Manuskript

Nach dem Mauerfall kam die Kunst

Vor mehr als 30 Jahren fiel die Berliner Mauer. Dass die deutsche Hauptstadt jahrzehntelang geteilt war, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Dass auf Menschen geschossen wurde, die versuchten, die Grenze zu überqueren, erst recht nicht. Mittlerweile haben Kulturschaffende das Niemandsland an der früheren Grenze in Kulturorte verwandelt.

SPRECHERIN:
Ein ehemaliger Wachturm in Berlin – heute ein Ort für die Kunst. Die einstige Sperrzone im Grenzgebiet: Daneben liegt heute ein alternatives Stadtquartier. Dort, wo die Mauer die Menschen trennte, befinden sich heute etliche Kulturstätten.
 

DIANA PIÑEROS:
Hallo, ich bin Euromaxx-Reporterin Diana Piñeros. Ich werde Ihnen vier Orte zeigen, an denen nach dem Mauerfall etwas Neues entstanden ist. Los geht's!
 

SPRECHERIN:
Im früheren Ostteil der Stadt ist jetzt das Künstlerdorf Holzmarkt 25 ansässig. Im Schatten der Mauer war das Areal ein Niemandsland. Lange passiert nichts. 2003 entsteht auf dem Brachland zunächst ein Techno-Club und später das Kulturzentrum.
 

KONSTANTIN KREX (Kulturschaffender):
Also, ich glaub, der Holzmarkt, der konnte nur hier entstehen, nur in Berlin und auch nur an diesem Ort. Hier konnte ganz lange keine Stadt wachsen, das war ’ne Narbe. Und daraus hat man natürlich ’ne Situation vorgefunden, dass man Gestaltungsspielräume hatte, dass es Freiräume gab, die noch nicht bebaut waren und die noch nicht beplant waren.
 

SPRECHERIN:
Insgesamt 302 Wachtürme standen auf dem Todesstreifen und waren Teil eines brutalen Grenzsystems. Heutzutage sind nur noch wenige erhalten. Von diesem Wachturm wurde einst die Grenze zwischen dem Ostberliner Bezirk Treptow und dem Westberliner Bezirk Kreuzberg kontrolliert. Heute ist der Turm ein Ort der Kunst und steht unter Denkmalschutz.
 

DIANA PIÑEROS:
So sah der Wachturm nach dem Mauerfall aus, und so sieht es heute aus. Es ist unglaublich, sich vorzustellen, dass vor 60 Jahren von Türmen wie diesen auf Menschen geschossen wurde. Ui, schwer! Wow, verrückt!
 

SPRECHERIN:
In dem zehn Meter hohen Bau befinden sich inzwischen Ateliers für Kunstschaffende. Auch Ausstellungen und Events finden hier regelmäßig statt. Der geschichtsträchtige Ort wird vom Künstlerkollektiv „The Watch“ betreut.
 

DIANA PIÑEROS:
Warum ist es so wichtig, Kunst hier in einem Wachturm auszustellen?
 

DOMINIQUE HURTH (Künstlerin):
Also, den Turm zu aktivieren, ist wichtig, weil wir jetzt, 30 – mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall, nämlich eine neue Frage von solchen Symboliken erarbeiten müssen. Was bedeutet das eigentlich, 2021 in einem ehemaligen Turm, der einem Grenzapparat zugehörte, zu arbeiten? Es ist wichtig, da Künstler und Künstlerinnen einzuladen, die immer wieder diesen Ort irgendwie neu besetzen und neu definieren.
 

SPRECHERIN:
Und natürlich ist die East Side Gallery immer einen Besuch wert. 1,3 Kilometer – das längste noch erhaltene Stück der Mauer in Berlin. Heute auf der früheren Ostseite: eine Freiluftgalerie. Die Bilder wurden erst nach dem Mauerfall gemalt. Zu DDR-Zeiten war das unmöglich. Am Spreeufer sind viele Cafés und Grünflächen entstanden. Die Mauer kann man sich hier auch von der unbemalten Rückseite anschauen.
 

DIANA PIÑEROS:
Ich habe die East Side Gallery schon oft gesehen, aber noch nie aus dieser Perspektive. Ich kann mir Berlin nicht als geteilte Stadt vorstellen.
 

SPRECHERIN:
Sogar auf dem Wasser gab es einen Grenzverlauf. Hier, wo sich heute auf der Spree ein schwimmender Pool befindet, patrouillierten einst Grenzsoldaten mit Booten auf dem Fluss. Das „Badeschiff“ ist städtisches Kulturprojekt und Touristenmagnet. Diana Piñeros trifft den Architekten und die Kuratorin.
 

DIANA PIÑEROS:
Warum haben Sie sich für diesen Ort entschieden?
 

HEIKE MERTENS (Kuratorin):
Das hängt eben mit dem Grenzverlauf zusammen. Und der Grenzverlauf war eben natürlicherweise die Spree. Das hat natürlich auch viel mit der Wassersituation gemacht, und wir wollten diesen Zugang wieder öffnen.

SPRECHERIN:
Reste der ehemaligen Grenzanlage auf der Spree kann man heute noch von hier sehen.
 

DIANA PIÑEROS:
Heute habe ich sehr viel gelernt, und ich bin ganz begeistert, was nach dem Mauerfall alles Neues in Berlin entstanden ist. Und jetzt, [da] ich schon hier bin, muss ich natürlich eine Runde schwimmen gehen. Uiuiui, es ist schon ein bisschen frisch. Aber der Blick ist wunderschön!