Manuskript

Der Klang der Schweizer Bergwelt

Es gilt als Nationalsymbol der Schweiz: das Alphorn. Das langgestreckte, aus Holz gefertigte Musikinstrument zu spielen, ist nicht einfach. In einem Schnupperkurs kann man schon mal üben.

In der Gemeinde Brunnen im Kanton Schwyz finden sich im Sommer einmal wöchentlich Interessierte zum Schnupperkurs im Alphornblasen ein. Organisiert werden diese Kurse vom Tourismusverband.

Die Kurse sollen die Möglichkeit geben, ein Stück ‚echte Schweiz‘ zu erleben. Und das wollen auch diejenigen, die sich an diesem Tag auf einer Wiese am Ufer des Vierwaldstätter Sees eingefunden haben. Gut ein Dutzend Neugierige – Einheimische und Urlauber – stehen um Kursleiter Toni Schürpf herum. Vor ihm im Gras liegen zwei Alphörner. Zunächst mal begrüßt er die Teilnehmer auf typisch Schweizer Art:

„Ja, Grüezi mitenand! Mein Name ist Toni Schürpf. Ich möchte Euch herzlich begrüßen zum Alphorn-Schnupperkurs.“

Bevor die praktischen Übungen starten, vermittelt Toni Schürpf theoretische Grundlagen. Ein Alphorn sei ein Naturinstrument, erklärt der 71-Jährige. Traditionell werde es aus bei Vollmond geschlagenem Holz gefertigt, in der Schweiz verwende man zumeist Fichtenholz:

„Früher ist es so gewachsen, wie Sie da sehen, an einem Hang. Kommt ein Samen hin, fängt der Baum an zu wachsen, der Hang rutscht ein bisschen, der Baum will in die Höhe und dann gibt’s einen Bogen. Dann wurde er geschnitten, halbiert, ausgehöhlt, zusammengeleimt – und schon war das Alphorn da. Natürlich nicht so schnell, wie ich es jetzt gesagt habe.“

Rund neunzig Stunden benötigt ein Instrumentenbauer, um ein Alphorn zu fertigen. Der krumm gewachsene, also gebogene, Baumstamm wird halbiert, dann ausgehöhlt, das Innere wird herausgeholt. Zum Schluss werden beide Hälften zusammengeleimt, mit einem speziellen Holzkleber miteinander verbunden.

Mehrere Tausend Alphornbläser gibt es in der Schweiz. Früher diente das Alphorn, wie Toni Schürpf erzählt, weniger der Unterhaltung als der Nachrichtenvermittlung. Denn die mit ihm erzielten Töne lassen sich je nach Landschaft fünf bis zehn Kilometer weit hören.

Auch wenn das hölzerne Blasinstrument als Nationalsymbol der Schweiz gilt, so ist es doch im gesamten Alpenraum verbreitet. Allerdings unterscheiden sich die Alphörner in den Stimmungen, der Festlegung der Tonhöhen. So spielt man zum Beispiel in der Schweiz überwiegend auf dem auf Fis gestimmten Alphorn, in Deutschland auf dem F-Horn. Doch der Ton wird bei allen Alphörnern auf die gleiche Weise erzeugt, wie Toni Schürpf demonstriert:

„Wichtig ist das richtige Einatmen in den Bauch und dann, dass der Druck stetig da ist. Und der Ton wird hier mit den Lippen gemacht: ‚pfff pfff pfff pfff‘, wie bei einer Trompete.“

Durch die gespannten Lippen Druck zu erzeugen und den Luftstrom herauszupressen: Das bekommen die Teilnehmer des Alphornschnupperkurses relativ schnell hin. Komplizierter wird es jedoch, als Toni Schürpf seine Schüler bittet, die Lippen an das ebenfalls aus Holz gefertigte Mundstück zu pressen. Alphornblasen ist gar nicht so einfach, gesteht Urlauberin Michaela aus dem Raum Kassel, die mit der Familie an dem Kurs teilnimmt:

„Nee, leicht ist es nicht. Also, den Ton da rauszukriegen ist schon, ja, bei mir hat’s sich eher geprustet angehört.“

Während Michaela meint, eher zu prusten, also die Luft durch fast geschlossene Lippen heftig auszustoßen, sodass ein Ton entsteht, ist Sohn Felix routinierter. Er bringt schon etwas Hörbares hervor. Doch Felix räumt auch ein, dass er bereits ein Blasinstrumenten-Profi ist:

„Ich spiel‘ Trompete, seitdem ich vier oder fünf bin.“

Nachdem alle Kursteilnehmer mindestens einen halbwegs nach Alphorn klingenden Ton herausbekommen haben, wird der Schwierigkeitsgrad erhöht. Die Zielvorgabe lautet, unterschiedlich hohe Töne zu erzeugen. Toni Schürpf gibt Tipps:

„Wie lockerer man ist, wie tiefer der Ton. Und je mehr man zusammenpresst in den Lippen oder aus den Lippen, je nachdem wie man das Mundstück ansetzt, kommt der höhere Ton.“

Das Alphorn ist an die Töne der Naturtonreihe gebunden. Die Anzahl der möglichen Töne hängt von der Länge des Instruments ab. Bei den in der Schweiz üblichen 3,47 Metern sind es sechzehn Töne, erzählt Toni Schürpf. Versierte Alphornbläser spielen damit viele Melodien, im Ensemble auch mehrstimmige Sätze. Doch nicht jedes Musikstück kann umgesetzt werden, sagt Toni Schürpf:

„Du sagst mir ein Lied. Da kann ich dir sagen: Nein, das geht nicht, da fehlen ja die Töne. Wie vorhin beim Amazing Grace. Da wäre ja ‚di-di-di-da-da‘. Das würde nur mal ‚di-da-da‘. Und das geht nicht. Den Ton hab’ ich nicht. Drum: daa-da-da. Da muss ich improvisieren, oder.“

Die Versuche der Kursteilnehmer lassen weder das englischsprachige Kirchenlied ‚Amazing Grace‘ noch sonst eine Melodie erkennen. Als der Kursleiter merkt, dass seine Schüler leicht entmutigt sind, zeigt er auf einen Gartenschlauch mit einem Trichter an dem einen und einem Mundstück am anderen Ende. Auch damit lässt sich wie auf einem Alphorn blasen:

„Das geht auch. Der [Schlauch] ist jetzt auch gestimmt auf ‚B‘. Den Schlauch nimmt man beim Nachbarn. Ist billiger.“

Die Tonhöhe beim Schlauch liegt bei ‚B‘, also etwas höher, der Ton klingt etwas heller. Doch auch auf dem Gartenschlauch stellt sich nicht bei jedem der Erfolg ein. Nach gut eineinhalb Stunden neigt sich der Schnupperkurs dem Ende zu. Das Fazit der Teilnehmer ist unterschiedlich:

„Es ist das erste Mal. Ich bin schon sehr stolz, dass überhaupt einige Töne rausgekommen sind, weil: meine Familie sagt immer, ich sei völlig unmusikalisch. / Ich kann das gar nicht. Ich hab’ da überhaupt kein Gefühl für, und ich bewundere, wie die da Töne rauskriegen. Ist natürlich Übung, alles Übung.“

Dass es bei den Teilnehmern am Ende des Schnupperunterrichts so klingt wie bei einem erfahrenen Alphornbläser, ist laut Toni Schürpf auch nicht zu erwarten. Ein bis zwei Jahre müsse man regelmäßig üben, bis man ein Alphorn richtig spielen kann, sagt er tröstend zum Abschluss – und gibt dann noch eine von Applaus begleitete Kostprobe seines Könnens.

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