Manuskript

Olympische Momente

Dem Franzosen Pierre de Coubertin hat die Welt die Olympischen Spiele der Neuzeit zu verdanken. Seine Idee: Völkerverständigung leben im sportlichen Wettkampf. Frauen sollten allerdings ausgeschlossen sein.

Die Olympische Fanfare erklang, als Georg I. von Griechenland am 6. April 1896 die ersten internationalen Olympischen Spiele der Neuzeit eröffnete. Damit erfüllte sich ein Wunsch des französischen Pädagogen, Historikers und Sportfunktionärs Pierre de Frédy, Baron de Coubertin, für dessen Verwirklichung er sich beinahe 15 Jahre eingesetzt hatte. 1894 bei einem Kongress in Paris hatte sein ständiges Werben zum Erfolg und später zur Gründung des Internationalen Olympischen Komitees IOC geführt. Seine Motivation begründete de Coubertin damals so:

„Von den Völkern zu verlangen, sich gegenseitig zu lieben, ist nichts anderes als eine Kinderei. Von ihnen zu verlangen, sich zu achten, ist keineswegs eine Utopie. Aber um sich zu achten, muss man sich erst einmal kennenlernen. Das ist das echte Fundament des wahren Friedens.“

Pierre de Coubertin empfand den Anspruch, dass sich alle Menschen auf der Welt lieben könnten, als naiv und kindisch, als Kinderei. Was in seinen Augen allerdings nicht unmöglich erschien, keine Utopie war, war der Wunsch, sich gegenseitig zu respektieren. Und wo konnte man das besser lernen als bei einem sportlichen Wettbewerb mit Teilnehmern aus verschiedenen Staaten – wobei der Siegeswille natürlich im Vordergrund stehen sollte? Das Motto der Olympischen Spiele lautet deshalb auch seit 1924: „Schneller, Höher, Stärker“, übersetzt aus dem Lateinischen „Citius, Altius, Fortius“. Thomas Bach, Präsident des IOC, bewertet die Motive de Coubertins so:

„Was er wollte, war Erziehung, war Pädagogik durch Sport und völkerverbindende Merkmale durch Sport. Das waren die Ziele, die feststehen, und vieles andere, was man liest und hört, ist wohl mehr Spekulation.“

Dem französischen Adeligen ging es unter anderem darum, dass in der Erziehung neue Wege eingeschlagen werden. Er praktizierte – so Bach – eine Pädagogik durch Sport ganz nach dem Motto „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist“. Auch habe er Sport als Element gesehen, das Völker miteinander verbindet und den Nationalgedanken in den Hintergrund drängen sollte. Andere Gründe habe er nicht gehabt. Das sei nur eine falsche Annahme, eine Spekulation. Das sehen Historiker wie Manfred Lämmer jedoch anders:

„Coubertin war natürlich nicht nur Kosmopolit, er war nicht nur ein Internationalist, so wie wir ihn heute sehen. Er war auch ein Kind seiner Zeit, er war auch ein französischer Patriot. Und es gibt viele Stellen in seinen schriftlichen Äußerungen, aus denen deutlich wird, wie sehr er unter der Niederlage Frankreichs gelitten hat, 1870/71 im Krieg gegen Preußen.“

De Coubertin war – so der Historiker – in seinen Ansichten nicht nur ein Weltbürger, ein Kosmopolit, sondern er war auch geprägt durch die Zeit, in der er lebte. Er war ein Kind seiner Zeit. Außerdem liebte er sein Heimatland Frankreich sehr, er war ein Patriot. Obwohl de Coubertin während des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71 noch ein Kind war – er wurde 1863 geboren –, war er sehr enttäuscht darüber, dass „sein“ Frankreich den preußischen Truppen unterlag. Für ihn war später klar: Das lag nur daran, dass die Soldaten körperlich nicht ausreichend trainiert waren. Als Austragungsort der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit wurde Athen gewählt, was eine Art Verbeugung vor Griechenland war. Denn dort, in der antiken Stadt Olympia, wurden die Spiele erstmals veranstaltet – bis vermutlich zum Jahr 393 nach Christus, als der römische Kaiser Theodosius I. sie verbot, weil sie als heidnischer Brauch galten. Die Griechen stellten deshalb auch bei den ersten Neuzeit-Spielen in Athen etwa zwei Drittel der ausschließlich männlichen Teilnehmer: Rund 250 Athleten aus 13 Ländern nahmen teil. Nationalteams waren damals noch nicht am Start – und es gab 43 Entscheidungen in nur neun Sportarten. Die Organisatoren betraten laut Manfred Lämmer damals Neuland:

