Manuskript

Religion in der Kita 

Was bedeutet Ostern für die Christen, was Ramadan für die Moslems? Toleranz und Verständnis für andere Religionen wird im Berliner Bezirk Wedding schon früh geübt: in der Kindertagesstätte der Osterkirche.

In der Osterkirche im Berliner Stadtteil Wedding sitzen 30 Kinder im Kreis vor dem Altar. Die Gruppe kommt aus der evangelischen Kindertagesstätte Osterkita direkt nebenan. Da der Begriff „Osterkindertagesstätte“ zu lang ist, wurde auf die in der Umgangssprache verbreitete Abkürzung für „Kindertagesstätte“, Kita, zurückgegriffen. Einmal in der Woche findet in der Osterkirche die sogenannte Kinder-Kirche statt – und das schon seit Anfang der 2000er Jahre. Die Initiative dazu ging von einer engagierten Mutter aus. Tagesstättenkinder im Alter von einem Jahr bis zu sechs Jahren können an der Kinder-Kirche teilnehmen. Ein Ziel der Initiatoren ist, mehr Verständnis für den Glauben der jeweils anderen Religionsgruppe zu wecken. Die Kinder lernen in der Osterkita nicht nur die christliche Tradition kennen, sondern auch die muslimische. 70 Prozent der Kinder kommen aus muslimischen Familien. Es ist kurz vor Ostern, das für die Christen neben Weihnachten wichtigste religiöse Fest. Erzieherin Angela aus der Osterkita holt mehrere Holzfiguren aus einer Kiste und lässt die Puppen eine Geschichte über Ostern erzählen. Was schätzt sie an der Kinder-Kirche?

„Ich möchte gerne Kindern die Möglichkeit geben, beides kennenzulernen, sowohl die christliche Religion – also etwas anderes, was sie nicht tagtäglich erleben –, und gleichzeitig aber auch uns neugierig machen auf das, was die muslimischen Kinder im Alltag erleben.“

Kinder, Eltern und Erzieher feiern gemeinsam das christliche Ostern und das muslimische Opferfest, Weihnachten und Ramadan. Angela besucht mit den Kindern auch mal eine Moschee. Konflikte gibt es trotzdem manchmal, wie sie erzählt:

„Ich hab im letzten Jahr mit den Kindern ‚Taufe‘ als Thema gemacht und hatte einen Segensspruch auf ein Pappkreuz draufgeklebt. Und da durften die Kinder sich jeder ein Kreuz aussuchen. Die Reaktion der Eltern war da drauf: ‚Das schmeißen wir weg, weil das gehört nicht zu unserem Glauben.‘ Wir haben mit den Eltern darüber gesprochen, dass wenn sie ihre Kinder in eine evangelische Einrichtung geben, dass die Kinder dann auch die Symbole kennenlernen und mit den Symbolen sozusagen auch umgehen.“

Angela sorgte, wie sie erzählt, für einen Konflikt, als sie Kreuze aus Pappe gebastelt hatte. Anlass war das Thema Taufe, die offizielle Aufnahme in die christliche Kirche. Bei einer Taufe können Sätze mit guten Wünschen formuliert werden, sogenannte Segenssprüche. Diese gibt es allerdings auch zu anderen Anlässen wie zum Beispiel bei Hochzeiten oder Geburtstagen. Das christliche Kreuz stellte vor allem für muslimische Eltern ein Problem dar. Ihnen wurde dann erklärt, dass sie ihr Kind ja in einem christlichen Kindergarten angemeldet haben, dass sie sie in diese Einrichtung gegeben haben. Es sei klar, dass die Kinder dann auch mit christlichen Symbolen wie dem Kreuz in Kontakt kommen. Sie würden deren Bedeutung und Verwendung kennenlernen, sie würden lernen, mit ihnen umzugehen. Die Osterkita nimmt schon seit den 1970er-Jahren Kinder aus muslimischen Familien auf. Die Berliner Regierung hat Sprachkurse für Eltern und interreligiöse Projekte gefördert. Trotz mancher Differenzen schätzen auch muslimische Familien im sogenannten „Sprengelkiez, dem Wohngebiet Weddings, in dem die Osterkirche liegt, die integrative Grundidee der Osterkita. Sie melden ihre Kinder bewusst dort an, wie Zeinab und Sultan. Beide Frauen wohnen mit ihren Familien in der Sprengelstraße. Zeinab engagiert sich bei Projekten der Kita und bringt den Kindern islamische Kultur und Rituale nahe. Sultan schätzt das Leben in ihrem Kiez:

„Wir haben Aşure gekocht und mit den Kindern probiert. Und dann zum Beispiel, wenn Opferfestzeit, wir haben Opferfest erzählt, und wenn Ramadan ist, Ramadan-Zeit erzählt. / Wir leben ja hier in einem Kiez, wo viele unterschiedliche Nationalitäten vertreten sind, ne.“

Zeinab erklärt den Kindern, was bei hohen religiösen Festen der Moslems passiert – zum Beispiel, dass Aşure serviert wird. Dieses Dessert, das zum muslimischen Aschura-Fest zubereitet wird, besteht aus gekochten Bohnen, Kichererbsen, Weizen, Reis, Wasser, Rosinen und Puderzucker. Wie Zeinab ist auch Sultan interkulturelles Engagement wichtig. Sie hat ihre Kinder dazu erzogen, andere Religionen und Kulturen zu respektieren. In der Osterkita haben ihre Kinder mit deutschen, afrikanischen, türkischen, russischen und arabischstämmigen Kindern gespielt. Die Zeit dort habe die Kinder und sie geprägt, dort hätten sie gelernt, mit Konflikten, mit solchen Sachen, offen umzugehen, sagt Sultan:

„Wir können uns sehr gut darüber auseinandersetzen. Wir können gemeinsam darüber sehr gut diskutieren, was sie gelernt haben, was sie gut gefunden haben. Also, es hat für mich als Mutter noch mal eine Stärkung gegeben, dass meine Kinder mit solchen Sachen besser umgehen können.“

Und obwohl ihre Kinder längst nicht mehr in die Kindertagesstätte gehen, engagiert sich Sultan noch immer bei Gottesdiensten der Sprengelkiez-Gemeinde. Sie kommt regelmäßig zum Frauen-Tee, der 2001 für Mütter der Kita-Kinder gegründet wurde. Wie viele muslimische Frauen im Kiez gehört Sultan inzwischen fest zum Gemeindeleben dazu. Für die frühere Pfarrerin der Kirchengemeinde, Elke Unterdörfel, war das besonders wichtig:

„Dass diese muslimischen Familien auch unsere Kirche wahrnehmen, unsere Gemeinde wahrnehmen und auch mitnutzen und das auch als mit ihrs betrachten.“

Elke Unterdörfel, die fünf Jahre in Berlin-Wedding tätig war, meint, dass muslimische Familien den christlichen Glauben und seine Traditionen und Feste verstehen sollten. Sie sollten die Angebote der christlichen Gemeinschaft, der Gemeinde, für sich nutzen, sie als ihre betrachten. Die Pfarrerin sieht in der Osterkita eine große Bereicherung:

„Ich bin der festen Überzeugung, dass aus solch einer Kita eine Menge Toleranz erwächst. Und deshalb halte ich es für sehr, sehr wichtig, dass diese Kinder zusammen aufwachsen.“