Manuskript

Die Geschichte einer ganz besonderen Orgel

Die Orgel ist die Königin aller Musikinstrumente. Seit 2020 wartet das Konzerthaus im schweizerischen Basel mit einem besonderen Exemplar auf: gebaut aus nachhaltigen und fair gehandelten Materialien.


Eine Orgel sieht majestätisch aus und klingt auch so. Sie hat das größte Klangspektrum aller Instrumente überhaupt und bringt laute, leise, hohe und tiefe Töne hervor. Kaum jemand kann sich ihren ehrfurchtgebietenden Klängen entziehen. Auszeichnungen hat das Instrument auch schon eingeheimst. So gehört es seit 2017 zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO und wurde 2021 von allen Landesmusikräten in Deutschland zum Instrument des Jahres gekürt. Um die 50.000 Orgeln gibt es in Deutschland, darunter Exemplare, die sogar im Raum schweben oder in der freien Natur stehen. Doch mit der weltweit ersten aus nachhaltigen, konfliktfreien Materialien gebauten Orgel kann sich seit 2020 die Schweiz schmücken. Sie steht im Konzerthaus „Stadtcasino Basel“ und wurde in das denkmalgeschützte Gehäuse aus dem Jahr 1905 integriert. Das äußere Erscheinungsbild blieb somit erhalten.

Als darüber nachgedacht wurde, das renommierte Konzerthaus, in dem das Sinfonieorchester Basel seine Heimbasis hat, zu renovieren und zu erweitern, hatten Organist Thilo Muster und weitere Mitstreiter die Idee, auch die alte, aus den 1970er-Jahren stammende Orgel zu ersetzen. Denn die gesamte Elektrik und Elektronik war technisch veraltet. Auch klanglich ließ das Instrument einiges zu wünschen übrig. Ihm fehlten die raumfüllende Klangqualität und das breite Klangspektrum – etwas, das heutzutage von Orgeln in Konzertsälen erwartet wird. Basel wäre im Vergleich zu anderen Konzertorten somit arg ins Hintertreffen geraten. Aber wenn schon eine neue Orgel, dann bitte auch gleich ein nachhaltiges Instrument, dachte sich Thilo Muster. Mit Blick auf die bei Orgelpfeifen verwendeten Materialien Zinn und Blei sei dieser Anspruch gar nicht so einfach zu erfüllen, sagt er:

„Da gibt es natürlich ganz viele Kriterien, wie das überall so ist, wenn die Sachen von weit herkommen. Unter welchen Arbeitsbedingungen arbeiten die Leute, die dieses Zinn abbauen? Welche Umweltschäden werden dadurch angerichtet? Unter welchen ethischen Bedingungen arbeiten die Leute dort? Werden damit unter Umständen Konflikte, also Kriege, finanziert? All diese Erwägungen fließen da ein.“

Doch die Einhaltung dieser Kriterien, sagt Thilo Muster, sei nicht immer die Regel:

„Es ist zum Beispiel so, dass in Afrika, also im Kongo – soviel ich weiß – gibt es tatsächlich Zinnminen, mit denen bürgerkriegsähnliche Dinge oder Guerillas oder so unterstützt werden. Und es ist zum Beispiel so, dass in Indonesien, da wo wir auch unser Zinn her beziehen, dass die auf der Insel Bangka, wo sehr viel Zinn abgebaut wird, dass da eben sehr große Umweltschäden entstehen durch diesen Zinnabbau.“ 

Thilo Muster konnte auch andere begeistern von der Idee einer Orgel aus Materialien, die nicht die Umwelt und die Gesundheit von Arbeitenden in Minen, also Bergwerken, belasten und deren Verkauf nicht mit dazu beiträgt, bewaffnete Gruppen, Guerillas, in Bürgerkriegen zu finanzieren. 2017 wurde ein Verein gegründet, um das neue Instrument zu finanzieren und zu planen, so Muster:

„Wir haben dann eine Firma beauftragt, die sich mit Menschenrechten in Unternehmen beschäftigt und menschenrechtsgerechtem Handeln in Unternehmen, und die für uns eine kleine Studie erstellt haben [hat] und uns Möglichkeiten aufgezeigt hat.“

Im Orgelbauunternehmen der beiden Brüder Andreas und Mathias Metzler aus Dietikon bei Zürich fand der Basler Verein einen geeigneten Partner für die Umsetzung des Projekts. Die Orgelbauer standen dem Anliegen, bei dem neuen Instrument komplett auf nachhaltige Materialien zu setzen, sehr aufgeschlossen gegenüber. Als Materialien für Orgelpfeifen kommen zum einen Hölzer wie Eiche, Buche, Ahorn, Tanne, Fichte oder Kiefer zum Einsatz, und die Firma Metzler verwendet schon seit Jahren nachhaltig in der Region geschlagenes Holz. Aber nach wie vor wird beim Bau vor allem Metall gebraucht. Zum Vergleich: Nur 170 Pfeifen der Basler Orgel sind aus Holz, 3903 aus Zinn-Blei. Dominierend hierbei ist ein Zinn-Blei-Gemisch, eine Legierung. In Sachen Nachhaltigkeit ein Problem, sagt Andreas Metzler:

„Wenn man jetzt davon ausgeht, dass das Bewusstsein für diese Metalle natürlich in den letzten Jahren mit der ganzen Umweltthematik halt schon viel aktueller geworden ist, ist es ja klar, dass man eigentlich irgendwann auf die Idee kommen muss, dass ein Betrieb, der tonnenweise Zinn verarbeitet, dass der eigentlich sich da mal muss Gedanken machen [Gedanken machen muss].“

Im Orgelbau wird unfassbar viel, tonnenweise, Metall verarbeitet. Doch wenn man sich über die Herkunft Gedanken macht, gestaltet sich der Einkauf des Materials mit einem Fair-Trade-Zertifikat schwieriger als gedacht, weiß Andreas Metzler aus Erfahrung:

„Es ist halt nicht so, dass man jetzt zum Metallhändler gehen kann und da auswählen kann zwischen verschiedenen Zertifikaten.“

Schließlich aber fand das Orgelbauunternehmen ein Zinn, das alle Kriterien erfüllt, sich zudem gut verarbeiten lässt und auch die geforderten Klangeigenschaften mitbringt: in einer auf Nachhaltigkeit überprüften und zertifizierten Schmelzerei in Indonesien. Auch für andere Orgeln will die Firma dieses Material nun verwenden, sagt Andreas Metzler:

„Es ist für uns ganz klar, dass wir in Zukunft nur noch dieses konfliktfreie Zinn kaufen.“

Auch das für den Spieltisch mit Registern und Klaviaturen verwendete Eichenholz ist nachhaltig. Es stammt aus der Region. Insgesamt verbauten die Orgelbauer 14 Tonnen Holz, Zinn, Blei und Leder in 22.000 Arbeitsstunden. Der Basler Organist Thilo Muster freut sich, dass sich diese erste Orgel des ‚guten Gewissens‘ realisieren ließ – und dass sie durch die besonderen Materialien auch nicht wesentlich teurer wurde:

„Bei dem Zinn hat sich jetzt auch herausgestellt, dass wir eigentlich einen ganz normalen Marktpreis bezahlt haben für dieses Zinn. Also es war vielleicht ein bisschen höher. Das sind vielleicht ein paar tausend Franken, aber wenn Sie eine Orgel bauen, die 2,5 Millionen Franken kostet, dann ist das wirklich im vernachlässigbaren Bereich.“

Selbst wenn doch etwas mehr Geld in die Hand genommen werden musste, ist der Betrag unbedeutend, vernachlässigbar. Die umgerechnet rund 2,3 Millionen Euro wurden übrigens allein durch Spenden aufgebracht.

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