Manuskript

Landwirtschaft in der Stadt

Stadt und Landwirtschaft schließen sich eigentlich aus. Ein junges Unternehmen in Berlin will das ändern. Auf einer Stadtfarm werden Biofische gezüchtet, in Gewächshäusern Biogemüse – mithilfe von „Aquaponik“.


 

Unscheinbar hinter einem Möbelhaus, einem Baumarkt und einem Postzentrum verbirgt es sich auf dem Gelände einer alten Brauerei in Berlin: ein Kreativzentrum für Künstler und Start-ups, neugegründete, kleine Unternehmen mit innovativen Ideen. Zu ihnen gehört eine Stadtfarm, die 2014 ihren Betrieb aufgenommen hat: Ecofriendly Farmsystems, kurz ECF Farmsystems. Hier werden Fisch und Gemüse, die ohne Einsatz von chemischen Mitteln auskommen, gezüchtet und an die ökobewusste Berliner Stadtbevölkerung verkauft. Denn die Stadtfarm macht sich die „Aquaponik“ zunutze, ein Mitte der 1980er Jahre in den USA entwickeltes Verfahren. Es verbindet die Aufzucht von Fischen in Aquakulturen – einer kontrollierten Fischzucht – mit der Kultivierung von Nutzpflanzen in Hydrokultur – einer Pflanzennährlösung ohne Erde. Basis ist ein geschlossener Wasser- und Nährstoffkreislauf. Dagh, einer der Mitarbeiter, kümmert sich um die Fischzucht:

„Also wir züchten jetzt Tilapia – und das ist ’ne relativ robuste Art. Das ist ’n afrikanischer Buntbarsch, und eignet sich sehr, sehr gut für die Aquakultur, weil er einen niedrigen Futterquotienten hat, also das heißt, er setzt quasi genau soviel um in Masse, wie gefüttert wird.“

In riesigen Wassertanks tummeln, bewegen sich, etwa 2000 Tilapias, die noch so groß sind wie Fingerkuppen. Die Zöglinge sind erst vor wenigen Tagen in den Tanks ausgesetzt worden. Man hatte sich für diese Fischart entschieden, weil sie als widerstandsfähig, robust, gilt. Der Vorteil des Tilapias ist, wie Dagh erklärt, dass er mit wenig Futter auskommt, aber trotzdem gut wächst, das Futter in Masse umsetzt. Die ausgewachsenen Tilapias wiegen jeweils rund 750 Gramm. Der ohrenbetäubende Lärm der Lüftung und Pumpen macht den Fischen erstaunlicherweise nichts aus. Nur tropisch warm muss es sein, erläutert Dagh:

„Die Fische brauchen halt so ’ne Temperatur von 28, 29 Grad. Und dementsprechend ist ja die Temperatur hier natürlich auch hoch. Und wir haben dementsprechend ’ne Wasserverdunstung und darum haben wir auch soviel Luftfeuchtigkeit hier im Raum.“

In der Halle fühlt man sich wie in einem tropischen Regenwald. Die Luftfeuchtigkeit ist sehr hoch, weil das Wasser verdampft, verdunstet. Sieben Kubikmeter frisches Wasser benötigen die Fische täglich. Es fließt durch mehrere Rohre an der Decke. Das Wasser kommt aus Zisternen nebenan, Behältern mit gefiltertem Regenwasser. Hinter den Fischtanks ist das Herzstück der Stadtfarm: ein Bioreaktor. Der verarbeitet die Ausscheidungen der Fische zu Dünger – und macht so die gemeinsame Fisch- und Gemüsezucht möglich. Im angrenzenden großen Glashaus ranken sich reihenweise die ersten Pflanzen an Schnüren in die Höhe. Um sie kümmert sich Robert:

„Wir haben hier Gurken, Tomaten, Paprika und Auberginen. Und die wachsen in Rinnen, da befindet sich Steinwolle. Und die wachsen am hohen Draht, das heißt, die wachsen sozusagen endlos. Die Pflanzen, also die Tomaten[ranken], werden zum Beispiel am Ende neun Meter lang sein.“

