Manuskript

Das sprachliche Gewand Österreichs

Deutsch ist Deutsch? Ein Blick zum österreichischen Nachbarn zeigt, dass man oft nur vermeintlich die gleiche Sprache spricht. Ein sprachlicher Exkurs in die Welt der Austriazismen.

Dass Deutsch nicht gleich Deutsch ist, weiß jeder, der sich im deutschsprachigen Sprachraum bewegt – abgesehen von den tausenden von Dialekten in jedem der Länder, die nicht normiert sind und in der Umgangssprache verwendet werden. Um die Frage zu beantworten, wovon wir eigentlich sprechen, wenn wir von Österreichischem Deutsch, Schweizerdeutsch oder Bundesdeutsch, oftmals Hochdeutsch genannt, sprechen, gilt es eine grundlegende Unterscheidung zwischen Dialekt und Standardsprache zu treffen, sagt Dr. Brigitte Sorger von der Pädagogischen Hochschule in Wien:

„Wir reden nicht von Dialekt – ganz wesentlich das zu betonen. Wir reden von dem, was man als Hochsprache oft bezeichnet, Standardsprache. Also jene Sprache, die man auch in der Öffentlichkeit für Vorträge, in Nachrichtensendungen, also wirklich in einem gehobeneren Standard verwendet. Und hier gibt’s halt große Unterschiede zwischen dem deutschen, dem schweizerischen und dem österreichischen Deutsch. Allerdings gibt es die nicht nur beim Wortschatz, worauf sich die Begriffe Austriazismen und Teutonismen und Helvetismen beziehen, sondern es gibt auch diese Unterschiede bei der Aussprache, bei den grammatikalischen Strukturen, der Morphologie. Es gibt auch Wörter, die kommen in allen drei Varianten vor, bedeuten aber was anderes in den Ländern. Und da wird’s, finde ich besonders spannend.“

Zwar spricht man von der deutschen Sprache. Allerdings unterscheidet sich diese in den deutschsprachigen Ländern durchaus. In jedem dieser Länder gilt ein eigener Standard, eine meist durch Regelwerke, wie dem Duden oder dem Österreichischen Wörterbuch, und Normen festgelegte Standardsprache – auch „Standardvarietät“ genannt. Unterschiede in diesen Standardvarietäten zeigen sich nicht nur bei der Aussprache, sondern auch in speziellen Ausdrücken, einem eigenen Wortschatz, der sich von Land zu Land unterscheidet. Im österreichischen Sprachraum spricht man hier von Austriazismen, im Schweizerdeutschen von Helvetismen und im Bundesdeutschen von Teutonismen. Manche Austriazismen können bei Deutschen, die nach Österreich kommen, schon mal zu Verwirrung führen. Dr. Brigitte Sorger verdeutlicht das an einem Beispiel:

„Eine Bekannte aus Deutschland hat mir erzählt, dass die nach Österreich kam und über längere Zeit dachte, dass ‚Sackerl a?‘ eine Verabschiedung ist, weil sie im Geschäft beim Weggehen immer gefragt wurde, ob sie auch eine Tüte möchte, nämlich „Sackerl auch“. Und im Österreichischen ist das eben ‚Sackerl a‘. Und es hat relativ lange gedauert, bis sie eigentlich die Frage als solche entschlüsselt hat, dass sich das auf die Tüte bezogen hat, die man ihr angeboten hat. Sie hat immer geglaubt, das ist die übliche Verabschiedung im Geschäft, wenn man geht – und hat selbst zur Verabschiedung ‚Sackerl a‘ gesagt.“

Während man im Bundesdeutschen den Ausdruck „Tüte“ oder „Tasche“ nutzt, greift man in Österreich auf den „Sack“ zurück, der mit der Verkleinerungsform „-erl“ versehen wird. Da die Bezeichnung „Sack“ im bundesdeutschen Raum jedoch eher mit einem großen Transportbehälter aus starkem Papier oder Stoff verbunden ist, kommt es zu Missverständnissen. Zudem ist die Verkleinerungsform „-erl“ im bundesdeutschen Raum eher unüblich, im österreichischen Raum jedoch sehr gebräuchlich. Manchmal braucht es dann seine Zeit, bis man herausgefunden, entschlüsselt, hat, was gemeint ist. Die österreichische Germanistin Sandra Reitbrecht weiß aus eigener Erfahrung, wie gewöhnungsbedürftig manche Austriazismen für Bundesdeutsche klingen können:

„Was sicher so ‘n Begriff ist, der ja für uns wirklich auch noch gang und gäbe ist, ist das Gewand. Ja, also: ‚Ich hab ‘n Gwandgschäft und mein Gwandkasten. Und damit sind jetzt nicht irgendwelche edlen Gewänder gemeint – weil das hab ich eben von deutschen Kolleginnen immer wieder gehört, also entweder denkt man dann an kaiserliche Kleider oder irgendwelche priesterlichen Kleider oder so. Für uns ist das halt das, was ich jetzt anhab’: also meinen Pulli und meine Hose.“

