Manuskript

Die Krampusse sind los

In einigen Gebieten in den Alpen, vor allem in Bayern und Österreich, gibt es in der
Adventszeit ganz besondere Gestalten: die Krampusse. In Orten wie dem
österreichischen St. Johann im Pongau begleiten die wilden Kerle den Nikolaus und die
Engel in die Häuser, wo die Kinder Geschenke bekommen. Danach zieht die Gruppe
zusammen mit vielen anderen Krampussen durch die Straßen. DW-Reporter Axel
Primavesi wollte das miterleben und macht als Krampus verkleidet mit. Dabei lernt er,
wie anstrengend es ist, diese Tradition zu leben.

AXEL PRIMAVESI (Reporter):
In Sankt Johann im Pongau sind die Krampusse los. Der Nikolaus mit seinen Engeln führt die wüsten Gestalten durch den Ort. Und mittendrin, eindeutig zu erkennen: ich! Sankt Johann am Morgen: Ich bin unterwegs in den Ort. Hier, knapp 60 Kilometer südlich von Salzburg in Österreich, wird die Tradition des Krampusʼ gepflegt – so wie in der ganzen Region. Ich treffe den Gründer einer Krampus-Gruppe: Emmerich Köck. Mitte der achtziger Jahre hat er eine sogenannte „Pass“ gegründet. Die besteht aus einem Nikolaus, Engeln, einem Korbträger und mehr als einem Dutzend Krampussen. Aber Krampus – oder auch „Percht“ genannt – ist er schon seit Kindertagen.

EMMERICH KÖCK (Gründer einer Krampus-Gruppe):
Ab dem zwölften Lebensjahr, da läufst du halt so mit in den Orten in den verschiedenen, und dann sagst du: Ja, jetzt stellen wir mal was auf die Beine. Schauen wir mal, ob wir ein paar Freunde haben, und so hat das angefangen mit neun Stück. Und jetzt sind wir inzwischen 18 Perchten, Nikolaus, zwei Engel, Korbträger. So, Axel, und jetzt werde ich dir zeigen, was los ist. Jetzt gehen wir uns umziehen, und dann gehtʼs los.

AXEL PRIMAVESI:
Gut!

EMMERICH KÖCK:
Da haben wir jetzt einmal einen Anzug für dich.

AXEL PRIMAVESI:
Da soll ich jetzt rein?

EMMERICH KÖCK:
Du musst dir aber jetzt die Hose ausziehen.

AXEL PRIMAVESI:
Okay. Emmerich?

EMMERICH KÖCK:
Ja?

AXEL PRIMAVESI:
Ganz ehrlich: Das mit dem Ausziehen, das hat mir hier vorher keiner gesagt. Der Grund ist ganz einfach: Auch bei Minustemperaturen wird es in dem Schaffell-Anzug so warm, dass jede Hose drunter völlig überflüssig ist. So ein Anzug hält ungefähr fünf Jahre, dann ist das Leder porös und reißt. Dann, als Nächstes, kommt der Schellengürtel, mit dem die Krampusse Lärm schlagen. Und zum Schluss: die Maske! Alles zusammen wiegt gut 30 Kilo.

Es ist höllisch heiß in dem Anzug, und die Maske ist tierisch eng. Ich kann kaum sprechen, ich sehe so gut wie nichts, irgendwie nur durch den Augenschlitz, ein bisschen durch den Mund. Und ich weiß noch nicht, wie ich diesen Tag überstehen soll.

Alles egal, denn jetzt wird es ernst. Vorneweg geht der Nikolaus mit seinen Engeln und dem Korbträger. Dahinter wird es dann laut. Wir besuchen einen Bauernhof am Rand von St. Johann.

NIKOLAUS:
Seid gegrüßt bei diesem Haus, jetzt spricht zu euch der Nikolaus.

AXEL PRIMAVESI:
Da hier nur artige Kinder wohnen, bekommen alle ein Geschenk vom Nikolaus. Wir Krampusse halten uns eher im Hintergrund. Die schiere Masse der Masken wirkt von ganz allein. Danach beginnt der gemütliche Teil des Besuchs. Wir, also die „Köck-Pass“ ist von der Familie eingeladen worden.

FRAU:
Für die Kinder ist das jedes Jahr schon Wochen vorher so a Erlebnis, dass die Kramperl zu uns und natürlich auch der Nikolaus und die Engel zu uns auffikommen, also sie haben da a Mordsgaudi.

FRAU 2:
Weil es einfach ein Highlight in der Adventszeit ist. Da freut man sich dann noch mehr auf Weihnachten. Und Krampus und Nikolaus sind einfach … gehören zu uns dazu.

AXEL PRIMAVESI:
Dann geht es weiter zum nächsten Auftritt. Artgerecht werden Krampusse im Viehanhänger transportiert. Insgesamt haben wir heute vier Hausbesuche. An manchen Tagen können es auch doppelt so viele sein. In der guten Stube unserer vorletzten Station ist es kuschelig warm. Mir läuft im Fell der Schweiß in Strömen. Durch die enge Maske kann ich kaum atmen. Ich bin kurz davor, aufzugeben. Nach einer schier endlosen Bescherung und einem zweiten Weihnachtslied ist es endlich vorbei!

EMMERICH KÖCK:
Axel, super gemacht.

AXEL PRIMAVESI:
Vielen Dank!

EMMERICH KÖCK:
Unser bester Deutschland-Krampus, was [den] wir je gehabt haben.

AXEL PRIMAVESI:
Aber ganz geschafft habe ich es noch nicht. Die Menschen in Sankt Johann erwarten uns zum Krampus-Lauf. Hier präsentieren sich mehr als ein Dutzend Gruppen aus dem Ort. Und wir vorneweg. Ich habʼs geschafft! Und ich bin völlig fertig! Nach sieben Stunden in diesem Ganzkörper-Schaffell hat das Sprichwort „Schmoren im eigenen Saft“ noch mal ʼne ganz neue Bedeutung bekommen. Was mir auf jeden Fall am meisten gefallen hat, ist, dass die „Köck-Pass“ mich sofort aufgenommen hat, als sei ich einer von ihnen. Und ich bin auf jeden Fall um eine Erfahrung reicher.