Aufgaben zur Nahrungssuche gestellt werden, die mehr Anstrengungen erfordern als ein Onlinespiel. 

Quellen: 

Attention deficits linked with proclivity to explore while foraging, Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2024

A qualitative and quantitative study of self-reported positive characteristics of individuals with ADHD, Frontiers in Psychiatry 13, 2022

Dopamine receptor genetic polymorphisms and body composition in undernourished pastoralists: An exploration of nutrition indices among nomadic and recently settled Ariaal men of northern Kenya, BMC Evolutionary Biology 8, 2008

Wendy Williams hat Aphasie - Wenn plötzlich die Worte fehlen

Es war im letzten Jahr als Ärzte bei der amerikanischen Medienpersönlichkeit Wendy Williams eine primär progressive Aphasie und Frontotemporale Demenz (FTD) erkannten.

Es "stellte sich immer häufiger die Frage, ob Wendy Informationen richtig verarbeiten kann. Immer wieder gab es Spekulationen über ihren Zustand, vor allen Dingen, wenn sie Worte einfach nicht finden konnte. Manchmal verhielt sie sich unberechenbar und hatte Schwierigkeiten, etwa finanzielle Transaktionen zu verstehen", schrieb ihr Team.

Williams, die ehemalige Moderatorin der in den USA bekannten "Wendy Williams Show", habe sich dazu entschieden, mit der Diagnose an die Öffentlichkeit zu gehen, "um das Bewusstsein für Aphasie und Frontotemporale Demenz zu sensibilisieren", erklärten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der TV-Moderatorin. 

"Leider sind viele Menschen, bei denen Aphasie und Frontotemporale Demenz diagnostiziert wurden, mit Stigmatisierung und Missverständnissen konfrontiert, insbesondere wenn sich ihr Verhalten ändert, sie aber noch keine konkrete Diagnose bekommen haben."

Das Ende einer Karriere

Bruce Willis hatte seine Schauspielkarriere beendet als er die Diagnose Aphasie erhielt. Darüber hinaus wurde bei ihm dann auch noch Frontotemporale Demenz festgestellt. Diese Nachrichten kamen für die Öffentlichkeit überraschend. Willis hatte noch kurz zuvor an zahlreichen Filmprojekten mitgearbeitet. Dann aber teilte seine Familie mit, dass der damals 67-Jährige wegen seiner Krankheit keine Filme mehr drehen könne.

Aphasien können jeden treffen

Der "erworbene Verlust der Sprache" kann nach einer Schädigung der linken Gehirnhälfte auftreten. Verursacht werden Aphasien meistens durch einen Schlaganfall. Aber auch Hirnblutungen oder Schädelhirnverletzungen z.B. nach einem Unfall, Hirntumore oder entzündliche Prozesse können Aphasien zur Folge haben. Von einem Tag auf den anderen verliert man die Fähigkeit, mit Worten zu kommunizieren.

Der plötzliche Sprachverlust betrifft alle sprachlichen Fähigkeiten: Das Sprechen und Verstehen ebenso wie das Lesen und Schreiben.

Aber eine Aphasie ist "nur" eine Sprachstörung, sie ist keine Denkstörung. Das bedeutet, dass die Denkprozesse oder die intellektuellen Fähigkeiten nicht oder nur gering gestört sind.

Für Betroffene und ihre Angehörigen sind dies extrem belastende Situationen. Der Betroffene kann selbst die alltäglichsten Dinge des Lebens nicht mehr benennen. Er weiß, was es ist, aber ihm fehlen einfach die Worte.

Vier unterschiedliche Aphasie-Formen

Die vier Aphasie-Formen lassen sich anhand der Symptome voneinander unterschieden:

Amnestische Aphasie

Die amnestische Aphasie ist die leichteste Form der Aphasie, bei der die Betroffenen beim direkten Benennen von Gegenständen Wortfindungsstörungen haben. Sie kaschieren die Sprachstörung, indem sie etwa die Wörter umschreiben oder Redefloskeln verwenden.

Broca-Aphasie

Wer im Stakkato- oder Telegrammstil spricht, also oftmals in sehr kurzen, einfachen Sätzen spricht oder einzelne Schlüsselworte aneinander reiht, leidet möglicherweise an einer Broca-Aphasie. Der Sprachfluss ist zwar durch die Suche nach passenden Worten angestrengt und verlangsamt, aber der Betroffene ist noch vergleichsweise gut zu verstehen.

Wernicke-Aphasie

Fast genau gegenteilig sprechen Menschen, die unter einer Wernicke-Aphasie leiden. Sie bilden sehr lange, verschachtelte Sätze, in denen sich einzelne Passagen zuweilen wiederholen. Der Betroffene redet zwar scheinbar flüssig, aber die passende Wortfindung fällt ihm sehr schwer und oftmals ergeben seine Sätze auch keinen Sinn. Entsprechend versteht man den Betroffenen auch nur schwer.

Globale Aphasie

Menschen mit einer globalen Aphasie sprechen oftmals nur einzelne Worte oder wiederholen die immergleichen Redefloskeln. Bei dieser schwersten Form der Aphasie ist der Betroffene kaum noch zu verstehen.

Therapie ist teilweise möglich

Die erworbene Sprachstörung ist nicht irreversibel, aber es erfordert viel Training in einer gezielten Sprachtherapie, das Sprechen und oft auch das Schreiben wieder zu erlernen.

Vor allem nach einem erstmaligen Schlaganfall kommt es bei etwa einem Drittel der Patienten zu einer weitestgehenden Normalisierung der Sprachfunktionen innerhalb der ersten vier Wochen. Danach nimmt die Rückbildung der Sprachstörungen allerdings immer weiter ab.

Brandschutz: Bei einem Großbrand das Schlimmste verhindern

Bei einem Hochhausbrand im spanischen Valencia sind mindestens vier Menschen umgekommen, mindestens 14 weitere wurden verletzt (Stand 23.02, 8:42 Uhr). Noch sei unklar, ob Menschen vermisst würden - die Regionalzeitung "Levante" berichtet von 20 Vermissten.

Gerade in Hochhäusern wird ein Brand lebensbedrohlich, denn für Menschen in den oberen Stockwerken sind die Fluchtwege schnell abgeschnitten und Löschwasser in den obersten Stock zu befördern, ist sehr viel schwieriger als ins Erdgeschoss. Nicht mal die Flucht aus dem Fenster ist eine Option.

Im Falle des Brandes in Valencia ist das Feuer in einem der untersten Stockwerke ausgebrochen. Es habe sich über die Fassade aus brennbaren Materialien auch wegen der starken Winde rasant ausgebreitet, heißt es in spanischen Medien. Eine Vertreterin der örtlichen Ingenieurskammer sagte gegenüber dem Sender A Punt, der Brand habe sich so schnell ausbreiten können, weil die Fassade mit hochbrennbarem Polyurethan verkleidet war. 

Großbritannien Großbrand in Londoner Hochhaus
Großbrände wie den im Grenfell Tower sollen durch verschiedene Brandschutzvorrichtungen verhindert werdennull picture-alliance/empics/R. Findler

Der Fall erinnert an den schlimmen Brand im 24-stöckigen Londoner Grenfell Tower im Jahr 2017. Beim Brand des 24-stöckigen Wohnhauses waren 72 Menschen getötet worden. Auch in diesem Fall breitete sich das Feuer über die Fassadenverkleidung aus. Die Ermittlungen zu dem Fall laufen noch.

