Keine alte Dame: die Rigi-Bahn
Sie war die erste Bergbahn Europas: die Zahnradbahn auf die Rigi in der Schweiz. Die Technik ermöglichte es, auf dem kürzesten Weg den Gipfel zu erreichen – und das schon im 19. Jahrhundert.
Mitten in der Zentralschweiz liegt es: das von drei Seen umgebene Bergmassiv Rigi. Vom Gipfel, der knapp 1800 Meter über dem Meeresspiegel liegt, haben Besucherinnen und Besucher einen sensationellen Blick auf die Alpen mit den etwa 4000 Meter hohen Bergen Eiger, Mönch und Jungfrau. In die andere Richtung reicht die Sicht bis zum Schwarzwald und zu den Vogesen. Natürlich wollten sich das auch schon früher Schweiz-Touristinnen und -Touristen nicht entgehen lassen. Einige, in der Regel reiche Menschen, ließen sich in Sänften auf den Berg tragen – wie beispielsweise 1868 die britische Queen Victoria. Das änderte sich am 21. Mai 1871. Dann nahm Europas erste Bergbahn ihren Betrieb auf. Sie bezwang die „Königin der Berge“ dank einer technischen Neuerung: einem Zahnradantrieb.
Der rote Zug klettert den Berg ganz langsam hinauf. Denn zwischen den Normalspur-Gleisen befindet sich eine weitere Art Schiene – eine an eine Leiter erinnernde schmale Stange mit sprossenähnlichen Metallteilen. Ein großes Zahnrad, das unter Lokomotive und Waggons angebracht ist, greift in diese nach oben gerichteten Metallteile. Das vom Ingenieur Niklaus Riggenbach entwickelte System ermöglicht es, dass die Bahn die bis zu 25-prozentige Steigung und die knapp sieben Kilometer lange Strecke bewältigen kann. Zunächst fuhr die Bahn die Strecke von der Talstation in Vitznau am Ufer des Vierwaldstätter Sees bis zur Station Rigi Staffelhöhe; zwei Jahre später wurde die Strecke bis zur Gipfelstation Rigi Kulm verlängert. Die alte Technik funktioniert bis heute, erzählt der Direktor der „Rigi Bahnen AG“, Frédéric Füssenich:
„Das ist so unverwüstlich. Wir haben auch noch Original-Zahnstangen aus der Gründerzeit. Also wir haben Zahnstangen, die sind seit 150 Jahren im Einsatz. Alle dreißig Jahre werden die rausgenommen, wieder frisch aufgeschweißt und dann wieder reingemacht.“
Riggenbach hatte sich seine Erfindung bereits 1863 patentieren lassen. Er wollte, wie er damals bekanntgab, „alles Volk auf die Berge führen, damit sie alle die Herrlichkeit unseres erhabenen Landes genießen können“. Und die Bahn sorgte wirklich dafür, dass der Rigi-Tourismus sozusagen demokratisiert wurde und regelrecht aufblühte, sagt Frédéric Füssenich:
„Vorher konnten sich das wirklich nur die reichen Aristokraten leisten, entsprechend auf die Rigi zu fahren. Und mit der Rigi-Bahn war es auch für das Bürgertum mit einem Mal möglich, diese technische Neuerung erleben zu können. Es war eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Und das Berühmte war dann nachher, den Sonnenaufgang zu sehen.“
Wenige Jahre nach Inbetriebnahme der Strecke von Vitznau aus wurde auf der Nordseite der Rigi – von Arth-Goldau aus – eine weitere Strecke gebaut und im Juni 1875 in Betrieb genommen. Dort fuhr fortan die blaue Bahn. Bis zur Gründung der „Rigi Bahnen AG“ im Jahr 1992 waren beide Bahnen Konkurrenten. Das kümmerte die Reisenden wenig. Schon 1874 beförderte allein die Vitznauer Bahn 50.000 Besucherinnen und Besucher. Wohlhabende Europäerinnen und Europäer verbrachten nun ihre Sommerfrische in der Region um das Bergmassiv. Mittlerweile bringen die rumpelnden Züge bis zu 800.000 Gäste pro Jahr auf den Gipfel der Rigi.
Im Jubiläumsjahr 2021 wurde auch ein altes Schätzchen reaktiviert: die Lok Nummer 7 aus dem Jahr 1873. Die „Sibni“, wie sie auch genannt wird, wurde extra aus dem Luzerner Verkehrsmuseum geholt und generalüberholt, um den heutigen Anforderungen an Technik und Sicherheit zu genügen. Rund die Hälfte der Teile ist noch im Originalzustand, neu sind unter anderem das Getriebe und der Dampfkessel. Die „Sibni“ war 1937 nach 64 Betriebsjahren ausrangiert worden, weil die Strecke Vitznau – Rigi Kulm elektrifiziert worden war und die alten Dampflokomotiven nicht mehr zeitgemäß waren. Das Besondere der „Sibni“ ist, dass sie die weltweit einzige fahrbare Zahnraddampflok mit einem stehenden Heizkessel ist. Dieser brachte ihr den Namen „fahrende Schnapsbrennerei“ ein – in Anlehnung an die Kessel zum Brennen von stark alkoholhaltigen Getränken. Ganz begeistert spricht der Bahndirektor über das skurrile Design des betagten Zugs:
„Man sieht, dass es eigentlich schräg geneigt ist, aber durch das, dass sie dann nachher rauffährt am Berg, ist dann nachher die Führerkabine wieder gerade. Und vorne das berühmte Chörbli, wo früher Material mit geliefert wurde, aber wo jetzt unsere Gäste in dem Jubiläumsjahr sitzen.“
Im stehenden Zustand sieht es so aus, als ob die Kabine des Lokführers schief ist – was sich aber ändert, wenn der Zug losfährt. Die Lok schnauft mit einer Höchstgeschwindigkeit von 7,5 Kilometern pro Stunde gemütlich durch die Natur und vermittelt ein Fahrgefühl wie anno dazumal. Daher dauert die Fahrt bis zum Gipfel auch knapp eine Stunde. Bis zu sieben Personen können dabei in einem vor dem Kessel liegenden, offenen Metallkorb mitfahren. Dabei tragen sie zum Schutz vor Ruß und Wasserdampf ein nostalgisches blaues Outfit. Darüber hinaus können vor die Lok noch Waggons im alten Stil angekoppelt werden. Die Lok zieht die Waggons dann nicht hinter sich her, sondern schiebt sie den Berg hoch. Solche Nostalgiefahrten sind bei den Touristinnen und Touristen beliebt und ein faszinierendes Erlebnis, manch einer fühlt sich sogar in seine Kindheit zurückversetzt, meint Rigi-Bahnen-Direktor Frédéric Füssenich:
„Es ist sehr mechanisch. Es ist urig. Es ist laut. Zum Teil dampft’s und stinkt’s dann auch noch mit dabei, aber es ist so ein bisschen ein Bubentraum.“