Manuskript

Altersarmut in einem reichen Land

Sie müssen beim Einkaufen sparen und Lebensmittel von sozialen Organisationen wie der Tafel holen: Über drei Millionen Rentnerinnen und Rentner gibt es in Deutschland, die in Armut leben. Doch warum ist das so in einem der reichsten Länder der Welt?

UWE SAUER (Rentner):
Mein Name ist Uwe Sauer, bin 66 Jahre alt, habe den Beruf eines Ofensetzers erlernt, war 20 Jahre im Beruf. Und heute bin ich altersarmer Rentner mit 66 Jahren und kriege nur 321 Euro. Wir mussten schwer arbeiten, vom dritten, vierten Hinterhof, fünf Treppen in Kreuzberg, Öfen abreißen, Kacheln neu rauftragen, Lehm einrühren, da musste ich die Öfen neu setzen, das war eine Knochenarbeit. Mein Kreuz ist auch kaputt, meine Knie auch, das berechnet heut keiner. Ich habe 2013 einen schweren Autounfall gehabt, habe hier neun Schrauben im rechten Bein und zwei Platten, und danach war ich dann erwerbsunfähig. Und … was soll ich sagen? Und nachher wurde das Bein immer schlimmer und dann wurde ich dann nicht mehr vermittelt.

MICHAEL REICHELT (Küchenchef Rathenower Küche):
Wir kochen hier für 120 Essen im Schnitt täglich, und in der Woche gehen noch an die 500 Liter Eintöpfe an verschiedene soziale Außenstellen. Hier kommen hauptsächlich Menschen aus sozial benachteiligten Schichten, Leute, die wenig Geld zur Verfügung haben im Monat, um ihre … ja, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

SPRECHERIN:
2019 waren in Deutschland 3,2 Millionen Senioren ab 66 Jahren von Altersarmut betroffen. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens hat, das sind monatlich 781 Euro. Warum?

MARION WISOTZKI (Standortleiterin Rathenower Küche):
Zu geringe Löhne früher, zu lange … zu große Zeiten der Arbeitslosigkeit, insbesondere nach dem Umbruch in den 90er-Jahren, gebrochene Erwerbsbiografien, und das führt letztendlich auch zur Altersarmut. Es ist das absolute Armutszeugnis, dass in einem Land wie Deutschland überhaupt diese fast schon industrialisierte Tafel existiert und dass man den armen Menschen über solche Institutionen praktisch den Lebensunterhalt gewährt mit.

SPRECHERIN:
Einmal wöchentlich gehen Uwe Sauer und seine Frau Elaine einkaufen.

UWE SAUER:
Nee, die können wir uns nicht leisten. Oder doch – 99 Cent. Na, dann nehmen wir so eine, 99 Cent. Das ist eine Paprikawurst, Paprikasalami, die kostet 99 Cent, sind 400 g, und schmeckt sehr, sehr lecker. Und von dem Geldbeutel, weil wir wenig haben, können wir uns die leisten, und es ist mehr drin als in anderen Filialen. Dann nimmst du das – Kekse, guck mal, dann hast du was Schönes. Man hat sich dran gewöhnt, mit wenig auszukommen, ich bin ja nun Rentner, wie gesagt.

ELAINE (Ehefrau von Uwe Sauer):
Man braucht nicht so viel, um glücklich zu sein.

UWE SAUER:
Gesundheit ist das Wichtigste auf Erden.

SPRECHERIN:
150 Menschen kommen jeden Donnerstag zu dieser Ausgabe der Berliner Tafel.

EDDA STRAAKHOLDER (Ehrenamtliche Berliner Tafel):
Wir haben hier seit über 15 Jahren eine Lebensmittelausgabe für Leute, die zusätzlich Lebensmittel brauchen, weil sie staatliche Leistungen kriegen, die eben auch nicht so richtig reichen. Ich finde es ganz gut, dass es das gibt, weil es natürlich, ich denke, in jeder Gesellschaft auch Leute gibt, die irgendwo durchs Raster fallen. Also, ich denke, hungern muss man nicht, wenn man sich nicht schämt eben, so ein Angebot anzunehmen, aber Altersarmut gibt es schon, weil manche Leute eben doch sehr, sehr geringe Renten haben, wo man eben auch nicht wirklich gut von leben kann.

UWE SAUER:
Ich bin ein bisschen bedürftig, aber ansonsten schäme ich mich nicht dafür. Armut schändet nicht. Nein, ich schäme mich nicht mehr, ich habe mich dran gewöhnt. Die Liebe ist größer als die Armut.

Manuskript