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Manuskript

Meine Handschrift und mein Ich

Wie jemand schreibt, soll viel über ihn aussagen. Das trifft auch auf berühmte Persönlichkeiten wie Goethe, Fontane oder Beethoven zu. Eines ist allen Handschriften gemeinsam: ihre Einzigartigkeit.


Schon im Jahr 1977 initiierte der US-Herstellerverband für Schreibgeräte (WIMA) einen Tag der Handschrift, um für den Gebrauch von Stift und Papier zu werben. In Erinnerung an den Geburtstag des ersten Unterzeichners der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung John Hancock wurde er für den 23. Januar eines jeden Jahres ausgerufen. Ob dieser eher kuriose Internationale Tag der Handschrift etwas daran ändert, dass im Alltag nur noch eine Minderheit zu Stift, Füller oder einem anderen Schreibgerät greift? Fachleute sind sich sicher: mit der Hand in Schreibschrift zu schreiben, fördert nicht nur die Feinmotorik, sondern auch das Denken und das Lernen. Würde überhaupt nicht mehr mit der Hand geschrieben, dürfte eine jahrhundertealte Kulturtechnik aussterben. Davor warnt auch jemand wie Wolfgang Mecklenburg. Er ist Autographen-Händler, befasst sich beruflich mit handschriftlichen Zeugnissen berühmter Persönlichkeiten. Denn, so seine Einschätzung:

„Das Spannende eigentlich ist, dass die Handschrift ja sehr viel mehr transportiert als lediglich die Information. Also, wenn ich es mit einem getippten Text vergleiche, dann kommt in der Handschrift eben doch sehr viel Persönlichkeit zum Ausdruck. Schreiben ist Körpersprache auf eine Art und Weise, die sich auf dem Papier manifestiert, die dort quasi einfriert und für die Nachfolgenden nachvollziehbar wird.“

Wird ein Text mit einer Schreibmaschine beziehungsweise Computertastatur geschrieben, ist das Schriftbild ziemlich einheitlich, steril. Ein handschriftlicher Text spiegelt dagegen die Persönlichkeit der Verfasserin oder des Verfassers wider. Die Handschrift kann beispielsweise schwungvoll sein, ausladend, große und kleine Schnörkel oder Unterlängen haben und linkslastig oder rechtslastig sein. Graphologen können dadurch darauf schließen, ob jemand voller Tatendrang ist, eher bescheiden und zurückhaltend, begeisterungsfähig, antriebsarm, selbstbezogen, warmherzig und kontaktfreudig. Die Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe und Theodor Fontane sind dafür, so Wolfgang Mecklenburg, sehr gute Beispiele:

„Es ist beiden zu eigen, dass es sehr ausdrucksvolle, schwungvolle, lebendige Handschriften sind. Sie haben beide was sehr Freies, halten sich beide in vielen Fällen nicht an die jeweiligen Konventionen, sondern haben eben im Laufe ihres Lebens ihre Eigenheiten entwickelt. Bei Fontane ist zu sehen, dass die Buchstaben einfach sehr viel größer sind. Er hat einfach sehr viel mehr Platz gebraucht als Goethe, der auch Spaß dran gehabt hat, schön zu schreiben.“

Die Handschrift einer Person ändert sich im Laufe des Lebens. So auch bei den beiden Schriftstellern. Sie entwickelten ihre Eigenheiten, etwas, das für sie typisch war. Vergleiche von Autographen verschiedener Persönlichkeiten, beispielsweise die von Goethe und Ludwig van Beethoven, fördern Interessantes über die Charaktere zutage:

„Wenn man zwei Blätter nebeneinanderlegt – das eine von Beethoven, das andere von Goethe –, dann sieht man, wie ungeduldig Beethoven war. Es hat ihn ja fast zerrissen in seiner Schaffenskraft. Das sind oft Dinge, die man praktisch nicht lesen kann. Bei seinen Briefen natürlich war er drauf angewiesen irgendwie. Derjenige, der sie bekommen sollte, musste natürlich auch etwas lesen können. Und man sieht, wie er sich gezwungen hat, vernünftig zu schreiben. Bei seinen eigenen Notizen, bei seinen Werkmanuskripten, ist es im Grunde genommen erst einmal ein vollkommenes Chaos.“

