Manuskript

Im Schallplattenwerk

Sie war früher der einzige Tonträger für Musikgenuss: die Schallplatte. Trotz neuer Medien ist Vinyl weiterhin gefragt. Auch eine deutsche Firma produziert die schwarzen oder auch bunten Scheiben wieder.


Etwa Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie „geboren“, jene meist schwarze, kreisrunde Scheibe, die es einem ermöglicht, Musik zu hören, ohne ein Konzert zu besuchen: die Schallplatte. Spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre sahen viele ihr Ende gekommen. Dann kamen die Compact Discs, die CDs, auf den Markt, sie hielten Einzug. CDs, die die Musik als Daten digital speicherten, hatten gegenüber der „alten“ Schallplatte viele Vorteile, unter anderem, dass einfach mehr auf sie „draufpasste“. Plattenhersteller wie die Pallas Group in der niedersächsischen Stadt Diepholz, etwa 65 Kilometer von Bremen entfernt, machten sich Gedanken, wie es nun weitergehen sollte. Firmenchef Holger Neumann erzählt:

„Na ja gut, also, wir haben schon schlussendlich überlegt nach dem Einzug der CD, was machen wir mit Vinyl. Das ist vollkommen klar. Aber wir haben einfach gesagt, wir motten die Maschinen ein, lassen sie ruhen, vielleicht kommt irgendwann der Peak wieder, Vinyl machen zu können. Das ist natürlich heute für uns ’n großer Vorteil, dass wir wieder Vinyl fertigen.“

Die Pallas Group ist eine der letzten Firmen Europas, die noch „Vinyl“ herstellt. Vinyl ist die umgangssprachliche Bezeichnung für „Schallplatte“, weil diese aus dem Kunststoffmaterial Polyvinylchlorid, PVC, hergestellt wird, was sich seit Ende der 1940er- Jahre immer stärker durchsetzte. Holger Neumann erzählt, dass man sich Mitte der 1980er- Jahre entschied, die für die Produktion notwendigen Maschinen zu behalten und stillzulegen. Sie wurden – umgangssprachlich – eingemottet. Der Begriff kommt daher, dass man besonders Wollkleidung nach dem Winter wegräumt und gegen Kleidermotten schützt. Diese Kleinschmetterlinge fressen Löcher in Stoffe wie Wolle, Pelz und Fell, weil sie sich von dem darin enthaltenen pflanzlichen Stoff ernähren. Holger Neumann begründet die damalige Entscheidung mit der Hoffnung auf eine mögliche erneute Nachfrage nach Schallplatten. Er benutzt dafür – nicht ganz korrekt – das englische Wort „peak“, das eigentlich „Gipfel“ oder „Spitze“ bedeutet. Seit 1949 werden im Werk in Diepholz Schallplatten gefertigt. Holger Neumanns Großvater Karl gründete das Presswerk. Damals wurden die Platten noch aus Schellack hergestellt, einer klebrigen, harzigen Flüssigkeit, die Insekten, die Lackschildläuse, ausscheiden. Karl Neumann benannte das Unternehmen nach der griechischen Göttin Pallas Athene. Sie gilt unter anderem als Beschützerin der Künste und als klug. Als dann Mitte der 1980er-Jahre die CD die Schallplatte aus den Studios und Musikgeschäften verdrängte, ging auch die Firma Pallas mit der Zeit und baute eine CD-Produktion auf. Aber dann stieg die Nachfrage nach Schallplatten erneut an. Holger Neumann erinnert sich:

„Der erste Gig oder die ersten Anfragen kamen eigentlich auch mit der ersten Love-Parade aus Berlin, wo du da auf den LKWs die Platten brauchtest zum Scratchen. Und da ja die anderen Werke nicht mehr gefertigt haben, kam die Anfrage natürlich zu uns. Und das war für uns vielleicht so ’n kleiner, ich sag’ mal so ’n Stern am Himmel, wo es hieß: ‚Na, vielleicht könnte jetzt Vinyl wieder ’n bisschen mehr Aufwind kriegen‘. Und man kann fast sagen, also, ab dem Tag an kamen hier und da mehr Anfragen fürs Vinyl wieder ran. Und wir haben dann Hoffnung geschöpft.“

Dass Schallplatten erneut wieder stark nachgefragt wurden, führt Holger Neumann zurück auf den Sommer 1989. Damals hatte die Schallplatte ihren musikalischen Auftritt, ihren Gig, bei der sogenannten Love-Parade in Berlin, einer großen Techno-Musikparty. Denn die Discjockeys brauchten für ihre Musik Schallplatten zum Scratchen. Dabei wird eine Platte, während sie sich dreht, mit den Händen rhythmisch hin- und herbewegt, sodass die Plattenspielernadel über das Vinyl kratzt. Die Pallas Group wurde gefragt, ob sie entsprechende Platten produzieren könne. Und sie hoffte, dass nun noch weitere Aufträge kommen. Man schöpfte Hoffnung. Holger Neumann benutzt zwei Bilder: das eines Sterns am Himmel, der leuchtet, sowie das eines Flugzeugs, das durch bestimmte Luftbewegungen weiter nach oben steigt, Aufwind bekommt. Und es war in der Tat so, dass von verschiedenen Seiten, von hier und da, Aufträge kamen. Wie wird eine Schallplatte denn hergestellt? Holger Neumann erklärt:

„Hier haben wir ein Außensilo, ungefähr acht Meter, neun Meter hoch, so ungefähr 30 Tonnen PVC-Granulat drinne, schwarzes Granulat, wo wir dann nachher eigentlich das Material für benötigen für die Vinyl-Fertigung. Es wird hier alle vier Wochen mit ’nem Silowagen aufgefüllt, getrocknet alles und dann wird von hier über verschiedene Förderanlagen das zu den Pressen transportiert. Und daraus entstehen die Schallplatten.“

In einem riesigen Speicher, einem Silo, der außen auf dem Fabrikgelände steht, wird das Material für die Schallplatten gesammelt: PVC-Granulat. Für das Granulat wird das Polyvinylchlorid geschmolzen und nach der Abkühlung in kleine Abschnitte geschnitten, die wie Körner aussehen. Jeden Monat einmal kommt ein spezieller Lastwagen, ein Silowagen, und bringt neues Granulat. Dieses wird dann über Förderanlagen, besondere Maschinen, die keine Luft und Feuchtigkeit hineinlassen, in die Presserei gebracht. Dort werden aus dem Granulat die sogenannten Schallplattenrohlinge in Form gepresst:

„Also, wir sind jetzt eigentlich im Herzstück der Firma, eigentlich in der Pressabteilung oder in der Presserei, wo jetzt die ganzen Vollautomaten stehen, wo dann die Schallplatte vollautomatisch hergestellt wird. Also, früher waren sie ja fast ausschließlich schwarz, heute haben wir es ja in vielen Farben. Wir fertigen jetzt gerade im Augenblick hier Rot, weil der Kunde gerne Rot haben möchte. Also, man kann fast jeden Kundenwunsch erfüllen.“

Holger Neumann bezeichnet die Presserei als das Herzstück der Firma. Den Begriff verwendet man, wenn man betonen will, dass etwas besonders wichtig ist, eine zentrale Bedeutung hat. In der Presserei wird die klebrige PVC-Masse unter hohem Dampfdruck zu Schallplatten gepresst. Meistens sind Schallplatten schwarz. Wünscht jemand jedoch eine andere Farbe, wird dieser Wunsch erfüllt. Jede Farbmischung ist einzigartig, ein Unikat, weil die Mischung mit der Hand hergestellt wird. Und wie kommt die Musik auf den Rohling? Folien, die die jeweilige Musikproduktion enthalten, werden von dem jeweiligen Musikstudio oder dem Kunden geliefert. Die einzelne Folie wird versilbert, danach gewaschen und anschließend galvanisiert. Dafür wird zunächst ein chemisches Mittel aufgesprüht, dann die bearbeitete Masterscheibe in ein Bad getaucht, das das Metall Nickel enthält. Das legt sich auf die Folie auf und bildet ein Duplikat. Anschließend werden diese Masterscheibe und das Duplikat, die Matrize, getrennt. Wichtig bei dem Master ist, dass die Rillen sauber und gleichmäßig sind, da man beim Abspielen der Platte jede Unebenheit hört. Über ein Mikroskop wird das kontrolliert. Durchschnittlich zwei Euro kostet eine Scheibe – je nach Größe, Farbe und Dicke. Holger Neumann liebt Schallplatten und schätzt den warmen Klang einer direkten, analogen Abtastung der Musik durch die Nadel eines Plattenspielers. Er gibt allerdings zu bedenken:

„Solange die Generationen danach fragen, wird es auch Vinyl geben. Und es ist der Markt, der sich auf Vinyl etwas eingestellt hat. Die sogenannten Plattenspielerhersteller haben sich drauf eingestellt. Also, es ist ein Boom. Keiner weiß, wo er herkommt. Und keiner weiß auch, wie lange er anhält. Es ist aber ein sehr interessanter und spannender Markt.“

Schallplatten haben laut Holger Neumann plötzlich wieder Erfolg, sie boomen. Er ist der Meinung, dass Vinyl auch weiter produziert werde, solange die Nachfrage anhält, unabhängig von der Altersgruppe der Käufer, der Generation. Man wisse nur nicht, wie lange. Zumindest ist es ein finanziell einträgliches, lukratives Geschäft. Mit einer Schallplatte lässt sich mehr Geld verdienen als mit einer CD. Und noch dreht sie sich unermüdlich. Auf der Homepage der Firma steht Folgendes: „Die Erde ist eine Scheibe“. So weit wird es dann aber doch nicht kommen.

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