„Buche einen Pastor“
Eine christliche Trauungs- oder Trauerzeremonie abhalten ohne Mitglied einer Kirche zu sein? Heutzutage ist das möglich. Man bucht einen freien Redner, am besten mit theologischem Hintergrund – wie bei „rent-a-pastor“.
Wer in Deutschland eine kirchliche Trauung oder auch Beerdigung wünscht, muss Mitglied einer Kirche sein. Die beiden größten sind die evangelische und die katholische. Doch immer mehr Deutsche kehren ihrer Kirche den Rücken. Mittlerweile gehören nur noch knapp 50 Prozent der Menschen in Deutschland einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Diejenigen, die aber noch an Gott glauben oder sich zumindest eine professionelle religiöse Zeremonie wünschen, gehören zur Zielgruppe von Pastor Samuel Diekmann und seinem Team. Ende 2012 rief er zusammen mit anderen aktiven beziehungsweise ehemaligen Kolleginnen und Kollegen die Internetseite „rent-a-pastor.com“ ins Leben, auf Deutsch: „Buche einen Pastor“. Eine Marktlücke, wie sich herausstellte. Denn, so Samuel Diekmann:
„Es gibt freie Redner wie Sand am Meer, die man anfragen kann. Und das ist immer sehr schwierig auch für Brautpaare herauszufinden, was ist das für ’ne Person dahinter. Und da werben wir natürlich ’n Stück weit auch mit unserem Berufsbild, mit unserer Seriosität und unserer Ausbildung und mit unserer Erfahrung. Und das kommt auch sehr gut an.“
Wer einen freien Redner, eine freie Rednerin für eine Trauung oder Beerdigung sucht, also jemanden, der auf eigene Rechnung arbeitet, hat die Qual der Wahl. Denn es gibt sie wie Sand am Meer, in sehr großer Anzahl. Entscheidet man sich dann für jemanden, kennt man die Qualifikation nicht, weiß nicht, welche Person dahintersteckt. Was bei „rent-a-pastor“ anders ist. Denn hier werden nur Personen mit theologischem Hintergrund, Pastoren oder ehemalige Pastoren, in die Kartei aufgenommen. Diejenigen, die sich hier engagieren, wirken deshalb auch glaubwürdig, seriös, womit man natürlich auch ein bisschen, ein Stück weit, wirbt. Das Angebot wird positiv aufgenommen, kommt sehr gut an.
„Mietpastorinnen“ beziehungsweise „Mietpastoren“ gestalten zusammen mit den Beteiligten eine Feier. Ein Paar trauen dürfen sie aber nur, wenn es bereits standesamtlich verheiratet ist. Von der Kirche wird eine derartige Eheschließung nicht anerkannt. Denn bei einer kirchlichen Hochzeit muss mindestens einer der Partner noch „in der Kirche“, also Mitglied sein. Volker Lehnert, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, sieht Vorteile, aber auch Nachteile dieses Angebots:
„Das gute Moment ist: Immerhin kommt bei diesen Amtshandlungen noch der Glaube an Gott zur Sprache. Das ist natürlich kirchliches Interesse. Das negative Moment ist natürlich das Signal: ‚Ach, man kann diesen ganzen kirchlichen Betrieb oder pseudokirchlichen Betrieb auch haben, ohne Mitglied der Kirche zu sein‘. Nur, wenn das alle tun würden, wär’ natürlich die Kirche in ihrem Gesamtbestand zu Ende.“
Als positiv, als gutes Moment, bezeichnet Volker Lehnert die Tatsache, dass bei einer Trauung oder Beerdigung, einer Amtshandlung, Gott und der Glaube an ihn noch eine Rolle spielen. Manche dieser alternativen Zeremonien finden auch in einer Kirche oder Kapelle statt, mit den entsprechenden Ritualen wie einem Orgelspiel. Für Volker Lehnert besteht das Risiko des pseudokirchlichen Angebots, das also nur kirchlich erscheint, es aber nicht ist, darin, dass dann noch mehr Menschen aus der Kirche austreten würden. Und dann könnte die Kirche nicht mehr weiterexistieren, wäre in ihrem Gesamtbestand zu Ende. „rent-a-pastor“-Gründer Samuel Diekmann teilt diese Befürchtung nicht. Im Gegenteil glaubt er, dass durch das Angebot manch einer wieder zum Glauben finden könnte. Er verdeutlicht das an einem Beispiel:
„Wir sagen: ‚Wenn Sie ’ne Autopanne haben und nicht im Automobilclub sind, dann können Sie die Gelben Engel aber trotzdem anrufen. Die helfen Ihnen dann auch gerne und kompetent, aber Sie müssen halt für den Service dann eben bezahlen.‘ Aber oft ist es dann so, wenn Sie so ’ne Panne hatten, dass Sie dann überlegen und sagen: ‚Mensch, das war super, das passiert mir nicht noch mal‘. Und dann denken Sie drüber nach, über ’ne Mitgliedschaft im Automobilclub. Und ’n ganz ähnlichen Effekt erhoffen wir uns als Geistliche eben auch – das steht nicht im Vordergrund, aber das schwingt auch mit. Bei dem ein oder anderen können wir wirklich punkten, durch eine gute Leistung, durch Freundlichkeit, durch Humor, was wir da reinbringen. Der persönliche Bezug: Wir haben viele Vorgespräche mit den Leuten, wir lernen die kennen. Und der ein oder andere denkt auch darüber noch mal neu über Glaube und Kirche nach.“
Wer eine Panne, einen plötzlichen Schaden oder technisches Problem, mit seinem Fahrzeug hat, kann in Deutschland Helfer eines Automobilclubs anrufen, etwa die des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs ADAC. Dessen Pannenhelfer werden wegen ihrer gelben Fahrzeuge umgangssprachlich „Gelbe Engel“ genannt. Für Mitglieder eines Automobilclubs ist die Pannenhilfe kostenlos, Nicht-Mitglieder müssen dafür bezahlen. Von diesen entscheiden sich laut Samuel Diekmann manche für eine Mitgliedschaft, weil ihnen geholfen wurde. Dieses Beispiel überträgt er auf „rent-a-pastor“. Hier erhofft man sich eine ähnliche Reaktion, einen ähnlichen Effekt. Wenn die Kunden mit der jeweiligen gebuchten Person zufrieden sind, könnte mancher neu über den Glauben an Gott und die Institution Kirche nachdenken. Allerdings steht das nicht im Vordergrund. Es schwingt nur mit, ist eine Begleiterscheinung. Hilfreich ist dabei, so Samuel Diekmann, dass man sich persönlich kennenlernt, einen persönlichen Bezug schafft. Und je überzeugender die jeweilige Person auftritt, umso mehr kann sie oder er punkten, mit Erfolgen aufwarten, beeindrucken – und wird dann wieder gebucht.
Wurde die Agentur anfangs vor allem aus kirchlichen Reihen noch kritisch beäugt, so Diekmann, hätten sich die Wogen mittlerweile geglättet. Nun würden sich schon mal Studenten theologischer Fakultäten bei ihm melden, wenn sie eine Facharbeit über Kasualien, geistliche Amtshandlungen aus besonderem Anlass, oder praktische Theologie schreiben.