Manuskript

Auf dem Bock

Sie sind die Kapitäne der Landstraße in einer Welt voller Freiheit und Abenteuer – soweit das Klischee. Doch das wahre Leben von Lkw-Fahrern ist meist geprägt von Termindruck, unregelmäßigen Arbeitszeiten und Einsamkeit.

„Sechs Tage jede Woche auf der Autobahn nach irgendwo / Wenig Schlaf und keine Frauen, sehr viel Kaffee, keinen Alkohol […] // […] Wir sind die Fahrer, Söhne der Freiheit, wir halten zusammen mit Herz und Verstand. Wo Räder rollen, da ist unsre Heimat, wir legen das Lenkrad niemals aus der Hand […].“

Mancher hat schon als kleiner Junge davon geträumt, einmal „Brummifahrer“ zu werden und mit einem tonnenschweren Lastwagen durch die Welt zu fahren. Begriffe wie „Kapitän der Landstraße“ oder „Cowboy der Straße“ stehen für das Klischee, in einer Welt von Freiheit und Abenteuer zu leben, sein eigener Herr zu sein und in der Welt viel herumzukommen. Karl-Heinz und Manfred entschieden sich aus unterschiedlichen Gründen für den Job als Berufskraftfahrer, wie die offizielle Bezeichnung lautet:

„Ich hab’ mich versucht als Autoschlosser. Dann war es eigentlich vorprogrammiert. Irgendwann bekommt man als junger Mann mal den Hals voll mit den dreckigen Händen, und dann sagt man sich ganz einfach: ‚Halt, stopp!‘ / Ja, also, von der Pike auf lernen muss man das nicht, man macht halt seinen Führerschein – womöglich bei der Bundeswehr –, und wenn man dann noch ’nen ordentlichen Orientierungssinn hat, dann hat man den Job einfach so im Blut, und das geht.“

Karl-Heinz, inzwischen schon ein „alter Hase“, hatte in seinen jungen Jahren bereits eine Vorliebe für Autos, hatte sie redensartlich im Blut: Er arbeitete als Autoschlosser, als Mechaniker in einer Kfz-Werkstatt. So gesehen war ein Job als Lkw-Fahrer fast vorprogrammiert, vorherbestimmt, als er eine neue Arbeit suchte. Karl-Heinz hatte nämlich den Hals voll, hatte keine Lust mehr, mit ölverschmierten Händen herumzulaufen. Auch Manfred, ehemals Bauarbeiter, wollte gern als Lkw-Fahrer arbeiten. Ein Grund war, dass er keine lange Ausbildung machen, den Beruf von der Pike auf lernen musste. Notwendig sind dennoch eine spezielle Fahrerlaubnis, ein Lkw-Führerschein, und gegebenenfalls auch eine Berufsfahrer-Qualifikation für diejenigen, die gewerblich Güter transportieren. Einer der größten Ausbilder für die Kraftfahrtbranche ist die Bundeswehr. Doch seit Ende der Wehrpflicht 2011 absolvieren immer weniger junge Männer ihren Lkw-Führerschein. Karl-Heinz merkt nach mehr als 40 Jahren schon seine Berufserfahrung:

„Ich merk’ das auch immer auf der Piste. Wenn die jungen ‚Flieger‘ da an mir vorbeigehen und ich dann immer noch meinen ruhigen Trott vor mich hinfahre, halt weil ich das nicht so sehe, dass ich mich unter Druck selbst setze, weil ich halt die Erfahrung eben mitbringe. Dann hab’ ich die Ruhe weg.“

Karl-Heinz ist völlig entspannt, er hat die Ruhe weg. Anders als seine jungen Kollegen, die auf der Autobahn, der Piste, schnell vorbeifahren, vorbeifliegen, fährt er eher ruhig und gemächlich, fährt seinen Trott. Manchmal allerdings werden Lkw-Fahrer auch „ausgebremst“, denn der  zunehmende Auto- und Gütertransportverkehr verstopft die Straßen, dazu kommen zahlreiche Baustellen. Das zerrt an den Nerven, sagt Manfred:

„Es ist manchmal schon ’ne ganz schöne Schinderei. Wenn man so im Stau steht, und da hat man wieder seine 16, 18 Kilometer, und man weiß schon, das klappt heut’ nicht mehr mit der Fuhre, dann kriegt man schon so seine Probleme. Man kennt natürlich die Pappenheimer-Staus da auf den typischen Strecken so A1 und A2. Dann fährt man schon mal den einen oder anderen Kilometer und das eine oder andere Stündchen mehr, und das kriegt man nachher nicht bezahlt.“