Dabei sollten moderne Bau- und Sicherheitsvorschriften bei solchen Unglücken eigentlich das Schlimmste verhindern. Die richtige Technik hilft im Notfall, den Brand unter Kontrolle zu halten. Hier ein paar Beispiele dafür, was Ingenieure und Chemiker ausgetüftelt haben.

1) Feuer melden und löschen

Brandmelder warnen frühzeitig vor Feuer. Ein Beispiel sind optische Rauchmelder: Sie lösen Alarm aus, wenn der Infrarot-Lichtstrahl im Inneren durch Rauchpartikel abgelenkt wird und auf einen lichtempfindlichen Sensor trifft.

In Hochhäusern sind in der Regel Brandmeldeanlagen vorhanden, die bei einem Alarm automatisch eine Meldung an die Feuerwehr schicken und einen internen Alarm auslösen. Von akustischen Warnungen im gesamten Gebäude wird häufig aber abgesehen, da sie zu Missbrauch verleiten oder zu Panik führen können. Oft wird nur ein stiller Alarm für das Personal ausgelöst, etwa in Krankenhäusern.

Um den Brand zu löschen, helfen in Hochhäusern Steigleitungen. Das sind fest angebrachte Metallrohre, über die die Feuerwehr Löschwasser für die oberen Stockwerke einspeisen kann.

Sprinkleranlagen versprühen automatisch Wasser bei einem Feuer. An den Sprinklerköpfen befinden sich kleine Glasampullen, die mit einer speziellen Flüssigkeit gefüllt sind. Ab einer bestimmten Temperatur dehnt diese sich aus, lässt die Ampulle platzen und gibt so einen Wasserstrahl frei.

2) Ein Ausbreiten der Flammen verhindern

Das Problem bei vielen Häusern: Sie sind mit einer Wärmedämmung verkleidet, üblicherweise aus Polystyrol-Platten (Styropor) - und die können Feuer fangen.
Um zu verhindern, dass so die gesamte Fassade in Brand gerät, werden regelmäßig Brandriegel - auch Brandschutzstreifen genannt - aus nicht brennbarem Material dazwischengesetzt. Sie bestehen meist aus Mineralwolle: Die hat einen Schmelzpunkt von über 1000 Grad Celsius und verhindert, dass die Flammen auf weitere Stockwerke übergreifen. 

Wärmedämmung an einer Außenwand
Im Gegensatz zu Styropor brennt Mineralwolle (die gelbe Schicht, zweite von rechts) von Natur aus nichtnull picture-alliance/chromorange/H. Richter

3) Plastik, das den Flammen trotzt

Kunststoffe brennen von Natur aus hervorragend, vor allem Massenkunststoffe wie Polypropylen. Wenn sie sich bei einem Brand zersetzen, werden zusätzlich hochentzündliche Substanzen frei, die die Situation noch verschlimmern. Vorsicht ist vor allem bei Kabelisolierungen geboten: Sind sie aus leicht brennbarem Kunststoff, könnte sich ein Brand über sie im ganzen Haus ausbreiten.

Eine Lösung sind spezielle Kunststoffe, die aufgrund ihrer Zusammensetzung bereits flammgeschützt sind. Bestes Beispiel ist Polyvinylchlorid (PVC), aus dem viele Kabelisolierungen bestehen. Es enthält Chlor und löscht einen Brand quasi von selbst, weil freigesetztes Chlor die Flamme erstickt.

Test auf Entflammbarkeit im Labor
Teppichböden sollen im Idealfall schwer entflammbar sein. Das testet man vorher im Labor.null Wacker Chemie AG

Eine andere Möglichkeit ist die Zugabe von Flammschutzmitteln, Chemikalien, die dem ansonsten brennbaren Kunststoff bei der Herstellung zugesetzt werden und ihn widerstandsfähig gegen Feuer machen. Recht neu auf dem Markt ist bromiertes Styrol-Butadien-Copolymer, auch PolyFR genannt: Es wird Polystyrol-Schäumen (Styropor) zugesetzt. Das zuvor eingesetzte giftige Mittel Hexabromcyclodecan ist seit 2015 nach dem Stockholmer Übereinkommen verboten, weil es sich in der Umwelt anreichert.

4) Schaum schützt Stahlträger

Wenn es in einem Haus brennt, erwärmen sich auch die Stahlträger - das kann tödlich enden. Ab einer Temperatur von 500 Grad Celsius werden die Stahlskelette instabil und können dann innerhalb von Minuten einknicken: Das Haus stürzt ein und begräbt Menschen möglicherweise unter sich.

Pressebild Wacker Chemie AG (Wacker Chemie AG)
Aus einer millimeterdünnen Schicht wird ein zentimeterdicker, wärmeisolierender Schaumnull Clariant

Um das zu verhindern, wird auf die Stahlträger ein Mix an Chemikalien aufgetragen, beispielsweise als Teil der Deckfarbe. Bei Temperaturen über 250 Grad beginnen diese Chemikalien, miteinander zu reagieren und Gase freizusetzen. Als Folge entsteht ein zentimeterdicker Schaum, der die Stahlträger vor Hitze abschirmt. Dieser Wärmeschutz hält etwas über eine Stunde an. Das gibt den Menschen viel wertvolle Zeit, sich aus dem brennenden Gebäude zu retten.

5) Weg mit dem Rauch, her mit frischer Luft

Ist eine Rauchdruckanlage vorhanden, wird diese durch Brandmelder aktiviert, wenn in einem Hochhaus ein Feuer ausbricht. Die Anlage stellt sicher, dass die Fluchtwege - etwa die Treppenhäuser - rauchfrei und damit sicher passierbar bleiben.

Ein Ventilator pustet von unten mit hohem Druck Luft ins Treppenhaus, sie entweicht hoch oben durch eine Öffnung unter dem Dach. Frische Außenluft strömt somit ständig mit einer Geschwindigkeit von bis zu zwei Meter pro Sekunde von unten nach oben durchs Treppenhaus, also entgegen der Fluchtrichtung. Nebeneffekt ist, dass Rauch, der möglicherweise aus anderen Teilen des Gebäudes ins Treppenhaus gelangt, einfach weggepustet wird.

Menschen können so gefahrlos das Gebäude über die Fluchtwege verlassen, und Rettungskräfte können so das Gebäude sicher betreten.

Mikroben verwandeln CO2 rasend schnell in Gestein

Zu viel Plastik und zu viel Kohlendioxid - unsere allergrößten Umweltprobleme können in naher Zukunft vielleicht von den allerkleinsten gelöst werden: Mikroben! Das ist längst keine Utopie mehr: Rund um den Globus arbeiten Forschende sehr erfolgreich an Mikroorganismen, die Plastik zersetzen können. Wenn sich diese Bakterien im großen Stil technisch nutzen lassen, könnte dies unser Plastikmüllproblem lösen.

Im Kampf gegen den Klimawandel melden nun Forschende der Sanford Underground Research Facilityin den USA einen bahnbrechenden Durchbruch: Sie haben natürliche Mikroben entdeckt, die Kohlendioxid (CO2) aufnehmen und rasend schnell in festes Gestein umwandeln können. Dieser Prozess wird als "Kohlenstoffmineralisierung" bezeichnet.

