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Ab in die Berge!

Das Wandern gehört zu den liebsten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen. Als gutes Ganzkörpertraining gilt das Bergwandern – dabei sollten allerdings bestimmte Regeln beachtet werden.

Gerade während der Corona-Pandemie zog es die Menschen in Deutschland verstärkt in die Natur. Kontaktbeschränkungen, geschlossene Geschäfte und eingeschränkte Reisemöglichkeiten sorgten dafür, dass viele Menschen die Lust am Wandern für sich entdeckten oder wiederentdeckten. Dabei sank laut dem Deutschen Wanderverband der Altersdurchschnitt inzwischen auf 47 Jahre, während es früher vor allem Seniorinnen und Senioren waren, die sich die Wanderschuhe anzogen. Manche Wanderer zieht es in den nahegelegenen Wald, andere möchten dagegen lieber hoch hinaus in die Berge. Deutschlands Süden mit der Alpenregion bietet gerade für sie die passenden Voraussetzungen. Doch wer sich fürs Bergwandern entscheidet, merkt schnell: Es kann ganz schön anstrengend sein. Es geht steil bergauf, man gerät schnell außer Atem und so richtig ins Schwitzen. Doch richtige Bergwanderer stört das nicht. Ganz im Gegenteil:

„Das Bergwandern ist einfach schön, weil es den Kopf frei macht. Und ich glaub, den Kopf frei machen ist das Beste, was man für die Gesundheit tun kann. / Man will ja nicht immer ins Fitnessstudio rennen. Soll man doch lieber die Berge hochrennen, ’n bisschen frische Luft genießen. / Eben durch die langsame Belastung ist es extrem gut für die Ausdauer. / Einfach in der Natur zu sein, entspannt einen, man ist glücklich. Perfekt!“

Wer in den Bergen wandert, tut etwas für seine seelische Gesundheit. Das bestätigt auch der Allgemeinmediziner Robin Bulgrin, der in dem bayerischen Städtchen Garmisch-Partenkirchen lebt und dort zahlreiche Berge direkt vor seiner Haustür hat:

„Man kann es medizinisch kompliziert ausdrücken oder man schaut sich einfach um. Es sind Faktoren wie das Sonnenlicht, der blaue Himmel, die frische Luft, die man aufnimmt, die Gerüche der frischen Natur. Im Gegensatz zum sterilen Fitnessstudio nimmt man mit allen Sinnen quasi die Momente beim Bergwandern auf. Das setzt Endorphine frei und macht einfach glücklich.“

Der menschliche Körper setzt bei positiven Erlebnissen sogenannte Glückshormone frei. Zu diesen zählen Endorphine. Wer die Bergwelt um sich betrachtet, erfährt das eher als jemand, der in einem sterilen, zweckbetonten, kahlen Fitnessstudio trainiert. Bergwandern macht den Kopf frei. Man erholt sich geistig, denkt nicht mehr über alltägliche Dinge und Probleme nach. Und auch für den Körper ist das Bergwandern ein Gewinn, sagt Robin Bulgrin:

„Also der Hauptnutzen und Vorteil von Bergwandern ist die Trainierung [das Trainieren] der Herz-Kreislauf-Funktionen in optimaler Weise. Ähnlich vielleicht auch wie im Fitnessstudio verbessern wir die Herz-Kreislauf-Funktion. Der Herzmuskel wird gekräftigt, das Herzminutenvolumen steigt. Die Folge ist, dass wir den Trainingseffekt wunderbar mit in den Alltag integrieren können und einfach leistungsfähiger werden.“

Durch die Anstrengung – vor allem wenn es bergauf geht– wird das Herz ordentlich gefordert. Es pumpt mehr Blut in den Kreislauf als bei einer normalen körperlichen Anstrengung. Das Herzminuten- beziehungsweise Herzzeitvolumen steigt. Normal liegt ein Wert im Ruhezustand von 4,5 bis 5 Litern Pumpleistung pro Minute. Bei einer Belastung kann der Wert um bis auf das Vierfache gesteigert werden. Ein weiterer Vorteil des Bergwanderns ist, dass man durch das Gehen über Unebenheiten wie Wurzeln, Steine und Stufen gleich eine Vielzahl unterschiedlicher Muskelgruppen trainiert, die für den gesamten Stützapparat wichtig sind. Und das kann nicht nur für sportliche und gesunde Wanderer ein Vorteil sein, sagt Robin Bulgrin:

