Manuskript

Parktag in Deutschland

Für die meisten Menschen ist eine Welt ohne Autos unvorstellbar. Aber immer mehr Menschen sind genervt vom vielen Verkehr, dem damit verbundenen Lärm. An einem Tag im Jahr wird dagegen protestiert.

Volle Straßen in Innenstädten, die vergebliche Suche nach einem Parkplatz. Besonders schlimm ist es in Großstädten. Der Amerikaner Matthew Passmore beobachtete von einem Büro in San Francisco im Jahr 2005, wie Autos sich aus engen Parklücken herausquälten, und kam auf eine Idee. Warum diese Parklücken nicht mal künstlerisch gestalten und Autostellplätze in richtige Parks verwandeln. So entstand der „Park(ing) Day“. Deshalb ist der Begriff „Park(ing)“ auch als Wortspiel zu verstehen. „Parking“ steht für „Parken“, kann aber auch „Parks schaffen“ bedeuten. Die Idee griff um sich. In Deutschland fand 2007 in München der erste „Park(ing) Day“ statt. Inzwischen nehmen auch Bürger weiterer deutscher Städte wie zum Beispiel Leipzig an dem Aktionstag teil. Dort, wo sonst Autos stehen, wird ein Picknick gemacht, Kinder spielen. Zu ihnen gehört auch Vincent. Er lässt sich von den vorbeifahrenden Autos nicht ablenken und versucht, auf einer mobilen Kegelbahn die Holzfiguren, Kegel genannt, mit einem Ball umzuwerfen:

„Wir haben jetzt hier zwei Bälle. Genau, und da sind die Kegel, das sind neun Stück und wir machen fünf Runden. Okay.“

Vincent kegelt in einer kleinen Parklücke auf der Karl-Heine-Straße, einer gut befahrenen Hauptstraße im Leipziger Westen. Die Lücke besetzt haben an diesem „Park(ing) Day“ die Aktivisten vom Verein „KunZstoffe“. Sie recyceln Dinge, die andere wegwerfen, bauen daraus Kunstwerke, Bühnenbilder, Schmuck und Möbel – oder an Tagen wie diesem eben eine Kegelbahn und gleich nebenan einen kleinen Garten:

„Wir haben uns entschieden, hier Rollrasen auf die Parkfläche auszulegen und haben aus unserem mobilen Garten ein paar mobile Beete mitgebracht: Pfefferminze, Rhabarber und Mais. Und zusätzlich gibt es noch ‘n Sofa hinter uns, und das ist wild mit Kresse bewachsen.“

Dominik erzählt, dass man, um eine gartenähnliche Atmosphäre zu schaffen, Rollrasen mitgebracht habe. Für Rollrasen wird Rasensamen gesät. Sobald eine Rasenfläche entstanden ist, wird diese in Streifen mit einer Maschine vorsichtig vom Boden abgeschält und aufgerollt. In einem Garten findet man natürlich auch Beete, Bereiche, in denen Blumen oder auch Gemüse wie Rhabarber und Kräuter wie Kresse gepflanzt werden. Rhabarber wird gerne für Süßspeisen wie Kuchen oder Kompott verwendet. Passanten wie Rebecca ist der ungewöhnliche kleine Garten in einer Parklücke aufgefallen. Sie fragt sich, was der Hintergrund ist:

„Ich hab erst mal das Sofa nur von hinten gesehen, und dann fand ich die Idee einfach sehr schön, sich hier einfach quasi auf die Straße, aber gleichzeitig auf den Rasen und in den Garten zu setzen. Ich wollte wissen, was ihr hier macht. / Na, ‚Park(ing) Day’ ist, dass wir halt Parklücken besetzen, also, wir wollen halt zeigen, dass halt hier nicht nur Autos parken können. Also, wir haben zum Beispiel auch ‘ne Kegelbahn dort stehen, und hier ist halt jetzt eben die Wiese. / Genau. / Okay.“

Rebecca findet die Idee gut, eben mal – oder wie sie sagt einfach quasi – eine Gartenatmosphäre auf der Straße zu schaffen. Die Partikeln „einfach“ und „quasi“sind in der Umgangssprache sehr geläufig. „Einfach“ wird gerne als Bestärkung von etwas Gesagtem, „quasi“ als Synonym für „fast“, „beinahe“ verwendet. Ein paar Kilometer von der Aktion des Vereins „KunZstoffe“ entfernt sitzen an der nächsten großen Hauptstraße die Aktivisten vom Leipziger Umweltschutzverein „Ökolöwe“. Auch sie haben Rollrasen ausgelegt, ein paar Liegestühle aufgestellt. Es gibt Getränke und Gitarrenmusik und ein kleines Radio mit Vogelgezwitscher. Vereinsmitglied Tino erklärt, sie wollten mit ihrer Aktion darauf aufmerksam machen, dass mancher Autofahrer schwächere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer und Fußgänger nicht beachte. Mit den entsprechenden Konsequenzen:

„Das Verhältnis ist schon recht angespannt, dieses Straßenkampfthema: wo da der böse Fahrradfahrer sich nicht an die Regeln hält und der Autofahrer rücksichtslos ist. Das ist in anderen Ländern irgendwie alles ‘n bisschen entspannter. Es ist hier in Deutschland – und in Leipzig dann herum speziell – jetzt nicht so harmonisch, sag ich mal.“

Tino schildert, dass es in vielen deutschen Städten wie Leipzig manchmal zu Situationen kommt, die an einen Straßenkampf zwischen verfeindeten Banden erinnern. Fahrradfahrer fänden, dass zu wenig Rücksicht auf sie genommen werde, Autofahrer dagegen, dass Fahrradfahrer sich nicht an Straßenverkehrsregeln hielten. In anderen Ländern wie Dänemark und den Niederlanden, in denen Fahrradfahren eine ganz andere Tradition hat, ist das, so Tino, anders. So eine Aktion wie der „Park(ing) Day“ ist allerdings mit viel Bürokratie verbunden, sagt Tino:

„Man kann ja überall sein Auto hinstellen, und das ist irgendwie das Normalste der Welt. Aber jetzt zum Beispiel hier für die Lücke, wenn wir jetzt mal ‘nen Tisch und zwei Stühle hier hinstellen wollen, dann müssen wir zum Ordnungsamt gehen, ‘ne Sondernutzung beantragen. Wenn wir da zu spät sind, müssen wir eine Versammlung anmelden, eine politische Kundgebung, ja. Ein Riesenaufriss, nur weil man halt mal da sitzen will, Kaffee trinken mit anderen Leuten.“

Für eine Protestaktion wie diese muss man, wie Tino umgangssprachlich sagt, einen Riesenaufriss machen, man muss sehr viel tun, einen Riesenaufwand betreiben. Ein Aufriss ist eigentlich eine technische Zeichnung, zum Beispiel der Seite eines Hauses. Will man in Deutschland eine öffentliche Fläche für sich nutzen, muss bei der entsprechenden Behörde der Stadt, dem Ordnungsamt, eine Sondernutzung beantragt werden. Werden Fristen nicht eingehalten, kann es noch umständlicher sein, wie Tino erzählt. Die Erlaubnis ist aber wichtig. Denn immer mal wieder hält die Polizei, kontrolliert auch beim dritten Mal minutenlang die Genehmigung der jungen Leute für ihre Aktion. Jonathan, der gerade mit seinem Fahrrad angehalten und sich nach dem Sinn des Ganzen erkundigt hat, findet die Aktion gut – bezweifelt aber einen nachhaltigen Effekt, eine dauerhafte Wirkung:

„Also, ob jetzt Park(ing) Day was erreicht, Leute dazu anzuregen, weniger mit ihrem Auto zu fahren – weiß ich nicht. Ich find es auf keinen Fall sinnlos, weil, wenn schon mal ein, zwei Leute stehen bleiben und mal gucken, hat ’s schon ‘nen Sinn. Ich weiß nicht, ob das jetzt ‘nen großen Effekt hat, das wird sich zeigen.“

Trotz manchen Zweiflers finden es Teilnehmer des Aktionstages wie Tino aber wichtig, endlich über alternative Konzepte nachzudenken. Dazu gehören bessere und günstigere öffentliche Verkehrsmittel und mehr Fahrradwege – kurz gesagt eine menschenfreundlichere Verkehrspolitik:

„Ich denke schon, dass wir hier in der Ersten Welt ‘ne andere Mobilitätskultur entwickeln können, an der sich auch andere Länder orientieren können. Weil, was nicht funktionieren wird, ist, wenn die ganze Welt so Auto fahren würde wie der Deutsche und so viele Autos besitzen würde wie der Deutsche. Das würde unsere Erde gar nicht aushalten. So viel Platz hätten wir gar nicht und so viel Öl gibt es gar nicht. Also, wir müssen in zwingender Weise ‘ne Alternative zu dieser Autokultur finden. Und da ist auch Deutschland gefragt, und deswegen machen wir das auch hier in Leipzig und versuchen, einfach da ‘nen anderen Weg zu zeigen.“

Tino findet, dass die Industrienationen der Ersten Welt Vorbild für andere Regionen der Erde sein müssten. Denn wenn auf der ganzen Welt so viel Auto gefahren werde und jeder so viele Autos besäße wie mancher Deutsche, würde unsere Erde das gar nicht ertragen, aushalten. Und deshalb müsse man auch mal, selbst wenn es nur eine einmalige Protestaktion sei, andere Wege aufzeigen, eine Mobilitätskultur schaffen.

Manuskript