Schwierige Kohlendioxid-Speicherung unter Tage

Seit Jahren suchen die USA intensiv nach Möglichkeiten, das klimaschädliche Gas Kohlendioxid dauerhaft unter der Erde zu lagern. Aber oftmals entweicht ein großer Teil des in die Gesteinsschichten eingepumpten Gas wieder durch geologische Verwerfungen.

Deshalb suchen die Forschenden nach ganz speziellen Gesteinsschichten, in denen das Gas aufgelöst und durch den sogenannten "In-situ-Mineralisierungs-Prozess" in ein Karbonatmineral umgewandelt wird. Das Gas wird somit zu Gestein. Allerdings dauert dieser Prozess normalerweise sieben bis zehn Jahre, in denen das Gas eben auch wieder entweichen kann.

Die jetzt entdeckten stabförmigen Mikroben können diesen natürlichen Prozess allerdings drastisch beschleunigen. Sie brauchen gerade einmal zehn Tage, um das Gas in Gestein umzuwandeln.

Norwegen: Endlager für CO2

Vom Labor in die Realität

Zunächst hat das interdisziplinäre Team aus Geochemikern, Mineralogen und Mikrobiologen im Labor die optimalen Rahmenbedingungen untersucht, die für eine Mineralisierung ohne Bakterien notwendig sind, also wie hoch der Druck und der Säuregehalt sein muss. Oder welche Temperatur und wieviel Zeit nötig ist.

Als diese Rahmenbedingungen geklärt waren, suchten die Forschenden tief unter der Erde nach Mikroben, die mit diesen Bedingungen gut zurechtkommen.

Vier Geobacillus-Bakterien-Arten erwiesen sich als besonders geeignet, weil sie auch unter diesen sehr speziellen Bedingungen in wasserführenden Felsspalten wachsen und den biologischen Umwandlungsprozess von CO2 zu Gestein beschleunigen können. "Wir haben herausgefunden, dass wir CO2 speichern können, indem wir das Mineral MgCO3-Magnesit durch den Einsatz von Mikroben in nur zehn Tagen auskristallisieren." 

Dauerhafte Umwandlung von CO2 möglich

Die Forschenden gehen davon aus, dass das in Gestein umgewandelte Gas über Tausende von Jahren stabil und außerhalb des Kreislaufs der Atmosphäre bleibt. Auf diese Erkenntnisse hat das interdisziplinäre Team nun ein Patent angemeldet.

Wenn durch die Erkenntnisse eine schnelle Umwandlung auch im ganz großen Stil gelingt, könnten künftig gewaltige CO2-Mengen in tiefen Gesteinsschichten und zum Beispiel in ehemaligen Bergwerken oder in erschöpften Gas- und Ölvorkommen gespeichert werden. Den Mikroben sei Dank!

Gazastreifen: So lassen sich Krankheiten in Krisengebieten verhindern

Nach schweren Erdbeben wie Anfang September 2023 in Marokko oder Flutkatastrophen wie in Südosteuropa und Libyen können sich Infektionskrankheiten oftmals sehr schnell verbreiten, es kann zu medizinischen Notfällen bis hin zu Epidemien kommen.

Aber nicht nur bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche und Überflutungen, sondern auch bei Kriegen und Flucht können Infektionskrankheiten die Krisensituation zusätzlich verschärfen.

Im Gazastreifen nehmen Krankheiten seit Beginn des Krieges drastisch zu. Dazu kommt, dass das Gesundheitssystem fast vollständig zusammengebrochen ist. Am 19. Februar 2024 waren nur noch 12 von 36 Krankenhäusern mit stationären Kapazitäten in Betrieb, und das auch nur teilweise.

Epidemiologen haben drei Szenarien modelliert und dabei auch mögliche Infektionskrankheiten und Epidemien mit einberechnet. Laut dem schlimmsten Szenario können durch den Krieges in Gaza in den nächsten sechs Monaten 85.000 Palästinenser an Verletzungen und Krankheiten sterben.

Gaza: Infektionskrankheiten könnten für viele tödlich sein

Denn durch Kriege wie jetzt in Gaza und durch Naturkatastrophen könne sich Infektionskrankheiten rasend schnell ausbreiten. Nach den Überflutungen in Pakistan im Sommer 2022 breiteten sich sowohl Cholera als auch Typhus aus. In den Krisengebieten im Libanon und in Syrien gab es ebenfalls Cholera-Ausbrüche. Auch in der Ukraine wurden Cholera-Fälle gemeldet. 

Nach den Überflutungen in Pakistan im Sommer 2022 breiteten sich sowohl Cholera als auch Typhus aus. In den Krisengebieten im Libanon und in Syrien gab es ebenfalls Cholera-Ausbrüche. Auch in der Ukraine wurden Cholera-Fälle gemeldet.

Cholera und Typhus treten häufig auf 

Diese Krankheiten können sich in Krisengebieten ausbreiten:

  • Durchfallerkrankungen wie Cholera und Typhus werden oft durch verschmutztes Wasser übertragen, was in vielen Krisengebieten ein Problem ist. 
  • Hepatitis kann sich durch Fäkalien bei schlechten hygienischen Bedingungen ausbreiten.
  • COVID-19, Influenza und andere Erkrankungen, die über die Atemluft übertragen werden, sind vor allem bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften wie Turnhallen oder Zelten ein Problem.
  • Malaria und Dengue-Fieber werden durch Mücken übertragen und sind vor allem in überfluteten Gebieten eine Gefahr.

Ob und wie schwer Krankheiten in Krisengebieten ausbrechen, ist schwer zu prognostizieren. "Es kommt sehr auf den Kontext an", sagt Parnian Parvanta, Ärztin und stellvertretende Vorsitzende der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Deutschland. "Im Nordwesten Syriens etwa waren die medizinische Versorgung und die hygienischen Bedingungen schon vor dem Erdbeben sehr schlecht. Umso härter wurden die Menschen (...) durch das Erbeben getroffen." 

Es kommt also sehr auf die individuelle Situation: zum Beispiel, wie viel Infrastruktur noch vorhanden ist, wie viele Menschen betroffen sind - und vor allem darauf, wie schnell Unterstützung vor Ort ist.

Ein Kind liegt auf einer Trage und wird verarztet.
Cholera breitet sich häufig in Krisengebieten aus - wie hier in einem Flüchtlingslager im Libanonnull Marwan Naamani/picture alliance/dpa

Menschen benötigen vor allem sauberes Trinkwasser

Hilfsorganisationen versuchen vor Ort, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern oder zu stoppen. Die wichtigste Maßnahme ist laut Expertin Parvanta, für sauberes Trinkwasser zu sorgen. "Das ist essenziell."

Neben sauberem Trinkwasser gehören diese Punkte zu den wichtigsten Maßnahmen: 

  • Zugang zu Sanitäranlagen wie Toiletten sicherstellen
  • Abwasser sicher ableiten
  • Hygieneprodukte wie Seife und Desinfektionsmittel verteilen
  • Notwendige Medikamente und Arzneimittel organisieren
  • Mobile Kliniken einrichten, um Menschen schnell zu versorgen
Drei Kinder spielen in einem Kanal im Libanon.
In Krisengebieten fehlt es oft an sauberem Trinkwassernull Mohamed Azakir /REUTERS

Nicht nur an Infektionskrankheiten denken 

Außerdem können Krisen wie Kriege und Naturkatastrophen dazu führen, dass Grunderkrankungen wie Diabetes oder chronische Lungenerkrankungen nicht ausreichend versorgt werden. Auch die Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen ist oft ein Problem.

