Manuskript

Ab zum TÜV

Jedes Auto in Deutschland muss zum TÜV. Dem Auge des Prüfers entgeht nichts. Bremsen und Stoßdämpfer müssen in Ordnung sein, der Abgasausstoß darf bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten. Am Ende lockt die Plakette.

Generationen von Autofahrern sind mit ihrem Wagen schon bei ihm vorgefahren und haben gehofft, dass ihr Auto unbehelligt durch die Prüfung kommt: beim Technischen Überwachungsverein, kurz TÜV genannt. Er entstand im Jahr 1866 und prüfte damals im Auftrag der Industrie zunächst nur Dampfkessel auf ihre Sicherheit. Im Laufe der Zeit hat sich das Aufgabengebiet des TÜVs stark erweitert. Ein wesentlicher Bestandteil ist aber geblieben: motorbetriebene Fahrzeuge auf ihre Verkehrssicherheit zu überprüfen. Nur der TÜV oder andere zugelassene Prüfstellen dürfen eine Betriebserlaubnis erteilen. Ansonsten darf ein Fahrzeug nicht auf die Straße. Die Prüfkriterien stehen in der Straßenverkehrszulassungsverordnung, kurz StVZO. Dort steht unter anderem, was ein Fahrzeug zu einem Fahrzeug macht, das auch in Deutschland fahren darf. Vom Gewicht bis zur Beschreibung der notwendigen Bremsanlagen ist alles genau vorgeschrieben. Der TÜV betreibt in ganz Deutschland mehrere Prüfstellen. Eine davon ist in Bergisch Gladbach in der Nähe von Köln. Dort ist schon früh morgens Betrieb. Ab sieben Uhr warten hier Sachverständige und Prüfer auf Kundschaft. Einer von ihnen ist ein Mercedesfahrer, der unter dem bewundernden Blick der Prüfer seinen Mercedes, Baujahr 1969, zur sogenannten Hauptuntersuchung vorstellt. Mit seinen 47.000 Kilometern sieht der Wagen noch ziemlich neu aus. Das hat seinen Grund:

„Ich fahr den im Jahr ‘ne Woche vielleicht oder 14 Tage, mehr nicht. Dann kommt er wieder weg. Habe jetzt ‘ne Garage für gebaut, für den Wagen.“

Weil er seinen Oldtimer selten fährt und ihn pflegt, ist der Wagen des Mercedesfahrers in einem guten Zustand. Als Oldtimer werden in Deutschland Autos bezeichnet, die mindestens 30 Jahre und älter sind, seit sie zum ersten Mal zugelassen wurden. Man erkennt sie an speziellen Kennzeichen, etwa einem „H“ für „historisch“. Ganz begeistert erzählt der Oldtimerfahrer, was er an seinem Mercedes liebt:

„Die Eleganz und vor allen Dingen die Verarbeitung. Einfach die gediegene Eleganz von ‘nem Mercedes. Is’ kein Schnickschnack dran, nichts. Und vor allen Dingen gucken Sie mal die Sitze hier. Können Sie sich mal reinsetzen, da meinen Sie, Sie sitzen zuhause im Sofa.“

Der Oldtimerfahrer liebt nicht nur die gediegene, die schöne und solide, Eleganz seines Mercedes. Es gibt keinen Schnickschnack, nichts Überflüssiges. Der Wagen ist zudem solide gefertigt, verarbeitet. Und weil der Wagen so bequem ist, fühlt sich der Fahrer so, als ob er daheim auf seinem Sofa sitzt. Kundendienst wird beim TÜV großgeschrieben, er ist sehr wichtig.

„Wir wollen verkaufen. Wir haben Konkurrenz, also muss sich jeder Mitarbeiter bemühen, den Kunden entsprechend vernünftig gegenüber aufzutreten.“

Man sieht sich als ein Dienstleistungsunternehmen, das Sicherheit prüft und verkauft. Denn diese Dienstleistung wird nicht nur vom TÜV, sondern auch von Konkurrenzunternehmen wie DEKRA oder freien Prüfern angeboten, die zum Beispiel zu Autowerkstätten kommen. Viele denken immer noch, der TÜV sei eine staatliche Institution. Das ist er aber nicht. Der TÜV ist ein privater Verein wie ein Kegelclub auch. Seine Mitglieder bestehen aus Tausenden von Industrieunternehmen und -verbänden. Dem TÜV wurde vom Staat als staatsentlastende Aufgabe die Überprüfung von Fahrzeugen übertragen und die Bürger müssen den TÜV dafür bezahlen. Die Abstände, die Intervalle, in denen Fahrzeuge in Deutschland zum TÜV müssen, variieren zwischen 36 und zwölf Monaten. Wer einen Prüfungstermin um mehr als zwei Monate überschreitet, muss ein Bußgeld bezahlen. Festgestellt werden kann das anhand der TÜV-Plakette, die auf den Kennzeichenschildern angebracht ist. Wenn Mängel beim Auto festgestellt werden, bekommt das Auto keine Prüfplakette. Der Besitzer hat dann die Möglichkeit, sein Auto innerhalb eines angemessenen Zeitraumes reparieren zu lassen und dem TÜV erneut vorzuführen. Nicht jeder versteht das, sieht es ein, sagt einer der Prüfer aus Bergisch Gladbach:

„Da war also ‘n älteres Fahrzeug, wo erhebliche Korrosion war, und der Kunde es also nicht eingesehen hat, wieso er diese Dinge reparieren muss. Und dann haben wir versucht, ihm das zu erklären, war also trotzdem nicht zu überzeugen. Dann ist er dann zur Werkstatt gefahren, hat es leider nicht in der Fachwerkstatt machen lassen, sondern irgendwo. Und dann kam er wieder und die Sache war so unsachgemäß repariert, man hat ihn da also richtig über ‘n Leisten gezogen, kann man sagen.“

Obwohl die Prüfer festgestellten, dass an dem Fahrzeug Rost war, zeigte der Autofahrer kein Verständnis, sah es nicht ein. Rost am Wagen, im Fachjargon Korrosion genannt, kann nämlich teuer werden. Statt in eine Fachwerkstatt zu fahren, also eine Werkstatt, die ausgebildetes, kundiges Personal hat, hat der Autofahrer den Wagen irgendwo reparieren lassen. Nur wurde das unsachgemäß gemacht, nicht fachmännisch. Aber dennoch hat der Autofahrer für diese Leistung gezahlt. Er wurde redensartlich über den Leisten beziehungsweise über den Tisch gezogen, jemand hat sich auf seine Kosten einen finanziellen Vorteil verschafft, ihn betrogen. Die Prüfer wissen aber auch, wann es sich nicht mehr lohnt, nachbessern zu lassen, sagt Karl:

„Vor allen Dingen, wenn die Bremsen nicht in Ordnung sind oder das Fahrwerk so verrostet ist, dass es überhaupt nicht mehr tragbar ist, das Auto fahren zu lassen. Das wären die erheblichen Krankheiten – und dann werden sie auch aus dem Verkehr gezogen.“

Der Prüfer vergleicht die schweren Mängel an einem Fahrzeug mit einer Krankheit. Dazu gehören Rost am Fahrwerk, also an allen beweglichen Teilen eines Fahrzeugs, die die Verbindung zum Boden schaffen, und nicht funktionsfähige Bremsen. Werden diese „Krankheiten“ nicht „geheilt“, die Mängel also beseitigt, darf ein Fahrzeug nicht mehr auf die Straße. Es wird aus dem Verkehr gezogen, stillgelegt. Denn es ist nicht zu verantworten, nicht tragbar, es weiter fahren zu lassen. Die TÜV-Plaketten werden entfernt und das Straßenverkehrsamt benachrichtigt. Allerdings wird nicht nur die Verkehrssicherheit eines Fahrzeugs überprüft, sondern auch dessen Schadstoffausstoß. Seit 2010 ist die Abgasuntersuchung, kurz AU, fester Bestandteil der Hauptuntersuchung. Bei der AU wird überprüft, ob der Ausstoß des schädlichen Kohlenmonoxids die von der Europäischen Union festgelegten Grenzwerte überschreitet oder nicht. Die Prüfer in Bergisch Gladbach haben im Laufe ihrer jahrelangen Tätigkeit schon Einiges erlebt, wie sich einer von ihnen erinnert:

„Es kam mal einer zu uns, der hatte sich so ‘n wunderschönen Gelenkomnibus zum Wohnmobil umgebaut. Dummerweise darf aber ein Wohnmobil maximal zwölf Meter lang sein und so ‘n Gelenkbus darf 15 Meter lang sein. Ja, war nicht zulassungsfähig. Zwölf Meter, Ende. Ja, ich weiß nicht, ob der das Ding verschrottet hat oder ob er jetzt versucht hat, ‘ne Ausnahmegenehmigung von der Straßenverkehrszulassungsordnung zu bekommen. Das wäre möglich.“

Selbst wenn ein Fahrzeug, das im öffentlichen Straßenverkehr betrieben wird, nicht der Straßenverkehrszulassungsordnung entspricht, kann bei einer übergeordneten Behörde eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden. Es wird angefragt, ob eine Ausnahme von der Regel gemacht werden kann, die dann nur für dieses einzelne Fahrzeug gültig ist. Dies hätte möglicherweise auch für den ehemaligen Bus gegolten, der in der Mitte ein bewegliches Stück, ein Gelenk, hatte. Denn um aus ihm ein Wohnmobil zu machen, ihn umzubauen, war er zu lang. Unklar blieb, ob das Fahrzeug dann verschrottet wurde, also auf einem Schrottplatz von einer Presse zerstört wurde, oder doch für den Verkehr zugelassen wurde. Eines aber gilt für alle Besitzer nicht verkehrstauglicher, schrottreifer Fahrzeuge: Irgendwann scheidet der TÜV Besitzer und Fahrzeug. Ein neues Fahrzeug muss her.

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