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Manuskript

Der Gartenzwerg

In manchem Vorgarten oder auf dem einen oder anderen Balkon sind sie noch zu finden: Gartenzwerge. Liebhaber können sie in Museen bestaunen. Die Zwerge mit der traditionell roten Zipfelmütze gelten als typisch deutsch. 


Vor allem an schön gepflegten Blumenbeeten und im Umfeld von Gartenteichen hält er sich gerne auf. Er steht ein wenig träumerisch im Gras und verbreitet bei seinen Besitzern* und vorbeigehenden Besuchern gute Laune. Egal, ob er einen Spaten in der Hand hat, eine Gießkanne oder die Laterne des Nachtwächters, an einem Merkmal erkennt man den traditionellen Vertreter immer: an der roten Zipfelmütze. Der Gartenzwerg gilt wie die Kuckucksuhr im Ausland als typisch deutsch. Man kann ihn nicht nur über das Internet bestellen, sondern auch in dem einen oder anderen deutschen Gartencenter kaufen. Allerdings nicht immer, wie Hans, der in einem Kölner Gartencenter arbeitet, sagt:

„Das ist wie in der Mode, es gibt Trends – auch hier bei den Gartenzwergen. In den langen Jahren, die ich das hier schon mache, es liegt nicht im Trend. Im Moment ist ‚Gartenzwerge’ nicht ‚in’.“

Hans erklärt, dass es bei Gartenzwergen, wie bei vielem anderen auch, davon abhängt, ob sie gerade zeitgemäß sind, ob sie ‚in’ sind. Und was zeitgemäß ist, liegt im Trend. Was dagegen unmodern ist, gilt umgangssprachlich als ‚out’. Wer Zwerge in den Garten stellen will, muss allerdings auf eines achten, wie Hans erklärt:

„Ich habe einen Gartenzwerg in der Hand aus einem Kunststoffmaterial, das nennt sich Polyresin. Dieses Material hat den besonderen Vorteil, dass es absolut wetterfest, winterfest, frostsicher ist. Und das ist hier ein Flötenspieler, der sitzt hier auf einem Baumstamm und spielt Flöte. Die Beliebtesten kann man sagen, aus der Historie heraus, ist klassisch der Angler, es ist der Gartenzwerg mit der Schubkarre, aber auch mit dem Spaten in der Hand.“

Der ursprüngliche, klassische, Gartenzwerg besteht aus Sandstein oder gebranntem Ton. Besonders Ton hat aber einen großen Nachteil: Bei Frost platzt er. Bei Gartenzwergen aus Kunststein wie Polyresin ist das nicht so. Ihnen machen das Wetter, Winter und Frost nichts aus. Während mancher Zwergliebhaber mit der Zeit geht und moderne Gartenzwerge kauft, haben die klassischen Zwerge weiterhin ihre Anhänger. Diese Erfahrung hat zumindest Hans in der Vergangenheit gemacht oder, wie er sagt, aus der Historie heraus erfahren. Der „Ur-Gartenzwerg“ wurde so um 1870 in der thüringischen Stadt Gräfenroda geboren. Nicht ganz geklärt ist, ob August Heissner oder Phillip Griebel der Schöpfer war. Die Sozialforscherin Etta Bengen, die einige Fachbücher über Zwergenkunde herausgegeben hat, geht davon aus, dass Gartenzwerge noch älter sind:

„Die Zwerge als solches spielen auch schon viel eher ’ne große Rolle, und zwar im 17., 18. Jahrhundert des Adels, als man sich aus Sandstein gehauene Zwergenfiguren in den Hofgarten stellte. Auch die kleinen Gartenzwerge waren relativ teuer, aber das Großbürgertum konnte sich dann diese Gartenfiguren, die Gnome, wie sie damals hießen, leisten. Und das war das Personal in verkleinerter Form oder eben auch die Hofzwerge, die als Hofnarren an den Höfen waren, die dann irgendwie in Stein gehauen worden sind.“

Zwerge dienten in den großen Gartenanlagen der adeligen Höfe, den Hofgärten, als Dekoration. Zunächst konnten sich die Figuren auch nur die Adeligen und diejenigen leisten, die Geld und das Bürgerrecht einer Stadt hatten – das sogenannte Großbürgertum. Diese Figuren waren entweder den Angestellten, dem Personal, und ihren Tätigkeiten nachempfunden oder auch Hofnarren. Manche dieser Spaßmacher waren bei den Adeligen angestellt und durften sich ungestraft über sie lustig machen. Vorbilder für Gartenzwerge waren aber auch Fabelwesen, die Gnomen. Diese kleinen, menschenähnlichen Wesen lebten in Wäldern, Bergen und an Flüssen. In Märchen und Legenden wurden sie oft als Wohltäter mit übernatürlichen Fähigkeiten dargestellt – wie zum Beispiel die „Heinzelmännchen zu Köln“. Viele Kölner kennen zumindest die ersten Zeilen des bekannten Gedichts aus dem Jahr 1836: „Wie war zu Köln es doch vordem / mit Heinzelmännchen so bequem! […]“

Der Zwerg galt als klug, zuverlässig und naturverbunden. Seine Charaktereigenschaften machten ihn zu einem idealen Werbeträger für Produkte. Das erste Patent, das 1894 vom Reichspatentamt in Berlin für ein Produkt vergeben wurde, beinhaltete eine Zwergendarstellung. Der Durchbruch für den Gartenzwerg kam mehr als ein halbes Jahrhundert später, wie Etta Bengen erzählt.

„Als der Gartenzwerg dann praktisch das Land eroberte, eben nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Konjunktur anzog, man irgendwie sich ’nen Schrebergarten leisten konnte oder ’nen eigenen Garten, da wollte man sich nach diesem ganzen Grauen irgendwie was Liebevolles, was Nettes in den Garten stellen, [wie] Schneewittchen und die sieben Zwerge.“

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollten die Deutschen die Grausamkeiten, das Grauen, des Krieges vergessen. Da viel wiederaufgebaut werden musste, erholte sich die Wirtschaft,  die Konjunktur zog an. Die Menschen hatten bald wieder Geld, um sich etwas zu kaufen, auch einen sogenannten Schrebergarten, einen Kleingarten für Stadtbewohner, in dem man zum Beispiel nicht nur Gemüse und Obst anbauen, sondern sich auch erholen konnte. Dort wurde eine heile Welt geschaffen, zu der auch Gartenzwerge gehörten.

Spätestens in den 1960er-Jahren wurden Gartenzwerge zum Massenprodukt. Ab den 1980er-Jahren galten sie vielen Deutschen aber als Symbol für Kleinbürgerlichkeit und Spießertum. Der klassische Gartenzwerg wurde modernisiert – sei es als Gartenzwerg mit einem Messer im Rücken, als Vampir oder mit nacktem Hinterteil, das provozieren sollte. Auch weibliche Gartenzwerge gab es, denn das „Reich der Gartenzwerge“ war traditionell eines der Männer. Trotzdem stellen sich in Deutschland nur noch Liebhaber die Zwerge in den Garten. Aber wer weiß: Vielleicht kommt der Gartenzwerg wieder. Es ist alles nur eine Frage der Zeit.

Charakteristisch für den Gartenzwerg ist seine rote Zipfelmütze.
Heutzutage kann man Gartenzwerge aus einem speziellen Kunststoff herstellen, damit sie bei großer Kälte nicht kaputtgehen.
Das erste Patent für Gartenzwerge wurde im Jahr 1900 in München erteilt.

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