Das wirkliche Leben eines Lkw-Fahrers und mancher Lkw-Fahrerin – obwohl Frauen prozentual gesehen eine ganz kleine Minderheit sind – hat mit dem Klischee von Freiheit und Abenteuer so gar nichts zu tun. Es ist eher sehr strapaziös, ist eine Schinderei, eine Qual. Besonders nervenaufreibend sind die Staus auf den Nord-Süd-Verbindungen, den Autobahnen A1 und A7 sowie der A2 Richtung Osten. Obwohl jemand wie Manfred seine Pappenheimer kennt, weiß, welche Autobahnen stauanfällig sind, kann er Staus schlecht umgehen.

Ein Grund ist, dass in Deutschland seit 2005 auf allen Autobahnen und Bundesstraßen eine Lkw-Maut, eine streckenbezogene Straßenbenutzungsgebühr für Lkw ab 7,5 Tonnen, zu bezahlen ist. Nur ganz wenige Strecken sind von der Maut ausgenommen. Auch in einigen europäischen Ländern existiert eine solche Maut. Wer Waren, eine Fuhre, von einem Ort zum nächsten transportiert, muss bei Abfahrt die entsprechende Strecke ins System des Mautbetreibers einbuchen, entweder elektronisch, manuell oder übers Internet. Abgerechnet werden dann die gefahrenen Kilometer. Staus tragen mit dazu bei, dass Lkw- und Fernfahrer unter permanentem Stress stehen, weil ihnen ihre Spediteure ein enges Zeitkorsett zur Lieferung vorgeben. Das führt zu unregelmäßigen und teilweise langen Arbeitszeiten.

Hinzu kommt noch etwas anderes: die Einsamkeit hinterm Lenkrad. Betroffen davon sind vor allem Fernfahrer, die mit kurzen Unterbrechungen schon mal acht Monate im Jahr von daheim weg sein können. Ihr Lkw und das enge Fahrerhaus, der Bock, ist dann ihr Zuhause. Eine dauerhafte Beziehung oder ein geregeltes Familienleben zu führen, sind so gut wie unmöglich. Das empfindet auch Manfred so:

„Man fährt halt die ganze Zeit durch die Gegend. Ist halt so, dass man da oder hier die eine oder andere Freundin so kennenlernt. Und da ich meine Freundin halt nicht so oft sehen kann – man fährt halt die ganze Zeit auf ’m Bock rum –, da muss man schon das eine oder andere Opfer bringen.“

Sitzt man – wie früher ein Kutscher – auf seinem erhöhten Sitz, dem Kutschbock oder Bock, und ist lange unterwegs, kann man am gesellschaftlichen und familiären Leben nicht teilhaben. Auch Aufbau und Pflege einer Partnerschaft sind nicht leicht. Für den Job muss man, wie es Manfred ausdrückt, das eine oder andere Opfer bringen, auf wichtige Dinge verzichten. Bei Karl-Heinz sieht das anders aus. Schon als junger Mann entschied er sich für eine Familie, sieht sie fast jedes Wochenende. Allerdings gesteht er, dass er von der Geburt seines dritten Kindes eher beiläufig, nebenbei, erfuhr, weil er nicht da war:

„Ich stand in Paris, und dann hatte ich mir eigentlich immer so angewöhnt, täglich muss ich ja wohl mal meine Frau anrufen, und das hab’ ich auch immer gemacht. Nur halt an dem einen Tag ging sie nicht ans Telefon. Dann kam dann der Opa an das Telefon, und dann wurde mir dann alles erzählt, was so in der Nachbarschaft los war. Und dann beiläufig, so nach 10 Minuten Gespräch: ‚Ach so, was ich noch sagen wollte … Du bist auch Papa geworden‘.“

Geringer Lohn, lange Tage und schlechte Arbeitsbedingungen: Der Job als Lkw-Fahrer ist alles andere als attraktiv. Nicht umsonst sucht die Transportbranche händeringend nach neuen Leuten. Es glaubt eben niemand mehr an das Klischee von Freiheit und Abenteuer auf der Straße. Und so wird es zunehmend einsam auf dem Bock.