Zudem werden Impfkampagnen, etwa gegen Masern oder Polio, in Krieg- und Krisensituationen oft verlangsamt oder müssen ausgesetzt werden. Das führt dazu, dass weniger Menschen gegen diese Krankheiten geschützt sind und sich Infektionen häufen. "An Orten, an denen viele Geflüchtete sind, gibt es oft ein erhöhtes Risiko für die Ausbreitung von Masern", sagt Ärztin Parvanta.

Mindestens genauso wichtig wie die rasche Unterstützung vor Ort ist daher auch der Wiederaufbau der kritischen Infrastruktur wie Krankenhäuser und Arztpraxen.

Ukraine: Wie der Krieg die Umwelt vergiftet

Vor zwei Jahren begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Ein Ende scheint nicht absehbar. Doch selbst wenn noch heute jeder Beschuss eingestellt würde, keine Bomben mehr fielen und keine Raffinerien oder Industriebetriebe mehr explodieren würden - in Sicherheit sind die Menschen in der Ukraine trotzdem nicht. 

Die Auswirkungen des Krieges auf Mensch, Tier und Natur werden länger nachwirken. So kommt eine Studie über die Umweltfolgen des Ukraine-Kriegs zu dem Ergebnis, dass in den ersten eineinhalb Jahren rund 150 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 freigesetzt wurde - so viel wie die jährlichen CO2-Emissionen Belgiens. Die Schätzung stammt von der "Initiative on GHG Accounting of War", einer Gruppe von Fachleuten, die sich mit den Klimaauswirkungen des Ukraine-Krieges befasst. Die Ergebnisse präsentierten sie im Dezember 2023 auf der UN-Klimakonferenz in Dubai.

Krieg gegen Mensch und Natur

Eine neuere Analyse eines US-ukrainischen Forschungsteams liefert weitere Zahlen: Landschaftszerstörung, Beschuss, Waldbrände, Abholzung und Verschmutzung haben 30 Prozent der ukrainischen Schutzgebiete in Mitleidenschaft gezogen. Insbesondere durch die Eroberung des Kernkraftwerks Saporischschja durch Russland und die Zerstörung des Kachowka-Staudamms befürchtet das Team um Daniel Hryhorczuk, emeritierter Professor am Institut für Umwelt- und Arbeitssicherheit und Epidemiologie and der University of Illinois School of Public Health, USA, anhaltende ökologische Katastrophen.

Ukraine will Russland wegen Umweltschäden anklagen

Zudem sind Luft, Wasser und Boden in großem Umfang chemisch verseucht, 30 Prozent der Ukraine seien mit Landminen und nicht explodierten Geschossen kontaminiert. 

Befinden sie sich erst mal im Wasser oder im Boden, erreichen sie über Pflanze, Tier oder Trinkwasser früher oder später auch den Menschen. Davon gehen Toxikologen zumindest aus. Gesichertes Wissen darüber, wie sich die Substanzen im Erdreich verhalten und welchen Einfluss sie von dort auf die Gesundheit des Menschen nehmen, fehlt an vielen allerdings Stellen noch.

TNT ist krebserregend

Die gefährlichen Stoffe in der Munition sind vor allem Explosivstoffe und Schwermetalle. Zu den Explosivstoffen zählt das TNT, das zur Gruppe der Nitroaromaten gehört, die für ihre Sprengkraft bekannt sind. "Wir wissen aus Fütterungsstudien mit Ratten und Mäusen, dass TNT sehr giftig ist", sagt Professor Edmund Maser, Direktor des Instituts für Toxikologie am Universitätsklinikum in Kiel, im DW-Gespräch im März 2023. 

Maser forscht zu den Auswirkungen der Munition, die nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschen Teil der Nord- und Ostsee versenkt wurde. 1,6 Millionen Tonnen rosten dort vor sich hin.  

Auch im Meer beobachteten Toxikologen, dass das aus den versenkten Munitionsbeständen freigesetzte TNT den Tieren in der Umgebung schadet: "TNT beeinträchtigt die Reproduktion, das Wachstum und die Entwicklung der Meerestiere", sagt Maser. "Außerdem wissen wir aus den Tierstudien, dass TNT und andere Explosivstoffe krebserregend sind."

Quecksilber, Arsen und Blei zerstören Zellen

Das gilt auch für manche Schwermetalle wie Arsen und Cadmium, die ebenfalls krebserregend seien. "Schwermetalle wie Quecksilber sind vor allem in den Zündern enthalten, wo sie als Quecksilberfulminat dafür sorgen, dass ein Sprengstoff wie TNT schneller explodiert", erklärt Maser.

Quecksilber gehört ebenfalls zu den Schwermetallen und führt zu Schäden an den Nervenzellen. "Bei ungeborenen Kindern kann es auch zu Missbildungen führen", sagt Maser. Blei könne eine ähnliche Wirkung haben und zu Entwicklungsstörungen und Fehlgeburten führen.

Kateryna Smirnova vom Sokolowskyj-Institut für Bodenkunde und Agrochemie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, einer der führenden wissenschaftlichen Einrichtungen für Bodenkunde und Bodenschutz in der Ukraine, sagt, dass Bodenproben aus der Region Charkiw bereits gezeigt hätten, dass die Konzentration an krebserregenden Schwermetallen wie Blei und Cadmium erhöht ist.

Smirnovas Kollegin Oksana Naidyonova, Mikrobiologin am Sokolowskyj-Institut, erklärt, dass die Schwermetalle die Aktivität der Bakterien im Boden negativ beeinflussen. "Sie hemmen die Entwicklung der Pflanzen und die Versorgung mit Mikronährstoffen, was zu physiologischen Störungen beiträgt und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten verringert."

Ukraine-Krieg: Wenn Forscherinnen fliehen müssen

Allerdings bleiben die Chemikalien nicht unbedingt im Boden. TNT beispielsweise könne vom Wind weggetragen und verteilt werden, so Maser. Um die tiefer im Boden befindlichen Substanzen kümmert sich der Regen. "Es kann dann sein, dass die Stoffe in das Oberflächenwasser geraten, wodurch Bäche, Flüsse und Seen kontaminiert werden", erklärt Toxikologe Maser.

Ein toxischer Kreislauf

Wenn Tiere die Chemikalien aufnehmen, können sie sich entlang der Nahrungskette anreichern und dann auch für den Menschen als Endverbraucher gefährlich werden, so Toxikologe Maser. Oder wenn der Regen versickere und die Stoffe mit diesem Sickerwasser ins Grundwasser gelangen. "Dann ist das Trinkwasser gefährdet", sagt Maser.

Das Sickerwasser könnte aber auch dazu beitragen, dass sich Quecksilber und Co. im Boden verteilen und von Pflanzen aufgenommen werden. Handelt es sich dabei um Getreide oder Gemüse, landen die Chemikalien auch auf diesem Weg letztlich im menschlichen Körper.

Umweltschäden in Milliardenhöhe

Am Beispiel der Ukraine lassen sich die immensen Kosten durch die Kriegszerstörungen veranschaulichen. Nach der neuesten Analyse hat der Krieg in der Ukraine Umweltschäden von mehr als 56,4 Milliarden US-Dollar verursacht. 

