Manuskript

Modern und divers: das Staatsballett Berlin

Die größte Ballettkompanie Deutschlands hat einen neuen künstlerischen Leiter. Christian Spuck möchte dafür sorgen, dass das Staatsballett Berlin moderner wird und dass Tänzerinnen und Tänzer die Menschen sein dürfen, die sie sind – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Aussehen oder ihrem Geschlecht. Ein Vorhaben, das nicht selbstverständlich ist – denn in der Vergangenheit wurde das Staatsballett heftig für seinen Umgang mit Diversität kritisiert.

SPRECHER:
Das Staatsballett Berlin bricht mit den Konventionen und definiert klassisches Ballett ganz neu. Mit zwei sehr frei choreografierten Werken, die die neue Spielzeit eröffnen, setzt die Kompanie ein Zeichen für ihre zukünftige, moderne Ausrichtung. Und wie lautet die Vision des neuen künstlerischen Leiters?

CHRISTIAN SPUCK (Künstlerischer Leiter Staatsballett Berlin):
Meine Vision ist eine sehr kreative Kompanie. Alle weltberühmten Choreografen sollen gerne zu uns kommen und mit uns arbeiten, damit wir all das zeigen können, was Ballett und Tanz zu bieten haben.

SPRECHER:
Der 54-jährige deutsche Choreograf Christian Spuck sorgt für frischen Wind beim Staatsballett Berlin. Der ehemalige Direktor des Zürcher Balletts will neue Wege mit dem Ensemble beschreiten. Dieses ist mit 79 Tänzerinnen und Tänzern aus 28 Nationen die größte, teuerste und renommierteste Ballettkompanie Deutschlands. 

CHINATSU SUGISHIMA (Tänzerin):
Hi, ich bin Chinatsu Sugishima aus Japan.

GRÉGOIRE DUCHEVET (Tänzer): 
Hallo, ich bin Grégoire Duchevet aus Frankreich.

CHLOE (Tänzerin):
Hi, ich bin Chloe aus Kalifornien, USA.

GUSTAVO (Tänzer): 
Ich heiße Gustavo und komme aus Brasilien.

SPRECHER:
Einer der herausragenden Tänzer dieser Saison ist Leroy Mokgatle aus Südafrika: das erste non-binäre Mitglied des Ensembles.

LEROY MOKGATLE (Tänzer*in):
Es hat eine Weile gedauert, bis ich diesen Punkt erreicht und festgestellt habe, dass ich non-binär bin. Was das betrifft, aber auch uns Tänzer im Allgemeinen, wollen wir alle in einer Institution oder Kompanie tanzen, wo wir uns wohlfühlen und wo das Repertoire unser Können widerspiegelt. Vertrauen ist auch ein wichtiger Punkt. Der Leiter muss wirklich eine große Vision haben.

SPRECHER:
Und diese Vision beinhaltet auch, dass Leroy Rollen im Ensemble übernimmt, die nicht dem traditionellen Ballett entsprechen, und er sogar auf der Spitze tanzt. Ein weiteres Mitglied des diversen Ensembles ist die iranisch-schwedische Tänzerin Vivian Assal Koohnavard. Sie tanzt seit fünf Jahren beim Staatsballett Berlin und weiß sehr zu schätzen, dass sie sich nicht verstellen muss.

VIVIAN ASSAL KOOHNAVARD (Tänzerin):
Zum Glück habe ich mich nicht sehr unter Druck gesetzt gefühlt, mich anpassen zu müssen. Ich bin irgendwie sehr selbstbewusst geworden. Ich glaube, ich kann das auch alles. Es geht nicht darum, wie ich aussehe und woher ich komme, sondern was ich draufhabe.

SPRECHER:
2020 wurde das Berliner Staatsballett weltweit mit Schlagzeilen in der Presse konfrontiert. Eine schwarze Tänzerin berichtete, sie habe die Anweisung bekommen, ihre Haut für bestimmte Rollen aufzuhellen. Unter der neuen Leitung sollen Toleranz und Diversität großgeschrieben werden und nicht nur leere Floskeln sein.

CHRISTIAN SPUCK:
Wir kommen aus vielen verschiedenen Ländern der Welt. Jeder hat einen anderen Hintergrund, eine andere sexuelle Orientierung, eine andere Religion. Und in der Sprache des Tanzes funktioniert das wunderbar zusammen. Ich glaube, der Begriff „divers“ ist sehr repräsentativ für Berlin. Ich kenne keine andere Stadt, die so vielfältig ist, und es ist so wichtig für die Stadt, vielfältig zu sein. Und als Ballettkompanie in Berlin möchten wir die Stadt auch auf diese Weise repräsentieren.

SPRECHER:
Das Staatsballett Berlin bietet eines der umfangreichsten Repertoires für eine klassische Ballettkompanie an. Darunter Märchenballette wie „Schwanensee“, „Onegin“, aber auch zeitgenössische Stücke wie „Messa Da Requiem“ und „Bovary“ – Christian Spucks neuestes Stück nach dem Roman von Gustave Flaubert. Eine neue Ära einleiten, ohne die Loyalität des Berliner Ballettpublikums zu verlieren – eine große Herausforderung für Christian Spuck. Ist er deshalb nervös?

CHRISTIAN SPUCK:
Ich bin immer nervös, jeden Tag. Selbst bei einer normalen Studioprobe bin ich immer ein bisschen nervös, immer ein bisschen aufgeregt. Ich glaube, das ist es, worum es in der Kunst geht. Man muss sich auf das Unbekannte einlassen. Wenn man nicht nervös ist, gäbe es keine Herausforderung.

SPRECHER:
Das Staatsballett Berlin zeitgemäß und erfolgreich in die Zukunft zu führen: eine Herausforderung, der sich der neue künstlerische Leiter Christian Spuck mit vollem Einsatz stellt.