Manuskript

Deutsche Freiwilligenhilfe im Libanon

Als freiwillige Helfer verbringen auch junge Erwachsene aus Deutschland ihre Ferien in einem Krisengebiet. Sie engagieren sich im Libanon-Projekt der „Gemeinschaft junger Malteser“ für Behinderte.


Toni tanzt. Der schwerbehinderte Mann bewegt sich auf unsicheren Schritten an der Hand seines Betreuers. Er scheint glücklich zu sein. Er lacht und strahlt über das ganze Gesicht. „Habibi“ sagt er immer wieder, mein „Liebling“, „Schatz“. Die Betreuerinnen feuern ihn an und applaudieren, während er tanzt. Toni ist einer der Schützlinge, die von jungen Freiwilligen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten im Rahmen des Libanon-Projekts der „Gemeinschaft junger Malteser“ betreut werden. Seit 1999 verbringen sie ihre Ferien zweimal im Jahr gemeinsam mit geistig und körperlich schwerbehinderten jungen Libanesen. Fiona, eine junge Ärztin aus Konstanz, erklärt, warum sie bei dem Projekt mitmacht:

„Es ist ein wunderschöner Ausgleich zu meinem normalen Job in Konstanz, wo ich in der Chirurgie arbeite, und hier mach ich alles. Alles – von Fußnägel schneiden bis hin zu Bauchschmerzen bekämpfen. Alles.“

Im Vergleich zu ihrem stressigen Job als Chirurgin in Deutschland empfindet Fiona die sehr abwechslungsreiche Tätigkeit in dem Projekt als Ausgleich, als etwas, das ihr Bestätigung gibt und Freude bereitet. Die behinderten Menschen anziehen, teilweise wickeln und füttern, sie den ganzen Tag unterhalten, ihre Betten machen und putzen: Die deutschen Freiwilligen helfen rund um die Uhr. Das Ziel des Projekts ist, die Behinderten aus ihrem tristen, also recht trostlosen Alltag zu holen. Denn die Behindertenwohnheime im Libanon haben sehr wenig Geld zur Verfügung, sie sind unterfinanziert. Die Menschen leben in meist kahlen Räumen und Mehrbettzimmern ohne viel Privatsphäre. Auch fehlt eine individuelle Förderung durch geschulte Betreuerinnen und Betreuer. Viele warten sehnsüchtig auf die ein oder zwei Wochen im Jahr, in denen sie mal rauskommen und eine unbeschwerte Woche im Feriencamp verbringen können. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer holen sie aus ihren Heimen und verbringen mit ihnen eine Woche in einem extra behindertengerecht gebauten Haus in den libanesischen Bergen. Heidi aus München kommt schon seit Jahren regelmäßig als Helferin:

„Für mich der schönste Moment ist, wenn ich meine Freunde wiedersehe, wenn die aus dem Bus steigen und ich sie sehe, und sie anfangen zu lachen und zu klatschen. Dann geht mir einfach das Herz auf.“

Für Heidi sind die behinderten Menschen schon zu Freunden geworden. Daher freut sie sich sehr, ihr geht redensartlich das Herz auf, wenn sie sie wiedersieht. Das Haus in den libanesischen Bergen ist groß, hell und freundlich eingerichtet. Die behinderten Menschen werden hier als Gäste betrachtet, die einfach mal verwöhnt werden sollen. Jeder Gast hat sein eigenes Zimmer. Überall sind Rampen, schräg stehende Platten, für Rollstühle. Es gibt eine große Terrasse mit Blick über die Berge. Jeder Gast hat einen eigenen Betreuer, der sich um ihn kümmert, eine sogenannte Eins-zu-eins-Betreuung – und das rund um die Uhr. Einfach ist das nicht, erzählt der 24-jährige Max:

„Für mich war es natürlich ‘n Sprung ins kalte Wasser. Ich hab davor noch nie was mit Behinderten wirklich gemacht – und erst recht nicht im Libanon oder in ‘nem anderen Kulturkreis. Aber es ist so ‘ne natürliche Sache einfach: ‚Hört einfach euren Gästen zu. Die werden euch zeigen, was sie brauchen.‘ Und das geht in jeder Sprache und es geht auch ohne Worte eigentlich.“