Die Forschende um Daniel Hryhorczuk fordern, die Umweltfolgen aller bewaffneten Konflikte zu untersuchen und wirksamere Maßnahmen zum Schutz der Umwelt im Krieg zu ergreifen. “Zu diesen Maßnahmen gehört auch, dass diejenigen, die für die Schädigung der Umwelt während eines Krieges verantwortlich sind, und diejenigen, die einen Krieg anzetteln, zur Verantwortung gezogen werden”, so der Appell. 

Ernährungsmythen überprüft: Macht Kaffee süchtig?

Eine Tasse nach dem Aufstehen. Ein Kaffee-Date mit Kollegen oder Freundinnen. Kaffee entspannt, macht munter und ist soziales Bindeglied. Kurz: Kaffee ist aus dem Leben vieler Menschen nicht wegzudenken. "Kaffee kann definitiv süchtig machen", sagt Carsten Schleh. Er ist Toxikologe und Autor des Buches "Die Wahrheit über unsere Drogen".

Viele Studien kommen ebenfalls zu diesem Ergebnis, weshalb die Koffeinkonsumstörung (Caffeine use disorder) mittlerweile eine anerkannte medizinische Diagnose ist.

Möglich, dass der Konsum in den kommenden Jahren zurückgeht, weil der Klimawandel die Kaffeeproduktion und -ernte bedroht und die Preise steigen lässt. Bisher geht der Trend allerdings in die andere Richtung. In Luxemburg wurde im Jahr 2023 mit 8,5 kg pro Person am meisten Kaffee getrunken. In Deutschland lag der Absatz bei gut 4,8 kg pro Kopf und in Brasilien waren es 4,5 kg.

Was steckt in Kaffee drin?

Kaffee ist ein komplexes Gemisch aus mehr als 1000 verschiedenen Inhaltsstoffen. Dazu gehören Polyphenole, die in Pflanzen als Farb- oder Geschmacksstoffe vorkommen, Vitamin B2 und Magnesium.

Was den Kaffee als Getränk aber so besonders beliebt macht, ist ein anderer Inhaltsstoff: Koffein. Koffein ist eine natürliche Substanz, die in Kaffee- und Kakaobohnen und in manchen Teeblättern (Teein) enthalten ist. Auch Energy-Drinks stecken voller Koffein.

Wie wirkt Koffein im Körper?

15 bis 30 Minuten nach dem ersten Schluck Kaffee ist das darin enthaltene Koffein im Gehirn angekommen. "Dort bindet es an die Adenosinrezeptoren", sagt Schleh. 

Adenosin blockiert die Ausschüttung aktivierender Botenstoffe wie Dopamin oder Noradrenalin. "Adenosin spielt Sandmännchen im Gehirn. Wir werden müde und träge", erklärt Schleh.

Koffein blockiert die Adenosinrezeptoren und nimmt dem Adenosin damit seinen Platz weg. Die einschläfernde und beruhigende Wirkung des Signalmoleküls bleibt aus. Oder anders gesagt: Wer Kaffee trinkt, bleibt wach.

"Kaffee regt den Blutdruck an und macht fitter, agiler und leistungsbereiter", sagt Schleh über die schönen Seiten des Kaffeetrinkens.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Wann spricht man von Kaffeesucht?

 Koffein sei die am häufigsten konsumierte psychoaktive Droge der Welt, heißt es in einem Review in der Zeitschrift Psychopharmacology. 

Wie viele psychoaktive Substanzen erhöht auch Koffein die Ausschüttung von Dopamin. Dopamin wirkt positiv erregend im Körper und ist deshalb auch als Glückshormon bekannt. Adenosin hemmt die Dopamin-Ausschüttung, sobald es an die Rezeptoren bindet. Sind die allerdings schon vom Koffein besetzt, bleibt das Glückshormon-Level ungebremst hoch.

Das hat auch körperliche Folgen: "Wenn Sie viel Kaffee trinken, bilden sich weitere Adenosinrezeptoren aus", sagt Schleh. Das bedeutet: Läuft kein Kaffee nach, hat das Adenosin plötzlich sehr viele Bindungsstellen. Starke Müdigkeit und Gereiztheit können die Folge sein. Es sind Koffeinentzugserscheinungen. Weitere Symptome sind:

  • Kopfschmerzen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Niedergeschlagenheit
  • Unzufriedenheit

"Das tolle, entspannende Gefühl während der ersten Tasse Kaffee am Morgen kommt auch daher, dass wir unsere Entzugserscheinungen lindern", sagt Schleh.

Ist Kaffee gesund oder nicht?

Auch wenn das Koffein in Kaffee Suchtpotential hat, ein moderater Kaffeekonsum schadet gesunden erwachsenen Menschen nicht. "Die Dosis macht das Gift", sagt der Toxikologe Schleh. 

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) empfiehlt eine über den Tag verteilte Koffeinmenge von 400 mg. Das sind, je nach Größe der Kaffeetasse, etwa zwei bis fünf Tassen. Schwangere sollten 200 mg Koffein pro Tag nicht überschreiten. 

Innerhalb dieser Grenzwerte hat Kaffee durchaus gesundheitliche Vorteile: Das Getränk wird mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit von Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen, Leber- und Gebärmutterkrebs, Parkinson und Depressionen in Verbindung gebracht.

Wer auf Kaffeeentzug mit Symptomen wie Zittern, Schwitzen oder depressiver Verstimmung reagiert, könnte unter einer Koffeinsucht leiden. Da eine Abhängigkeit von Koffein lange keine anerkannte Sucht war, werden Betroffene oft nicht ernst genug genommen. 

Carsten Schleh empfiehlt allen, deren Koffeinkonsum über dem empfohlenen Tagesmaß liegt, den Kaffee langsam zu reduzieren. "Koffein ist eine der harmloseren Drogen." Ein kalter Entzug ist selten notwendig und kann sehr unangenehme Symptome mit sich bringen. Die Gefahr für einen Rückfall ist dann besonders groß."

Quellen:

EFSA erklärt Risikobewertung - Koffein, Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)

Caffeine Use Disorder: A Comprehensive Review and Research Agenda, Journal of Caffeine Research, Steven E. Meredith, Laura M. Juliano, John R. Hughes and Roland R. Griffiths

An update on the mechanisms of the psychostimulant effects of caffeine, Journal of Neurochemistry, Sergi Ferré

Autismus - Krankheit oder Charakterzug?

Wenn die Sonne scheint, bleibt John gern im Zimmer. Es stört ihn, wenn alles glitzert und reflektiert. Es stört ihn auch, wenn es laut ist oder ein Fremder neben ihm im Bus sitzt. John ist Autist. "Er kann nicht schreiben, nicht sprechen und nicht alles verstehen", sagt Monika Scheele-Knight, Johns Mutter. "Man kann sagen, dass er wie ein ein- oder zweijähriges Kind ist."

Als John drei Jahre alt war, stellten Ärzte bei ihm frühkindlichen Autismus fest. Menschen mit dieser Autismus-Form entwickeln kaum Gestik und Mimik und haben Probleme, Gefühle zu verstehen. Viele halten zwanghaft an immer gleichen, wiederkehrenden Ritualen fest, an festgelegten Wegen oder Tagesabläufen.