Was im ersten Moment für Deutsche altmodisch klingt und kaum mehr im allgemeinen Wortschatz verwendet wird, ist in Österreich als Bezeichnung allgegenwärtig. Bei einem Gewand beziehungsweise Gwand handelt es sich keinesfalls um etwas, was zu festlichen Anlässen getragen wird, sondern um das, was man täglich anzieht. In Deutschland würde man von „Kleidung“ oder „Klamotten“ sprechen. Und diese werden in einem Gewandgeschäft verkauft, also einem Bekleidungsladen. Aufbewahrt wird die Kleidung in einem Gewandkasten, auch Kleiderkasten genannt – und nicht in einem Kleiderschrank. Auch am Begriff „Kasten“ werden die Unterschiede zwischen den Varietäten deutlich. Kästen werden in Deutschland eher mit rechteckigen Transportkisten in Verbindung gebracht, nicht aber mit Möbelstücken. Auch im Bereich feststehender Wendungen hält das Österreichische so manche Schwierigkeit und Hürde bereit. Dass eine Situation schnell einmal von Menschen aus anderen deutschsprachigen Ländern missverstanden werden kann, hat Sandra Reitbrecht selbst erlebt: 

„Eine deutsche Kollegin meinte so: ‚Ich glaub, ich bin müde. Ich geh jetzt nach Hause‘. Und eine österreichische Kollegin meinte dann: ‚Na geh’ bitte!‘, ja. Und sie meinte quasi wirklich, dass sie jetzt – auf etwas unhöfliche Art und Weise – aufgefordert wurde, zu gehen. Und für uns ist das ja aber eher so ‘n Ausdruck von Bedauern bis Verärgerung, ja. Es hat natürlich auch eine gewisse Bandbreite, dann auch mit welcher Melodie und mit welcher stimmlichen Ausprägung man’s realisiert.“

Der Ausdruck „Na geh’ bitte!“ ist fester Bestandteil der österreichischen Umgangssprache und hat eine Bandbreite an Bedeutungen, beinhaltet vieles. Wichtig dabei ist nicht nur der Zusammenhang, in dem die Wendung verwendet wird, sondern auch der Tonfall, die stimmliche Ausprägung. Das kann von Verärgerung auf der einen bis zum Bedauern auf der anderen Seite reichen. Es existieren jedoch auch andere Aussprüche, die weniger emotional sind und dennoch in unterschiedlichen Zusammenhängen sehr gut einzusetzen sind. Ein schönes Beispiel dafür ist: „Es geht sich aus“ beziehungsweise „Es geht sich nicht aus“. Beide Germanistinnen sind sich einig darin, dass die Wendung für Österreicherinnen und Österreicher sehr wichtig ist:

„Das geht sich nicht aus – also das ist etwas Unverzichtbares für die österreichischen Verhältnisse und bedeutet eigentlich, ja eben dass man es nicht mehr hinbekommt aufgrund mangelnder Ressourcen, Zeit, Energie, Lust, weil irgendetwas fehlt, dass man es noch fertig bekommen kann. / Weil das wirklich ein sehr praktischer Ausdruck ist, der anscheinend eben in Deutschland so nicht genutzt wird, und der aber in vielen Situationen einfach anwendbar ist – also sowohl im zeitlichen Sinn, aber auch wenn’s um Mengen geht. Ja, also, man sagt: „Okay. Das geht sich nicht mehr aus. Ich hab nicht genug Mehl“, wenn ich etwas backe, ja.“

„Es geht sich aus“ beziehungsweise „Es geht sich nicht aus“ bedeutet also, dass etwas funktioniert, beziehungsweise nicht funktioniert. Im Bundesdeutschen würde man hierfür eher die Wendungen „Das haut hin“ oder „Das klappt/passt“ verwenden. „Es geht sich nicht aus“ ist jedoch um einiges vielfältiger einsetzbar. Möchte man beispielsweise einen Termin mit jemandem absprechen, so kann dessen Antwort „Es geht sich nicht aus“ bedeuten, dass er keine Zeit hat, aber auch, dass er keine Lust und Energie hat. Man kann diesen Ausspruch aber auch verwenden, wenn man keine ausreichenden Mittel hat, es einem zum Beispiel an materiellen Ressourcen mangelt. Das kann Geld sein – oder aber auch mal das fehlende Mehl zum Backen. Bei aller Sprachvarietät des Deutschen ist für Dr. Brigitte Sorger etwas sehr wichtig:

„Sprache soll man leben lassen – das ist das Wesentliche. Es geht doch nicht darum, dass jetzt bei jeder Aufschrift da ‚Topfen‘, Klammer ‚Deutschland Quark‘, stehen muss. Das sehe ich weitaus nicht so wichtig als den Informationswert. Sprache hat eine Funktion. Sie soll in dem Fall informieren, in anderen Fällen soll sie auch Intensionen, Gefühle, Wünsche ausdrücken. Und da muss ich diese Freiheit lassen.“

In den deutschsprachigen Regionen sollte nach Ansicht von Brigitte Sorger wichtig sein, was man ausdrücken möchte, die Funktion der Sprache sollte in den Vordergrund gestellt werden. Wer also in Österreich im Supermarkt Topfen kauft, sollte wissen, dass es beinahe das gleiche Milchprodukt ist wie in Deutschland der Quark. Es heißt nur anders. Wer mehr über die Varietäten des Deutschen erfahren möchte, für den lohnt sich ein Blick ins Variantenwörterbuch des Deutschen oder in die kostenlos zugängliche Duden-Ausgabe zum Österreichischen Deutsch von Jakob Ebner.