Manuskript

Ein Hoch auf die Amtssprache

Wer in Deutschland ‚aufs Amt‘ muss, den erwarten nicht nur jede Menge Formalitäten, sondern auch eine ganz eigene Fachsprache. Und die stellt besonders für Nicht-Muttersprachler eine große Hürde dar.


„Guten Tag, ich spreche schlechtes Deutsch. Ich komme aus England und ich muss mich hier melden. Was muss ich machen? / Zunächst: Wo wohnen Sie? Haben Sie schon ’ne Wohnung in Köln? / Ich hoffe … ich habe einen Freund in Nippes und er sagte: ‚Du kannst ’ne Wohnung haben. Aber vielleicht [in] ein oder zwei Wochen.‘ / Sie wollen auch hier bleiben? / Ja, jaja. / Also länger als drei Monate bleiben? / Ja, ich bin schon einige Wochen hier. / Ah so, ja. Ja, dann sollten Sie sich anmelden. Zunächst mal bei ihrem Freund. / Mein Freund weiß, dass ich hier bin. / Ja, okay. / Ich bin bei meinem Freund gemeldet. / Sie sind schon angemeldet? / Bei meinem Freund.“

So oder so ähnlich kann es jeder und jedem ergehen, der neu nach Deutschland kommt, nicht deutscher Muttersprachler ist und die Meldebehörde über seinen Wohnsitz informieren muss, sich anmelden muss. Denn in Deutschland besteht eine gesetzliche „Meldepflicht“, die für alle im Land lebenden Menschen und übrigens auch bestimmte Tiere gilt. Will jemand etwa von einer Stadt in eine andere ziehen, muss er sich genauso bei der zuständigen Behörde melden wie auch ein Ausländer oder eine Ausländerin, die nach Deutschland kommt und länger als drei Monate bleiben möchte. Die Anmeldung beziehungsweise Ummeldung im Fall eines Umzugs muss innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Wer das nicht tut, muss mit einem Bußgeld rechnen.

Für den Briten Graham, der vor mehr als dreißig Jahren nach Deutschland kam, stellten damals nicht nur die unterschiedlichen Bedeutungen von „melden“ und „anmelden“ eine Hürde dar, sondern noch etwas anderes, wie er erzählt:

„Als ich nach Deutschland kam, hatte ich keine Ahnung, was ein Behördengang bedeutete, zumal bei uns gibt es keine Meldepflicht. Es gibt keine Ausweispflicht. Zum Beispiel unsere Hunde werden nicht angemeldet, und wenn man ein Auto kauft, es hat bereits ein Nummernschild. Dann wurde mir erklärt, ich muss zu sämtlichen Ämtern. Dann begann mein Horror, weil mein Deutsch war wirklich sehr begrenzt. Ich konnte ‚raus‘ und ‚Ein Bier bitte!‘ [sagen]. Das war aber alles.“

Der Gang zu den Behörden war für Graham eine schreckliche Erfahrung. Denn, so schildert er:

„Der ganze Berg von Bescheinigungen, Erlaubnissen, Gestattungen und so weiter. Es war sehr schwer, und es ist immer noch ziemlich schwer, das zu vergleichen, weil, es gibt bei uns keinen Vergleich. Man muss aber in Deutschland halt diese Gestattungen, Erlaubnisse und so weiter haben.“

Graham musste sich mit einem riesigen Berg, einer großen Anzahl, von Formularen herumschlagen. Vor allem der Unterschied bei den einzelnen für einen Aufenthalt notwendigen Formularen war für einen ausländischen Antragsteller wie ihn kaum zu verstehen, sagt er:

„Gut, Aufenthalt, aber ob es ’ne Berechtigung, ob es ’ne Erlaubnis, ’ne Befugnis [ist], das ist alles natürlich ein bisschen verwirrend. Und auch schwierig, das erklärt zu bekommen von den Behörden als solche.“

Graham kam noch zu einer Zeit, als sich Ausländerinnen und Ausländer mit diesen Begriffen auseinandersetzen mussten. Im Jahr 2005 wurde das entsprechende Ausländergesetz geändert. Aus dem Oberbegriff der „Aufenthaltsgenehmigung“ wurde der Begriff „Aufenthaltstitel“. Begriffe wie „Aufenthaltsbewilligung“, „Aufenthaltsbefugnis“ und „Aufenthaltsberechtigung“ entfielen und wurden zum Begriff „Aufenthaltserlaubnis“ zusammengefasst. Diese ist zeitlich befristet und muss verlängert werden. Wenn nach einigen Jahren bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, wie unter anderem eine gesicherte wirtschaftliche Existenz, kann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis, erteilt werden.

Eine Aufenthaltserlaubnis braucht jemand, der bei seinem Aufenthalt auf bestimmte Dauer einen bestimmten Zweck – zum Beispiel ein Studium oder eine befristete berufliche Tätigkeit – erfüllt. Ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis benötigen Menschen, die aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen nach Deutschland kommen.

Weil die Verwaltungssprache möglichst sachlich sein soll, werden – anders als in der alltäglichen Umgangssprache – abstrakte Begriffe verwendet. Eine der charakteristischsten Eigenschaften dieser Sprache ist der Rückzug auf das Substantiv. Ein Beispiel: die Befürwortung. Sie meint nichts anderes, als dass ein Amt verbindlich empfiehlt, einem Anliegen eines Antragstellers stattzugeben. Schwieriger wird es aber, so Graham, in einem anderen Fall:

„Wenn man einen wahnsinnigen Zusammenhang von Buchstaben zusammenklatscht, und da kommt ein Wort raus zum Beispiel wie ‚Aufenthaltsberechtigung‘, da kann man in seiner eigenen Muttersprache überhaupt nichts darunter [verstehen].“

Fügt man Begriffe zu einem einzigen Kompositum zusammen, klatscht sie aneinander, ist das vor allem für Nicht-Muttersprachler eine Herausforderung. Ein immer wieder gern zitiertes Beispiel ist das „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“, ein Gesetz, das im Jahr 1999 zum Schutz der Verbraucher vor der Rinderseuche BSE eingeführt worden war. 2013 wurde das mit 63 Buchstaben längste deutsche Wort gestrichen, das Gesetz aufgehoben. Aber Verwaltungssprache ist auch noch durch Bandwurm- und Schachtelsätze gekennzeichnet, Abkürzungen sowie Funktionsverbgefüge wie beispielsweise „auf Ablehnung stoßen“ statt „abgelehnt werden“, „zur Durchführung bringen“ statt „durchführen“ oder Ähnliches. Das alles trägt nicht dazu bei, dass man versteht, was gemeint ist.

Manche Behörden haben auf die Kritik von Bürgern und entsprechenden Initiativen von Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein reagiert. Sie bemühen sich, veraltete, schwer verständliche Begriffe zu ersetzen und Formulare so zu gestalten, dass sie verständlicher werden. Doch dass es eines Tages nur noch eine der Alltagssprache entsprechende Verwaltungssprache gibt, nennt Lutz Kuntzsch von der Gesellschaft für deutsche Sprache eine Illusion. Denn Texte müssten natürlich „juristisch wasserdicht“ sein. Daher könnte die Aussage im Song „Beamte“ von Klaus Lage doch noch einige Zeit ihre Berechtigung haben:

„[…] sie machen dich zu ’ner Formsache / aus ’94 Z – 10 / Beamte sprechen ’ne Sprache, / die nur Beamte versteh’n […]“

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