Auch Rainer Döhle ist Autist. Er war bereits erwachsen, als bei ihm ein Asperger-Syndrom festgestellt wurde - eine Form von Autismus, die nicht mit sprachlichen und geistigen Beeinträchtigungen einhergeht. "Aber in meinem Zeugnis stand immer: Er findet keinen Zugang zur Klassengemeinschaft", erzählt er. "Ich habe einfach nie verstanden, wie Freundschaft funktioniert und war immer froh, wenn man mich in Ruhe gelassen hat und ich lesen konnte." Die Diagnose "Asperger-Syndrom" sei für ihn eine große Erleichterung gewesen - endlich gab es eine Erklärung für die Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Heute sitzt Rainer Döhle im Vorstand von Aspies e.V., dem größten deutschen Selbsthilfeverein für Autisten. Er arbeitet als Übersetzer und ist Autor bei Wikipedia. "Ich hab eine Hochbegabung und spezielle Interessen im Bereich Geographie und Geschichte. Manchmal schreibe ich stundenlang Listen über Regenten oder Hauptstädte. Aber inzwischen kann ich das konstruktiv nutzen."

Hilfe für Autisten

Von hochbegabt bis geistig beeinträchtigt

Während einige Autisten nie sprechen lernen, fallen andere schon früh durch ihre gewählte Sprache auf. Die einen sind motorisch ungeschickt, andere zeichnen stundenlang - es gibt den geistig beeinträchtigten Autisten ebenso wie den mit dem außergewöhnlichen Zahlengedächtnis. Sie alle zeigen aber in der Regel immer dieselben, wiederkehrenden Verhaltensmuster und haben ähnliche Schwierigkeiten, mit anderen zu interagieren.

Während man noch vor einigen Jahren dachte, dass es sich bei den verschiedenen Formen von Autismus um qualitativ unterschiedliche Zustände handelt, die jeweils unterschiedliche Ursachen haben, weiß man heute aus vielen Studien, dass sie sich eher graduell unterscheiden.

"Autismus ist nichts qualitativ anderes als das Asperger-Syndrom", erklärt Sven Bölte, Leiter der Forschungsgruppe "Autismus-Spektrum-Störungen" am Stockholmer Karolinska-Institut. "Beide Autismusformen unterscheiden sich eher in der Schwere ihrer Symptome." Autismus-Forscher sprechen daher heute von Autismus-Spektrum-Störungen, die sie auf eine andersartig verlaufene neurologische Entwicklung zurückführen. Was da bei Autisten allerdings genau untypisch verläuft in der Entwicklung von Gehirn und Nervensystem ist unklar.

Der britische Autor und Autist Daniel Tammet
Der britische Autor und Autist Daniel Tammet hält mit 22.514 Stellen den europäischen Rekord im auswendigen Aufsagen der Zahl Pinull AFP/Getty Images

Eine Extremvariante des männlichen Gehirns?

Aus Hirnscans etwa weiß man, dass Autisten weniger Aktivität in Hirnregionen zeigen, die für die Verarbeitung von Gefühlen und Sprache zuständig sind oder für die Erinnerung an Gesichter. Dafür gibt es eine stärkere Aktivität dort, wo Objekte verarbeitet und Details eines Systems erkannt werden.

Der britische Autismus-Forscher Simon Baron-Cohen vertritt daher die Ansicht, Autisten besäßen eine Extrem-Variante des männlichen Hirns. In einer Studie hatte er im Fruchtwasser von Schwangeren den Spiegel des sogenannten pränatalen Testosterons gemessen, das Einfluss auf die Hirnentwicklung hat. "Als wir nach der Geburt die Kinder untersuchten, fanden wir: Je höher das Niveau des pränatalen Testosterons war, desto mehr zeigten die Kinder später autistische Züge - und desto mehr Interesse für Systeme."

Ausschnitt aus dem Film "Rain Man"
In dem Film "Rain Man" spielt Dustin Hoffman den Autisten Raymondnull picture-alliance/United Archives

Gehirne von Autisten unterscheiden sich von typischen Gehirnen außerdem durch eine andere Verteilung der Andockstellen für die Botenstoffe Dopamin und Serotonin - die unter anderem bei der Steuerung von Angst und Motivation eine Rolle spielen. Studien der Universität Freiburg zeigen, dass die Kommunikation zwischen Neuronen in den Gehirnen von Autisten gestört ist und auch Gene und Genveränderungen sind im Zusammenhang mit Autismus entdeckt worden.

Die jedoch erklären häufig nur einige autistische Symptome, zum Beispiel eine gestörte Sprachfähigkeit. Sie tauchen nur bei wenigen untersuchten Personen auf oder finden sich ebenso bei gesunden Menschen oder bei Nichtautisten mit Intelligenzminderung, Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder Epilepsie.

Umweltfaktoren beeinflussen Autismus-Risiko

Wahrscheinlich sei es deshalb so, erläutert Sven Bölte, dass neben der Genetik auch noch andere Faktoren bei der Entstehung von Autismus eine Rolle spielen. "In einer dänischen Studie wurde der Zusammenhang von Autismus und viralen Infektionen in der Schwangerschaft untersucht. Dabei hat man festgestellt, dass das Autismus-Risiko des Kindes von einem auf zwei Prozent gestiegen ist, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine solche Infektion hatte."

Auch bestimmte Medikamente, die während der Schwangerschaft genommen werden, Komplikationen bei der Geburt und sogar Umweltgifte oder Luftverschmutzung sind mögliche Risikofaktoren für Autismus. Allerdings: "Diese Faktoren sind nicht für jeden gleichermaßen ein Risiko. Die Entstehung von Autismus kann individuell ein ziemlich komplexes Wechselspiel sein."

Autismus-Diagnose bleibt subjektiv

Was Autismus ist, entscheiden Psychiater und Neurologen daher noch immer in erster Linie aufgrund des beobachtbaren Verhaltens: Dieselben, immer wiederkehrenden Verhaltensweisen, Probleme in der sozialen Interaktion. Es bleibt eine subjektive Einschätzung. Mehr noch: Je komplexer das Bild, das Genetiker, Epidemiologen und Neurowissenschaftler von Autismus zeichnen, desto mehr verschwimmen die Kriterien dafür, was Autismus ist - und was nicht.

"Im Moment beobachten wir so ein 'Ausfransen'. Wir wissen nicht mehr: Wo ist das Ende des Spektrums?", kritisiert Inge Kamp-Becker, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg. "Viele Studien zeigen aber, dass Autismus eher eine Eigenschaft ist, dass es autistische Züge gibt, die man eben auch in der Normalbevölkerung findet und noch viel mehr zusammen mit anderen Störungsbildern. Aber was genau dann Autismus ist, das wird immer unklarer."

Symbolbild : Autismus
Autisten haben oft Probleme, in Kontakt mit anderen Menschen zu tretennull Fotolia/pholidito

Diagnostisch wird die Grenze zwischen gesund und krank meist dort gezogen, wo autistisches Verhalten dazu führt, dass jemand alltägliche Aufgaben nicht selbstständig erfüllen kann und wo Hilfebedarf besteht.

Die Grenze jedoch ist fließend. Und auch in der Autismus-Forschung, so Sven Bölte, bleibt die Frage - Krankheit oder Charakterzug - vorerst unentschieden: "Es spricht nichts dagegen, zu sagen, dass alle Menschen im Bereich ihrer sozialen Fertigkeiten variieren. Und wenn wir in einen Bereich von sehr gering ausgeprägtem Sozialverhalten kommen, befinden wir uns im Bereich des Autismus. Auf der anderen Seite wären dann die Leute, die sehr kommunikativ und sozial sind. Es ist nicht undenkbar, dass man da mal hinkommt."