„Es gab ja für diese Spiele kein Vorbild, weder ein organisatorisches noch ein protokollarisches. Man hat, etwas fußend auf der Tradition der nationalen Olympischen Spiele in Griechenland, die ja vorher schon durchgeführt wurden, hat man sozusagen ein internationales Kontingent draufgesetzt.“

Laut Manfred Lämmer orientierten sich die Organisatoren der Neuzeit-Spiele an den „Olympien“ in Griechenland. Sie fußten auf ihnen. Diese Sportveranstaltungen wurden von 1859 bis 1889 viermal in Athen ausgetragen und waren den antiken Spielen nachempfunden. An ihnen nahmen jedoch ausschließlich Griechen teil. Die Organisatoren der Olympischen Spiele von 1896 setzten also – wie Lämmer es bildlich ausdrückt – Sportler aus anderen Staaten oben drauf. Auch der Ablauf entsprach nicht dem antiken Vorbild. Pierre de Coubertin orientierte sich an den englischen „Wenlock Olympian Games“, die erstmals 1860 in der englischen Kleinstadt Much Wenlock stattfanden. Er ergänzte sie noch um den Gedanken, dass die internationalen Olympischen Spiele jedes Mal in einem anderen Staat stattfinden sollten. Und auf de Coubertin gehen auch die fünf olympischen Ringe als völkerverbindendes Symbol für die fünf Kontinente zurück.

Aber so völkerverbindend er auch dachte: Seine Haltung gegenüber Deutschland blieb weitgehend unverändert. Zur Gründung des Internationalen Olympischen Komitees 1894 in Paris wurde es nicht eingeladen. Dem damaligen IOC-Präsidenten Demetrius Vikelas war es zu verdanken, dass letztendlich doch ein deutscher Vertreter in das Komitee aufgenommen wurde. Und die Deutschen waren schließlich sehr erfolgreich: Sie nahmen mit 21 Athleten teil, der zweitgrößten Mannschaft, sie sicherten sich einen dritten Platz in der Medaillenwertung, dem Medaillenspiegel, und stellten einen der erfolgreichsten Teilnehmer: Carl Schuhmann. Er allein holte vier Medaillen im Turnen, Ringen und Gewichtheben. Weibliche Athleten blieben zunächst außen vor. Sie durften erstmals an den Spielen im Jahr 1900 teilnehmen, die im Rahmen der Weltausstellung in Paris stattfanden. Denn für Frauen als Sportlerinnen war im Weltbild Pierre de Coubertins zeitlebens kein Platz. Historiker Manfred Lämmer erklärt, warum:

„Er hatte als Vorbild die griechische Antike. Dort gab es keine Frauen im Wettkampfsport. Das deutsche Turnen, die englische Public-School-Erziehung war eine männliche Erziehung in Eton, Harrow – und Rugby. Ein Grund, warum er 1925 zurücktrat, war auch die Öffnung der Spiele für Frauen.“

Der Franzose dachte ganz traditionell: Sport allgemein – wie zum Beispiel Turnen und Rugby – war nur etwas für Männer. Außerdem nahmen auch an den antiken Spielen in Griechenland keine Frauen teil. Die Tatsache, dass dann doch Frauen zu den Spielen zugelassen wurden, dass die Spiele für sie geöffnet wurden wie eine geschlossene Tür, soll – so Manfred Lämmer – ein Grund für seinen Rücktritt als langjähriger IOC-Präsident im Jahr 1925 gewesen sein. Baron de Coubertin starb 1937: Während eines Spaziergangs im schweizerischen Genf blieb sein Herz stehen. Es ruht in einer Marmorsäule in Olympia.

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