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Familienunternehmen im Blick der Wissenschaft

Familiengeführte mittelständische Unternehmen gelten als wichtige Säule der deutschen Wirtschaft. Das Wittener Institut für Familienunternehmen begleitet sie nicht nur wissenschaftlich, sondern auch forschend.

Mittelständische Unternehmen gelten als eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft. Ein Großteil von ihnen wird als Familienunternehmen geführt. Familienunternehmen können von einer Einzelperson, aber auch von einer überschaubaren Anzahl von Personen geführt werden, von denen wenigstens einer, der Eigentümer, auch das Unternehmen leitet. 2016 lag der Anteil familiengeführter Unternehmen bei 91 Prozent, so die Berechnung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW.

Entgegen ihrer Bedeutung spielten Familienunternehmen in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung in Deutschland lange Zeit keine Rolle. 1998 wurde an der Universität Witten/Herdecke in Nordrhein-Westfalen das damals erste Institut für Familienunternehmensforschung gegründet. Nach einer „Anschubfinanzierung“ durch die Deutsche Bank, die das Geld zur Gründung bereitstellte, ist das Institut seit 2005 selbstständig und heißt seitdem „Wittener Institut für Familienunternehmen“, kurz WIFU. Finanziert wird es von einer gemeinnützigen Stiftung, hinter der Unternehmerfamilien stehen.

Das WIFU ist tätig in der Lehre, in der Forschung, bietet aber auch regelmäßige Informationsveranstaltungen für Mitgliedsunternehmen und Unternehmerfamilien an. Ein nicht unwichtiges Thema: „Was geschieht, wenn ein Generationswechsel ansteht?“ Für den einen oder anderen Familienunternehmer kann sich dann die Existenzfrage stellen, wenn niemand aus der Familie den Betrieb weiterführen möchte. Das Institut steht auch bei anderen Fragen beratend zur Seite. Professor Dr. Tom Rüsen, geschäftsführender Direktor des WIFU, erklärt, wie man sich das vorzustellen hat:

„Wir schauen uns an: ‚Wer sitzt denn da an Eigentümerfamilie wo im Unternehmen, in einem Aufsichtsgremium? Wie sind die Anteile verteilt? Welche Rollen kommen Töchtern zu, ja? Was ist mit angeheirateten Familienmitgliedern?‘ Und wenn Sie das ein bisschen untersucht haben, dann bekommen Sie sofort ein Gespür, wie tickt die Unternehmerfamilie. Und wenn Sie die Unternehmerfamilie verstanden haben, dann haben Sie auch die DNA des Familienunternehmens verstanden.“

Um ein Unternehmen und seine Strukturen zu verstehen, werden einige wesentliche Fragen gestellt. Dazu gehört etwa, welches Familienmitglied welche Position bekleidet, „wo sitzt“. Eine Möglichkeit ist, ein gewähltes Mitglied im Aufsichtsrat zu sein. Der Aufsichtsrat ist eine Art Kontrollgruppe eines Unternehmens, ein Gremium. Wichtig für die Betrachtung der Struktur ist auch die Machtverteilung. Diese leitet sich unter anderem ab von der Aufteilung der Kapitalbeteiligung, des Anteils.

Wer Aktien eines Unternehmens erwirbt oder sich mit einem vereinbarten Betrag an ihm beteiligt, gilt als Anteilseigner. Er ist ein Gesellschafter, Teilhaber eines Unternehmens. Neben diesen Faktoren spielen aber auch Familienbeziehungen eine Rolle, beispielsweise die Rolle Angeheirateter, also von Personen, die durch Heirat von außen in das Familienunternehmen kommen. Sind alle Fragen geklärt, so Dr. Tom Rüsen, bekommt man ein Gespür dafür, wie ein Familienunternehmen tickt. Man weiß, wie es funktioniert, kennt die DNA. Die Abkürzung des englischen Begriffs „deoxyribonucleic acid“ steht für die menschliche Erbinformation und wird in der Alltagssprache auch als Synonym für die Essenz, den Kern von etwas, verwendet.

