Der Korruptionsermittler
Er gilt als hartnäckig, sehr aktenkundig und deckte schon so manchen Korruptionsfall auf: der Kölner Oberstaatsanwalt Gunnar Greier. Eines seiner Erfolgsgeheimnisse kennen nur wenige.
Gunnar Greier hat den Ruf, ein harter Ermittler zu sein. Wie zum Beweis hängt in seinem Büro das Plakat des Westernfilms „Der gnadenlose Rächer“, das ihm Kollegen geschenkt haben. Der Kölner Jurist deckt seit 2002 Korruptionsfälle auf, hat Täter überführt und dafür gesorgt, dass Geschädigte ihr Geld wiederbekamen. Politiker mussten zurücktreten, Banker und Unternehmer erhielten hohe Strafen. Ein Grund für seinen Erfolg ist, dass er die Akten seiner zu untersuchenden Fälle sehr gut kennt. Man muss es allerdings mögen, sich die Zeit für das Durcharbeiten zu nehmen, sagt Gunnar Greier:
„Da muss man auch ’n Typ für sein, dass man halt nicht Angst hat, wenn man 50, 100 Kartons mit Akten vor sich stehen hat. Da muss man in der Lage sein, durchzugehen und auch Spaß daran haben. Wenn man das nicht hat, dann wird’s sehr, sehr schwer.“
Für Gunnar Greier ist es ein Persönlichkeitsmerkmal, die Geduld zu haben, alle Unterlagen zu lesen, sie durchzugehen, und nach Beweisen und Zusammenhängen zu suchen: Das kann und will nicht jeder, man muss ein Typ dafür sein. Gunnar Greier muss beurteilen, ob die eingegangenen Hinweise und die von Polizei und Steuerfahndern gesammelten Dokumente ausreichen, um Anklage zu erheben oder für weitere Ermittlungen zu sorgen, sie anzustoßen. Oft ist es – wie er erzählt – reiner Zufall, dass ein Korruptionsfall aufgedeckt wird:
„Die Taten fallen dann auf, wenn einer mal krank wird, einer ist in Urlaub und der Urlaubsvertreter, der Krankheitsvertreter guckt sich dessen Vorgänge an und sagt: ‚Das kann ja gar nicht sein, was hier ist‘, informiert den Dienstvorgesetzten – und so fängt das ganze oft an. Und wenn man einmal reinsticht, ist es wie ’n Wespennest und es kommt dann da noch einer zu. Und dann hat man den einen vielleicht gefragt, der bestochen hat, der sagt dann: ‚Ja ich hab’s gemacht. Aber der andere ist noch viel schlimmer.‘ Und auch viele Fälle, bei denen man eigentlich wusste, da ist was, aber man kommt nicht ran.“
Meist sind es Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter von korrupten Personen, denen Unregelmäßigkeiten auffallen – beispielsweise, wenn sie die Aufgaben dieser Person übernehmen, sie vertreten müssen. Wenn sie sich dann mit deren Vorgängen beschäftigen, also den Akten, die über eine Person oder Sache angelegt sind, merken sie, dass irgendetwas nicht stimmt. Korruption, also Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit, kann überall vorkommen: Banken vergeben etwa Kredite ohne ausreichende Prüfung, Behörden genehmigen überhöhte Preise für Dienstleistungen oder Waren oder „drücken“ bei Verstößen gegen rechtliche Bestimmungen „ein Auge zu“, sie bestrafen sie einfach nicht.
Einer der seltsamsten Fälle, an den sich Gunnar Greier erinnert, war eine Fabrik, die nur „auf dem Papier existierte“, also nie gebaut wurde. Auf Basis der Planungen wurde bezahlt, die Beteiligten teilten das Geld untereinander auf. Der Betrug fiel erst auf, als die Lieferungen aus der vermeintlichen Fabrik nicht ankamen. In diesem wie in allen anderen Korruptionsfällen ist es also so, dass es einen Auslöser gibt, der den Anstoß zu weiteren Nachforschungen gibt. Es ist so, als ob man in ein Wespennest hineinsticht. Die Redewendung wird immer dann verwendet, wenn man eine unangenehme Sache klären will und damit für Aufregung sorgt. Die Art und Weise der Korruption hat sich verändert, meint Gunnar Greier:
„Diese Ad-hoc-Korruption, man kommt rein, legt 100 Euro auf den Tisch und hofft dann, der Antrag wird bearbeitet, ich glaub’, so blöde ist dann tatsächlich kaum einer, weil natürlich man kennt die Gegenseite nicht. Und das Wichtige aus meiner Erfahrung bei diesen Korruptionsdelikten ist ja auch das gegenseitige Vertrauen der Beteiligten. Man kann sich nur bestechen lassen von jemandem, bei dem man weiß, der ist auch insofern vertrauenswürdig – in Anführungszeichen –, dass er nicht gleich anzeigen geht.“
Dass jemand, der möchte, dass ein Antrag sofort, ad hoc, erledigt wird, dafür jemand anderen besticht, kommt nach der Erfahrung von Gunnar Greier nicht vor. Denn auch Bestechung setzt gegenseitiges Vertrauen voraus. Diejenigen, die bestechen, müssen wissen, dass die Bestochenen sie nicht verraten, bei der Polizei anzeigen. Weil Vertrauen eher mit positivem Verhalten verbunden ist, setzt Gunnar Greier den Begriff „vertrauenswürdig“ in Anführungszeichen. Wer einen Begriff in der gesprochenen Sprache in Anführungszeichen setzt und auch die entsprechende Handbewegung in der Luft macht, verdeutlicht damit, dass etwas ironisch gemeint ist. Nach der Erfahrung von Gunnar Greier trauen sich diejenigen, die bestochen worden sind oder bestochen haben, nicht, das zuzugeben. Das hat seinen Grund:
„Weil damit klar wäre, sie verlieren sofort soziales Ansehen, ihre Stellung, ihren Status. Und das ist, glaube ich, fast noch die schlimmere Strafe als dann 80 oder 90 Tagessätze. Das ist dann, glaub’ ich, zweitrangig.“
Am meisten befürchten korrupte Menschen laut Gunnar Greier den Verlust ihres Status, ihrer Stellung in der Gesellschaft. Und sie verlieren die Wertschätzung und das Vertrauen, das andere in sie hatten, ihr Ansehen. Zweitrangig, weniger wichtig, ist ihnen, dass sie möglicherweise bestraft werden. Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit wird in Deutschland abhängig von der Berufsgruppe mit unterschiedlich langen Freiheitsstrafen geahndet. Handelt es sich um einen weniger schweren Fall, wird eine Geldstrafe verhängt. In Deutschland wird diese in sogenannten Tagessätzen bemessen. Diese setzen sich zusammen aus einer Tagessatzanzahl, die vom Gericht festgelegt wird, und einer Tagessatzhöhe, die sich nach den sozialen Verhältnissen der Täterin beziehungsweise des Täters richtet. Aber nicht jeder Korruptionsfall endet vor Gericht. Manchmal wird – unter bestimmten Voraussetzungen – auch vorher eine außergerichtliche Einigung getroffen, ein Deal gemacht:
„Der Deal läuft natürlich nur, wenn auch ein Beschuldigter kommt und sagt: ‚Da ist was schiefgelaufen.‘ Es gibt auch viele Fälle, in denen das tatsächlich angemessen ist, weil es ein Fall ist, der vielleicht gerade so jenseits der Grauzone ist und schwierig zu beurteilen. Und dann muss man sich eben immer klar machen, wenn man sich dann da einig wird und wenn man in ‘nem Bereich ist, bei dem das eben vertretbar ist, was dann vorgeschlagen wird, steh’ ich dem nicht entgegen. Wir haben auch begrenzte Ressourcen nur.“
Zeigt sich jemand selbst an und gibt zu erkennen, dass er seinen Fehler einsieht und bereut, eingesteht, dass etwas schiefgelaufen ist, kann eine außergerichtliche Einigung geprüft werden. Denn laut Gunnar Greier gibt es Fälle in der juristischen Grauzone, also von einer Art, die weder eindeutig illegal noch legal ist. Und bei denen ist es dann auch passend, angemessen, einen Deal einzugehen. Man kann es vertreten, es als berechtigt ansehen. Auch ein Korruptionsermittler und Oberstaatsanwalt wie Gunnar Greier wäre damit einverstanden, stünde dem nicht entgegen. Und für Gerichte bedeutet so eine Einigung eine Entlastung. Denn sie haben nur begrenzte Ressourcen, nur eine bestimmte Anzahl von Juristinnen und Juristen, um die Fälle zu bearbeiten. Eine Frage stellt sich besonders bei öffentlichkeitswirksamen Korruptionsfällen: Nehmen andere – auch Vorgesetzte – Einfluss auf Staatsanwälte? Gunnar Greier hat da eine deutliche Position:
„Das ist für mich ganz wichtig, dass ich in meinen Ermittlungen völlig frei bin. Wie ich wann was mache, das diskutiert man mit seinen Vorgesetzten. Ganz klar. Und da kann man auch rechtlich mal so oder so ’ne Meinung haben. Aber niemals hatte ich irgendwo ‘n Hinweis bekommen, bis dahin gehst du und nicht weiter.“
Der Oberstaatsanwalt lässt sich bei seiner Arbeit nicht von anderen beeinflussen. Bislang hat ihm auch niemand gesagt: „Bis dahin gehst du und nicht weiter.“ Auf die Ermittlungen übertragen würde das bedeuten: „Hör’ auf, noch weiter nachzuforschen.“ Und wie geht man in Deutschland generell mit dem Thema Korruption um? Gunnar Greier zeigt sich optimistisch:
„Also, wir haben, glaub ich, auch einfach ’ne Unternehmenskultur. Wir haben auch eine Amtskultur kann man vielleicht sagen, wenn es um den Bereich der Amtsdelikte geht, dass so was nicht klassischerweise toleriert wird. Und das ist – glaube ich – das Wichtige, dass dieser Grundtenor in der Bevölkerung ist: Wir möchten Korruption nicht tolerieren, und dass man das auch nicht als Kavaliersdelikt ansieht.“
Was Menschen in deutschen Unternehmen und Behörden über Korruption denken und von ihr halten, die Kultur, ist laut Gunnar Greier ziemlich einheitlich. Und auch in der Gesellschaft ist folgende prinzipielle Ansicht, ein Grundtenor, weit verbreitet: Korruption wird in der Regel, klassischerweise, nicht geduldet, toleriert. Es ist kein , also etwas, das als weniger schlimm angesehen wird. Und der Oberstaatsanwalt ist von einem fest überzeugt: Korruptionsbekämpfung ist wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.