Die rund tausend Gemüsesetzlinge hat Robert mit Kolleginnen und Kollegen in kleine Gräben, Rinnen, gepflanzt. In diesen befindet sich Steinwolle, ein faserreiches Material, das unter anderem sehr viel Wasser aufnehmen kann – in diesem Fall die Nährlösung für die Gemüsepflanzen wie Auberginen, ein längliches Gemüse mit blau-violetter Schale. In einem weiteren Gewächshaus sprießen Salatpflanzen und Kräuter – alles rein biologisch, ohne Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln, Pestiziden. Stattdessen setzen Robert und seine Kolleginnen und Kollegen auf etwas anderes:

„Wir machen Nützlingseinsatz, das heißt eben die Gegenspieler der schädlichen Insekten, zum Beispiel Schlupfwespen oder Florfliegenlarven, Raubmilben oder Marienkäferlarven. Und die fressen dann eben Blattläuse und Spinnmilben und alles, was nicht gut ist für die Pflanze.“

Sogenannte Nützlinge, Insekten, die für Pflanzen schädliche Tiere fressen, kommen zum Einsatz. Dieses geschlossene System der Pflanzen- und Fischzucht hat nach Ansicht von Robert Vorteile:

„Erst mal ist das Ganze ’n geschützter Anbau, das heißt, man spart jede Menge Ressourcen, wie zum Beispiel Wasser. Also im Gegensatz zum normalen Feldanbau sparen wir 90 Prozent Wasser. Durch die Fische sparen wir Dünger und haben halt – wie gesagt – erwartungsgemäß [einen] relativ hohen Ertrag gegenüber Freilandanbau.“

Weitere Vorteile sind, dass die Transportwege kurz sind und die sonst notwendige Kühlung der Lebensmittel wegfällt. Allerdings kann so eine Stadtfarm höchstens eine Ergänzung zur traditionellen Landwirtschaft sein, sagt Nicolas Leschke, einer der Gründer von ECF Farmsystems:

„An sich ist die Landwirtschaft immer das Rückgrat der Lebensmittelproduktion. Und das, was wir machen, ist, eine Nische bedienen in Städten. Und das ist ’n guter Schritt in die richtige Richtung. Und wenn wir Menschen inspirieren können, sich über Lebensmittel oder mit Lebensmitteln auseinanderzusetzen, dann haben wir viel erreicht.“

Im Vergleich zu Agrarkonzernen kann ECF Farmsystems nur eine Nische bedienen, ein Angebot für eine nur geringe Anzahl von Kundinnen und Kunden bereithalten. So können lediglich ein paar hundert Biogemüsekisten monatlich und insgesamt rund 40.000 Tilapia jährlich ausgeliefert werden. Der Gemüse- und Fischverbrauch der Berliner Millionenbevölkerung liegt um ein Mehrfaches höher. Etwas mehr als eine Million Euro hat die Stadtfarm gekostet. Der erst einmal hohe Preis für einen überschaubaren Ertrag sollte jedoch nach Ansicht von Christian Echternacht, dem Mitgründer des Start-ups, nicht abschrecken. Denn die Vorteile würden überwiegen:

„Die Produktionskosten sind niedriger, weil man mit dem gleichen Personal quasi größere Flächen bewirtschaften kann, weil auch die Baukosten niedriger sind. Je größer man wird, desto günstiger wird es pro Quadratmeter, so eine Farm zu bauen. Oder die Computersysteme, die das Ganze steuern, die können auch zehn Hektar steuern, die können aber auch 1000 Hektar steuern.“

Die Hoffnung von Nicolas Leschke und Christian Echternacht besteht darin, dass größere und günstigere Aquaponik-Anlagen nach ihrer Idee irgendwann einmal zwei Weltprobleme der Zukunft lösen helfen: Meere vor der Überfischung retten – und gleichzeitig den hohen Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft eindämmen.