Manuskript

Eine Nacht bei der Berliner Kältehilfe

In Winternächten kann es in Berlin sehr kalt werden. Wer auf der Straße schlafen muss, ist dann in großer Gefahr. Mit ihrer Kollegin fährt Kathy Kaiser von der Berliner Stadtmission nachts durch die Straßen der Hauptstadt. Ihr Ziel ist es, den von Kälte bedrohten Menschen zu helfen und ihnen Schlafplätze zu organisieren. Nur wenige wollen diese Arbeit leisten – und Corona macht auch diese Hilfe schwierig.

KATHY KAISER (Mitarbeiterin der Berliner Stadtmission):
Hallo! Geht’s dir gut? Nein? Ja. Es ist so kalt, bitte komm mit uns mit! Möchtest du mit uns mitkommen?

SPRECHER
Kathy Kaiser arbeitet seit zwölf Jahren für die Kältehilfe der Berliner Stadtmission. Heute ist sie mit ihrer Kollegin hier am Südstern, im Zentrum von Berlin, auf diesen Mann gestoßen. Im letzten Moment, könnte man meinen – es ist noch knapp über null Grad, und sein Zustand ist schlecht.

KATHY KAISER:
Er friert wirklich doll, ne? Alle seine Sachen sind so nass! Okay, wir fahren jetzt, und dann bekommst du eine neue Hose, ne? Und duschen! Neue Hose! Oder?

SPRECHER
Die Sachen des Hilfsbedürftigen riechen unangenehm. Kathy und ihre Kollegin tun ihr Bestes, sich nichts anmerken zu lassen. Sie wollen nicht, dass es dem Mann unangenehm ist.

KATHY KAISER:
Hi! Du, Inken, seid ihr komplett voll? Das Ding ist, wir haben einen Mann gefunden, der ist wirklich völlig durchgefroren. Der hat einuriniert und eingekotet. Der braucht unbedingt ’ne Dusche und neue Klamotten. Ich kann den nicht draußen lassen. Der erfriert. Ja?

SPRECHER:
Jetzt im Winter erlebt die 33-Jährige Szenen wie diese häufiger.

KATHY KAISER:
Wenn jemand sagt „Kälte“, dann assoziiere ich sofort damit so die kältesten Tage, die wir erleben im Monat, wo es wirklich für Menschen lebensbedrohlich ist.

SPRECHER:
Mit ihrer Erfahrung wissen die Helfer oft, wo sie in den kalten Nächten suchen müssen – und wie ausgeliefert und gefährdet mancher Wohnungslose dann ist.

KATHY KAISER:
Sehr gut. So, einen Test mit dir machen kurz, ja?

SPRECHER
Kathy und Antonia wundern sich oft, dass hilfsbedürftige Menschen von ganz normalen Passanten ignoriert werden und keiner Hilfe holt.

ANTONIA WIENERT (Mitarbeiterin der Berliner Stadtmission):
Jeder läuft halt irgendwie so ’n bisschen mit Scheuklappen durch die Welt, und leider sind es die Personen, die halt oft irgendwie dabei so ’n bisschen untergehen.

SPRECHER:
Trotz der langjährigen Erfahrungen gehen solche Fälle den beiden immer wieder nahe.

ANTONIA WIENERT:
Gut, dass wir da waren! Richtig gut, dass wir da waren.

KATHY KAISER:
Ach du meine Güte. Ach du meine Güte! Ja!

Der Mann war offensichtlich mitten auf dem Gehweg, ungeschützt, in ’ner lebensbedrohlichen Situation! Und deswegen geht mir das emotional sehr nah, weil ich nicht begreifen kann, wie wir gefühlt die Einzigen sein können, die dann da was machen.

SPRECHER
Mit dem Kältebus fährt Kathy freiwillig. Ihr richtiger Job ist hier. Sie arbeitet hauptberuflich in dieser Notunterkunft an der Lehrter Straße. Die hat heute gerade erst aufgemacht, und schon ist es voll. Um die 40 Notunterkünfte gibt es in Berlin – zu wenig, um alle aufzunehmen.

KATHY KAISER:
Sascha? Kannst du mal sagen, dass sie ’nen Schnelltest machen muss bitte, ja?

SPRECHER
Aufgrund von Corona gibt es jetzt noch weniger Schlafplätze. Wer positiv getestet ist, muss draußen bleiben, selbst bei Minusgraden. Für die Mitarbeiter eine schwierige Vorschrift. Sie hatten hier bis vor Kurzem eine Quarantäne-Station, aber der Vertrag mit dem Land ist hierfür ausgelaufen.

KATHY KAISER:
Es gibt halt definitiv nicht genügend Plätze für Corona-positive Menschen. Das heißt, wenn die Quarantänestation voll ist, dann bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als es auf der Straße auszukurieren.

SPRECHER:
Wie viel tausend Obdachlose in Berlin leben, ist unklar. Viele kommen aus Osteuropa. Die Mehrheit hat psychische Erkrankungen. Die, die heute hereindürfen, sind erleichtert über die Wärme und Hilfe.

KATHY KAISER:
Ich glaub, ich mach das, bis ich nicht mehr da bin. Ich werde auf jeden Fall mein ganzes Leben lang in sozialen Projekten arbeiten, weil ich glaube, ich kann nichts anderes mehr machen. Weil ich gesehen habe, dass Menschen was bewirken können.

SPRECHER:
Kathy Kaiser kann sich keinen anderen Beruf mehr vorstellen, als sich um Menschen in Not zu kümmern. Denn hier, sagt sie, kann sie wirklich was bewegen.

KATHY KAISER:
Okay. Komm, Karel, jetzt fahren wir dich rein. Ab ins Warme!

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