„Neben der allgemeinen Muskulatur trainieren wir auch Bänder und Sehnen, was zur Gelenkstabilisierung zusätzlich beiträgt – gerade auch bei Personen, vielleicht mit Vorschäden im Gelenkbereich. Des Weiteren treten durch die Trainierung [das Trainieren] der Strukturen Zug- und Druckkräfte auf, was auch gerade zur Festigung des Knochens bei Osteoporose sehr gut beitragen [kann].“

Bänder und Sehnen werden gefestigt, ebenso wie die Knochen selbst. Bänder sind schnurähnliche Fasern, die Knochen miteinander verbinden, Sehnen verbinden die Muskeln mit den Knochen. Besonders für Menschen, die unter Osteoporose, Knochenschwund, leiden, ist das von Vorteil. Doch beim Bergwandern geht es nicht nur um seelische Gesundheit und reine Trainingseffekte. Es fordert auch etwas von unserem Körper. Je höher wir steigen, desto geringer wird der Luftdruck. Schon ab etwa 1800 Metern Höhe kann sich die dünner werdende Luft bemerkbar machen, denn der Körper bekommt weniger Sauerstoff. Die Folge: Man  ist schnell aus der Puste, kurzatmig, nicht mehr so leistungsfähig.

Dass einige Bergwanderer den körperlichen Anforderungen nicht gewachsen sind, erleben Retter der Bergwacht wie Toni Gehringer immer wieder:

„Bergwanderungen bei uns über 1000 Höhenmetern über mehrere Stunden sind normal. Das heißt, ich brauch vernünftige Kondition und auch Trittsicherheit, Schwindelfreiheit. Viele Leute unterschätzen diese Anforderungen, überschätzen auch ihre eigene Leistungsfähigkeit.“

Für den Einsatzleiter bei der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen sind drei Voraussetzungen wesentlich, wenn man in die Berge will: eine gute körperliche Leistungsfähigkeit, eine vernünftige Kondition; Trittsicherheit, also die Fähigkeit, sich in unwegsamem Gelände sicher zu bewegen, sowie Schwindelfreiheit, keine Höhenangst zu haben. Viele überschätzen gerade bei mehrstündigen Wanderungen ihre Fähigkeiten, die Kräfte lassen nach. Meist kommt es dann, so Toni Gehringer, zu Unfällen. Tatsächlich passieren die meisten Unfälle eher bei einfachen Bergwanderungen und nicht bei Klettertouren. Bei einem Drittel der Einsätze der Garmisch Partenkirchner Bergretter ist Überforderung der Grund für den Hilferuf. Toni Gehringer erinnert sich an einen besonderen Fall im Jahr 2018:

„Wir hatten den amerikanischen Student[en], der eben für die Tour viel zu lange gebraucht hat, hat sie unterschätzt oder sich überschätzt. Man hat versucht, ihn in der Nacht zu bergen, hat aber abgebrochen, weil es wirklich zu gefährlich war. Es war Schnee, Regen. Der Einsatz ist deswegen ein bissel im Gedächtnis haften geblieben, weil, a) wir hatten Sorge, dass er die Nacht nicht überlebt; er war sehr stark unterkühlt, und b) hatten wir auch abgebrochen, weil das Risiko für unsere Retter zu groß war.“

Der Mann wurde erst am nächsten Tag geborgen. Er hatte Glück, denn über Nacht in den Bergen zu bleiben, kann lebensgefährlich sein. Wer nicht entsprechend ausgestattet ist, läuft Gefahr zu erfrieren, an Unterkühlung zu sterben. Man sollte seine Kräfte also immer gut einteilen. Gerade der Abstieg verlangt dem Körper noch einmal einiges ab, sagt Mediziner Robin Bulgrin:

„Der steile Abstieg im Gelände stellt die Gelenke vor besondere Herausforderungen. Insbesondere kann man sich merken: Je steiler das Gelände, desto stärker werden die Gelenke hier auch beansprucht. Bei einem gesunden Gelenk dürfte das keine Probleme darstellen. Bei einem arthrotischen Gelenk oder Gelenk mit Vorschäden sollte man hier allerdings ein bisschen Vorsicht walten lassen.“

Wer Probleme mit seinen Gelenken hat, beispielsweise weil sich Gelenkknorpel im Knie abbauen, die natürliche Pufferfunktion zum Knochen verlorengeht, jemand Arthrose hat, sollte vorsichtig sein. Bei Vorschäden des Knies oder der Hüfte können allerdings Wanderstöcke für eine Entlastung beim Abstieg sorgen. Wenn man also seine Fähigkeiten richtig einschätzt, eine entsprechende Tour wählt und regelmäßig unterwegs ist, kann man damit eine Menge für seine Gesundheit tun. Und Touren gibt es für alle Ansprüche.

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