Entführungen: Alltag im Ukraine-Krieg
Seit Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine werden dort Menschen entführt – besonders Familienangehörige von Journalisten. Die Besatzer wollen so eine Kollaboration erzwingen.
In den eroberten Städten der Südukraine kommt es immer wieder zu Festnahmen und Entführungen durch die russischen Besatzer. Häufig sind davon Bürgermeister betroffen , die dann durch prorussische Politiker ersetzt werden – und Journalisten. Mit den Entführungen wollen die Besatzer Journalisten zur Kollaboration zwingen – und nehmen dafür auch ihre Familienangehörigen fest.
Switlana Salisetskas Geschichte macht das Vorgehen der Besatzer deutlich: Ihr gehörte eine lokale Nachrichtenagentur in Melitopol. Die neue – prorussische – Bürgermeisterin der Stadt rief sie an, um ihr eine Zusammenarbeit mit den Besatzern anzubieten. Doch Salisetska weigerte sich und verließ die Stadt – ihre Eltern, denen es gesundheitlich nicht gut geht, blieben.
Salisetska erzählt: „Am 23. März um 7:00 Uhr morgens kamen drei oder vier Besatzer in mein Haus. […] Sie durchsuchten das Haus, setzten meinen Vater ins Auto und brachten ihn an einen unbekannten Ort.“ Abends rief ihr Vater sie an und berichtete, „irgendwo in einem Keller“ zu sein. Obwohl einer seiner Entführer sie zur Rückkehr aufforderte, lehnte sie dies ab. Ihr Vater hatte Glück, kam wenige Tage später frei. Doch vorher musste Salisetska ihre Nachrichtenagentur aufgeben.
Auch die Modedesignerin Tetiana Kumok wurde gemeinsam mit ihrer Mutter stundenlang festgehalten. Ihr Vater, der an einem lokalen Medienunternehmen beteiligt war, sollte so zur Zusammenarbeit gezwungen werden. Auch sie kam frei. Ihr Vater stellte die Zeitung ein. Kumok ist sich sicher, dass sie nicht die Einzige ist: „Täglich werden viele Menschen entführt. Von einigen hat man seit zehn Tagen nichts mehr gehört.“ Wie viele Menschen es genau sind, lässt sich allerdings kaum prüfen.