Max wusste nicht, was auf ihn wartete, als er sich zum ersten Mal für das Projekt engagierte. Es war redensartlich ein Sprung ins kalte Wasser, eine neue, ungewohnte Aufgabe, die er bewältigen musste. Obwohl Max Bedenken hatte, weil er weder die Sprache konnte noch die kulturellen Gewohnheiten, den Kulturkreis, kannte, stellte er fest, dass er sich umsonst Gedanken gemacht hatte. Denn eigentlich musste er einfach nur zuschauen und zuhören, sich auf das Verhalten der Behinderten einstellen, sich ihnen anpassen. Es war eine natürliche Sache, selbstverständlich. Natürlich werden die Gäste auch bekocht. Beim Kochen hilft ein Team aus sogenannten „Küchenmamis“, Mütter, Väter und Großeltern aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich, die die jungen Freiwilligen unterstützen. So wie Antoinette aus Zürich:

„Was mich begeistert ist der Enthusiasmus der jungen Menschen – und was sie auch ganz stark bereichert. Wir gewinnen alle davon.“

Die Begeisterung, der Enthusiasmus, der freiwilligen Helferinnen und Helfer ist deutlich zu spüren. Diese Begeisterung dürfte mit ein Grund sein, warum die eine beziehungsweise der andere schon seit Jahren bei dem Projekt der „Gemeinschaft junger Malteser“ mitmacht. Diese besteht aus jungen gläubigen Katholiken, die sich den Zielen des Malteser-Ordens verpflichtet fühlen. Dazu gehören unter anderem, sich um Arme und Kranke zu kümmern und den katholischen Glauben zu leben. Offen ist man nach eigenen Angaben für alle Konfessionen und Religionen. So helfen bei dem Libanon-Projekt auch viele libanesische Jugendliche, darunter auch muslimische. Dass der Libanon so nah an den Konflikten im Nahen Osten liegt, schreckt Helferinnen wie Fiona nicht:

„Ich hör’ viel im Bekanntenkreis, dass die Leute sagen: ‚Was! In den Libanon! Aber das ist doch gerade nicht so sicher.‘ Aber ich hab mich hier noch nie unsicher gefühlt.“

Manchen Helfern wie Max ist neben der Hilfe und Unterstützung für die behinderten Menschen noch etwas anderes wichtig:

„Dass wir nach Europa wieder ‘n Bild vom Libanon oder vom Nahen Osten bringen, das auf jeden Fall es wert ist zu erzählen. Dass es hier auch schöne Orte gibt, dass es hier tolle Menschen gibt, dass es hier nicht nur Krieg und nicht nur Flüchtlinge und so weiter gibt, sondern es gibt auch ‘ne andere Seite.“

Die Gruppen veranstalten viele gemeinsame Aktionen für die Feriengäste: Strandausflüge, eine kleine Schönheitssitzung oder auch ein tolles Dinner, bei dem die Behinderten wie in einem luxuriösen Fünf-Sterne-Restaurant bedient werden. Was sie alle hier vereint, ist der Spaß an der Arbeit und die Freude, die behinderten Menschen so glücklich zu sehen. Da können schon mal Begeisterungssprüche von Helferinnen und Helfern fallen wie: „Das ist irre!“ oder „Da fällst du um!“. Bei Fiona stellt sich so ein Gefühl ein, wenn ihr Schützling George, ein Autist, auf sie reagiert:

„Wir sind ja hier, nicht um denen was beizubringen, nicht um deren Lehrer zu sein, sondern um deren Freunde zu sein. Und das heißt, ich behandel’ den George wie meinen besten Freund. Und das heißt, ich stell’ mich auch wirklich auf ihn ein, und ich lerne ihn kennen. Und es ist irre, wie die meisten von den Gästen nach ‘ner gewissen Zeit merken: Der läuft mir nicht hinterher, weil der irgendwas von mir will, sondern der läuft mir hinterher, weil der für mich da ist – selbst, wenn ein Gast den ganzen Tag schläft. Aber er macht die Augen auf und er weiß, du sitzt da. Dann gewöhnt er sich an dich. Und dann ist es wirklich so, dass nach ‘ner gewissen Zeit er merkt: Das ist mein Freund. Und das ist was Wunderschönes. Wenn zum Beispiel ein Gast den ganzen Tag nur mit dem Kopf wackelt, den ganzen Tag, und dann schaut er dich nach dem fünften Tag einmal in die Augen an. Da fällste um!“

Besonders wichtig ist allen die Musik. Sie sitzen zusammen und singen. Und Toni, der schwerstbehinderte junge Mann, der so gerne tanzt, klatscht eifrig mit und lacht übers ganze Gesicht – in seiner wohl schönsten Woche des Jahres.

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