Regelmäßig stellt das WIFU den Unternehmen seine Forschungsergebnisse zur Verfügung – und zwar so praxistauglich, dass die Unternehmerfamilien jeweils ihre eigenen Schlüsse ziehen können. Denn die Zusammenarbeit in einem Familienunternehmen ist nicht immer leicht, weiß Dr. Rüsen:

„Wenn die Familie sich gut verträgt, ist sie die größte Kraftquelle des Familienunternehmens. Leider ist die Familie eben auch die größte Achillesferse.“

Die Beziehungen der Personen zueinander sind in einem familiengeführten Unternehmen mit ausschlaggebend für den Erfolg. Sie sind daher die Achillesferse, die verwundbare Stelle, der Schwachpunkt: Der griechische Sagenheld Achilleus galt als unverwundbar – bis auf seine Ferse am Fuß. Gibt es keinen Streit, verträgt man sich gut, gibt es selten Probleme. Andersherum kann manchmal die Existenz des ganzen Unternehmens auf dem Spiel stehen. Der psychologische Aspekt hat bei der Beratertätigkeit des WIFU einen wichtigen Stellenwert: Man möchte das jeweilige Unternehmen durch die eigene Brille sehen, es aus sich heraus verstehen und nicht durch das Auge des Beraters. Dr. Rüsen meint, dass es für funktionierende Familienunternehmen nur individuelle Lösungen geben kann:

„Da reicht ’n betriebswirtschaftlicher Blick alleine nicht; auch ein juristischer Blick reicht dort alleine nicht. Deshalb haben wir hier in Witten eben zusätzlich neben der betriebswirtschaftlichen und juristischen Perspektive die familienpsychologische Perspektive eingeführt. Und dadurch sind wir tatsächlich weltweit auch einzigartig aufgestellt, weil wir hier in Witten versuchen, das Familienunternehmen erst mal durch die Brille der Unternehmerfamilie zu verstehen.“

Neben der forschenden und der beratenden Tätigkeit führt das WIFU auch regelmäßig Befragungen durch, um zum Beispiel herauszufinden, welche Probleme die Unternehmer bewegen. Dabei stößt das Institut manchmal auf ungeklärte Fragen. Dr. Rüsen nennt ein Beispiel:

„Ich hab immer wieder die Frage gehört: ‚Wie können wir eigentlich unsere Gesellschafter auf die Gesellschafterrolle vorbereiten?‘ – also diejenigen, die Anteile am Unternehmen erben, aber vielleicht gar nicht in die operative Rolle hineingehen. Und da haben wir festgestellt: Da gibt es gar nichts zu dem Thema.“

2013 führte das Wittener Institut zusammen mit der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers eine bundesweite Studie zur Gesellschafterkompetenz in Familienunternehmen durch. Dabei ging es unter anderem um die Frage, wie der familiäre Gesellschafternachwuchs weiterqualifiziert werden kann. Aber auch um die Frage, wie man mit einem Teilhaber umgehen soll, der seinen Anteil geerbt hat und der nicht aktiv im Familienunternehmen mitarbeiten, nicht in die operative Rolle hineingehen, möchte. Die Arbeit des Instituts hat sich auch international herumgesprochen. So kommen beispielsweise seit 2013 regelmäßig Delegationen aus China nach Witten, die, so Dr. Tom Rüsen, das Erfolgsmodell „deutsches Familienunternehmen“ verstehen wollen:

„Weil die jetzt am Ende der ersten Generation, am Anfang der zweiten Generation mit den klassischen Nachfolgefragestellungen beschäftigt sind. Und da scheint ‚deutsches Familienunternehmertum‘ ein weiteres Mal ein erheblicher Exportschlager für chinesische Familienunternehmen zu sein.“

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