Aber? "Viele Forscher - und auch ich - sind nicht sicher, ob es nicht doch diesen Shift gibt, ob sich die Entwicklung beim Autismus nicht doch qualitativ von anderen Störungen und von einer typischen neuronalen Entwicklung unterscheidet. Ich habe meine Meinung da auch 20 bis 30 Mal geändert, weil's einfach schwierig ist."

Impfung gegen Kokainsucht – funktioniert das?

Der Kokainkonsum ist auf einem Rekordhoch: Nach Berechnungen der Vereinten Nationen konsumierten im Jahr 2021 ungefähr 22 Millionen Menschen den Stoff, der aus Cocablättern des Cocastrauchs gewonnen wird. Das sind mehr Menschen als im US-Bundesstaat New York leben. In Europa ist Kokain die zweithäufigste illegale Droge nach Cannabis. Auch in Deutschland gibt es einen hohen Kokain-Konsum, wie Abwasseranalysen zeigen.

Die Droge macht stark abhängig und schädigt lebenswichtige Organe. Der Konsum bringt den Kreislauf an seine Grenzen - vergleichbar mit einem Marathon. Ein Entzug wiederum geht mit großer körperlicher und mentaler Belastung einher. In Brasilien entwickeln Forschende jetzt eine Impfung, die bei der Therapie unterstützen soll.

Wie wirkt Koks?

Die meisten Konsumenten ziehen Kokain oder Koks als Pulver durch die Nase. Alternativ wird es mit einer Pfeife als Crack geraucht. Die Substanz gelangt über das Blut ins Gehirn. Dort regt die Droge den Körper dazu an, verschiedene Botenstoffe auszuschütten - darunter Dopamin. Das alles beherrschende Gefühl: intensive Euphorie. 

Der Körper ist hyperaktiv und gereizt. Das Herz pumpt bereits auf voller Leistung, während sich die Arterien verengen. Der Blutdruck steigt ebenso wie die Körpertemperatur. Bedürfnisse wie Hunger und Durst werden unwichtig. Im schlimmsten Fall kann der Trip zu Krämpfen führen oder im Koma enden - bis hin zum Atem- und Herzstillstand. 

Der Rausch dauert zwischen fünf und dreißig Minuten. "Es fühlt sich an, als seien alle Ampeln auf Grün gestellt", beschreibt Hanspeter Eckert den Rausch. Er ist Therapeut bei einem Berliner Verein für Drogentherapie. 

Das Gehirn prägt sich ein: Das war intensiv und großartig, das will ich wieder erleben! Der Körper speichert den Konsum als "überlebenswichtig", so Eckert. Das Verlangen nach mehr Kokain dominiert die Gedanken. Die inneren Stimmen, die vor den Folgen warnen, werden leiser. Gesundheit, soziale Kontakte und Beruf werden vernachlässigt. Eine Sucht entwickelt sich.

Impfung gegen Kokainsucht als Lösung?

Die Anti-Kokain-Impfung kann bei der Behandlung der Sucht helfen. Nach der Impfung bilden sich Antikörper im Blut. Diese Antikörper binden gezielt an das Kokain. Der Stoff ist damit zu groß, um die Blut-Hirn-Schranke zu passieren. So kann das Gehirn nicht stimuliert werden. Der Rausch bleibt aus. 

Die Hirnreaktionen, die normalerweise das Verlangen nach der Droge auslösen, werden unterbunden. Dadurch nimmt der Patient die Droge anders wahr, sagt Frederico Garcia von der brasilianischen Universität UFMG, in einem Interview mit DW Brasil. Sein Forschungsteam hat Versuche mit dem Impfstoff an Ratten durchgeführt.

Garcia glaubt, dass die Ergebnisse aus den Tierversuchen auf den Menschen übertragbar sein könnten. Es wäre der erste Anti-Kokain-Impfstoff weltweit, der zur Therapie eingesetzt würde. Weitere Forschungsteams in den USA arbeiten ebenfalls an Impfstoffen. Derzeit stehen klinische Studien am Menschen noch aus, und es ist daher ungewiss, wann und ob es eine Impfung für Kokainsüchtige tatsächlich geben wird.

Kann die Impfung vor Sucht schützen? 

Therapeut Eckert begrüßt die Impfstoff-Forschung grundsätzlich: Bleibt der Rausch aus, darf der Kopf zur Ruhe kommen. Der Körper kann sich von der permanenten Reizung befreien. Der Mensch kann positive Erfahrungen machen und merkt: Das gute Gefühl liegt an mir selbst und nicht an der Droge.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Skeptisch ist Eckert dennoch, denn eine Therapie sei harte Arbeit. Er braucht für die Behandlung mindestens ein Jahr. Süchtige lernen, ihren Körper und ihre Psyche zu verstehen. Sie sprechen über ihre Gefühle und Probleme - und müssen schwierige Entscheidungen treffen. Von welchen Freunden sollte ich mich fernhalten? Wie ertrage ich die körperlichen Schmerzen? Durch diesen Prozess erarbeiten sie sich mehr Kontrolle über ihr Leben.

Zur Vorsorge oder für Gelegenheits-Konsumierende ist die Impfung nicht gedacht. Eckert warnt, dass bei Geimpften die Gefahr einer Überdosierung bestehe. Denn aufgrund der Impfung "kickt" der Rausch nicht. Die Person greift eventuell nach einer höheren Dosis, die den Kreislauf überlasten kann - Herz- und Atemstillstand können die Folge sein.

Marica Ferri von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) hat weitere Bedenken: "Die Substanz selbst ist kein isoliertes Problem." Nur weil nicht mehr gekokst werde, seien nicht automatisch alle Probleme gelöst. Körperliche Schäden müssten heilen, ebenso wie die mentale Gesundheit. In einer Therapie werde auch an der Psyche gearbeitet und am sozialen Umfeld. "Das braucht Zeit", sagt Ferri. 

Sie strebt nach umfassenderen Lösungen. Als Expertin für öffentliche Gesundheit kämpft sie für mehr Therapieplätze. Die Impfung sei für einen kleinen Teil der Menschen geeignet, die bereits in Therapie sind, so Ferri.

Quellen:

European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): "New psychoactive substances" in the European Drug Report 2023: https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023/new-psychoactive-substances_en

Safety and immunogenicity of the anti-cocaine vaccine UFMG-VAC-V4N2 in a non-human primate model. Published in the National Library of Medicine by Brian Sabato, Augusto PSA et al 2023: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36822966/ 

Global report on Cocaine 2023 – Local dynamics, global challenge: https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/cocaine/Global_cocaine_report_2023.pdf

Die Zahl neurologischer Erkrankungen ist in Afrika sehr hoch

Die Prävalenz neurologischer Erkrankungen ist in Afrika sehr hoch und hat verheerende Auswirkungen auf die örtlichen Gemeinschaften.

"Psychische Gesundheit und neurologische Erkrankungen werden in Kenia oft missverstanden", sagt Penny Wangari-Jones, Gründungsmitglied von Hidden Voices , einer in Kenia ansässigen Wohltätigkeitsorganisation für psychische Gesundheit. "Die Menschen werden oft in Kirchen gebracht, um dort für sie zu beten oder man sagt ihnen, sie seien besessen. Viele Patienten werden vernachlässigt, in Häuser eingesperrt oder in Anstalten zurückgelassen, um zu Sterben. Es ist erschütternd."