Weitgehend leserlich schrieb der Komponist nur, wenn er musste. Bei seinen eigenen Werkmanuskripten, handschriftlichen Notizen in seinen Musikstücken, sah das anders aus. Ihnen war anzusehen, dass das Komponieren ein schwieriger Prozess für ihn war, oder wie Wolfgang Mecklenburg sagt, wie zerrissen er in seiner Schaffenskraft war. Gerade in diesen Werkmanuskripten liegt für Autographen-Sammler und -händler wie Wolfgang Mecklenburg ein besonderer Reiz:

„Die großen Werkmanuskripte sind natürlich für uns heute bedeutende Quellen, weil Schaffensprozesse nachvollziehbar werden, gerade wenn ich an Fontane denke. Wir haben viele Manuskripte von ihm gehabt, in denen der Schaffensprozess wirklich nachvollziehbar wird – durch Streichungen, durch Umänderungen, und dann wird wieder ’n Wort rausgelöscht und wieder was anderes probiert. Wie ist der Zeilenfall? Wie ist der Silbenfall? Klingt das so gut? Ist es das, was ich will? Und irgendwann am Ende ist halt der Text da, den wir heute kennen.“

Texte, die heute mit dem Computer geschrieben sind, geben einen Schaffensprozess nicht wieder – dank der Löschfunktion auf der Tastatur. Anders ist das bei handschriftlichen Texten, in denen etwas durchgestrichen und neu formuliert wird. So kann man auch sehen, wie ein Gedicht entstanden ist, indem man sich den Zeilenfall anschaut. Mit der Art und Weise, wie Sätze untereinander angeordnet werden, kann ein Gedicht dramaturgisch inszeniert werden – aber auch durch den Silbenfall, die letzten Silben eines Verses.

Gerade weil die Handschrift im Alltag an Bedeutung verliert, beobachtet Wolfgang Mecklenburg, eine Art Rückbesinnung. Denn die Menschen in der modernen Informationsgesellschaft zeichne etwas aus:

„Weil sie eine gewisse Übersättigung haben hinsichtlich dieser All-Verfügbarkeit, dieser Kopierbarkeit. Jeder kann innerhalb von 30 Sekunden die Mona Lisa auf seinem Smartphone haben. Das ist immer alles da, duplizierbar, kopierbar. Bei vielen Leuten besteht heute eine Art Sehnsucht: ‚Wo kommt das her? Wo ist die Quelle?‘, ’ne Sehnsucht nach dem Einzigartigen, nach dem Unikalen. Und das liefert die Handschrift.“

Computer und Internet sorgen für ein Gefühl der Übersättigung, eines Zuviels an Möglichkeiten. Das Individuelle, Einzigartige, also Unikale, geht verloren. Alles ist jederzeit und überall verfügbar, kann einfach kopiert und dupliziert, verdoppelt, werden. Sogar ein weltbekanntes Gemälde wie die Mona Lisa von Leonardo da Vinci bleibt dank Bildbearbeitungsprogrammen davon nicht verschont. Obwohl durch seine Hände schon sehr, sehr viele handschriftliche Dokumente gegangen sind, würde Wolfgang Mecklenburg gern mal Autographen von einem der Großen unter den Schriftstellern sehen:

„Eines der großen Mysterien ist ja Shakespeare, wie wir wissen. Gab es ihn wirklich, hat er wirklich geschrieben? Und falls dem so sein sollte, das wäre wirklich was Spannendes für mich, in der Tat.“

Der Internationale Tag der Handschrift wird am Jahrestag der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung begangen.
Laut Experten fördert das Schreiben mit der Hand die Feinmotorik und das Denken.
Graphologen können aus Handschriften teilweise Informationen über die Persönlichkeit des Schreibers oder der Schreiberin herauslesen.

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