Neurologische Erkrankungen sind heute weltweit die häufigste Krankheitsursache - etwa 3,4 Milliarden Menschen leben mit neurologischen Problemen. Im Vergleich zu anderen Regionen sind neurologische Erkrankungen in Afrika südlich der Sahara unverhältnismäßig häufig.

50 Prozent der Menschen, die in Afrika eine Notaufnahme aufsuchen, haben irgendeine Art von neurologischer Beeinträchtigung. Die Zahl neurologischer Erkrankungen ist oft doppelt so hoch wie in Regionen mit höherem Einkommen. Die Prävalenz von Epilepsie zum Beispiel ist in Afrika südlich der Sahara zwei- bis dreimal so hoch wie in Europa.

"Da es oft keine Gesundheitsdienste oder Anlaufstellen für die Menschen gibt, haben die örtlichen Gemeinschaften keine Möglichkeit, sich um Menschen mit neurologischen oder psychischen Erkrankungen zu kümmern", so Wangari-Jones gegenüber DW.

Klinik in der Zentralafrikanischen Republik - Zimmer mit mehreren Betten
Die meisten Regionen in Afrika haben einen Mangel an medizinischem Personalnull BARBARA DEBOUT/AFP/Getty Images

Warum gibt es in Afrika so viele neurologische Erkrankungen?

Die wichtigsten Faktoren, die zu neurologischen Erkrankungen beitragen, sind Schlaganfall, neonatale Enzephalopathie (Hirnverletzungen), neuropathische Schmerzen oder Nervenschmerzen, Alzheimer und andere Formen von Demenz.

Ein Grund für die höhere Prävalenz in Afrika sind Infektionskrankheiten wie HIV, Meningitis und Malaria. Sie können neurologische Komplikationen wie Enzephalitis - eine Entzündung des Gehirns - verursachen.

Laut Jo Wilmshurst, Leiter der pädiatrischen Neurologie am Red Cross War Memorial Children's Hospital im südafrikanischen Kapstadt, sind die Probleme jedoch auch auf verschiedene sozioökonomische und gesundheitspolitische Faktoren zurückzuführen.

"Es kann sein, dass ein Kind [mit neurologischen Erkrankungen] eher in einem Umfeld geboren wird, das sozioökonomisch benachteiligt ist und die Mutter möglicherweise mit HIV infiziert ist. Sie könnten auch Tuberkulose haben. Und dann gibt es noch all die Probleme mit dem Zugang zu Therapien", so Wilmshurst.

Neurologische Probleme begännen oft schon vor der Geburt, fügt sie hinzu. Komplikationen oder Infektionen während der Geburt können zu bleibenden neurologischen Schäden führen. Der Mangel an Neonatologen, die sich um Neugeborene kümmern, bedeutet, dass die Schäden oft nicht rechtzeitig diagnostiziert oder behandelt werden, um dauerhafte neurologische Schäden zu verhindern.

"Dann ist da noch die Gesundheit von Müttern. In Westkap haben wir pandemische Ausmaße von Toxinbelastung durch das fetale Alkoholsyndrom [FASD]. Dieses verursacht bei Kindern neurologische Störungen", erklärt Wilmshurst.

Abwanderung medizinischer Fachkräfte stoppen

Derzeit gibt es in Afrika nicht genügend Fachärzte und anderes medizinisches Personal, um das Ausmaß an neurologischen Erkrankungen zu bewältigen. Das gilt auch für die Belastung, die dadurch entsteht.

"Das Hauptproblem ist, dass die Ausbildung von Fachärzten in Afrika nicht richtig Fuß gefasst hat. Man kann die höchste Prävalenz neurologischer Erkrankungen in Regionen feststellen, in denen es keine Neurologen gibt", so Wilmshurst.

Die Zahl der Neurologen in den afrikanischen Ländern unterscheidet sich auffallend von der in Europa: In Afrika kommen auf 100.000 Einwohner 0,03 Neurologen, in Europa sind es 8,45 Neurologen pro 100.000.

Wilmshurst konstatiert, dass sich die Dinge verbessern. Der Ausbau neurologischer Dienst habe auch in Afrika begonnen. Dazu gehört auch die Ausbildung von Fachärzten.

"Wir nehmen für die Dauer von zwei Jahren einen Kliniker [aus Afrika] auf und machen mit ihm [in Südafrika] eine intensive Ausbildung. Der erste von ihnen, der nach Tansania zurückgekehrt ist, war der erste Kinderneurologe im ganzen Land", erzählt Wilmshurst.

Obwohl das Programm in den letzten 16 Jahren nur etwa 200 Fachärzte ausgebildet hat, ist die Wirkung enorm.

"Einer unserer Auszubildenden ist zurück nach Kenia gegangen, wo er sich für die Einführung der Rotavirus-Impfung eingesetzt hat. Wir wissen, dass die Sterblichkeitsrate auf Grund von Komplikationen mit dem Rotavirus dann drastisch gesunken ist. Er hat dort ein paar Millionen Leben gerettet", sagt Wilmshurst.

Zusammenarbeit im Kampf gegen neurologische Erkrankungen

Wangari-Jones ist der Auffassung, dass es bei der Bekämpfung belastender neurologischer Erkrankungen wichtig ist, die verschiedenen Hilfsprogramme in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren.

"Es gibt viele Ängste und Befürchtungen bezüglich der Medikamente oder der modernen Medizin. Sie sind oft auf ein Trauma aus der Kolonialzeit zurückzuführen. Eine der Herausforderungen besteht darin, bei neurologischen Erkrankungen nicht zu sehr auf Medikamente zu setzen. Die Menschen könnten sich sonst von der ursprünglichen Art entfernen, wie in den Kommunen Menschen gepflegt werden."

Wangari-Jones arbeitet mit Hidden Voices daran, Stigmatisierung und Ängste im Zusammenhang mit neurologischen und psychischen Erkrankungen abzubauen. Deshalb spricht sie oft vor Kirchengruppen in Kenia und in Schulen.

"In diesen Gesprächen erzählen die Menschen oft von ihren Problemen und von Vorfällen, die Familienmitglieder betreffen. Auf diese Weise erreichen wir die Menschen in der Gemeinde und helfen ihnen, Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten zu erhalten", sagt sie.

Das Gesundheitswesen ist für Wilmshurst ebenfalls ein wichtiges Thema, zu dem sie spezielle Trainingsprogramme organisiert. Die Gesundheit der Bevölkerung ist dabei ein wichtiges Ziel. Gesundheits- und Pflegepersonal der Gemeinden werden darin geschult, neurologische Krankheiten zu erkennen und zu behandeln. Das geschieht oft im Rahmen bestehender Programme für HIV- oder Tuberkulosebehandlung.

"Die Menschen in Afrika sind vielbeschäftigt", sagt Wilmshurst. "Die Arbeitsbelastung ist enorm und es gibt viele Verpflichtungen. Der einzige Weg, die Situation zu ändern, besteht darin, Lösungen zu finden, die in der betreffenden Arbeitsumgebung machbar und anpassungsfähig sind."

 

Quellen:

Nervous System Disorders Collaborators (2024). Global, regional, and national burden of disorders affecting the nervous system, 1990-2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet Neurology. DOI: 10.1016/S1474-4422(24)00038-3